Gemeinsames oder Trennendes?
Deutsche Unterhaltungsfilme aus Ost und West im Vergleich
von Michael Hanisch
"Gemeinsam sind wir trivial" - ohne Fragezeichen, lautete das Thema eines Symposiums, das die Stiftung Deutsche Kinemathek kürzlich im Berliner "Arsenal" veranstaltete. Man untersuchte Genrefilme, beschäftigte sich mit der Unterhaltung, die in den 50er und 60er Jahren in den Kinos beider deutscher Staaten dominierte. Das Fragezeichen im Titel der Veranstaltung war offenbar bewußt weggelassen worden, denn war dies nicht eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen West- und Ostdeutschen? Lachte man nicht in Schwerin und Leipzig über dieselben Spaßmacher wie in Dortmund und Augsburg? Und begeisterten sich in den frühen Jahren des Fernsehens die Ost- wie Westdeutschen nicht gleichermaßen an Kuli und "Einer wird gewinnen"? Natürlich war Caterina Valente in Ost wie West ein Star. Ihre Filme waren genauso an der Elbe zu sehen wie die von Marika Rökk - aber die mit Conny und Peter Kraus schon nicht mehr. "Wenn die Conny mit dem Peter" (1958) wurde in der DDR nicht gezeigt, vermutlich, weil der Peter hier den Rock'n'Roll propagierte. Die Musik kam über den Äther ins Land, der Film blieb draußen.
Ein Akt der "Störfreimachung"
Am Beginn des Symposiums stand die Feststellung der gemeinsamen Trivialität, am Ende wurde differenziert. Man entdeckte dort auch Trennendes, wo man der Gemeinsamkeit sicher zu sein glaubte. Die Deutschen amüsierten sich mitunter doch ein wenig anders. Drei Genres waren ausgewählt worden: Indianer- bzw. Karl-May-Filme, Kriminal- sowie Musikfilme. Schon die Voraussetzungen der Produktionen jener Unterhaltungsfilme war unterschiedlich. Als Produzent Horst Wendlandt 1963 im Westen daran ging, Karl Mays "Winnetou "-Roman zu verfilmen, versuchte er mit Erfolg, an der trotz Agonie unvermindert starken Popularität des amerikanischen Westerns zu partizipieren. Zwei Jahre später - der Kahlschlag des 11. Plenums der SED hatte u.a. auch mit dafür gesorgt, daß selbst noch das geringe Interesse an DEFA-Produktionen in den Kinos der DDR verschwunden war - ging man in Babelsberg daran, auf einem absolut fremden Territorium das Publikum zurückzuerobern. Genauso wenig wie die Bücher des so sehr fantasiebegabten Sachsen Karl May in der DDR verlegt wurden, importierte man die westdeutschen Filme danach. Es war ein Akt der "Störfreimachung" (wie zu jener Zeit die offizielle Terminologie der DDR lautete). Die DEFA drehte selbst einen Indianerfilm und wurde dadurch auch auf diesem Gebiet "unabhängig vom Gegner". Die Babelsberger gingen dabei sehr vorsichtig vor, nutzten eine anerkannte literarische Vorlage, den Roman "Die Söhne der großen Bärin" von Lieselotte Welskopf-Henrich, und beauftragten einen tschechischen Regisseur - Josef Mach - mit der Regie. Auch die Hauptrolle des Films wurde mit einem Ausländer besetzt, mit dem Serben Gojko Mitic, der fortan zur Inkarnation des Indianerfilms der DEFA werden sollte. Die Rechnung ging auf. Das Publikum - nicht nur der DDR, sondern bald auch aller sozialistischen Länder - spielte mit und nahm die Filme an. Die seit 1965 regelmäßig jedes Jahr produzierten DEFA-Indianerfilme waren die ökonomisch erfolgreichsten Werke, die je aus diesem Studio kamen.
Sogar in der Bundesrepublik Deutschland wurden sie gezeigt - allerdings mit nur geringem Erfolg. Hier trafen sie nicht nur auf die Konkurrenz der Karl-May-Filme, sondern auch auf die amerikanischen und italienischen Western. In der DDR dagegen konnten sie ihre Monopolstellung weidlich ausnutzen. Um Karl-May-Filme zu sehen, mußten Indianerfreunde aus der DDR nach Warschau, Prag oder Budapest fahren, US- oder Italo-Western kamen nur ganz vereinzelt in die Kinos der DDR. So wurde erst 1965, im selben Jahr, als die DEFA-Indianerfilmproduktion begann, Zinnemanns "High Noon" in der DDR gezeigt - mit 12 Jahren Verspätung. Western von Anthony Mann, Delmer Daves oder Howard Hawks gelangten nie in die Kinos der DDR.
Die Macher der Karl-May-Filme hielten sich an die vom Schriftsteller vorgegebenen mythologischen, legendenhaften Muster, die DEFA dagegen versuchte einen Balanceakt zwischen publikumswirksamer Action-Story und mehr oder weniger didaktischem Folklore-Bild über den Kampf eines kleinen, stolzen Volkes gegen die weißen Geschäftemacher und anderen Banditen. Der von der Kritikerin Renate Holland-Moritz gebrauchte pointierte Slogan "Eine Mischung aus Karl May und Karl Marx" für die DEFA-Produktionen hatte schon seine Berechtigung.
Schwieriger zu vergleichen waren dagegen die Kriminal- und Musikfilme. Fritz Umgelters "Wenn die Conny mit dem Peter (1958) hat nahezu nichts gemein mit Konrad Wolfs mißlungenem DEFA-Debüt "Einmal ist keinmal" (1955), dem Parteiauftrag, den der junge brave Regisseur erfüllte, obwohl ihn zu dieser Zeit eigentlich ganz andere Stoffe beschäftigten. Wolfs Arbeit hätte möglicherweise im Vergleich zu westdeutschen Heimatfilmen einen reizvollen Kontrast ergeben, zwischen ihr und Umgelters Arbeit lagen Welten. Besser beraten wäre man gewesen, wenn man dem westdeutschen Film eine Arbeit des DEFA-Regisseurs Joachim Hasler gegenübergestellt hätte.
Kriminalfilm als Aufschlußreicher Spiegel
Auch wenig Gemeinsamkeiten waren zwischen den beiden Kriminalfilmen, Helmuth Ashleys "Mörderspiel" (1961) und dem DEFA-Film "Seilergasse 8" von Joachim Kunert (1960) - dem Spielfilmdebüt des Drehbuchautors Günter Kunert - zu finden. Auf der einen Seite wurde versucht, eine Krimistory zur Gesellschaftskritik zu nutzen, die moralische Leere am Ende der Wirtschaftswunderjahre zu zeigen, auf der anderen liebevoll eine kleine "Menschengemeinschaft" beschrieben. Der Kriminalfilm als mitunter aufschlußreicher Spiegel der Gesellschaft, wie er vom Fernsehen der DDR in den 80er Jahren mit Serien wie "Polizeiruf 110" genutzt wurde, stand hier noch ganz am Anfang.
Das Symposium wurde von Peter W. Jansen geleitet. Er fand abschließend neben den erwarteten Gemeinsamkeiten auch viel Trennendes, Unterschiedliches. Nutzvoll sind derartige Vergleiche auf jeden Fall, erhellen sie doch Markierungspunkte auf den recht unterschiedlichen Entwicklungswegen beider deutscher Gesellschaften. Ein Gang zu den Wurzeln ist in einer Zeit, da die immensen Schwierigkeiten bei der Überwindung der Spaltung überdeutlich sichtbar sind, mitunter recht nützlich. Das gegenseitige Interesse der Filmemacher für die Arbeit des anderen war damals - wie auch später - denkbar gering. Man stand sich mit höflichem Desinteresse gegenüber. Allenfalls der Blick von Ost nach West wurde ab und an gewagt. Wußten die Produzenten der westdeutschen Indianer-, Musik- oder Kriminalfilme überhaupt, daß jenseits der Elbe sich ebenfalls Filmleute mit trivialer Kinounterhaltung abmühten? Pierre Brice jedenfalls, als Winnetou die Personifizierung des bundesdeutschen Indianerfilms, schien auch im Sommer 1996 noch nicht zu wissen, daß vor den Toren Berlins einst Indianerfilme gedreht worden waren. Die Tatsache schien ihn auch nicht sonderlich zu interessieren.
Michael Hanisch (filmdienst 18/1996)