Geburtstagsgruß für Ulbricht.
Uraufführung nach 44 Jahren: „Baumeister des Sozialismus“
von Ralf Schenk
Ende Oktober 1989 wurde beim Filmverband der DDR eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich um die verbotenen Filme der DEFA kümmern und sie zur Aufführung bringen sollte. Um das Terrain zu sichten, war eine der ersten Amtshandlungen dieser Gruppe, die Filmleute aufzufordern, die Titel aller ihnen bekannten, auf den Index gesetzten Werke aufzuschreiben. Viele Kopien lagerten im damaligen Staatlichen Filmarchiv der DDR, manches galt aber auch als verschollen. Von niemandem erwähnt, von keinem gesucht wurde allerdings ein Film namens "Baumeister des Sozialismus". Jetzt ist er aufgetaucht, und im Zusammenhang mit einer Ausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin konnte man ihn erstmals öffentlich besichtigen. Die Rechercheure und Gestalter dieser Ausstellung über Agitation und Propaganda in den frühen Jahren der DDR waren ihm über Akten des Parteiarchivs der SED auf die Spur gekommen. Daß den Film bis dato niemand vermißt hatte, hängt sicher mit der Tatsache zusammen, daß "Baumeister des Sozialismus" eine grundlegend andere Verbotsgeschichte aufweist als jene kritischen Gegenwartsfilme, die sonst der Zensur zum Opfer fielen: Er ist ein exemplarisches Beispiel für den Kult, der um die Figur Walter Ulbrichts betrieben wurde.
"Baumeister des Sozialismus" sollte als ein Höhepunkt zum 60. Geburtstag des Generalsekretärs der SED am 30. Juni 1953 uraufgeführt werden. Für das Umfeld dieses Jubiläums hatte die Spitze der SED einen umfangreichen Maßnahmenkatalog erarbeitet. Straßen und Kulturhäuser sollten den Namen Ulbrichts erhalten, eine gesammelte Ausgabe seiner Schriften wurde in Auftrag gegeben, der Schriftsteller Johannes R. Becher mit einer biografischen Dokumentation betraut. Auch die DEFA war zur Ehrung des zweiten Mannes im Staate gebeten. Als Gestalter von "Baumeister des Sozialismus" fungierten Ella Ensink und Theo Grandy. Ella Ensink, geboren 1897 in Berlin, galt als absolute Fachfrau. Seit dem 16. Lebensjahr war sie im Filmmetier tätig, arbeitete als Schnittmeisterin mit Erich Pommer, bei der Ufa und der Tobis. Als eine der ersten Angestellten nach dem Krieg wurde sie am 1. Januar 1946 zur DEFA verpflichtet; sie war Cutterin der Wochenschau, dann Chefschnittmeisterin. Gelegentlich führte sie auch Regie, unter anderem bei "Großbauten des Kommunismus" (1951) und "Unsere Frauen im neuen Leben" (1951). Vermutlich als eine Art politischen Kommissar stellte man ihr Theo Grandy zur Seite, von dem sich sonst keine Spuren in der Geschichte der DEFA finden. Grandy war Mitglied des Nationalkomitees "Freies Deutschland" und als solcher ein enger Vertrauter Ulbrichts in der Sowjetunion. Nach 1945 avancierte er zu einem der leitenden deutschen Redakteure der in Berlin erscheinenden Zeitung "Tägliche Rundschau", des Organs der sowjetischen Militäradministration.
Das Niveau des Films versuchte die DEFA durch namhafte künstlerische Mitarbeiter auf eine gewisse Höhe zu bringen: Die Komponisten Otmar Gerster und Ernst Hermann Meyer schrieben eine sinfonische Musik, die immer wieder deutsche Volks- und Kunstlieder ("O Täler weit, o Höhen"), aber selbst den Yorckschen Marsch zitiert - zu einer Parade bewaffneter Einheiten der Volksarmee. Erwin Anders, Kameramann des "Augenzeugen", wurde es gestattet, eine der seltenen Szenen aus dem Privatleben des Politikers aufzunehmen: Ulbricht und seine Frau Lotte beim Tischtennis-Spiel im Garten, während die (im Film namenlose) Tochter nebenan Schularbeiten macht. Stephan Hermlin schließlich schrieb den pathetischen Kommentar, mit Sätzen wie "Walter Ulbricht liebt die Jugend, die Jugend liebt Walter Ulbricht", oder: Der Generalsekretär sei "ein Mann scharfen Blicks und schnellen Entschlusses".
Eine Behauptung, die der Film mit jedem der aus Wochenschauen und anderen Dokumentationen montierten Bilder zu belegen versucht. Der Held, Initiator des Zwei- wie des Fünfjahresplans, ist als ständiger Ratgeber omnipräsent: heute bei Eisenhüttenwerkern, morgen bei Sportlern und Architekten, bei den Staatsmännern in osteuropäischen Nachbarländern oder bei Bauern. Diese Dorf-Sequenz ist die einzige, in der die Gegenwart der DDR wenigstens ansatzweise problematisiert wird: Die Kamera blickt in verlassene Großbauernhöfe, in denen das Vieh verhungert. Aber auch hier klärt Ulbricht sogleich die Lage; er entscheidet an Ort und Stelle, daß die leeren Stallungen von nun an durch die daheimgebliebenen Bauern mit betrieben werden. Die Sequenz enthält noch einen anderen interessanten Moment: Mit dem Bürgermeister, erklärt der Kommentar, sei man im Dorf unzufrieden. "Da wollen wir doch gleich mal nachsehen...." Als Ulbricht wenig später das Gemeindeamt verläßt, ist der Bürgermeister, den der Zuschauer nicht zu Gesicht bekommt, seines Postens enthoben; es war, teilt der Sprecher mit, sowieso immer seine Sekretärin, die in Wirklichkeit die Arbeit machte. Kein Zweifel, daß eine solche Szene den Duft von Kriegskommunismus und Repressalien atmet und - heute - etwas vom Schrecken fühlbar macht, der über die Betroffenen kam: Stalin als Ulbrichts großes Vorbild läßt grüßen.
"Baumeister des Sozialismus" ist vor allem die Würdigung Ulbrichts als Lenker und Leiter des sozialistischen Aufbaus in der DDR, als "leuchtendes Vorbild für alle jungen Deutschen" (Johannes R. Becher). Adenauer, Eisenhower und Ollenhauer im Westen werden in einem kurzen, eher zurückhaltenden Intermezzo als Verräter gezeichnet: "Adenauer muß und wird fallen", lautet das Resümee dieses Zwischenspiels. Daß der Film 1953 nicht zur Aufführung kam, hängt wohl am ehesten mit Stalins Tod und der veränderten Deutschlandpolitik der sowjetischen Führung zusammen: Diese hätte, zwischen März und Juni 1953, Ulbricht gern zugunsten eines neutralen Deutschlands, einer gütlichen Einigung mit den westlichen Siegermächten geopfert. Aber auch nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953, aus dem Ulbricht paradoxerweise gestärkt hervorging, wirkte ein Opus wie "Baumeister des Sozialismus" fehl am Platze. Wohl nicht zu Unrecht glaubte die Führung der SED, daß sie das Volk mit einer solch penetranten filmischen Selbstverherrlichung nur zusätzlich reizen würde.
Ralf Schenk (filmdienst 10/1997)