Eine Insel voller Schätze.
Das DEFA-Trickfilmstudio Dresden vor dem Umbruch
von Klaus-Dieter Felsmann
„Das war es eigentlich. Dort liegt die letzte Schnecke im Wald und blickt hoffnungsvoll nach oben.“ Was Kameramann Rolf Hofmann aus dem DEFA Trickfilmstudio Dresden beschreibt, sind die Dekorationsreste eines Puppentrickfilms, der im Auftrag des Adlershofer Fernsehsenders begonnen wurde und nicht mehr vollendet wird. Sarkastisch erläutert Hofmann seine momentane Arbeit: für eine Agentur fertigt er Werbefotos, die Szenenbildnerin Martina Großer assistiert ihm. Die meisten ihrer Kollegen sitzen bereits mit „Null-Stunden-Kurzarbeit“ zu Hause, wurden in den Vorruhestand versetzt oder erhalten noch in diesem Sommer ihre Kündigung. Einer der ersten, der die Papiere bekam, war der Regisseur Günter Ratz. Für Rolf Hofmann und Martina Großer ein Zeichen dafür, dass der Animationsfilm in Dresden endgültig abgeschrieben ist.
Verstaubende Dekorationen
Wer durch das Studio geht, kann sich der düsteren Vision nur schwer entziehen. Auf dem Gang eine Tafel: „Nach 37 Jahren Studiozugehörigkeit wurde heute aus marktwirtschaftlichen Gründen Günter Ratz gekündigt. 24.6.1991.“ Resignativer Protest von Menschen, deren wichtigste Arbeitstugend, unendliche Geduld, nun zum Hemmschuh geworden ist. Ratz inszenierte zuletzt den abendfüllenden Puppentrickfilm „Der Schatz im Silbersee“. Jetzt verstaubt die Dekoration des bereits begonnenen Nachfolgefilms „Der Geist des Llano Estacado“. Zwei Jahre Arbeit waren noch geplant. In einem von sechs Puppentrick-Ateliers sind die Scheinwerfer noch an. „Der Film ist noch eine Altlast, in diesem Fall mal eine positive“, sagt Regisseur Eberhard Klotzsche kurz vor der Endabnahme des voraussichtlich letzten Teils der einst beliebten „Dudeldick“-Serie, die im Auftrag des Fernsehens der DDR entstand. Auch für Betriebsratsmitglied Klotzsche sieht die Zukunft trübe aus. Eine überholte Broschüre macht mit Fakten aus der Vergangenheit vertraut. Seit fast 37 Jahren gibt es das Dresdner DEFA-Studio. Über 2000 Filme – überwiegend Animationsfilme - sind entstanden, die Mehrzahl für Kinder. Neben dem Zeichentrick widmete man sich dem Puppen-, dem Lege- und – in einer besonderen Traditionslinie – dem Silhouettentrick. 230 Angestellte, Techniker und Künstler waren regelmäßige Gehaltsempfänger, viele gehörten von Beginn an zum Studio. Die technischen Fertigkeiten der Dresdner Künstler setzten in vielen Bereichen internationale Maßstäbe. Stoffe schöpfte man überwiegend aus dem Märchen- und Sagenschatz der Völker. Auch gab es vielerlei Parabeln, die menschliche Schwächen kritisch beleuchteten. Filme aus Dresden waren nie aggressiv, sie waren freundlich, human und oft lustig.
Es hätte gar keiner politischen Bekenntnisfilme wie „Lieber Mohr“ oder „Es lebe der 1. Mai“ bedurft, um für ein solches Programm hohe Kultursubventionen zu bekommen; die Mittel waren so bemessen, dass sogar immer etwas für Experimentalfilme, mit denen von vornherein nie eine kommerzielle Verwertung angestrebt war, übrig blieb. Keiner bestreitet, dass Dresden eine wichtige Insel in der internationalen Filmwelt war, doch es war eine Insel, die so nur dort möglich war, wo gesellschaftliche Entwicklungen per Beschluss festgelegt werden konnten. Der Preis für beschauliche Arbeitsmöglichkeiten war auch eine ideelle Selbstbeschränkung bei der Auswahl der Themen. Manches wirkte bieder und altbacken. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass bei den letzten Leipziger Festivals einige freche und provokante Kurzfilme liefen, die heute als „Wendefilme“ eingeordnet werden.
Vor dem Untergang
Der Zwiespalt, der zwischen teilweise luxuriösen Subventionen und realen wirtschaftlichen Möglichkeiten bestand, findet seinen bildhaften Ausdruck, wenn man aus dem Zentrum der Stadt zum Studio fährt. Endstation der Straßenbahn ist Gorbitz, jenes triste Neubauviertel, das in jüngster Zeit wegen der Konzentration von faschistoiden Jugendbanden in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geriet. Auf der einen Seite wurde am Bild der humanistischen Gesellschaft gebastelt, auf der anderen Seite entwickelte sich in grauen Wohnblöcken ein undemokratisches Gewaltpotential. Jetzt scheint die Insel unterzugehen. Für jeden, der dort arbeiten konnte, ein unwiederbringlicher Verlust – allerdings einer, der bereits in der Vergangenheit von einigen jüngeren Dresdner Regisseuren für notwendig erachtet wurde. Lutz Dammbeck ging vor einigen Jahren nach Hamburg, Andreas Reimann und Peter Pohler wollen mit ähnlichen Schritten zu größerer kreativer Selbständigkeit kommen. Nun hat die Entwicklung allen die Entscheidung zwischen Geborgenheit und Risiko abgenommen. Die Spuren der Dresdner Schule sind in der Landschaft des Animationsfilms fest eingeprägt. Was aus dem Studio selbst wird, ist offen. Thomas Wedegärtner, einstiger Direktor und jetziger Geschäftsführer, sieht als einzigen wirtschaftlich tragbaren Ausweg eine entscheidende Erweiterung des Betriebsprofils: „Dresden wird nicht mehr ein Trickfilmstudio sein, was ab und an etwas anderes macht, sondern ein Filmstandort, wo alles gemacht wird und es die Hauptspezialisierungsrichtung Trickfilm geben wird.“ Diese Position durchzusetzen, birgt die Gefahr, sich zwischen alle Stühle zu setzen. Kurz nach der Wende hatte er die Vertrauensfrage gestellt, und für das Ergebnis gibt es zwei Interpretationsmöglichkeiten: entweder hatte er eine Mehrheit, um zu bleiben, oder es fehlte eine Zweidrittel-Mehrheit, um ihn abzusetzen. Es ist so irrational wie in vielen anderen ehemaligen Betrieben in der DDR.
Der Zwang, das Unternehmen unter völlig verschiedenen Rahmenbedingungen weiterzuführen, lässt aus der Sicht der Mitarbeiter aus Paulus Saulus und umgekehrt werden. Wedegärtner weiß, dass er aus einem subventionierten Staatsbetrieb ein gewinnorientiertes Unternehmen zu machen hat. Dabei ist zunächst wichtig, welche Entscheidung die Treuhand bezüglich des gesamten DEFA-Betriebes trifft. Deren Beauftragter, Peter Schiwy, war im Juni erstmals im sächsischen Teilbetrieb des einstigen Monopolunternehmens. Offensichtlich ist jener Plan, alle Randbetriebe zugunsten des Spielfilms in Babelsberg zu verkaufen, nicht mehr Verhandlungsgegenstand. Offen sind zur Zeit auch die Finanzierungsfragen. Eine wichtige Quelle könnten die Verwertungsrechte der bisher produzierten Filme sein. Wedegärtner plädiert für eine Konstruktion, die ähnlich der „Murnau-Stiftung“ arbeitet. Einnahmen sollen als gezielte Filmprojektförderung eingesetzt werden. Ansonsten hofft man in Dresden auf den Mitteldeutschen Rundfunk. Diese neue Dreiländeranstalt könnte Aufträge vergeben, doch ihre Organisation läuft nur schleppend an. Besser sieht die Lage im Dokumentarfilmbereich aus: derzeit arbeitet man vorwiegend mit elektronischer Technik an Filmen über das Land Sachsen, Touristen-Videos und Informationsfilmen.
Nur schöne Worte
Eine Sonderstellung nimmt das Studio Bautzen ein. An den Bedürfnissen der sorbischen Minderheit orientiert und besonders gefördert, sind dort die Auftragsbücher gefüllt. Bei diesen Projekten weiß Wedegärtner, dass die Chance seines Unternehmens im Dienstleistungsbereich liegt, in einem Betrieb, der bedarfsgerecht Produktionsteams zusammenstellen kann. Und warum sollten in Dresden keine Fernsehserien oder auch Spielfilme produziert werden? Um dies zu erreichen, muss man sich gegenüber anderen Anbietern durchsetzen. Die schönen Worte aus der ersten Zeit der deutschen Vereinigung sind längst verklungen. Sabine Scholze von der Studioleitung hat in verschiedenen Kinos festgestellt, daß der Werbesektor in den neuen Bundesländern bereits in festen Händen ist. Wedegärtner erlebt, wie gute Animatoren, Konturisten etc. auf dem europäischen Markt von Auftrag zu Auftrag reisen, während er ihnen keine Arbeit geben kann. In einer Dresdner Zeitung machte die Produktionsleiterin Petra Löffler auf eine weitere verhängnisvolle Erblast aufmerksam, denn als DDR-Betrieb war das Studio auch ein Dumping-Unternehmen: die Minute Zeichentrickfilm, die auf westlichen Märkten 30.000 DM kostete, gab es hier für 6.000 DM. Mancher ehemalige Auftraggeber möchte solche Preise auch weiterhin haben; da das nicht geht, zieht er nach Prag oder Budapest. Die Dresdner Studios könnten durchaus zu einer wichtigen Mediengröße werden. Mit der Entwicklung der sächsischen Industrie erwartet Thomas Wedegärtner ähnliche Dimensionen wie in Hamburg, wo jährlich 2.000 Werbe-Spots entstehen. Wenn er davon spricht, dass ähnlich viele in den Dresdner Studios hergestellt werden sollen, dann hat sich in solcher Äußerung viel vom zentralen Denken erhalten. Regionale Kleinproduzenten kann Wedegärtner sich genau so wenig vorstellen wie manche seiner Künstler eine freie Existenz. Martina Großer hat in Frankreich erlebt, wie sich Trickfilmleute zu Gruppen zusammenschließen, um effektiv produzieren zu können. In Dresden läuft aber alles auseinander. Das ist ein Widerspruch, für dessen Lösung es großer gestalterischer Kräfte bedarf. Hier können nicht nur die Marktkräfte wirken, die möglicherweise eines Tages einen Werbespot hervorbringen, der überzeugend die Braunkohle als umweltfreundlich darstellt. Hier muss im Sinne von Kultur regulativ geordnet werden. Eine sächsische Filmförderung, die auch den Animationsfilm einbezieht, wäre ein erster Schritt.
Klaus-Dieter Felsmann (filmdienst 17/1991)