Der Wille zum Überleben.
Fragen nach der Zukunft des DEFA-Systems
von Wilhelm Bettecken
Ungewissheit hat sich ausgebreitet an der August-Bebel-Straße 26-53 in Potsdam, der Heimat der vor ziemlich genau 45 Jahren gegründeten DEFA (Deutsche Film AG VEB [Volkseigener Betrieb]). Schon im Dezember 1990 musste der größte Teil der 2.270 Belegschaftsmitglieder entlassen werden. Nach Abwicklung von acht Filmprojekten, deren Finanzierung mit dem bisherigen System noch gesichert war, darunter das der Gruppe DaDaeR „Das Land hinter dem Regenbogen“, blieben noch 977 Mitarbeiter. Was wird aus dem Film-Gelände, das mit seinen Studios, seinen Werkstätten, seinem Fundus und auch seinem Freigelände durchaus mit anderen Produktionszentren in der Welt konkurrieren kann? Wie Lenin einmal die noch junge „siebte Kunst“ gefördert hat, um mit den (historisch gesehen) künstlerisch hochwertigen „Revolutionsfilmen“ (etwa mit „Panzerkreuzer Potemkin“ von Eisenstein) seine Ideen ins Volk hineinzutragen, so sah die Staatsführung der DDR die DEFA als eine Art Ideologiefabrik. Es gab Leute in Babelsberg, die blind im Sinne der herrschenden Despoten produzierten, aber auch solche, die sich mehr oder weniger versteckt gegen die herrschende Meinung auflehnten. Als die Mächtigen in Ost-Berlin erkannten, was sich in Babelsberg tat, verboten sie die gesamte Produktion des Jahres 1965 und verbannten sie in die „Giftschränke“. So konnte etwa Frank Beyers „Spur der Steine“ erst 1990, nach 25 Jahren, ins Kino kommen. Der Regisseur durfte acht Jahre lang keinen weiteren Film mehr bei der DEFA drehen. Dabei hatte er sich mit Filmen wie „Fünf Patronenhülsen“ (1960), „Nackt unter Wölfen“ (1962) und „Karbid und Sauerampfer“ (1964) als Antifaschist einen Namen gemacht.
Ein neuer Partner
Die Filme von Frank Beyer, aber auch von Wolfgang Staudte oder Kurt Maetzig, Konrad Weiß oder Roland Graf, um nur einige zu nennen, sind Zeugnis dafür, dass unter den seit 1946 in Babelsberg entstandenen 700 Filmen auch solche waren, die die DDR mit ihren Zwangssystemen überlebt haben. Wird auch die DEFA überleben?
Die DEFA, das ist einmal die alte UFA-Stadt, der Atelierbetrieb also, für den sich Interessenten vielfältiger Art finden. Das Ensemble auf dem riesengroßen Gelände ist ideal für mannigfache Aktivitäten. So hat sich beispielsweise die „Zukunftswerkstatt – Arbeit und Bildung GmbH“ mit einer Schulungsstätte auf dem Gelände etabliert. Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF), das sich in dem Studiobereich mit einem Büro niedergelassen hat, will in Kürze mit der Produktion von sechs Fernsehspielen beginnen. Damit will die Anstalt der DEFA helfen, die Durststrecke zu überwinden. Auch die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen will Mittel zur Produktion von Filmen bereitstellen. Und das DEFA-Kopierwerk wirbt in der Fachpresse mit dem Slogan „Ein neuer Partner für Sie“. Der Requisiten-Fundus bietet seine Dienste als „Ausstattungszentrum“ an. Wer also eine komplette Film-, Fernseh- oder Theaterausstattung benötigt, wer Messe-Ausstellungsstände braucht, wer sein Restaurant, Cafe oder Kino auf- oder ausbauen will, der kann sich an das DEFA-Studio wenden. „Ideen sind das beste Startkapital“, heißt es. Der Wille zum Überleben ist unübersehbar.
Anders ist es im künstlerischen Bereich. Die Mitarbeiter der verschiedenen Produktionsgruppen waren aufeinander eingespielt, von den Autoren über die Dramaturgen, die Szenenbildgestalter, Beleuchter, Kameraleute bis zu den Regisseuren. Sie konnten bei einem festen jährlichen Budget von etwa 36 Mio. Mark ihre Pläne ausreifen lassen und in Ruhe produzieren. Sie alle sehen einer ungewissen Zukunft entgegen.
Die Ateliers werden mit großer Sicherheit nicht leerstehen bleiben. Aber die Firmen, die das Studio mit allem technischen Personal mieten, bringen ihre fertigen Drehbücher und ihr gesamtes künstlerisches Personal mit. Nur der eine oder andere DEFA-Mitarbeiter wird in seiner früheren Arbeitsstätte sporadisch tätig sein können.
Bleibt die Frage, ob die DEFA auch wieder produzieren, das DEFA-System, das System eines festangestellten Mitarbeiterkreises, überleben kann. Die Antwort wird nicht zuletzt davon abhängen, wie die Treuhand die Weichen für die Zukunft stellt. Der Treuhand-Beauftragte ist der ehemalige Intendant des Norddeutschen Rundfunks (NDR), Dr. Peter Schiwy. Als ehemaliger „Fernsehmann“ betonte Schiwy in einem Zeitungsinterview: „Die Zukunft der DEFA liegt nicht allein beim Film. Wir wollen nicht vom Film weg, aber wir müssen hin zum Fernsehen.“ Die Beispiele von Studio Hamburg im Norden oder der Bavaria im Süden bestätigen diese Richtung. Auf die Frage, ob denn nicht im Blick auf den Weltmarkt ein reines Filmstudio notwendiger sei, antwortete Schiwy: Die DEFA „muss, um zu überleben, zunächst auf dem Markt erfolgreich sein“. Die Fernsehanstalten sieht er als „tragfähige Partner“, die auch die ausbleibenden staatlichen Subventionen für die reine Filmproduktion ausgleichen könnten. Schließlich kann in einer neuen Wirtschaftsordnung ein Studio kein irgendwie geartetes Zuschuss-(Subventionierungs-)Unternehmen sein. Können die Produktionsgruppen im Sinne von Produzenten selbständig werden? Die Gruppe DaDaeR, die durch ihr gleichnamiges Lustspiel bekannt geworden ist, tritt bereits als Produzent auf. Ohne Starthilfe wird es in Babelsberg nicht weitergehen. Dafür ist Optimismus nicht nur zum Mutmachen angesagt. Der Treuhandbeauftragte Peter Schiwy konnte jüngst mitteilen, dass die Verluste für das erste Halbjahr 1991 um 20 Prozent geringer sind als erwartet.
„Unter die Arme greifen“
Mit staatlichen Mitteln will Bundesinnenminister Schäuble „der Filmkultur im Osten Deutschlands unter die Arme greifen“, zumindest in der schwierigen Zeit des Übergangs und der Anpassung. Daher habe der Bund für die Förderung von Filmprojekten in den neuen Ländern „vor allem im Rahmen der kulturellen Übergangsfinanzierung“ über 20 Mio. DM bereitgestellt. Mit diesen Mitteln würden besonders Produktionen der Babelsberger Filmstudios gefördert. Schäuble: „Mir liegt sehr daran, dass die traditionsreichen Ateliers in Potsdam-Babelsberg den neuen Ländern als Filmzentrum erhalten bleiben.“ Für Babelsberg als Produktionsstätte für Kinofilme setzte sich auch der Berliner Kultursenator Ulrich Roloff-Momin ein. Die DEFA könne nur überleben, betonte er auf einer Pressekonferenz, wenn dort auch fürs Kino produziert werde. Jeder anderen Marschrichtung werde er energisch entgegentreten. Die Berliner Filmförderung geht ohnehin bereits zu einem großen Teil nach Babelsberg; die ersten Filme aus dem Zuschusspaket in zweistelliger Millionenhöhe sollen in diesem Jahr noch begonnen werfen. Ein entscheidender Schritt in die Zukunft wäre es auch, wenn Berlin die Absichtserklärung realisieren würde, sich als Gesellschafter an der DEFA GmbH zu beteiligen. Ein weiteres Zeichen für die Zukunft der DEFA sollte nicht unerwähnt bleiben. In dieser Ferienzeit beginnt eine Aktion, die viele Touristen anziehen dürfte, die „DEFA-Filmtour“. Die Tore an der August-Bebel-Straße in Potsdam-Babelsberg öffnen sich für „Sehleute“. Auf dem Gelände können sie eine Seeräuberfestung, eine Kulissenstraße aus Berlin um 1920, ähnlich der Lindenstraße beim WDR in Köln, besichtigen, sie können in produzierende Studios sehen, den Fundus bestaunen und den Handwerkern in den Studio-Werkstätten über die Schultern schauen. Die „DEFA-Filmtour“ dürfte sich sicherlich bald bezahlt machen. Die entscheidende Frage aber bleibt (vorläufig noch) offen. Kann mit der in Aussicht gestellten vielseitigen Hilfe das Produktionssystem – wenigstens für eine Übergangszeit – erhalten bleiben? Das wäre für viele DEFA-Mitarbeiter, die jetzt arbeitslos sind, ein Lichtblick. Die Hilfe muss bald und sehr konkret einsetzen. Auch dies soll der Zukunft der DEFA dienen: Der S-Bahnhof „Griebnitzsee“, nur zehn Minuten vom Hauptportal der DEFA entfernt, soll in „Filmstadt Babelsberg“ benannt werden. Filmfreunde hoffen, dass dieser Akt nicht nur an eine große Vergangenheit erinnern wird.
Wilhelm Bettecken (filmdienst 17/1991)