Eberhard Klagemann
Produktionsleiter, Regisseur
* 20. April 1904 in Wilhelmshaven; † 30. März 1990 in Königsdorf
Biografie
Der langjährige Produktionsleiter Eberhard Klagemann engagierte sich unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges für einen Neuanfang des deutschen Kinos. In diesem Zusammenhang suchte er auch Verbindung zur DEFA, die es ihm 1948 ermöglichte, seine einzige Regiearbeit TRÄUM‘ NICHT, ANNETTE! mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Jenny Jugo zu realisieren. Danach arbeitete er bis Mitte der 1960er-Jahre als Produzent in der Bundesrepublik.
Eberhard Heinz August Klagemann wird am 20. April 1904 in Wilhelmshaven geboren. Zunächst absolviert er eine Banklehre, bevor er sich als Aufnahmeleiter bei der Ufa verpflichtet. Der einflussreiche Produzent Erich Pommer schätzt seine organisatorischen Fähigkeiten und macht ihn zu Beginn der Tonfilmzeit zum Produktionsleiter. In dieser Funktion trägt Klagemann maßgeblich zum Entstehen großer Publikumserfolge bei, darunter Wilhelm Thieles DIE DREI VON DER TANKSTELLE (1930), Hanns Schwarz‘ EINBRECHER (1930), Erik Charells DER KONGRESS TANZT (1931), Robert Siodmaks DER MANN, DER SEINEN MÖRDER SUCHT (1931) und VORUNTERSUCHUNG (1931), Paul Martins EIN BLONDER TRAUM (1932) und Karl Hartls F.P.1 ANTWORTET NICHT (1932). Auch einige fremdsprachige Versionen deutscher Filme, so die französische und englische Fassung von Hartls Fliegerabenteuer, werden von ihm produziert. Dabei arbeitet er mit Darstellerinnen und Darstellern wie Heinz Rühmann, Hans Albers, Willy Fritsch und Lilian Harvey, aber auch mit Charles Boyer, der in I.F.1 NÉ RÉPOND PLUS die Rolle von Hans Albers übernommen hat, oder Conrad Veidt, der sie in der englischen Fassung F.P.1 DOESN’T ANSWER spielt.
Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten verlässt Klagemann die Ufa und arbeitet zunächst als Produktionsleiter für kleinere Firmen. Bei der Dr. V. Badal-Filmproduktion Berlin ist er am Entstehen der von Georg C. Klaren verfassten Liebeskomödie ES GIBT NUR EINE LIEBE (R: Johannes Meyer) mit Jenny Jugo als Stenotypistin Paula beteiligt. Einen weiteren Jugo-Film (FRÄULEIN FRAU, R: Carl Boese) sowie die Kriminalkomödie ES TUT SICH WAS UM MITTERNACHT (R: Robert A. Stemmle) produziert er 1933/34 für die T.K. Tonfilm-Produktion GmbH. Danach gründet er seine eigene Produktionsgesellschaft, die Klagemann-Film GmbH Berlin. Beginnend mit deren Auftaktfilm HERZ IST TRUMPF (1934) wird die quirlige Jenny Jugo zum unangefochtenen Star der Firma. Bis 1944 entsteht in Klagemanns Produktion ein Dutzend Komödien, Lustspiele und Dramen, darunter zahlreiche Arbeiten mit Jugos bevorzugtem Regisseur Erich Engel: PECHMARIE (1934), PYGMALION (1935) nach George Bernard Shaw, MÄDCHENJAHRE EINER KÖNIGIN (1936), DIE NACHT MIT DEM KAISER (1936), GEFÄHRLICHES SPIEL (1937), EIN HOFFNUNGSLOSER FALL (1939), NANETTE (1940), UNSER FRÄULEIN DOKTOR (1940) und VIEL LÄRM UM NIXI (1942). Im Prinzip ermöglicht Klagemann dem bekennenden linken Regisseur, dessen Ufa-Vertrag 1933/34 gekündigt worden war, weil ihn sein Regiekollege Fritz Wendhausen als „krassen Kommunisten“ denunziert hatte, ein materielles Überleben im NS-Reich, ohne sich an die Ideologie der Faschisten anpassen zu müssen. Auch gegenüber Jenny Jugo, mit der ihn trotz ihrer Ehe mit dem Schauspieler Enrico Benfer eine mehr als nur freundschaftliche Beziehung verbindet, erweist sich Klagemann „als überaus sensibler Produzent. Nie konfrontiert er die Schauspielerin, die ihre Stärken und Grenzen genau kennt, mit einer Aufgabe, der sie nicht gewachsen ist. Das Erfolgsmuster der ersten Jugo-Engel-Filme wird nicht mehr verlassen, höchstens variiert.“ (Guido Altendorf)
Aufgrund der vom Propagandaministerium verfügten Zentralisierung der deutschen Filmindustrie 1942 muss Eberhard Klagemann seine Firma für 545.000 Reichsmark an die Märkische Filmgesellschaft verkaufen, die wenig später aber selbst aufgelöst wird. Klagemann und Jugo wechseln zur Ufa, wo er noch einmal als Produktionsleiter für Georg Jacobys DIE GATTIN (1943) tätig wird. Anschließend ist er Herstellungsleiter bei der Terra, für die er 1944/45 das Jenny-Jugo-Lustspiel SAG‘ ENDLICH JA (R: Helmut Weiss) betreut, das sich am Ende des Zweiten Weltkrieges im Schnitt befindet. Einige notwendige Nachaufnahmen können nicht mehr absolviert werden, vor dem Einmarsch der Roten Armee wird das Material in Filmbunkern eingelagert. Während sich Jenny Jugo aus dem umkämpften Berlin nach Tegernsee zurückzieht, verbleibt Klagemann in ihrer Villa in Sacrow. Nach Kriegsende nimmt er zeitweilig Jenny Jugos Filmpartner Victor Staal und eine Flüchtlingsfamilie im Haus auf.
Unmittelbar nach der Befreiung engagiert sich Eberhard Klagemann neben Heinz Rühmann und Alf Teichs im Arbeitsausschuss der Filmschaffenden innerhalb der Kammer der Kunstschaffenden, die beim Amt für Volksbildung im Berliner Magistrat angebunden ist. In Briefen an Jenny Jugo, die im Jugo-Nachlass im Archiv des Filmmuseums Potsdam überliefert sind, reflektiert er über einen möglichen Neuanfang des deutschen Films in Zusammenarbeit der vier Besatzungsmächte unter Leitung von Karl Hartl oder Erich Pommer. Als der in die USA emigrierte Pommer Anfang Juli 1946 in Deutschland eintrifft, um als US-amerikanischer Filmbeauftragter den Neustart des deutschen Kinos im amerikanischen Einflussbereich zu fördern, gehört Klagemann häufig zu den Gästen in dessen Dahlemer Villa. Der ebenfalls mit der US-Armee zurückgekehrte Billy Wilder besucht ihn in Sacrow. Mit amerikanischer Lizenz gründet Klagemann, zusammen mit Heinz Rühmann, eine neue Filmfirma, genannt „Pax“. Hier plant er, Guy de Maupassants Novelle „Fettklößchen“ zu verfilmen: „Du kennst den Stoff“, schreibt er an Jenny Jugo, „ich glaube so stark an dieses Buch wie an keines vorher! Aber nicht mit Weiss als Regisseur, aber z.B. Viktor Tourjanski oder Engel, den man aber vielleicht aufheben sollte, bis man wieder Farbfilm machen kann.“
Zugleich knüpft er Beziehungen zur DEFA im sowjetischen Sektor. Er trägt deren Geschäftsführer Alfred Lindemann die Idee einer Zusammenarbeit über Sektoren- und Zonengrenzen hinaus an und stößt auf offene Ohren. Im April 1947 wird Klagemann zum Vertreter der amerikanischen Zone im DEFA-Beirat berufen. Unter dem Titel „Stark wie der Tod“ (vermutlich der Maupassant-Stoff) soll unter seiner Produktionsleitung und Regie der erste DEFA-Farbfilm mit Jenny Jugo in der Hauptrolle gedreht werden. Die sowjetischen Besatzungsbehörden kennen und schätzen die Jugo, die am kulturellen Leben im Land Brandenburg teilnimmt und auch zum ersten Bundeskongress des Kulturbundes nach Berlin delegiert worden ist. Als „Stark wie der Tod“ nicht verwirklicht werden kann, die DEFA aber ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Klagemann und Jugo erfüllen muss, entschließt sich der Vorstand, das wieder aufgetauchte Negativmaterials von SAG‘ ENDLICH JA zu nutzen und diesen Film zu vollenden. „Es wird vereinbart, unter Verwendung von 25% des vorliegenden Materials den Film mit Klagemann als Regisseur fertigzustellen. Er übernimmt 60% der anfallenden Kosten und erhält dafür das Recht der Auswertung in den Westsektoren. Begeistert feiert die Presse Jenny Jugos Rückkehr und berichtet aus den Johannisthaler Studios.“ (Guido Altendorf). Der Rückgriff auf unfertige Filme aus der Zeit vor 1945 ist kein Einzelfall: Auch der in der Sowjetischen Besatzungszone agierende Verleih Sovexportfilm hat die DEFA schon mehrfach beauftragt, solche „Überläufer“ für den Kinoeinsatz endzufertigen, so u.a. Geza von Bolvarys DIE FLEDERMAUS (1945) und Josef von Bakys VIA MALA (1944). Der Unterschied besteht darin, dass diese Filme nicht unter dem DEFA-Zeichen ins Kino gebracht werden.
Die Arbeiten an TRÄUM‘ NICHT, ANNETTE!, wie SAG‘ ENDLICH JA nun heißt, fallen in die Zeit eines Leitungswechsels bei der DEFA. Alfred Lindemann, der der Zusammenarbeit mit Klagemann und Jugo aufgeschlossen gegenübersteht, muss im Juli 1948 seinen Posten als Geschäftsführer räumen; sein Nachfolger Walter Janka ist von der Altlast aus NS-Zeiten nicht begeistert; außerdem dauert ihm der nahezu einjährige Drehprozess viel zu lang. Vorstandsmitglied Kurt Maetzig schlägt vor, den Film anonym und ohne DEFA-Signet ins Kino zu bringen. Nach der Premiere im Februar 1949 reagiert die Kritik weitgehend negativ und zieht Schlussfolgerungen, die weit über den einzelnen Film hinausgehen. So tadelt Leo Menter in der Weltbühne: „Lasst totes Kapital tot sein, und macht es nicht mit vollen Kassen lebendig, wenn es moralisch keine Zinsen tragen kann. Es rächt sich, genau wie der falsche Gedanke, dass man den Überschuss der schlechten Filme brauche, um mit ihm gute herstellen zu können.“ (Heft 7/1949). Die Berliner Zeitung urteilt: „Meinetwegen soll man die alten Stars, wenn sie sich anständig verhalten haben, wieder hervorholen und einem Publikum zeigen, das anscheinend nach ihnen lechzt – unter einer Bedingung allerdings: man lasse sie nicht träumen, Denn sie träumen leider alle von gestern.“ (Walter Lennig, 5.2.1949). Wolfgang Kohlhaase lässt im Start seiner Ironie freien Lauf: „Jenny Jugo plinkerte viel mit den Augen, stampfte mit dem Füßchen auf und stieß zuweilen unmotivierte Schreie aus. Man soll ihr zugute halten, dass das Drehbuch wahrscheinlich nichts weiter vorsah.“ Dagegen wird die Hauptdarstellerin vom Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel eher gelobt: „Sie war in ihrer Art immer besonders, und sie ist es geblieben, ein reizender Fall für sich. Sie war, kann man sagen, das heitere, graziöse, charmante Feuilleton im deutschen Film. Das Publikum war augenscheinlich recht erfreut, dies entzückend anzusehende Feuilleton wieder vor sich zu haben. Dieses Feuilleton kann die schwarzen Augen noch so groß und die feine, gerade Nase so kraus machen wie früher.“ (Der Spiegel, 12.2.1949).
Zum fünfjährigen Bestehen der DEFA resümiert der von der SED neu installierte DEFA-Direktor Sepp Schwab, TRÄUM‘ NICHT, ANNETTE! sei ein Beispiel für den „falschen und verlogenen Ufa-Einfluss im neuen Filmschaffen“ (Auf neuen Wegen, Deutscher Filmverlag Berlin 1951, S. 10). Und der Technische Direktor Albert Wilkening fasst noch zu Beginn der 1980er-Jahre in seinen Erinnerungen zusammen: „So hatten wir mit diesem Film viele Sorgen und wenig Freude. Er gehörte zu den spontanen Entscheidungen jener Jahre.“ – Schon ein halbes Jahr vor der Premiere, im Juni 1948, legt Eberhard Klagemann seine Funktion im DEFA-Beirat nieder. In einem Brief an Kurt Maetzig führt er als Grund an: „Diese meine Absicht stützt sich auf die bei der Programmverkündigung abgegebene Erklärung, dass alle zukünftigen Filme der Defa auf fester ideologischer Grundlage stehen werden, weiter auf die parteigebundene Personalpolitik in leitenden Positionen und auf viele Vorkommnisse, die ich bei meiner Tätigkeit in Johannisthal zu beobachten Gelegenheit hatte.“ Er macht deutlich, dass er sich auf neue politische Zwänge nicht einlassen will. TRÄUM‘ NICHT, ANNETTE!, ein heiteres, mit Trickelementen angereichertes Märchen ohne jeden Bezug zur Gegenwart der Nachkriegszeit, bleibt im DEFA-Schaffen ein Unikat.
Eberhard Klagemann verlässt gemeinsam mit Jenny Jugo die geteilte Stadt Berlin. 1950 gelingt es ihm, mit der neu gegründeten Klagemann-Film GmbH in München den Helmut-Käutner-Film KÖNIGSKINDER zu produzieren, in dem wiederum Jenny Jugo die Hauptrolle spielt. Kurz danach realisiert die Firma auch Paul Martins DIE SEHNSUCHT DES HERZENS und plant als Co-Produktion mit Italien den Film LAND DER SEHNSUCHT (R: Erich Engel und Camillo Mastrocinque) mit Jenny Jugo, Gustav Knuth und Massimo Girotti. Doch nachdem die Innenaufnahmen bei der Bavaria abgedreht sind, muss der italienische Produzent seine Zahlungsunfähigkeit eingestehen; der Film kann nicht zu Ende gebracht werden, das Material geht verloren
Eberhard Klagemann und Jenny Jugo lassen sich in einem Bauernhof in Schönrain nieder, betreiben Landwirtschaft, empfangen Freunde, reisen zu Kinobesuchen nach Bad Tölz oder München. Jenny Jugo lehnt alle weiteren Filmangebote ab, Eberhard Klagemann übernimmt in München noch die Produktions- bzw. Herstellungsleitung von HANUSSEN (1955, Georg Marischka, O.W. Fischer) und VATER UNSER BESTES STÜCK (1957, Günther Lüders) sowie bei der neu gegründeten West-Berliner Ufa die Produktion von JACQUELINE (1959, Wolfgang Liebeneiner). Seinen letzten Film produziert er 1964: die Flüchtlingsgeschichte VERDAMMT ZUR SÜNDE (R: Alfred Weidenmann) mit Martin Held und Tilla Durieux. Keiner seiner Nachkriegsfilme kann auch nur annähernd an die Erfolge der frühen 1930er-Jahre anknüpfen.
Nach einer ärztlichen Fehlbehandlung ist Jenny Jugo ab 1975 gelähmt. Sie und ihr Lebensgefährte Klagemann werden von ihrem 1957 geschiedenen Mann Enrico Benfer weiterhin finanziell unterstützt. Eberhard Klagemann stirbt am 30. März 1990 in einem Altersheim in Königsdorf. Jenny Jugo folgt ihm am 30. September 2001.
Verfasst von Ralf Schenk. (Juli 2021)
Literatur
- Kay Weniger: Eberhard Klagemann. In: Das große Personenlexikon des Films. Berlin 2001, vierter Band H–L, S. 400.
- Guido Altendorf: Eine Liebeserklärung an Jenny Jugo. https://www.filmmuseum-potsdam.de/media/de/6850_8321_JUGOLiebeserklrungAltendorf.pdf. – Zuletzt abgerufen am 14.7.2021.
- Albert Wilkening: Geschichte der DEFA 1945-1950. Teil 1. DEFA-Betriebsakademie Potsdam 1981, S. 87f.
- Wolfgang Schivelbusch: Vor dem Vorhang. Das geistige Berlin 1945-1948. Carl Hanser Verlag 1995, S. 203, 227f.
- Christiane Mückenberger/Günter Jordan: „Sie sehen selbst, Sie hören selbst...“ Die DEFA von ihren Anfängen bis 1949, Marburg 1994, S. 141ff.
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