Jochen Mückenberger (auch Joachim)
Generaldirektor des DEFA-Studios für Spielfilme
* 11. August 1926 in Chemnitz; † 19. März 2020 in Potsdam
Biografie
Jochen (eigentlich Joachim) Mückenberger ist Generaldirektor des DEFA-Studios für Spielfilme von 1961 bis 1966. Unter seiner Leitung erlebt das Studio eine Dezentralisierungs- und Demokratisierungsphase wie nie zuvor. Mückenberger wird in Folge des 11. Plenums des ZK der SED für die „schädlichen Filme“ des Jahres 1965 verantwortlich gemacht und entlassen. Von 1968 bis 1990 ist er Generaldirektor der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci. Die Rettung des Marstalls in Potsdam, in dem 1981 das erste Filmmuseum Deutschlands eröffnet wird, ist in erster Linie ihm zu verdanken.
Mückenberger wird als fünftes von sechs Kindern am 11. August 1926 in Chemnitz geboren. Sein Vater arbeitet in einer Großbäckerei. Mückenberger schließt die Schule mit der mittleren Reife ab, beginnt eine Ausbildung bei der Reichsbahn und wird siebzehnjährig zum Wehrdienst eingezogen. Zurück aus der Gefangenschaft arbeitet er wieder bei der Reichsbahn. Erst in der neuen Gesellschaftsordnung ist es ihm ab 1947 durch das „Arbeiterstudium“ möglich, die Hochschulreife zu erwerben. Er studiert an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig mit dem Spezialfach Kulturpolitik bei Hans Mayer. Von Leipzig kommt er 1950 direkt in die Kulturabteilung des ZK der SED, in der er bis 1961 tätig ist, davon ab Mitte der 1950-er Jahre als ihr stellvertretender Leiter.
Am 1. November 1961, drei Monate nach dem Mauerbau, wird er, erst 35 Jahre jung, zum Generaldirektor [1] des DEFA-Studios für Spielfilme berufen; eines Betriebes mit damals 2.700 Mitarbeitern.
Zeitgleich mit seiner Einsetzung erhält der Studiodirektor die volle Verantwortung für Stoffauswahl und Produktion. Unter seinen Vorgängern waren zahlreiche Kommissionen mit Szenarien und Drehbüchern beschäftigt. Jetzt entscheidet die staatliche Abnahmekommission erst über den fertigen Film. Bei Nichtabnahme gehen die Produktionskosten zu Lasten des Studios.
Als eine seiner ersten Entscheidungen beschließt Mückenberger im November 1961 nach Diskussion mit den Beteiligten, die Filmkomödie DAS KLEID, die 1961 noch vor dem Mauerbau gedreht worden war, der staatlichen Kommission nicht vorzuführen, weil er bei der veränderten politischen Lage eine Zulassung für ausgeschlossen hält.
In Mückenbergers Zeit nimmt die DEFA Spielfilmproduktion wieder einen kreativen Aufschwung. Er gehört zu der neuen Generation, die nach 1945 ausgebildet wurde und die jetzt in Chruschtschows Tauwetterperiode Verantwortung übernimmt. Unter seiner Leitung erlebt das Studio eine Dezentralisierungs- und Demokratisierungsphase wie nie zuvor [2]. Er fördert die Eigenverantwortung und die individuelle Handschrift der Künstler, indem er den vor seiner Zeit begonnenen Strukturwandel der DEFA hin zu künstlerischen, auch politisch und finanziell eigenverantwortlichen Arbeitsgruppen intensiviert. In diesem Sinne wird 1964 die Stelle des Chefdramaturgen abgeschafft und es gelingt ihm darüber hinaus, das Filmprämiensystem der Regisseure auf freiwilliger Basis auf eine Leistungsprämie, die vom Prädikat der Studioabnahme abhängt, umzustellen. Um das Repertoire der Filme zu erweitern, wird die künstlerische Arbeitsgruppe „Johannisthal“ gegründet, die sich vor allem auf Komödien und Musikfilme spezialisiert. Ebenfalls werden die ersten Indianerfilme gedreht und bewusst Schauspieler zu Stars entwickelt.
In Mückenbergers Zeit werden jährlich 18 bis 20 Spielfilme gedreht. Es entstehen wichtige Filme, die sowohl lebensnah und künstlerisch wertvoll sind als auch die Kinozuschauer wieder in DEFA-Filme locken, so z.B. KARBID UND SAUERAMPFER (1963), FOR EYES ONLY (1963), DER GETEILTE HIMMEL (1964), MIR NACH, CANAILLEN! (1964), NACKT UNTER WÖLFEN (1962), DIE ABENTEUER DES WERNER HOLT (1964), GLATZKOPFBANDE (1962), ACH, DU FRÖHLICHE… (1962), BESCHREIBUNG EINES SOMMERS (1962).
Diese neue Linie wird in der Leitung der DEFA gemeinsam von Mückenberger, dem Chefdramaturgen Klaus Wischnewski und dem Parteisekretär Dr. Werner Kühn getragen. Mit dem 11. Plenum des ZK im Dezember 1965, zu dem Mückenberger gemeinsam mit Frank Beyer und Konrad Wolf geladen ist, endet diese Ausrichtung und es werden infolge elf Spielfilme, das heißt eine halbe Jahresproduktion, verboten bzw. kommen nicht zur Aufführung.
Ebenfalls gibt es einschneidende personelle Konsequenzen. Am 23. Dezember 1965 gibt ihm der noch amtierende Filmminister Günter Witt die Anweisung, ein Disziplinarverfahren gegen den Regisseur Günter Stahnke mit dem Ziel dessen fristloser Entlassung einzuleiten. Dagegen erhebt Mückenberger in schriftlicher Form am 28. Dezember Einwände: DER FRÜHLING BRAUCHT ZEIT (1965) war „staatlich zur öffentlichen Vorführung zugelassen worden …“. Er schlägt aber vor, Stahnke aufgrund seiner Gesamtleistung einen Aufhebungsvertrag anzubieten bzw. sollte dieser nicht zustimmen, ihm fristgemäß zu kündigen. [3]
Er selbst wird im Februar 1966 entlassen und mit Berufsverbot belegt, nachdem seine Frau Christiane Mückenberger, die als Filmwissenschaftlerin an der Hochschule für Film und Fernsehen arbeitet, schon am 23. Dezember 1965 davon betroffen war. Mit Kündigung seines Einzelvertrages und Gehaltskürzung wird er persönlich haftbar für die „schädlichen“ Filme gemacht.
Er erhält das Angebot, als 3. Sekretär in der Suhler Bezirksleitung des Kulturbundes zu arbeiten, aber er weigert sich. Im Auftrag des Ministeriums für Kultur managt er mehrere Großveranstaltungen, darunter zum 450. Jahrestag der Reformation und zum 900-jährigen Bestehen der Wartburg, bevor er ab 1968 für 23 Jahre Generaldirektor der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci sein wird. In dieser Funktion startet er ein Restaurierungsprogramm der Preußenschlösser in Zusammenarbeit mit der staatlichen polnischen Denkmalpflegewerkstatt PKZ. Als erstes dieser Projekte wird 1969 das Schlosstheater im Neuen Palais restauriert und eröffnet.
Organisatorische Grundlage seines Restaurierungsprogramms ist die Herauslösung der Schlösserverwaltung aus der Zuständigkeit des DDR-Kulturministeriums. Gemeinsam mit Oberbürgermeisterin Hanke gelingt es ihm, die Schlösserverwaltung der Stadt Potsdam, die über Baukapazitäten verfügt, zu unterstellen. So werden ab 1976 nach und nach Arbeiten an den Sanssouci-Terrassen, den Neuen Kammern, am Chinesischen Haus, an der Friedenskirche und am Neuen Palais ausgeführt. Seine für den Film wichtigste Leistung in diesen Jahren ist die Rettung des maroden Marstalls in Potsdam, in dem 1981 das erste Filmmuseum Deutschlands eröffnet wird.
„Mückenberger selbst hat die fünf Jahre bei der DEFA immer als seine beste Zeit bezeichnet. ‚Aber Sanssouci’, sagt er lächelnd, ‚ist ganz dicht dran’ “.[4]
Mückenberger lebt bis zu seinem Tod mit seiner Frau, der Filmwissenschaftlerin Dr. Christiane Mückenberger, in Potsdam-Babelsberg. Er stirbt am 19. März 2020 in einem Potsdamer Krankenhaus.
Verfasst von Claudia Köpke. (Stand: Oktober 2019)
Fußnoten
[1] 1961 hieß die Funktionsbeschreibung „Hauptdirektor“, ab 1976 „Generaldirektor“. Siehe Günter Jordan: Film in der DDR. Daten - Fakten – Strukturen. Schriftenreihe der DEFA-Stiftung 2009, S. 134
[2] Ralf Schenk: Mitten im kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Ralf Schenk (Red.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946-1992. Henschel Verlag Berlin 1994, S. 153
[3] Erika Richter: Zwischen Mauerbau und Kahlschlag 1961 bis 1965 In: Ralf Schenk (Red.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946-1992. Henschel Verlag Berlin 1994, S. 198
[4] Peer Straube: Visionär und Retter Jochen Mückenberger. Potsdamer Neueste Nachrichten 11. August 2016
Literatur
Eigene Texte:
- Mückenberger, Jochen/ Schenk, Ralf: Die besten Jahre.
Meine Zeit als DEFA-Generaldirektor 1961-1966; in: apropos: Film 2001, Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Verlag Das Neue Berlin 2001
Fremde Texte:
- Jochen Mückenberger neuer Generaldirektor. ADN-Meldung. In: Neues Deutschland 22. Dezember 1967
- Gespräch zwischen Christiane Mückenberger und Kurt Maetzig zu „Das Kaninchen bin ich“ in: Christiane Mückenberger (Hrsg.): Prädikat Besonders schädlich. Henschel Verlag Berlin 1990
- Klaus Wischnewski: Die zornigen jungen Männer von Babelsberg. In: Günter Agde (Hrsg.): Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED 1965. Aufbau Taschenbuch Verlag 2000. 2. Erw. Auflage
- Günter Jordan: Film in der DDR. Daten - Fakten – Strukturen. Schriftenreihe der DEFA-Stiftung 2009
- Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix (Hrsg.): Wer war wer in der DDR?“. 5. Auflage, Ch. Links Verlag Berlin 2010.
- Andreas Kötzing/ Ralf Schenk: Verbotene Utopie. Die SED, die DEFA und das 11. Plenum. Bertz+Fischer Verlag 2015
- Regine Sylvester: SED-Zentralkomitee: "Hier wird unsere Partei beleidigt!" ZEIT Online 2015
- Peer Straube: Visionär und Retter - Joachim Mückenberger . Potsdamer Neueste Nachrichten 11. August 2016
DEFA-Filmografie
- Zeitzeugengespräch: Joachim Mückenberger (2000) - Person, primär
Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.