Der Bruch der Wende.
Gespräch mit dem Regisseur Peter Kahane
Margret Köhler
Peter Kahane studierte Regie an der Filmhochschule Babelsberg, inszenierte ab 1980 Spielfilme für die DEFA, darunter „Ete und Ali“ (1985). In der Wendezeit entstand „Die Architekten“ (1990), 1992 folgte „Cosimas Lexikon“. Seitdem arbeitete der 49jährige primär als Autor für Fernsehserien wie „Peter Strohm“ oder „Von Fall zu Fall“. In seinem neuesten Kinofilm „Bis zum Horizont und weiter“ (Kritik in dieser Ausgabe) erzählt Kahane heiter-melancholisch von der bedingungslosen Liebe zweier Verlierer, die ins soziale Abseits geraten sind und an den Umständen scheitern.
Wie würden Sie Ihren Film definieren? Könnte man ihn als eine Tragikomödie über ostdeutsche Befindlichkeiten bezeichnen, als Abschied von einer Region?
Kahane: Der Film spielt zwar im Osten, aber das Thema halte ich doch für universell. Ich überwinde gerne Genregrenzen, deshalb auch die Mischung von komödiantischen und sozialkritischen Elementen. Es ist eine starke Liebesgeschichte mit sozialem und geografischem Umfeld und sehr skurrilen Momenten, in denen sich Traurigkeit und Fröhlichkeit brechen. Die Handlung könnte überall auf der Welt stattfinden. Wir haben sie im Osten erzählen lassen, weil das der Vorlage von Oliver Bukowski entspricht.
Glauben Sie, daß der Film in den neuen Bundesländern anders aufgenommen wird als in den alten?
Kahane: Vielleicht unterscheidet sich der Zugang etwas, aber der Film sollte im Westen wie im Osten verstanden werden. Nicht nur in der Lausitz, wo wir gedreht haben, gibt es solche zerfurchten Landschaften, sondern auch in den Tagebaugebieten bei Leipzig oder in Niedersachsen. Die Leute im Osten sehen viele Filme mit Handlungsorten wie München oder Hamburg, warum sollte das nicht einmal umgekehrt sein? Ich hoffe, wir können einen Beitrag zu einem etwas anderen Proporz leisten.
Ihr letzter Kinofilm „Cosimas Lexikon“ entstand 1992, seitdem arbeiteten Sie für Fernsehsender. Betrachten Sie das als Notlösung?
Kahane: Als gute Notlösung. Ich habe in Babelsberg in den DEFA-Studios lange Jahre Kinofilme gemacht und einen Kinofilm nach der Wende. Im Kino fühle ich mich mehr zu Hause als im Fernsehen. Bei Fernsehfilmen fehlt mir etwas die Reaktion des Publikums, sie ist nicht so erlebbar. Auch die ästhetischen Maßstäbe unterscheiden sich. Die Sender wollen etwas anderes als ein Filmproduzent. Ich hatte mich in den vergangenen Jahren etwas zurückgezogen, weil „Cosimas Lexikon“ und auch „Die Architekten“ – gemessen an den Zuschauerzahlen – keinen Erfolg hatten. Ich glaubte, mich nicht richtig auszukennen. Das hing sicherlich auch mit der Wendesituation zusammen. Beide Filme waren für mich sehr wichtig und entstanden in einer Zeit, in der mir die nötige Distanz zu den Dingen fehlte, weil ich mich im Trubel der Ereignisse befand. Es sind sehr spezielle Filme, die eine spezifische Situation behandelten. Der Rückzug sollte dazu dienen, nicht nur mich selbst zu beobachten, sondern auch das, was passiert ist. Zum Filmemachen gehört eine Gelassenheit, die ich erst einmal wiedergewinnen wollte. Ich mußte Geld verdienen und habe Fernsehfilme geschrieben, Serien und Reihen und auch Regie geführt. Es war eine engagierte Arbeit, aber nicht das, was ich bis zum Lebensende machen möchte.
Trauern Sie der DEFA-Zeit nach, die Regisseuren doch eine ziemliche Sicherheit bot und damit vielleicht auch mehr Raum für Kreativität?
Kahane: Man kriegt ein politisches System nicht passend in Einzelteile zerlegt, sondern nur als Ganzes. Da muß man sich die Vor- und Nachteile überlegen und gegeneinander abwägen. Ich kann mir aus der DEFA-Zeit im Nachhinein nicht nur die Rosinen herauspicken und durch die rosarote Brille betrachten. Natürlich erleichterten die Produktionsbedingungen die Arbeit, aber meine Erinnerung ist zweischneidig. Ich erinnere mich sehr gut an bestimmte Stoffe, die ich nicht durchboxen konnte. Wenn einmal ein Drehbuch angenommen war, liefen Finanzierung und Durchführung relativ einfach. Aber ich trauere den Dingen nicht nach. Man muß auch Respekt haben vor dem, was ist und was passiert ist. Ich genieße den Freiraum, obgleich sich die Suche nach Partnern, die meine Erzählweise und Filmsprache einschätzen können, nicht leicht gestaltet.
Wie kommen Sie mit dem bundesdeutschen Fördersystem zurecht?
Kahane: Man muß sich erst einmal an das System der verschiedenen Länderfördertöpfe gewöhnen. Ich habe in der DEFA-Zeit Kinofilme gemacht, dann nach der Wendezeit viele Fernsehfilme geschrieben und versuche jetzt wieder im Kinobereich Fuß zu fassen. Große Illusionen mache ich mir dabei nicht. Während meiner Fernsehjahre habe ich genug Drehbücher bei Produktionsfirmen eingereicht und versucht, Gelder zu bekommen. Nicht eines der Projekte kam durch.
Ihr Kollege Michael Gwisdek kritisiert an der Förderung, daß sie fest „im Griff der Wessis“ sei. Würden Sie dem zustimmen?
Kahane: Ostfilmemacher haben es schwerer, weil man sie entweder wenig oder nur als historisches Modell kennt. Als die DDR zusammenbrach, war ich 40 Jahre alt und wollte weiter Kinofilme machen. Es ist mir leichter gefallen, eine Verbindung zu Fernsehanstalten oder Redaktionen herzustellen als Kontakte zum Kinobereich. Der Kredit, den man mir gibt, ist nicht sehr groß und wahrscheinlich schnell verspielt. Nach einem Mißerfolg ist man weg vom Fenster. Andere, die sich besser auskennen und die man besser kennt, bekommen vielleicht die Chance, mehrere Mißerfolge zu produzieren. Eins ist sicher: Der Kampf bei den Ostlern ist anstrengender, weil sie nicht mehr so jung sind und völlig neue Regeln lernen müssen. Für die Generation der Filmemacher über 40 bedeutete die Wende einen großen Bruch.
Wie lief die Finanzierung bei „Bis zum Horizont und weiter“?
Kahane: Diesmal mußte ich mich nicht um das leidige Geld kümmern. Ich wurde als Regisseur engagiert, als der MDR schon Interesse signalisiert hatte. Wolfgang Stumph, der die Hauptrolle spielt, entdeckte die Vorlage von Oliver Bukowski und einigte sich mit der Polyphon Film- und Fernsehgesellschaft darauf, das Hörspiel zum Buch zu entwickeln. Ich kannte Stumph durch meine Drehbucharbeit für die Serie „Von Fall zu Fall“. Neben der Finanzierung durch den MDR erhielten wir eine kleine Förderung vom Filmboard Berlin-Brandenburg, Referenzmittel von der FFA und auch Polyphon stieg mit Geld ein. Das Gesamtbudget betrug etwas über drei Mio. DM.
Was war das Schwierigste an dem Projekt?
Kahane: Es ist immer schwierig, gute Leute zusammenzukriegen, einen guten Stab und gute Schauspieler bis in die kleinste Nebenrolle hinein. Wir hatten nur 26 Drehtage zur Verfügung, wir brauchten Zeit für Proben, es ging alles nicht so schnell voran. Am Ende standen wir mächtig unter Druck. Mit einer kleinen Besetzung bekamen wir noch zwei, drei Tage zum Nachdreh. Bei einem Kinofilm muß man mehr auf Details achten, die kosten Zeit. Größerer Aufwand bedeutet auch mehr Engagement, mehr Liebe, mehr Hinwendung zum Projekt. Eine Kranfahrt kostet dann eine Stunde mehr. Und wenn man sich einen Kameramann wie Gero Steffen holt, wird nicht einfach ein Weitwinkel eingeschraubt, sondern es wird der Kamerastandpunkt jedes Mal neu überlegt und den Lichtverhältnisse angepaßt.
Würden Sie sich als autoritär beschreiben oder als jemand, der an der langen Leine arbeiten läßt?
Kahane: Ich bin sicherlich kein autoritärer Regisseur. Man kann Schauspieler nicht zwingen, sondern nur überzeugen. Vor den Dreharbeiten haben wir Proben gemacht, Sprechproben für alle wichtigen Szenen, um eine Einstimmung auf die Figuren zu erreichen. Das macht sich bezahlt. Man kann sich allerdings nicht am Reißbrett eine Choreografie ausdenken, die dann brav nachgetanzt wird. Bevor die erste Klappe fällt, müssen die Vorbereitungen stehen. Das visuelle Konzept mit Gero Steffen war schnell klar. Wir einigten uns über eine gemeinsame Bildsprache. Es gibt keine unnötigen Bewegungen, sondern sehr ruhige Aufnahmen.
Wären Sie völlig frei in Ihren Entscheidungen: Welchen Film würden Sie drehen?
Kahane: Ich würde gerne wieder mal eine Komödie drehen, gerade weil man denkt, die Komödienwelle sei vorbei. Für mich fängt die jetzt erst richtig an. Komödien haben immer Konjunktur, da benötigt man auch kein wahnsinnig hohes Budget. Die Menschen gehen gerne ins Kino, um zu lachen, das respektiere ich. Komödie heißt für mich, eine Geschichte mit sozialem Bezug zu realisieren und nicht abgehoben von der Wirklichkeit, wo die Figuren zu Clowns mutieren. Man muß das Gefühl bekommen, sie spielt in der Welt, in der wir leben. In Deutschland verwechselt man leicht Comic und Komödien. Mir gefallen Filme, in denen Lachen und Weinen nahe beieinander liegt, beispielsweise die tschechischen Filme aus den 60er Jahren. Da beherrscht man die Kunst, ernste Dinge komisch zu erzählen. Diese Gefühlsverwirrung funktioniert nirgends so wunderbar wie im Kino. Deshalb mache ich Filme.
Margret Köhler (filmdienst 2/1999)