Georg Wildhagen
Regisseur
* 15. September 1920 in Hannover; † 2. Dezember 1990 in Mattsee
Biografie
Georg Wildhagen dreht als 29jähriger Debütant den ersten Opernfilm der DEFA, FIGAROS HOCHZEIT (1949). Gleich anschließend wird er verpflichtet, eine nächste Opernadaption zu inszenieren, DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR (1950). Damit setzt er künstlerische Maßstäbe weit über Deutschland hinaus. Trotz vertraglicher Verhandlungen kommt eine weitere Filmoper Wildhagens für die DEFA nicht zustande. Bis zum Ende seines Lebens bleibt er, ab den 1960er Jahren meist fürs ZDF, seiner Liebe für filmisch-musikalische Arbeiten treu.
Georg Wildhagen wird am 15. September 1920 in Hannover geboren. Über seine Ausbildung gibt es verschiedene unbestätigte Angaben; so soll er als dramaturgischer Mitarbeiter bei der Ufa oder der Terra volontiert und am Versuchsfernsehen der NS-Zeit mitgewirkt haben. Er studiert 1943/44 Musikwissenschaft an der damaligen Reichshochschule Mozarteum in Salzburg und inszeniert an Bühnen u.a. in Teschen (Cieszyn), Gleiwitz (Gliwice), Mährisch-Ostrau (Ostrava) und Metz. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet er als Regieassistent an der Hamburger Staatsoper und gründet eine kleine Bühne, die Opera miniatura, in der er Domenico Cimarosas „Die heimliche Ehe“, Igor Strawinskys „Die Geschichte vom Soldaten“ und Mozarts „Bastien und Bastienne“ aufführt.
In dieser Zeit entwickelt er die Idee, Opernfilme zu realisieren. Mit dem Vorschlag, Mozarts „Figaros Hochzeit“ auf die Leinwand zu bringen, spricht er bei dem legendären Produzenten Erich Pommer vor, der als Kulturoffizier aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt ist und ihn an die neu lizenzierte, nur kurzlebige Hamburger Filmfirma Objektiv-Film vermittelt. Während diese noch zögert, kommt Wildhagen bei einem Empfang zur Hamburger Premiere von EHE IM SCHATTEN (1947) mit dem DEFA-Regisseur Kurt Maetzig ins Gespräch. Maetzig lädt den jungen Enthusiasten nach Berlin ein, um seine Idee beim Chefdramaturgen der DEFA, Wolff von Gordon, vorzutragen.
Tatsächlich erhält Wildhagen den Zuschlag, ein Treatment für FIGAROS HOCHZEIT zu schreiben; als Regisseure sind zunächst Arthur Maria Rabenalt oder Paul Verhoeven vorgesehen. Als beide absagen, entschließt sich die DEFA-Direktion, Wildhagen selbst mit der Regie zu beauftragen. Im Atelier in Johannisthal dreht er zwei kurze Probefilme: die Briefszene einmal mit Sängern, einmal mit Schauspielern, die ihre Lippen zu den eingespielten Tonaufnahmen bewegen. Das Playback-Experiment überzeugt; der Film wird zum Drehstart freigegeben. Wildhagen wird im DEFA-Gästehaus einquartiert; er erhält einen Vertrag, der ihm die Hälfte der Gage in Ost-, die andere Hälfte in Westmark garantiert. Dazu stellt ihm die DEFA ausgezeichnete Fachleute zur Seite, darunter den Dirigenten Artur Rother, den im Musikfilmgenre erfahrenen langjährigen Regieassistenten Carl von Barany, den Kostümbildner Walter Schulze-Mittendorff sowie die Szenenbildner Emil Hasler und Hermann Asmus, die ihm Kulissen im Stil der französischen Rokoko-Malerei bauen. Nach jedem Szenenkomplex besichtigt die DEFA-Direktion das Ergebnis; erst danach darf die jeweilige Dekoration abgebaut werden. Über die Dreharbeiten berichtet die Berliner Zeitschrift „Neue Film-Welt“, die ganze Ostzone sei auf der Suche nach historischen Ausstattungsgegenständen abgefahren worden. „Stiche aus der Zeit wurden zusammengetragen, Silberbestecke, etwa 250 verschiedene Dosen, Tabattieren, Tabakspfeifen. Selbst der historische Staubwedel war zu beschaffen.“ In der Thüringischen Stadt Lauscha lässt die DEFA Gläser blasen, jedes der zahlreichen Fenster bekommt handgeschmiedete Balkongitter, zwei Waggons Gips werden allein für die Stuckarbeiten verbraucht. („Neue Film-Welt“, Heft 8/1949).
FIGAROS HOCHZEIT wird Ende Dezember 1949 gleichzeitig in den vier Berliner Sektoren aufgeführt. Bei der Premiere im Ost-Berliner Babylon ist DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl zugegen; das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtet, Wildhagen und sein Team seien achtundzwanzig Mal auf die Bühne gerufen worden. Nicht zuletzt aufgrund der prominenten Besetzung mit Gesangs- und Schauspielstars aus Berlin, Hamburg, Wien oder Hannover wird FIGAROS HOCHZEIT zu einem großen Erfolg.
Unmittelbar danach arbeitet Georg Wildhagen an seiner zweiten Filmoper DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR (1950) nach der Komödie von William Shakespeare und der darauf fußenden Oper von Otto Nicolai. Für die Exposition, die Szene auf der Bühne eines Wandertheaters und das anschließende Eintauchen in „reale“ Schauplätze, nimmt sich der Regisseur Laurence Oliviers britischen Welterfolg „Henry V.“ (1944) zum Vorbild. Für das Szenenbild orientiert er sich an der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Unmittelbar vor der Premiere erhebt die DEFA-Direktion kritische Einwände gegen das Finale des Films, in dem sich, entsprechend der Originaloper, die handelnden Personen – ein Ritter als Vertreter der untergehenden Klasse und zwei junge Frauen als Vertreterinnen des aufstrebenden Bürgertums – versöhnen. Dies wird im Zuge der Durchsetzung des „sozialistischen Realismus“ als politisch falsch ausgelegt. So wird dieser Schluss für die Aufführungen in den beiden Berliner Premierenkinos Babylon und DEFA-Filmtheater Kastanienallee kurzerhand abgeschnitten; der Film endet nun mit der Vertreibung des Ritters aus Windsor. In anderen Kopien bleibt das originale Filmende erhalten; die Schnittanweisung wird, nicht zuletzt aufgrund kritischer Premierenberichte, aufgehoben.
In dem Bild-Text-Band „Auf neuen Wegen“, der zum 5. Jahrestag der DEFA-Gründung 1951 erscheint, zählt der neue DEFA-Direktor Sepp Schwab Wildhagens FIGAROS HOCHZEIT zu den „bewusst gestarteten Versuchen, DEFA-Filme ohne jede Aussage für die Gegenwart zu lassen und in eine Neutralität zwischen Ost und West zu drängen“. Die Forderung einiger Filmschaffender nach der „ausschließlichen Produktion von Filmen, die möglichst ,unpolitisch‘ gehalten im Westen wie im Osten Eingang finden“, habe, so Schwab, hemmend auf die Filmproduktion 1950 gewirkt. Um diese „Störung“ zu überwinden, habe die DEFA „auf einige bisherige Mitarbeiter verzichten“ müssen („Auf neuen Wegen“, Berlin 1951, S. 15f.).
Georg Wildhagen muss weitere DEFA-Projekte, zum Beispiel die Millöcker-Operette „Gasparone“ oder „eine deutsche Broadway-Melodie“, ad acta legen. Für zwei Hamburger Produktionsfirmen dreht er gemeinsam mit Altmeister Reinhold Schünzel die Operettenverfilmung DIE DUBARRY (1951), zwei Jahre später für eine Münchner Firma den Heimatfilm HOCHZEITSGLOCKEN und ebenfalls 1953 für die Wiener Nova-Film EINE NACHT IN VENEDIG nach Johann Strauß, der auch in den Kinos der DDR gezeigt wird.
Mitte 1954, nachdem in der DDR ein „Neuer Kurs“ auch eine vorsichtige Liberalisierung der Filmpolitik und eine Wiederannäherung an westdeutsche Filmschaffende zulässt, verhandelt Wildhagen erneut mit der DEFA, die ihn beauftragt, ein Drehbuch nach der Oper „Zar und Zimmermann“ und einen Entwurf für eine Verfilmung der Carl-Orff-Oper „Die Kluge“ zu liefern. Beide Projekte scheitern, ZAR UND ZIMMERMANN (1955) entsteht schließlich unter der Regie seines westdeutschen Kollegen Hans Müller.
In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre versucht Georg Wildhagen, in den USA Fuß zu fassen. Weil er keine Chance hat, als Ausländer in die Gewerkschaft aufgenommen zu werden, kann er nur illegal an Kinofilmproduktionen mitwirken. Er befasst sich mit der neuen Fernsehtechnik und nutzt die Gelegenheit, um sich auf diesem Gebiet weiterzubilden. Nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik arbeitet er u.a. für den Südwestfunk in Baden-Baden, den Westdeutschen Rundfunk in Köln und nach der Gründung des Zweiten Deutschen Fernsehens vorwiegend fürs ZDF in Mainz. Zu seinen mehr als hundert Fernsehproduktionen gehören verfilmte Theaterstücke wie EINE FRAU OHNE BEDEUTUNG (1969) nach Oscar Wilde, DER FELDHERRNHÜGEL (1970) nach Roda-Roda oder EIFERSUCHT (1978) nach Sacha Guitry, Kultursendungen wie PAUL KLEE (1970) oder AMERIKA - EINE MUSIKALISCHE REISE (1977) und Fernsehfilme wie EIN TAG IN PARIS (1966), LÖSEGELD FÜR MYLADY (1967), AUKTION BEI GWENDOLINE (1969) oder AUF NEUTRALEM BODEN (1971). Er dreht Episoden der Serien MODE-COCKTAIL (1964) und SO EIN SÜSSES KLEINES BIEST (1964/65). Daneben inszeniert er an Theatern in Frankfurt am Main, Wiesbaden, Zürich, Hamburg und Westberlin.
Am Folkwang-Museum in Essen hält er im Mai 1987 Vorlesungen über Musikfilm und präsentiert dabei neben Max Ophüls‘ DIE VERKAUFTE BRAUT (1932) und Walter Felsensteins FIDELIO (1956) auch seine beiden DEFA-Produktionen FIGAROS HOCHZEIT und DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR. Der Produzent Hans Abich, der an der Vorlesungsreihe teilnimmt, bestätigt ihm „eine große Liebe zum präzisen Detail“ und lobt seine heitere Gelassenheit, die insbesondere nach dem überstandenen Herzinfarkt eine „bedeutende Leistung“ gewesen sei.
Georg Wildhagen stirbt am 2. Dezember 1990 in Mattsee bei Salzburg.
Verfasst von Ralf Schenk. (Stand: Oktober 2020)
Literatur
- Sepp Schwab: Auf neuen Wegen. Deutscher Filmverlag GmbH Berlin 1951, S. 9–18 (hier: S. 15).
- Horst Schnare: Figaros Hochzeit, in: Neue Film-Welt, Heft 8/1949, S. 2–3.
- Peter Kliemann: Vom Opernfilm zur Filmoper, in: Neue Film-Welt, Heft 10/1949, S. 2–4.
DEFA-Filmografie
- Figaros Hochzeit (1949) - Drehbuch | Regie: Georg Wildhagen
- Die lustigen Weiber von Windsor (1950) - Drehbuch | Regie: Georg Wildhagen
Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.