Poetische Gegenwelten.
„Märchenland Babelsberg“ in Potsdam
von Volker Baer
Als 1991 eine Dokumentation über den osteuropäischen Märchenfilm vorgelegt wurde, deren Planung und Erarbeitung allerdings noch weit in die 1980er-Jahre zurückreichte, war zu befürchten, dass mit dem Ende der bisherigen staatlichen Produktionsgesellschaft auch ein Ende des Märchenfilms eintreten werde. Diese Annahme bestand, wie sich bald herausstellen sollte, zu Recht: Der Märchenfilm, der seine Domäne vor allem in der CSSR, aber eben auch in der DDR hatte, verlor an Aufmerksamkeit. In der DDR entstand zwischen 1950 und 1990 fast alljährlich ein Märchenfilm, der alles andere als eine kitschige Welt darbot. Namhafte Regisseure wie Paul Verhoeven, Wolfgang Staudte und Götz Friedrich, der spätere Intendant der Deutschen Oper in West-Berlin, waren sich nicht zu gut, auch in dieser Filmgattung mitzuarbeiten, und, wie Dokumente aus dem Jahr 1924 auf einem Monitor beweisen, Ludwig Berger. Namhafte Darsteller wie Rolf Ludwig, Heinz Schubert, Manfred Krug oder Rolf Hoppe sah man ebenso in diesem Metier.
Rund 25 Märchenfilme entstanden unter dem Signum der DEFA, was etwa 3,5 Prozent der Gesamtproduktion entsprach (weitere 25 Prozent waren zusätzlich dem Kinderfilm gewidmet). Die meisten der Märchenproduktionen konnten sich auf die Brüder Grimm berufen, einige wenige auf Andersen und Hauff. Die Märchenfilme mögen eine der Nischen in der DDR gewesen sein, in denen sich außerhalb von Tagespolitik und ideologischen Verführungskünsten hatte arbeiten lassen.
Sieben dieser Märchen-Produktionen hat nun das Filmmuseum Potsdam herausgegriffen, um an diese Seite der DEFA (nicht jedoch an alle Babelsberger Produktionsjahre) zu erinnern, mehr aber noch, um die kindliche Fantasie anzuregen und um zugleich auch spielerisch zu informieren. So erfahren die kleinen Besucher fast mehr über die Märchen und deren Umwelt als über die entsprechenden Filme. Diese allerdings kann man auf verschiedenen Monitoren abrufen und sie sich in aller Ruhe ansehen, was, wie ein Ausstellungsbesuch bezeugt, die Erwachsenen mindestens genauso anspricht wie die Kleinen. Sieben Kabinette wurden liebevoll installiert, die Welt von sieben Märchen wurde kunstvoll nachgebaut (Original-Ausstattungsteile hat man vorsichtshalber in Vitrinen ausgestellt). In den einzelnen Kojen findet man die Welt von Aschenputtel und König Drosselbart, von Schneewittchen und Rotkäppchen und auch vom kleinen Muck. Da ist wie im Atelier, nur jetzt auf kleinem, engem Raum, eine kleine Küche aufgebaut, da stehen sieben Bettchen für die sieben Zwerge, da liegt der böse Wolf im Bett. In jedem dieser Schauplätze findet man Erklärungen über die Filmherstellung, Informationen über die Zeit, die Schauplätze oder die Gegenstände, die in den Märchen benutzt werden. Durch Okulare – der Erwachsene muss ziemlich tief in die Knie gehen – kann man einzelne Szenen der Filme abrufen, und durch Kopfhörer kann man zusätzliche Erzählerstimmen hören. Zu allem liegen Bücher aus, mit denen man sich in eine Ecke zur Lektüre zurückziehen kann.
Für die Besucher gilt es, am Ende einen dunklen Wald zu durchschreiten, der aus Dutzenden von echten Baumstämmen errichtet wurde, um nach dem Gruseln in einen leuchtenden Königssaal zu gelangen. Hier ist die Atmosphäre vollends märchenhaft verspielt. Die Kleinen genießen es sichtlich, die Großen nicht minder. Es ist eine Gegenwelt zu all der lärmenden Unterhaltung und dem technischen Spielzeug von heute, eine Welt, die der Tradition verhaftet ist. Vermutlich war es auch zu Zeiten der DEFA eine Gegenwelt. In anderen Ostblockstaaten, vornehmlich wiederum in der CSSR, hatte allerdings der Märchenfilm oftmals auch etwas Subversives. Doch dazu bot Babelsberg wohl kaum eine Gelegenheit.
Volker Baer (filmdienst 14/2005)
Ausstellung „Märchenland Babelsberg“ im Filmmuseum Potsdam, 2. Juni 2005 - 20. Januar 2008