Spiel und Leben
Erwin Geschonneck
von Ralf Schenk
Am Anfang hieß er Schmitt und war Automechaniker, und das erste, was man von ihm sah, waren seine gefalteten Hände. Erwin Geschonneck betete zu Gott, der ihn vor den Bomben möglichst verschonen sollte. Ein winziger, nur Sekunden dauernder Auftritt in einer Episode des Käutner-Films "In jenen Tagen" (1947). Erstmals ins Gedächtnis vieler Zuschauer spielte sich Geschonneck (geb. am 27. Dezember 1906) allerdings durch eine andere Rolle: als furchterregender Waldmensch, ein Riese mit teuflisch glitzerndem Auge, in dessen dunklen Verliesen Herzen in Gefäßen klopften, während ihre Besitzer einen Stein im Leibe tragen. Er, der Holländer-Michel, hatte diese Verpflanzung vorgenommen. Aus seiner geballten Faust konnte er Blitze schleudern, und wo er den Fuß aufsetzte, wuchs kein Gras mehr.
Das war 1950, in "Das kalte Herz" (Regie: Paul Verhoeven), dem Farbfilmdebüt der DEFA. Bekanntschaft mit der Kamera hatte Erwin Geschonneck freilich schon über dreißig Jahre zuvor geschlossen. Der Sohn eines Flickschusters und Nachtwächters gehörte 1919 zu jenen Jugendlichen, die Reinhold Schünzel als "authentische" Statisten für seinen Milieufilm "Das Mädchen aus der Ackerstraße" engagierte. Kurz danach lud ihn der Regisseur wieder aus - dem Knaben gefiel die Rolle nicht, die ihm zugedacht war, und er hatte lautstark dagegen protestiert.
Erst 1932 ließ sich der Kopf Geschonnecks wieder auf Zelluloid ausmachen; und erneut gingen Leben und Kunst eine Symbiose ein: in Slatan Dudows "Kuhle Wampe" wirkte er als Statist in einem Arbeiterchor mit. Ein Jahr später mußte er vor den Nazis nach Polen fliehen, wurde dann in die Tschechoslowakei abgeschoben, ging in die Sowjetunion, fiel nach erneuter Abschiebung in die Hände der SS und geriet in die KZ Sachsenhausen, Dachau und Neuengamme. Biografische Erfahrungen, die er später in bedeutende Filmrollen einbrachte: etwa als Lagerältester von Buchenwald in Frank Beyers "Nackt unter Wölfen" (1963) oder als jüdischer Friseur Kowalski in "Jakob der Lügner" (1974). Doch zunächst spielte er häufig seine - politischen wie moralischen - Gegner. Falk Harnack verpflichtete ihn als Schlachtermeister Teetjen für "Das Beil von Wandsbek" (1951): der joviale Kleinbürger, der seine Frau liebkost, auf dem häuslichen Sofa zum Schifferklavier singt, aber durchaus bereit ist, eine Handvoll Nazi-Gegner zu köpfen, wenn dadurch die eigene Haut gerettet werden kann. Eine beklemmende, differenzierte Studie zum Typus des Mitläufers, der zum Mörder wird. In Gerhard Kleins Jugendkrimi "Alarm im Zirkus" ((1954) ist Geschonneck ein West-Berliner Barbesitzer, ein scheinbar seriöser Herr mit kleinem Schnauzer, hinter dessen Maske sich eine Welt aus Gewinnsucht, Egoismus und Herrscherallüren verbirgt. Und in Slatan Dudows "Der Hauptmann von Köln" (1956) agiert er als hoher Wehrmachtsoffizier, der unter falschem Namen bei seiner vermeintlichen Witwe untergekrochen ist. Geschonneck spielt die Unruhe, die ihn in den vier Wänden hin- und hertreibt, und den Triumph, als im Bundestag eine Amnestie beschlossen wird. Sein: Einzug in die "besseren" Kreise der Adenauer-Gesellschaft gerät dann zu einer satirischen Meisterleistung: Der Held legt die Filzlatschen ab und die alten Orden an; er spreizt sich vor dem Spiegel wie ein Pfau: Wir sind wieder da. Auch in solchen propagandistischen Filmen vermochte es Geschonneck meist, über den Typ hinaus zum Charakter der Figuren vorzudringen.
Ein Fels der Lebenslust
In der Gesellschaft der DDR kam der Schauspieler Mitte der 50er Jahre an. Stellte er in Kurt Maetzigs "Schlösser und Katen" (1957) noch einen vom Drehbuch recht einseitig gezeichneten "Feind der neuen Ordnung" dar, einen Gutsverwalter, der auf die Rückkehr seiner alten Herrschaft lauert und Sabotageakte ausheckt, geriet ihm der Jupp König in "Sonnensucher" (1958) zur großen, spannenden Figur eines unorthodoxen Kommunisten. Konrad Wolf hatte sich einen heiklen Stoff gesucht: den Alltag in der Wismut, einer deutsch-sowjetischen Firma, die in der DDR Uran abbaute. Ein Universum aus Idealisten und Abenteurern, Dogmatikern, Zynikern und vom Trauma des Krieges Gezeichneten. In diesem komplizierten Ensemble wirkt Geschonneck wie ein Fels der Lebenslust und Radikalität. Furchtloser Rebell und fröhlicher Anarchist, der die Ärmel hochkrempelt: zum Stemmen von Erz ebenso wie von schönen Frauen. Der sinnliche Gegenentwurf zum ängstlichen, in den engen Maschen der Anordnungen befangenen Parteisekretär - den Jupp König im Laufe der Filmhandlung ablöst. Geschonneck spielt den Widerwillen gegen diesen Parteiauftrag; Schreibtischarbeit kostet seinem Helden mehr Schweiß als die Schufterei unter Tage. Andererseits sieht die Figur die Notwendigkeit ein, das Ruder in die Hand zu nehmen - gegen die kleinen Geister, die gerade dabei sind, die große Utopie in den Sand zu setzen. "Sonnensucher", auch dank Geschonneck ein Film, der den Rest der DEFA vermutlich zu mehr Wahrhaftigkeit und Lebensnähe inspiriert hätte, wurde allerdings verboten - wie Jahre zuvor "Das Beil von Wandsbek". So konnten die Zuschauer zwei der besten darstellerischen Leistungen Geschonnecks erst nach Jahrzehnten zur Kenntnis nehmen.
In seinen Memoiren schrieb der Akteur: "Ich habe immer gern gelacht. Über schöne kräftige Witze genauso wie über lustige Wortspiele und Gags. Mir ist es auch sehr angenehm, wenn andere Leute lachen. Deshalb habe ich alle Rollen sehr geliebt, die zum Lachen anregten und Humor ausstrahlten." Abgesehen vom einäugigen Motes in Erich Engels grandioser Adaption des "Biberpelz" (1949), konnte Geschonneck die Lachlust der Zuschauer zum ersten Mal richtig in "Ach, du fröhliche..." (1962) anstacheln. Günter Reischs Komödie spielt am Heiligabend - und sie gilt als eine der wenigen "Tauwetter"-Filme der DEFA. Geschonneck ist Walter Lörke, ein prinzipienfester Genosse und Kaderleiter eines Dresdner Großbetriebes, dessen Tochter ihm ausgerechnet am 24. Dezember den künftigen Schwiegersohn vorstellt. Der aber erweist sich als "Feind der Republik", der nichts am Hut hat mit den hehren Sprüchen der Obrigkeit. So prallen zwei Dickköpfe aufeinander, und Lörke sieht sich gezwungen, der Realität des Lebens auf die Spur zu kommen, vor der er bisher die Augen verschloß. Nach dem Jupp König aus "Sonnensucher" war auch diese Figur eine Absage des Schauspielers an glatte positive Helden auf hohem Sockel.
Zum größten Erfolg beim Publikum aber geriet sein Karbid-Kalle in Frank Beyers "Karbid und Sauerampfer" (1963). Geschonneck trumpft als Rohköstler und Nichtraucher auf, der von seinen Kollegen unmittelbar nach dem Krieg auf eine Odyssee quer durch die Sowjetzone geschickt wird. Der Auftrag lautet, sieben Fässer Karbid zu besorgen, um die Dresdner Zigarettenfabriken wieder in Gang kommen zu lassen. Kalle erweist sich als eine Art Schwejk, der allen Gefährdungen der Zeit trotzt. Den Besatzungstruppen diesseits und jenseits der Elbe begegnet er mit einem Lächeln und unendlich viel Verhandlungsgeschick; er flieht vor mannstollen Frauen und hangelt sich in einem scheinbar friedlichen Wäldchen durchaus schon mal von Ast zu Ast - nachdem er erfahren hat, daß die Gegend vermint und der Pilzreichtum kein Zufall ist.
"Hoppla, jetzt komm’ich!"
Geschonneck schlägt rauhe und weiche Töne an, schelmische und spöttische; er kann gerissen sein und sich wunderbar in einen Naivling verzaubern: ein Draufgänger und proletarischer Hans Dampf. Aus seinen Augen leuchten Schalk und Lebensgier - auch hier brachte der Mime eigene biografische Erfahrungen ein. Zugleich verneigte er sich mit dieser Rolle vor einem seiner großen schauspielerischen Vorbilder: Hans Albers, dessen alte Filmprogramme er in "Karbid und Sauerampfer" aus einer Truhe kramen darf. "Hoppla, jetzt komm' ich!" ist ein Satz, der zu Geschonnecks Oeuvre nicht minder paßt wie zu dem des blonden Hans aus Hamburg.
Geschonneck arbeitet seit 1955, nach seinem Weggang von Brechts Berliner Ensemble, fast ausschließlich für Kino und Fernsehen. Er stellte Menschen dar, mit denen er sich ganz und gar identifizierte, unorthodoxe Kommunisten zum Beispiel; aber genauso gut gelangen ihm ironische Brechungen oder kühle Distanz. Die Zahl seiner Rollen ist Legion. In der DDR wurde er endgültig zum Star, als er 1961 in dem fünfteiligen Fernsehfilm "Gewissen in Aufruhr" einen Oberst der Wehrmacht verkörperte, der seine Stadt kampflos an die Russen übergibt. Er war Wilhelm Liebknecht in dem historisch-biografischen Epos über die Geschichte der jungen SPD, "Die Unbesiegbaren" (1953), und Martin Andersen-Nexös glückloser "Lotterieschwede" (1958), der sein im Steinbruch sauer verdientes Geld versäuft. Er überzeugte als Kommissar der Internationalen Brigaden im Spanienkrieg ("Fünf Patronenhülsen", 1961) ebenso wie als heiratsschwindelnder "Lord am Alexanderplatz" (1967). In "Bankett für Achilles" (1975) gestaltete er einen Meister im Chemiekombinat Bitterfeld, der nicht ganz freiwillig in den Ruhestand muß; eine Aufgabe, die ihm abverlangte, existentielle seelische Regungen ohne große Worte transparent zu machen. Am liebsten aber waren ihm stets solche Filme, in die er Lieder einschmuggeln konnte: Küchensongs wie in "Asta, mein Engelchen" (1981) oder "Mensch, mein Papa....!" (1988) oder Seemannslieder wie in dem Kinderfilm "Tambari" (1977).
Vielleicht wird "Tambari" (Regie: Ulrich Weiß) eines Tages als das kinematografische Testament des Erwin Geschonneck entdeckt: Immerhin trat er hier als alter, knorriger Weltumsegler auf, der dem Provinzialismus und der Engstirnigkeit seines Heimatdorfes trotzt. Den Blick in die Ferne gerichtet, fährt er, stehend in seinem Boot, vorbei an den keifenden Männern und Frauen am Ufer, die ihn zur Anpassung an die Regeln zwingen wollen. Im Spiel vereinen sich Weltoffenheit, Rigorosität und Kraft, die stille Trauer über das nun kommende Ende eines intensiven Lebens und zugleich die Hoffnung, daß die Jungen ein ebenso erfülltes Leben haben könnten, wenn sie ihre Träume nicht verleugnen. Allen Widrigkeiten des Alltags zum Trotz.
in filmdienst 2/1997