Ein Nachlass der DDR.
Annelie und Andrew Thorndike
von Volker Baer
Wem sind wohl die Namen der Dokumentarfilmer Annelie und Andrew Thorndike noch ein Begriff? Im westlichen Deutschland, in dem ihre Arbeiten teils aus politischer Ängstlichkeit und Engstirnigkeit, teils aus mangelndem Publikumsinteresse nicht zu sehen waren, wohl kaum jemandem; und im östlichen Deutschland vermutlich nur die ältere Generation (die denn auch bei der Eröffnung der Ausstellung im Potsdamer Filmmuseum überwiegend anzutreffen war). Die Filme der Thorndikes, nicht ungeschickte Kompilationen, vermochten die einen in ihren Anschauungen zu bestätigen, während sich die anderen zum Widerspruch provoziert fühlten. Die Filme haben, wie Elke Schieber, Leiterin der Potsdamer Sammlung, bemerkte, polarisiert; sie haben zugleich das Geschichtsbewusstsein von Millionen in der ehemaligen DDR geprägt.
Das Lob des eigenen Landes, die Attacke gegen die westliche Welt und, nicht zuletzt, die parteiliche Interpretation der Historie waren die Themen der Filmemacher, die zumeist als Autoren, seltener als Regisseure hervortraten. Da wird die Aufbaustimmung an ostdeutschen Werften mit der Stagnation im Westen konfrontiert („Von Hamburg bis Stralsund“, 1950), da wird ein SS-Führer im Westen entlarvt („Urlaub auf Sylt“, 1957), wird General Speidel attackiert („Unternehmen Teutonenschwert“, 1957/58), da wird ein Abriss 50 Jahre deutscher Geschichte geboten („Du und mancher Kamerad“, 1954-56), da wird ein Loblied auf die Sowjetunion gesungen („Das russische Wunder“, 1959-63), und da werden Wilhelm Pieck (1951/52), Lenin (1970) und andere Größen porträtiert.
Die Thorndikes haben ohne Zweifel interessantes Material gefunden, sie mussten sich auch geschickt der Bilder bedienen, doch stets mussten sich die Bilder in Auswahl und Montage der Argumentation unterordnen, mussten sie Thesen beweisen. So konnte nie ein Zweifel aufkommen, wurde letztlich Feststehendes dargeboten und alles andere, was gerade nicht ins Bild passte, beiseite gelassen (wie beispielsweise der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt von 1939 in dem UdSSR-Film). Gewiss waren es alles Dokumente, was die Thorndikes vorwiesen, doch die Bilder und Worte waren ausgewählt im Sinne und Dienst eines Staates, zu dessen Nutzen und Ruhm. Hierdurch stellt sich zwangsläufig die Frage nach dem Wert des Dokumentarischen, zumal dann, wenn der Staat Auftraggeber und Zensor ist. Wie anders waren da etwa die Dokumentararbeiten von Jürgen Böttcher, Winfried Junge oder Volker Koepp, oder gar diejenigen, die einst aus Polen und der CSSR kamen!
Immerhin sind Andrew und Annelie Thorndike Zeugen und Produkte der DEFA-Dokumentarfilmproduktion, und als solche verdienen sie Beachtung in der historischen Auseinandersetzung. Das Filmmuseum Potsdam widmet ihnen eine kleine Ausstellung, die einen Einblick in ihr Werk vermittelt: Arbeitsfotos, Arbeitsmaterial, Dokumente (etwa von einer juristischen Auseinandersetzung wegen des Speidel-Films), eine Absage von Brecht zur Mitarbeit (mit der Begründung, er könne nur dem Theater oder dem Film dienen), Briefe, Plakate, Manuskripte (Annelie Thorndike plante einen Film über Friedrich den Großen), Orden. Werk und Leben von Andrew (1909-1970) und Annelie Thorndike werden lebendig – gleichsam als Nachlass auch der DDR. Was man vermisst, ist eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen des Dokumentarfilms.
Ausstellung im Filmmuseum Potsdam, 9. Mai-30. Juni 2002
Volker Baer (filmdienst 12/2002)