Perlen des Stillstands.
Das Trickfilmstudio Dresden
von Klaus-Dieter Felsmann
Als im April 1955 im früheren Landgasthof „Reichsschmied“ am Rande Dresdens das zentrale Trickfilmstudio der DDR gegründet wurde, war das für alle Beteiligten eine große Chance. Auf der Basis stabiler materieller Rahmenbedingungen konnten die festangestellten Gehaltsempfänger ihren subjektiv geprägten kreativen Leidenschaften auf dem Feld des Animationsfilms nachgehen. Was nicht nur aus heutiger Sicht ausgesprochen komfortabel erscheint, hatte allerdings auch seinen Preis: Die DDR als zentral strukturiertes Staatsgebilde mit ideologischem Weltveränderungsanspruch erwartete von jenen, die sie in ihren Dienst nahm, die kongeniale Umsetzung der jeweiligen politischen Vorgaben. In der Praxis erwiesen sich solche diabolischen Verknüpfungen allerdings lange nicht als so geradlinig, wie das in den offiziellen Postulaten oftmals erscheinen mag. Neben überzeugter Gefolgschaft, opportunistischer Anpassung, Zynismus und stiller Opposition gab es auch langanhaltendes Leiden, depressive Selbstzweifel und gelegentlich mutiges Aufbegehren, dass nicht selten zur freiwilligen oder unfreiwilligen Trennung führte. Das DEFATrickfilmstudio existierte 35 Jahre lang als DDR-Staatsbetrieb; danach wurde zwei weitere Jahre – letztlich erfolglos – versucht, das Unternehmen als Ganzes unter neuen Wirtschaftsbedingungen weiterzuführen. Heute erinnern neben einer zum Verkauf stehenden Immobilie rund 2.000 Filme an das einstige Schaffen; und es gibt ein liebevoll gepflegtes Archiv unter dem Dach des „Deutschen Instituts für Animationsfilm e.V.“. Das Institut hat gerade gemeinsam mit der DEFA-Stiftung ein umfangreiches und lesenswertes Kompendium unter dem Titel „Die Trick-Fabrik“ zur Geschichte des Dresdner Studios herausgebracht.
Ideologische Direktiven
Hauptarbeitsschwerpunkt des Trickfilmstudios waren Filme für Kinder. 925 Produktionen fanden meist über sogenannte Kindersammelprogramme ihren Weg in die Kinos, 800 Filme entstanden als Auftragsarbeiten für das Fernsehen. Zuletzt waren im Studio 240 Mitarbeiter fest angestellt. Mehr als die Hälfte davon gehörte zum künstlerischen Personal. Diese haben die Entwicklung des Studios während der gesamten 35 Jahre größtenteils mitbestimmt. Das bedeutete auf der einen Seite hohe künstlerische Kontinuität, auf der anderen Seite aber auch Stagnation, was die Auflösung des Studios letztlich beschleunigte. Erst in den letzten Jahren der DDR hatte man bemerkt, dass der kreative Nachwuchs nie zielgerichtet gefördert wurde. Ein spezieller Studiengang an der HFF „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg wurde Ende der 1980er-Jahre schließlich doch eingerichtet. Zu diesem Zeitpunkt stand die Pensionsgrenze vieler Dresdner Protagonisten allerdings schon kurz bevor. Dieser Widerspruch machte sich auch deshalb drastisch bemerkbar, weil es zu DDR-Zeiten außerhalb des Großbetriebes in Dresden kaum Alternativen oder gar freie Produktionsstrukturen gab. Insofern kann die kleine „Trick-Fabrik“ auch als Modell für die gesamte Gesellschaft betrachtet werden. Bei allen anerkennenswerten Einzelleistungen, die im Laufe der Jahre erbracht wurden, hatte sich ein Hauch von Mehltau über die Szene gelegt, der letztlich alles erstarren und dann zusammenbrechen ließ.
Im Rückblick erscheint der Modellcharakter des Studios für den kulturellen Entwicklungsprozess innerhalb der DDR höchst signifikant. Besonders deutlich wird die zentralistische Orientierung allen Handelns. Die Arbeit war direkt an den jeweiligen kulturpolitischen Vorgaben ausgerichtet, einschließlich der oftmals auftretenden Brüche und Wendungen. Man konnte zwar die ideologisch geprägten Direktiven individuell konterkarieren oder für seine subjektiven Anliegen nutzen, doch man durfte sie nicht grundsätzlich in Frage stellen. Das führte auch in Dresden zu unterschiedlichen Mustern einer spezifischen „Sklavensprache“, die gelegentlich die Grenzen der Schizophrenie erreichte. Geradezu absurde Konstellationen ergaben sich vorwiegend aus dem Umstand, dass alle Vorgänge in erster Linie ideologisch determiniert waren. Wirtschaftliche und künstlerische Aspekte spielten in der kulturpolitischen Diskussion eine untergeordnete Rolle. Es gab Phasen, in denen Märchen allein unter sozioökonomischen Gesichtspunkten betrachtet wurden; zu anderer Zeit wurde etwa der „Kasper“ als dekadente Figur geächtet, oder war „schwarzer Humor“ als subversiv verschrien. Fast durchgängig spielte zudem gerade im Kinderfilmbereich der pädagogische Aspekt eine übergeordnete Rolle.
So erschreckend diese Konstellation im Rückblick auch erscheint, wäre es verfehlt, alle Filme deswegen pauschal abzuqualifizieren oder als einheitliches Konglomerat zu bewerten. Allein die kulturpolitischen Brüche führten nicht nur zu Restriktionen, sondern ermöglichten temporär viele kreative Arbeiten. Während in den ersten Jahren des Studios finanzielle Aspekte anscheinend gar keine Rolle spielten, machten sich die Nöte des Systems gegen Ende durchaus auch im Trickfilmstudio bemerkbar. Materielle Zwänge führten zur Aufgabe ideologischer Dogmen. Wesentlicher aber war zu allen Zeiten die Haltung der Künstler, die sich nur eingeschränkt in ideologische Schemen zwängen ließen. Animationsfilm wurde in der offiziellen Diskussion nie im ästhetischen Sinne als bewegte bildkünstlerische Form betrachtet. Für die Macher stand eine solche Herangehensweise allerdings außer Frage. Es wurde experimentiert und nach künstlerischen Ausdrucksformen gesucht. Dabei galt es geschickt zu taktieren, Kompromisse eingehen und ständig abzuwägen, ab welchem Moment die Selbstaufgabe beginnt. Insbesondere die Dramaturgen des Studios übten sich oftmals in einer heiklen Gratwanderung. Jahresweise wurden thematische Arbeitspläne erstellt, die größtenteils politischen Intentionen folgten. Auf dieser Grundlage begann dann der Prozess der Stoffentwicklung. Hier waren die Dramaturgen federführend. Was heute durch diverse Filmförderer gegenüber den Produktionsfirmen in gewissem Umfang wieder eingefordert wird, eine fachkompetente Begleitung bei der Entstehung des Drehbuches, wurde bei der DEFA als Arbeitsprinzip begriffen. Die Absicht dahinter war sicher auch das Bedürfnis nach einer ideologischen Kontrollinstanz, doch wichtiger war der, im Gegensatz zum Regisseur und Autor, unabhängig strukturierende Blick auf den Stoff. Die Dramaturgen suchten in Dresden eine inhaltliche Brücke zwischen Planauflagen und ästhetischer Umsetzung zu schlagen.
Konzentration auf die Figur
Die weitgehende materielle Unabhängigkeit der Produktion in Dresden hatte für die Betroffenen einen außerordentlichen Wert. Die Arbeit an den Filmen stand unter keinem nennenswerten Zeitdruck. Es blieb Ruhe zum Nachdenken, zum Experimentieren und Reflektieren über die eigene Arbeit – was direkte Auswirkungen auf die ästhetische Wirkung der Filme hatte. Wer heute nach „Entschleunigung“ sucht, der kann diese in den Animationsfilmen aus dem DEFA-Trickfilmstudio reichlich finden. Der relativ großzügige Zeitrahmen für die Produktion ließ auch Platz für traditionelle Techniken des Animationsfilms, die weder mit modernen Effizienzauffassungen noch mit dem Einsatz von massenhaftem Hilfspersonal zu vereinbaren sind. So fand der Puppentrickfilm in Dresden einen zentralen Platz. Diese Tricktechnik regt mit der Konzentration auf die Figur, deren Gesten, Sprache und Gestaltung die Fantasie der Zuschauer in besonderer Weise an. Günter Rätz gelang bereits 1958 mit „Teddy Brumm“ nach einem Kinderbuch von Nils Werner und Heinz Behling eine auch international anerkannte Puppenfilmproduktion. Die Animation betont ausdrücklich den Spielzeugcharakter der Figur und schafft so einen unmittelbaren Zugang auch für die jüngsten Zuschauern. Darüber hinaus haben Regisseure wie Johannes Hempel, Kurt Weiler oder Rolf Hofmann auf dem Gebiet des Puppentricksfilms Hervorragendes geleistet. Als besondere Perle des Puppentrickfilms gilt Katja Georgis „Die Schöne und das Tier“ aus dem Jahre 1986. Ein großer Verdienst des Dresdner Studios war es, dass der von Lotte Reiniger kreierte Silhouettenfilm bis 1990 gepflegt wurde. Bruno J. Böttge als Nestor dieses Fachs gestaltete bis zu seinem Tode 1981 über 40 Filme. Manfred Henke setzte 1990 mit „Prinz Irregang und Jungfer Miseri“ den Schlussstein dieses Kapitels der Animationsfilmtechnik. 1960 schuf Lothar Barke mit seinem Zeichentrickfilm „Alarm im Kasperletheater“ eine Arbeit, die in ihrer brillanten trickkünstlerischen Umsetzung an Witz und Frische bis heute nichts verloren hat. Barke blieb auch in den Jahrzehnten danach der herausragende Repräsentant des Zeichentrickfilms. Wie seine Kollegen Otto Sacher und Klaus Georgi kam er von der Bildenden Kunst und suchte in dieser Animationstechnik seine Erfahrungen als Maler weiterzuführen. Die technische Kapazität des Studios konnte später dem internationalen Trend zu Großproduktionen nicht mehr genügen. Es blieb bei den kleinen Filme, die allerdings einen eigenen Maßstab prägten.
Die abrupte Betriebsschließung 1991/92 trieb viele Dresdner Künstler bis an die Grenze der seelischen Belastbarkeit. Trotzdem liegt die eigentliche Tragik nicht zuerst darin, sondern dass es lange vor dem Ende nicht geschafft wurde, sich für neue Impulse zu öffnen. Ende der 1970er-Jahre gab es für notwendige Neuansätze durchaus eine gewisse Sensibilität. Der Maler Helge Leiberg erzählt angesichts seiner Mitarbeit an Alexander Reimanns „Friedolin der Schmetterling“ noch heute begeistert von jenen Zeiten, als junge Künstler, Musiker und Kameraleute – unterstützt durch Marion Rasche – Gelegenheit bekamen, sich im Studio zu verwirklichen. Doch wie in vielen anderen gesellschaftlichen Gebieten der DDR wurde das Neue auch hier nicht als Bereicherung, sondern eher als Gefahr angesehen. Auch Lutz Dammbeck mit seinen zivilisationskritischen Arbeiten fand nicht die verdiente Aufmerksamkeit, sondern geriet in die Mühlen der Ideologen, bis er die DDR 1986 schließlich entnervt verließ. Die DDR behauptete von sich, Leuchtturm des gesellschaftlichen Fortschritts zu sein. In Wirklichkeit wurde Stillstand konserviert. Darin lagen partiell durchaus auch Chancen: beispielsweise für eine Manufaktur, in der Trickfilme produziert wurden. Doch dies konnte kein Dauerzustand sein. Einige Perlen dieser Arbeit aber sind erhalten geblieben; diese sollte man genießen.
Klaus-Dieter Felsmann (filmdienst 19/2003)