Horst Schulze
Schauspieler
* 26. April 1921 in Dresden; † 24. Oktober 2018 in Berlin
Biografie
Horst Schulze – Ein Mann der Widersprüche. Er ist stets „der Andere“, immer dabei und gehört doch nicht so ganz dazu. In Filmen, später auch in Fernsehproduktionen, die die „sozialistische Menschengemeinschaft“ beschreiben, ist für ihn nach 1965 fast immer eine Rolle dabei. Obwohl diese „Menschengemeinschaft“ vordergründig proletarisch geprägt ist, die Arbeiter dominieren, ist der Platz für „einen Anderen“ immer vorhanden. Diesen Platz füllt häufig Schulze aus. Er ist der Arzt, der Anwalt, der Lehrer oder der Direktor, eine Figur, die ihre bürgerliche Herkunft, vor allem ihre bürgerliche Bildung nie verbergen will, auch nie verbergen kann. Schulze, der Schauspieler wie seine Rollen ist anders.
Schulze wird am 26. April 1921 in Dresden geboren. Nach der Schulzeit lernt er zunächst Autoschlosser, bevor es ihn zur Schauspielerei zieht. In Dresden entwickelt er sich zum gefragten Theaterschauspieler. Im Lauf seiner Karriere spielt er nicht nur Mephisto oder Franz Moor, sondern ist auch Hamlet oder Marquis Posa. Auf der Bühne kann er seine ganze Vielseitigkeit zeigen. Schulzes Rollen sind sowohl die großen klassischen Charaktere des deutschen Repertoiretheaters als auch Operettenfiguren wie Opernbuffos. Für den Schauspieler Horst Schulze, der auch Gesang studierte, spielt die Musik ein Leben lang eine bedeutende Rolle. In Lortzings Oper „Der Waffenschmied“ gibt der junge Schauspieler noch vor dem Weltkrieg sein Bühnendebüt in der Dresdener Volksoper. Sein „Bel Ami“ führt Mitte der 1960er Jahre zur unerwarteten Verpflichtung nach Berlin. Helene Weigel integriert ihn in die schon viele Jahre gespielte Erich-Engel-Inszenierung der „Dreigroschenoper“. Schulze übernimmt die Rolle des Mackie Messer von Wolf Kaiser. Später spielt Schulze auch in der Deutschen Staatsoper den Papageno in einer „Zauberflöte“-Inszenierung und im Metropoltheater den Professor Higgins im Musical „My Fair Lady“.
Bei Schulzes ersten Erfahrungen mit der DEFA spielt der lokale Zufall eine Rolle. Die Mitarbeiter des in Dresden ansässigen DEFA-Studios für Trickfilme nutzen bereits früh ab und an die Talente der Dresdener Theaterschauspieler. 1957 hört man Schulzes Stimme zum ersten Mal in Erich Hammers Kurz-Animationsfilm WENN DER REGENMANN SCHLÄFT nach dem Märchen „Die Regentrude“ von Theodor Storm. Bis 1964 ist Schulze an gut zwei Dutzend DEFA-Animationsfilmen als Sprecher beteiligt. Darunter finden sich Produktionen von Carl Schröder, Bruno J. Böttge und Katja Georgi.
Zum Spielfilm nach Potsdam-Babelsberg bringt Schulze ebenfalls ein gebürtiger Dresdener. Der Bühnenregisseur Martin Hellberg verpflichtet ihn 1957/58 für die Rolle des Grafen Appiani in seiner Lessing-Adaption EMILIA GALOTTI mit Karin Hübner in der Titelrolle. Über Jahrzehnte wurden Kino- und Fernsehlandschaft vom Schauspielensemble der Hauptstadtbühnen bestimmt. Horst Schulze gehört nicht dazu. Der Dresdener ist für viele Jahre die Neuentdeckung aus der sächsischen Provinz und arbeitet sich langsam in das Bewusstsein des DDR-Kinopublikums. Eines seiner nächsten Filmprojekte, der Spielfilm CHRISTINE, bleibt nach dem Unfalltod des Regisseurs Slatan Dudow unvollendet. Erst 1974 wird anlässlich des 25. Jahrestages der DDR ein teilweise vertonter Rohschnitt vorgeführt.
1965 und 1971 übernimmt er eine Rolle, mit der das Publikum ihn ein Leben lang verbinden wird. In den DEFA-Produktionen SOLANGE LEBEN IN MIR IST und TROTZ ALLEDEM! - EIN FILM ÜBER KARL LIEBKNECHT von Günter Reisch spielt er Karl Liebknecht. Dass Reischs „Liebknecht-Filme“ entgegen so mancher Erwartungen kein weiteres Werk der sozialistischen Hagiografie sind, darf nicht nur dem Regisseur, sondern auch dem Schauspieler zugerechnet werden. Karl Liebknecht – wie später auch der ebenfalls von Schulze verkörperte Spanienkämpfer Hans Beimler – waren Ikonen der deutschen Geschichte in der Perspektive der DDR-Geschichtsbetrachtung. Schulze spielt sie, trotz geringer Filmerfahrung, nicht aus dieser eher gefährlichen, sehr einseitigen Sicht. Der Schauspieler bringt in viele seiner Rollen sein Wissen um politisch-historische Zusammenhänge und die Differenziertheit der menschlichen Seele ein (Ralf Schenk). Dieses Wissen und die Erfahrungen eines langen Theaterlebens bewahren Schulze vor den Versuchungen einer schematischen Charakterzeichnung wie sie in jener Zeit im DDR-Kino bei Filmen über historische Helden zu finden sind.
Dem Schauspieler, der ab 1967 festes Mitglied im Schauspielensemble am DEFA-Spielfilmstudio ist, bieten sich eine Fülle vielgestaltiger Rollen. 1971 spielt er den Widerstandskämpfer Adam Kuckhoff in Horst E. Brandts KLK AN PTX – DIE ROTE KAPELLE. Zwei Mal ist er als Bösewicht in populären Indianerfilmen von Konrad Petzold zu sehen: In WEISSE WÖLFE (1969) mimt er den grimmigen Minenbesitzer Harrington; in OSCEOLA (1971) einen gerissenen und brutalen Plantagenbesitzer. Im Fernsehen ist 1971 sein steifer Baron von Imstetten in Wolfgang Luderers Fontane-Adaption EFFI BRIEST eine Art Fortsetzung seiner DEFA-Erfolge.
Es folgen eine Vielzahl weiterer Rollen: Horst Schulze gibt den Mittler in Siegfried Kühns Adaption von Goethes WAHLVERWANDTSCHAFTEN (1974). Im Kriminalfilm FÜR MORD KEIN BEWEIS spielt er den früheren Naziarzt und Mörder Dr. Zinn. Einen westdeutschen Verleger verkörpert er in Roland Gräfs Literaturverfilmung MÄRKISCHE FORSCHUNGEN (1981) nach einem Stoff von Günter de Bruyn. In Rolf Losanskys ABSCHIEDSDISCO spielt er 1989 in einer seiner letzten DEFA-Rollen einen Großvater, der seinen Heimatdorf nicht für den Braunkohletagebau verlassen möchte. Ingrun Spazier schreibt 1989 über den Schauspieler: „Schulze, ein eher unspektakulärer Schauspieler, beherrscht fast alle darstellerischen Mittel, das Komödiantische ist ihm nie Selbstzweck, sondern er benutzt es, um menschliche Haltungen sinnlich-konkreten Ausdruck zu verleihen.“
Die Wende und damit verbunden das Ende der DEFA bedeutet für Horst Schulze eine starke Einschränkung seiner darstellerischen Aktivitäten. Roland Gräf besetzt ihn 1992 in der Rolle des Dr. Kobler in DIE SPUR DES BERNSTEINZIMMERS. Danach folgen kaum mehr erwähnenswerte kleine Rollen in einigen Film- und Serienproduktionen. Schulze bleibt jedoch ins hohe Alter auf der Bühne aktiv. Als er seine schauspielerische Aktivität stark einschränken muss, vermittelt er seine lebenslangen Erfahrungen im Fach Opernregie. Ralf Schenk schreibt anlässlich des 90. Geburtstags Schulzes: „Manchmal spricht Horst Schulze noch den ‚Faust‘. Nicht nur die Titelrolle, sondern gleich das ganze Stück (…) Kerzengerade betritt er die Bühne, legt das Reclam-Bändchen, das er vorsorglich in der Hand hält, bedachtsam zur Seite, um in den kommenden zwei Stunden kaum noch einen Blick hinein zu werfen. Fast unbewegt sitzend, genießt er die Sprache Goethes wie einen guten Tropfen Wein, lässt sich gern auch auf das Schalkhafte des Textes ein, hält sein Publikum durch feinste mimische Regungen in Bann.“
Horst Schulze stirbt am 24. Oktober 2018 im Alter von 97 Jahren in Berlin.
Verfasst von Michael Hanisch. (Dezember 2017)
Auszeichnungen
- 1962: Kunstpreis der DDR
- 1966: SOLANGE LEBEN IN MIR IST - Nationalpreis II. Klasse (im Kollektiv)
- 1969: HANS BEIMLER, KAMERAD - Nationalpreis I. Klasse (im Kollektiv)
- 1969: DDR-Fernsehkünstler des Jahres
- 1971: KLK an PTX – DIE ROTE KAPELLE - Kunstpreis des FDGB (im Kollektiv)
- 1973: DDR-Fernsehkünstler des Jahres
Literatur
Eigene Texte
- Heinz Hofmann: Liebknecht und die Sprache des Films, in: Märkische Volksstimme, Potsdam vom 7. Februar 1965 (Gespräch)
- Heinz Hofmann: Begegnung mit Liebknecht, in: Märkische Volksstimme, Potsdam vom 11. August 1965 (Gespräch)
- Lothar Ehrlich: Persönlichkeit und Rolle in: Die Union, Dresden vom 26.August 1965 (Gespräch)
- Dieter Borkowski: Ein Schauspieler vom Jahrgang 21 in: Filmspiegel, Nr. 20/1966 (Gespräch)
- Manfred Heidicke: Vom Papageno bis ins Heute in: Berliner Zeitung, vom 26. Januar 1969 (Gespräch)
- Dr. Vera Kliemann: Für gescheites Theater und ein großes Publikum, in: Sächsische Zeitung, vom 1./11. Juni 1995 (Gespräch)
Fremde Texte
- Winfried Possner: Zwischen „Marquis Posa“ und dem „Mann im offenen Mantel“. Horst Schulze – Schauspieler, Reisender zwischen Dresden und Berlin, in Wochenpost, vom 24. Oktober 1964
- Fred Gehler: In der Schönheit seines Mutes, in: Sonntag, Nr.41 vom 10. Oktober 1965
- S. Schirrmeister: Persönlichkeit in erregender Zeit, in: Tribüne, vom 19. Januar 1972
- Ehrentraud Novotny: Horst Schulze, in: Renate Seydel (Hg.): Schauspieler, Henschel, Berlin 1974
- Joachim Reichow: Realistische Darstellung, in: Filmspiegel, Nr.7/1981
- Angelika Griebner: Wandlung eines Arztes. Horst Schulze zu seiner Darstellung des Theodor Brugsch im Fensehspiel „Arzt in Uniform“, in: Junge Welt, vom 5. Mai 1982
- Helga Schwarz-Stötzer: Verantwortung, in: FF Dabei Nr. 17/1985
- Ingrun Spazier: in Hans-Michael Bock (Herausgeber): Cinegraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, edition text + kritik, Hamburg 1989
- Ralf Schenk: Der große Schauspieler Horst Schulze feiert heute seinen 90. Geburtstag: Der vormals letzte Bürger, in: Berliner Zeitung, vom 26. April 2011
DEFA-Filmografie
- OPERAZIONE NOTTE / Es geschah um Mitternacht (1955) - Synchronisation (Sprecher) | Regie: Giuseppe Bennati
- Emilia Galotti (1957) - Darsteller | Regie: Martin Hellberg
- Wenn der Regenmann schläft... (1957) - Sprecher | Regie: Erich Hammer
- Vom mutigen Hans (1958 - 1959) - Sprecher | Regie: Klaus Georgi, Katja Georgi
- Der Zweikampf (1958) - Sprecher | Regie: Bruno J. Böttge
- Rumpelstilzchen (1959) - Sprecher | Regie: Bruno J. Böttge
- Der ungeschickte kleine Elefant (1959) - Sprecher | Regie: Günter Rätz
- Warum jeder ein Körnchen Weisheit besitzt (1959) - Sprecher | Regie: Bruno J. Böttge
- Hochmut kommt vor dem Knall (1960) - Darsteller | Regie: Kurt Jung-Alsen
- Hugo Leichtsinn geht um (1960) - Sprecher | Regie: Christl Wiemer
- Hugo Leichtsinn geht um (1960) - Sprecher | Regie: Hans-Ulrich Wiemer
- Die kluge Bauerntochter (1960) - Sprecher | Regie: Wolfgang Bergner
- Der Nachtschmied zu Görlitz (1960) - Sprecher | Regie: Bruno J. Böttge
- Der rechte Barbier (1960) - Sprecher | Regie: Jörg d'Bomba
- Wettbewerb der Dorftiere (1960) - Sprecher | Regie: Klaus Georgi
- Hugo Leichtsinn geht um (1961) - Sprecher | Regie: Hans-Ulrich Wiemer
- Die Pyramide (1961) - Sprecher | Regie: Katja Georgi
- Der Roßdieb zu Fünssing (1961) - Sprecher | Regie: Carl Schröder
- Edelmarder (1962) - Sprecher | Regie: Carl Schröder
- Der eiserne Heinrich (1962) - Sprecher | Regie: Carl Schröder
- Freispruch mangels Beweises (1962) - Darsteller | Regie: Richard Groschopp
- Christine (1963 - 2021) - Darsteller | Regie: Slatan Dudow
- Hugo Leichtsinn geht um (1963) - Sprecher | Regie: Hans-Ulrich Wiemer
- Jetzt und in der Stunde meines Todes (1963) - Darsteller | Regie: Konrad Petzold
- Der Meister boxt (1963) - Sprecher | Regie: Günter Rätz
- Der Teufel mit den drei goldenen Haaren (1963) - Sprecher | Regie: Carl Schröder
- Der Teufelstaler (1963) - Sprecher | Regie: Katja Georgi
- Die Wunschmühle (1964) - Sprecher | Regie: Bruno J. Böttge
- Solange Leben in mir ist (1965) - Darsteller | Regie: Günter Reisch
- Der kleine Prinz (1966) - Darsteller | Regie: Konrad Wolf
- Lebende Ware (1966) - Darsteller | Regie: Wolfgang Luderer
- Der Augenzeuge 1967/22 (1967) - Person, primär
- Der Darß (1967) - Sprecher | Regie: Joop Huisken
- Dresdener Botschaften (1967) - Sprecher | Regie: Heinz Fischer
- Geschichten jener Nacht, Teil 1 - 4 (1967) - Darsteller | Regie: Karl-Heinz Carpentier, Ulrich Thein, Frank Vogel, Gerhard Klein
- Der Mord, der nie verjährt (1967) - Darsteller | Regie: Wolfgang Luderer
- Jungfer, Sie gefällt mir (1968) - Darsteller | Regie: Günter Reisch
- Mord am Montag (1968) - Darsteller | Regie: Hans Kratzert
- Weiße Wölfe (1968) - Darsteller | Regie: Konrad Petzold, Bosko Boskovic
- Wir schützen, was wir schaffen (1968) - Sprecher | Regie: Günter Weschke (auch: Weschcke)
- KLK an PTX - Die Rote Kapelle (1970) - Darsteller | Regie: Horst E. Brandt
- Osceola (1971) - Darsteller | Regie: Konrad Petzold
- Trotz alledem! - Ein Film über Karl Liebknecht (1971) - Darsteller | Regie: Günter Reisch, Hans Kratzert
- Nicht schummeln, Liebling! (1972) - Synchronisation (Sprecher) | Regie: Joachim Hasler
- Die Wahlverwandtschaften (1973) - Darsteller | Regie: Siegfried Kühn
- Bis dass der Tod euch scheidet (1978) - Darsteller | Regie: Heiner Carow
- Für Mord kein Beweis (1978) - Darsteller | Regie: Konrad Petzold
- Levins Mühle (1980) - Darsteller | Regie: Horst Seemann
- Märkische Forschungen (1981) - Darsteller | Regie: Roland Gräf
- Ärztinnen (1983) - Darsteller | Regie: Horst Seemann
- Der Sieg, Teil 1. / 2. (1984) - Synchronisation (Sprecher) | Regie: Jewgeni Matwejew
- Ihr seid dabei gewesen (1988) - Sprecher | Regie: Klaus Alde
- Abschiedsdisco (1989) - Darsteller | Regie: Rolf Losansky
- Farßmann oder zu Fuß in die Sackgasse (1990 - 1991) - Darsteller | Regie: Roland Oehme
- Die Spur des Bernsteinzimmers (1991 - 1992) - Darsteller | Regie: Roland Gräf
Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.