Ein Filmland wird 'abgewickelt'.
Gespräch mit den DEFA-Filmschaffenden Roland Gräf, Michael Gwisdek und Thomas Knauf
von Joachim Kürten
Die DEFA ist von dem französischen Konzern "CGE" (Compagnie Générale des Eaux) übernommen worden. Doch trotz des finanzstarken Investors bleibt die Zukunft des Babelsberger Studiogeländes als über 40 Jahre einziges Zentrum des Films in der DDR unklar, und ob dort in ein paar Jahren noch Spielfilme gedreht werden, ist ungewiß. Für Regisseure, Autoren und Schauspieler der DDR hat schon vor zwei Jahren eine neue Zeitrechnung begonnen. Für viele war der Wechsel vom staatlichen System zur freien Marktwirtschaft - sprich: zu den unzähligen Fördertöpfen - kein einfacher Schritt. Über ihre Erfahrungen berichten drei zu Zeiten der DDR vielbeschäftigte Filmschaffende: der Regisseur Roland Gräf (u. a. "Märkische Forschungen", "Fallada - letztes Kapitel", "Der Tangospieler"), der Autor Thomas Knauf (u. a. "Vorspiel", "Treffen in Travers", "Die Architekten") und der Schauspieler Michael Gwisdek (u. a. "Jadup und Boel", "Coming Out", "Der Verdacht"). Alle drei waren an Gräfs jüngstem Spielfilm "Die Spur des Bernsteinzimmers" beteiligt, der ersten frei finanzierten DEFA-Produktion, die derzeit in den Kinos zu sehen ist.
Daß die DEFA in ihrer alten Form nicht mehr existiert und das Gelände in Babelsberg von einem französischen Großkonzern übernommen worden ist, ist nur sichtbarstes Zeichen der Veränderung. Mit welchen Schwierigkeiten müssen die Filmschaffenden der ehemaligen DDR heute - zwei Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung - kämpfen, welche Chancen haben sich ergeben?
Knauf: Es gab nicht nur 40 Jahre zwei deutsche Staaten, es gab auch zwei deutsche Kulturen, auch wenn man heute versucht, die DDR-Kultur als nicht existent abzuwickeln. Es gab zwei deutsche Kinokulturen, und in der DEFA wurden von 1945 bis 1990 immerhin 650 Spielfilme hergestellt. Wenn Volker Schlöndorff heute in Interviews sagt, man müsse eigentlich wieder vor 1933 anfangen im deutschen Film, dann meint er, daß das DEFA-Kino mit den 12 Jahren Ufa auf den Müll der Geschichte gehört. Damit können wir uns nicht so richtig abfinden, schließlich haben wir einen Großteil unseres Lebens in Babelsberg verbracht und dort pausenlos gearbeitet. Das heißt wir haben Filme gemacht, und einige davon sind gar nicht so schlecht. Das DDR-Kino wird abgewickelt, es wird uns die Vergangenheit abgesprochen und damit auch die Zukunft. Mit dem "Bernsteinzimmer" haben wir noch Glück gehabt. Es war einer der drei "DEFA-Wendefilme". Jetzt ist die Situation viel schlechter. Es werden fast alle Projekte von ehemaligen DDR-Filmemachern bei der Filmförderung in Bonn abgelehnt. Es ist doch einfach so: Im Westen kennt niemand die DEFA-Filmemacher, und die, die sie mal gekannt haben, wollen sie heute nicht mehr kennen. In Deutschland läuft ein enormer Verdrängungskampf um die Arbeitsplätze und ums Geld. Da trifft man natürlich immer Leute aus dem Westen, die früher DDR-Filmemachem gerne die Hand geschüttelt haben, und die heute so tun, als können sie sich an uns nicht mehr erinnern.
Gräf: Ich glaube auch, das eine solche Bemerkung von Volker Schlöndorff genau in dieses Umfeld gehört. Ich verstehe das in einer Hinsicht sogar ganz gut: Der Volker Schlöndorff hat eine Biografie, die - von Deutschland aus gesehen - sich immer in den Westen gerichtet hat. Daß er also nicht sonderlich gut Bescheid weiß über das, was im Osten Deutschlands oder Europas passiert ist, das kann ich schon irgendwie verstehen und auch akzeptieren. Es gibt ja auch umgekehrt einen ähnlichen Effekt. Meine Richtung zum Beispiel ging woanders hin. Ich kenne ja auch längst nicht alle Schlöndorff-Filme. Eines ist allerdings problematisch bei solchen Formulierungen, die als Argument dienen, um den Namen DEFA aus der Welt zu schaffen. So hat er gesagt: "DEFA riecht". Er soll mir eine große Filmfirma der Welt sagen, die nicht auch riecht. Also Hollywood riecht für mich ganz schön kräftig. Die DEFA hat auch respektable Filme gemacht. Bei der DEFA sind jedes Jahr ungefähr 12 Spielfilme produziert worden, drei akzeptable waren immer dabei, manchmal sogar zwei richtig gute. Das ist ein Viertel der Produktion. Ich möchte das mal mit Hollywood vergleichen oder mit der bundesdeutschen Kinoproduktion.
Knauf: Für mich riecht der Name vor allem nach Zelluloid, wie das in so einem Studio eben ist. Man darf ja nicht vergessen, daß Babelsberg als Filmstadt immer sehr unter der politischen Fuchtel gelitten hat. Zuerst unter Hugenberg, später unter Goebbels, dann unter der restriktiven Kulturpolitik der DDR-Regierung. Das macht Babelsberg als Filmort eben aus, daß dort Politik immer eine sehr große Rolle gespielt hat. Wenn man heute versucht, uns diese 40 Jahre einfach als Irrtum wegzustreichen, dann hat das eigentlich den entgegengesetzten Effekt: Ich habe mich zum Beispiel früher nicht sonderlich für DEFA-Geschichte interessiert, sie hat mich an der Filmhochschule zum Gähnen gebracht, ich habe mich sogar bei meinen Schriftstellerkollegen manchmal geschämt, weil ich bei der DEFA gearbeitet habe. Heute ist es so, daß ich anfange, mich für DEFA-Filme zu interessieren.
Gräf: was nicht immer ein Vergnügen ist...
Knauf: ...nicht immer ein Vergnügen, aber oft gibt es noch Entdeckungen zu machen. Wenn man Leuten die Vergangenheit absprechen will, dann führt das zu dem umgekehrten Effekt. Ich fühle mich heute viel mehr verbunden mit diesen 40 Jahren DEFA-Geschichte als in der Zeit, in der ich dort meine Brötchen verdient habe. Ich bin heute manchmal stolz, daß ich die letzten Jahre dort gearbeitet habe. Heute bleibt uns gar nichts anderes übrig, als uns miteinander zu beschäftigen. Wir werden an die Wand gedrängt, man versucht uns auszuschalten. Wenn man zum Beispiel heute Armin Mueller-Stahl vorwirft, daß er für seine Agenten-Serie "Unsichtbares Visier" einen Orden bekommen hat, der von der Staatssicherheit angeregt worden ist, dann ist das ein Ausdruck dafür, daß es zur Zeit in den Medien keine Achtung vor niemandem aus der DDR mehr gibt. Mein Problem ist es heute, daß wir keine Gelegenheit mehr bekommen, unsere Vergangenheit filmisch aufzuarbeiten, der Zug ist abgefahren. Das ist ja das, was wir jahrelang wollten. Wir wollten immer noch die Filme über den Stalinismus drehen und abrechnen mit unserer eigenen Vergangenheit. Das will natürlich nun keiner mehr sehen im Kino, und das will auch keiner mehr finanzieren.
Gwisdek: Ich empfinde das auch so, denke im Moment aber auch an das, was nicht möglich gewesen ist in den letzten 30 Jahren. Wenn ich Kinosendungen im West-Fernsehen gesehen habe, habe ich sehnsuchtsvoll geschluchzt, als ich sah, daß da junge Leute experimentieren konnten. In unserem statischen System gab es viele Regisseure, die durften nicht arbeiten. Man konnte nur mit staatlicher Genehmigung, mit der Unterschrift der Funktionäre einen Film machen und sonst gar nicht. Ich muß jetzt anfangen, die Situation in die Hand zu nehmen und die Vorteile suchen. Es wird eine Eigeninitiative verlangt, die wir nicht gelernt haben und die ich jetzt lernen muß.
Gräf: Das ist aber doch eine Verallgemeinerung, die sehr problematisch ist. Ich hätte nicht einen einzigen Film gedreht, wenn ich nicht Eigeninitiative entwickelt hätte. Es klingt immer so, als wäre uns befohlen worden, irgend was zu machen.
Gwisdek: Was ich meine ist folgendes: Wenn ich in der DDR einen Film machen wollte über das Lebensgefühl - also das, was gerade alle bewegt -, war das doch problematisch. Wir haben mal in der DDR versucht, einen Film außerhalb der DEFA zu machen. Ich hatte damals einen Traum, der mich verfolgt hat: einmal so etwas zu machen wie Cassavetes in Hollywood, gegen das ganze Establishment. Das sind einfach Sachen, die nicht möglich gewesen sind. Man mußte bestimmte Spielregeln einhalten. Wir haben den Film zwar drehen können, es ist aber doch kläglich geendet. Der Film landete im Giftschrank und wurde als verschollen erklärt. Jetzt kann man - wenn man die Cleverness besitzt, Geld zusammenzubekommen - einen Film machen über das Lebensgefühl von heute.
Gräf: Der kritische Punkt ist dabei aber: wir können nur was machen, was auch mit unserer Biografie zu tun hat. Und wenn jetzt der Versuch gemacht wird, all diese Biografien - das was die Leute ein Leben lang erfahren haben - zu streichen, dann funktioniert das nicht mehr, dann hat man keine Stoffe mehr. Ich bin gegen die Formulierung "Wir müssen DDR-Geschichte aufarbeiten". Das ist furchtbar - das müssen sicher die Historiker, die Dokumentarfilmer -, aber beim Filmemachen geht es doch um menschliche Grundmodelle, und die kann ich überall in der Welt suchen. Auch der "Tangospieler" ist nur zum Teil ein Film, der DDR-Geschichte aufgearbeitet hat.
Aitmatow (gemeint ist der kirgisische Schrifsteller Tschingis Aitmatow und seine Erzählung "Dshamilja", d. Red.) ist nicht deswegen ein berühmter Schriftsteller, weil er die ganze Welt beschrieben hat, sondern weil er ganz präzise und modellhaft ein kleines Stück Wüste in Asien beschrieben hat. Um dieses kleine Stück Wüste geht es. Das ist eben für uns das, was in der DDR passiert ist. Wenn ich jetzt versuche, einen Film zu machen, dann hat das etwas mit mir zu tun, mit dem, was ich im Osten erlebt habe. Die Methode ist auf der ganzen Welt gleich. Darum halte ich auch nichts von dieser Theorie des europäischen Films. Die wirklich guten europäischen Filme sind ganz konkret dänische oder portugiesische oder italienische Filme, ist manchmal auch ein deutscher Film - und dann, weil sie ganz präzise Biografien beschreiben von ganz bestimmten Leuten.
Und das geht heute nicht mehr?
Gräf: Bei meinen letzten Filmen, bei "Fallada", beim "Tangospieler", beim "Bernsteinzimmer", waren immer westdeutsche Fernsehanstalten dabei. Immer hatten wir Mühe, wenn die Geschichte eine historische Dimension entwickelte. Das wollte man nicht. Der Genre-Film, der hier gepflegt wird - Kriminalfilme, selbst die Heimatfilme -, die sind wirklich ahistorisch, sie sind zeitlos, die sollen ja in fünf Jahren noch irgendwo in der Welt laufen. Und das klappt nur, wenn sie keine historischen Sujets haben. Da gibt es ein ästhetisches Gerüst, das darauf aus ist, zeitliche und biografische Dimensionen aus Filmen hinauszudrängen. Ich glaube aber, daß wirklich gute Filme nur funktionieren, wenn sie diese Dimension auch haben.
Was hat sich denn konkret geändert, zum Beispiel für die Autoren, die früher fest für die DEFA in Babelsberg gearbeitet haben?
Knauf: Bei der DEFA gab es in den letzten 20 Jahren 24 sogenannte festangestellte Autoren, d. h. Drehbuchautoren oder Schriftsteller, die einen festen Vertrag mit dem Studio hatten, allerdings für ihre Arbeit nach den allgemeingültigen Honorarordnungsprinzipien bezahlt wurden wie jeder andere Autor, der dort engagiert wurde. Das war an sich gar nicht so eine verkehrte Überlegung. Man wollte eben Autoren haben, die ausschließlich Kino produzieren. Ich persönlich fand das nicht sehr effektiv. Aber heute im nachhinein, nachdem ich nun freiberuflich bin, sehne ich mich manchmal nach dieser Zeit zurück, wenn auch mit Abstrichen. Ich habe zehn Jahre in dem Studio als festangestellter Autor gearbeitet, war aber vielleicht Monate da draußen auf dem Gelände. Wir hatten ja dort keine Schreibräume, wie das in Hollywood in den 20er Jahren war. Wir arbeiteten im Prinzip wie freiberufliche Schriftsteller, konnten zu Hause arbeiten, mußten ab und zu mal ins Studio, um nach dem Rechten zu sehen. Ich bin nie sehr gern nach Babelsberg gefahren, habe mich dort nie sehr wohl gefühlt. Meine Arbeit war doch sehr abgekoppelt vom eigentlichen Prozeß der Filmherstellung. So hat es Jahre gedauert, bis ich mit einem Regisseur wie Roland Gräf überhaupt persönlich mal ins Gespräch kam.
Die Autoren waren die ersten, die rausgeschmissen wurden. Heute muß jeder versuchen, "in die Spur zu kommen", manche tun das beim Fernsehen mit Erfolg, manche über die Filmförderung - die bleiben dann meist auf der Strecke. Mir bleibt heute nichts anderes übrig, als Fernsehen zu machen. Als freiberuflicher Kino-Autor kann ich nicht existieren. Heute gehe ich ab und zu ins Studio, weil ich beim ORB meine Brötchen verdienen muß, und dann denke ich oft mit Wehmut an die Zeiten, als dort noch nicht täglich 30 Schulklassen und Tausende von Erwachsenen einfielen, um sich zu kostümieren, diese DEFA-Tour dort zu machen. Das war damals schon sehr viel beschaulicher, und es hatte mehr mit Film zu tun. Ich trauere der DEFA und Babelsberg aber nicht mehr nach. Mir geht es wie Heine mit Deutschland: "Da denk' ich an Babelsberg in der Nacht, werde ich nicht mehr um den Schlaf gebracht." Mir ist es persönlich schnuppe, was mit dem Studio passiert. Für einen Autor, der die Erfahrung gemacht hat, in einem Studio fest angestellt zu sein, ist es aber nicht so einfach, in der europäischen Filmlandschaft zu schwimmen, man kommt sich da vor wie ein Schiffbrüchiger, noch nicht mal wie auf einem Floß, sondern nur mit einem Rettungsring. Ich glaube, daß die Idee, einen großen Studiobetrieb zu führen, um Kino zu produzieren und dort Regisseure und Autoren, die fest angestellt sind, zusammenzubringen, gut ist. Das ist etwas, was dem europäischen Kino heute gut täte. Aber ich fürchte, es wird keine Perspektive dafür geben, und das finde ich sehr bedauerlich.
Wo nimmst Du heute Deine Stoffe her?
Knauf: Man möchte eigentlich seine Erfahrungen aufarbeiten, aber die sind nicht mehr gefragt. Gefragt ist ein Kino, was sich heute gesamtdeutsch nennt, aber ahistorisch ist, was Geschichte eigentlich vollkommen leugnet. Gefragt ist vor allem ein Kino westlicher Rezeptionsgewohnheiten. Gefragt sind Filme wie "Kleine Haie" - ich habe nichts gegen den Film und den Regisseur, aber wenn ich das mit unseren Kino vergleiche, dann gibt es erhebliche Unterschiede. Ich habe vor sechs Jahren mit Peter Kahane einen Film gemacht -"Vorspiel" -, der erzählt die gleiche Geschichte wie "Kleine Haie". Der Film ist aber gleichzeitig so anders, so verschieden in seiner Beschreibung von Wirklichkeit und in seiner Führung von Figuren, daß mir im nachhinein angst und bange wird und ich mich frage, ob ich überhaupt - jetzt mit 41 Jahren - noch in der Lage bin, mich umzustellen. Das soll keine qualitative Wertung sein. Das Kino hier ist nicht schlechter, es ist nur einfach anders. Ich denke, eine staatliche Filmförderung muß dem auch Rechnung tragen und nicht das aus dem Osten mit der Politik auf den Müll werfen. Niemand will die Grenzen von 1989 wiederherstellen. Man hat nur keinen Grund, euphorisch zu sein, weil das gesamtdeutsche Kino keine rosigen Alternativen stellt für DDR-Filmemacher.
Und die Schauspieler, wie kommen die mit der neuen Situation zurecht?
Gwisdek: Für mich macht es keinen Sinn, der schönen Zeit in Babelsberg nachzutrauern. Es ist vorbei. Es war eine übersichtliche Sache. Da war eine Stelle, wo wir gearbeitet haben, wo wir Filme gemacht haben, und zwar ausschließlich dort und nirgendwo anders. Alles, was Filme machte, traf sich in Babelsberg. Das war wunderbar. Jetzt ist es so: Der eine macht in München was, der andere in Hamburg, ein dritter in Berlin. Wenn man sich über Film unterhalten will, muß man auf den Flughafen gehen. Als Schauspieler bekommt man ja heute kaum Film-, fast nur Fernsehangebote. Für uns Schauspieler hat sich der Fernsehmarkt ungeheuer erweitert, und man muß überlegen, ob man seine Karriere als Schauspieler in Richtung Serie machen will. Wir tun uns alle damit ein bißchen schwer. Hinzu kommt, daß man als Schauspieler plötzlich eine Menge Geld verdienen kann, was vorher keine Rolle bei uns spielte. Wichtig war früher: Wir trafen uns und machten einen Film. Bei mir persönlich herrscht im Augenblick einen kleine Verwirrung im Kopf, weil ich nicht so recht weiß wohin. Ein Beispiel dafür: Nach dem Mauerfall haben wir völlig getrennt voneinander gearbeitet. Es ist mir zum Beispiel passiert, daß ich aus Unwissenheit eine Rolle in dem Film "Schtonk!" abgelehnt habe. Einfach, weil ich gar nicht wußte, wer da was macht. Man hat mir das dann später vorgeworfen: "Dieser arrogante Ost-Schauspieler, was will der denn noch?" Wir kannten uns in der West-Szene einfach nicht aus.
Ich gehöre zu den wenigen, die schon vor dem Mauerfall im Westen Filme gemacht haben. Ich hatte eigentlich einen Vorsprung. Nachdem bei uns alles den Bach 'runterging, war meine Situation so: Ich hatte schon ein Bein im Westen, ich hätte das andere noch nachziehen können. Ich habe aber das Bein, das ich im Westen hatte, wieder zurückgezogen in den Osten. Das war eine intuitive Entscheidung. Ich habe mich zu "unseren" Leuten hingezogen gefühlt. Ich bin heute sehr glücklich und stolz, daß ich in den letzten Tagen der DEFA Hauptrollen in den letzten Projekten in Babelsberg machen konnte. Es war eine einmalige Zeit.
Wehmut oder Optimismus? Wie sieht ein Regisseur die neuen Arbeitsbedingungen, nun im vereinten Deutschland arbeitend?
Gräf: Wir sind alle gemeinsam alt geworden, wir haben zusammen die Filmhochschule besucht etc. Filmemachen in der DDR hieß immer: Filme mit Freunden auf einer freundschaftlichen Basis zu machen. Für mich ist es heute immer noch völlig unvorstellbar, einen Film auf lediglich geschäftsmäßiger Basis zu produzieren. Ich weiß nicht, wie das geht. Das Filmförderungssystem ist absurd. Man weiß nie, ob man das Geld der verschiedenen Fördertöpfe zusammenbekommt. Man kann mit niemandem bindende Absprachen treffen, mit keinem Schauspieler Termine machen. Auf der einen Seite muß man eine Sache konkret vorschlagen, auf der anderen Seite weiß man nicht, ob man das Geld zusammenkriegt. Auch in der DDR gab es solche Situationen. Dort war das aber die Ausnahme - vorausgesetzt, man erhielt das inhaltliche "Ja" -, hier ist es aber doch der Regelfall. Es ist ja auch nicht nur das Problem "DEFA", es ist eine ganze funktionierende Struktur weggebrochen, die ganzen Kinos sind weg, der Verleih ist weg. Wenn wir als Regisseure nur den Produzenten hätten wechseln müssen und alles andere würde noch laufen, dann wäre es ja o.k.
Was wird denn jetzt aus der DEFA, aus Babelsberg, nachdem der französische Konzern CGE dem Kauf nach monatelangem Tauziehen zugestimmt hat?
Gräf: Bei der DEFA ist zur Zeit sehr wenig los. Die Produktion ist nahezu auf Null gefahren worden. Es sieht auch nicht so aus, als würde sie in absehbarer Zeit wieder erwähnenswerte Ziffern erreichen. Sie bemühen sich derzeit um Auftragsproduktionen. Das geschieht aber alles nur sehr zögerlich. Auftragsproduktionen werden sicherlich irgendwann in Gang kommen. Eigene Produktionen kaum. Eines ist aber sicher: Entgegen den großen Versprechungen im politischen Vorfeld der Privatisierung, wo von irrsinnigen Millionenbeträgen geredet wurde, wird für den eigentlichen Produktionszweig von dort nichts zu holen sein. Ich kann natürlich nur Vermutungen anstellen, glaube aber, daß es auf einen Dienstleistungsbetrieb hinauslaufen wird. Sie werden das große DEFA-Misch-Atelier auf Dolby-Stereo umrüsten und deutschen, vielleicht auch europäischen Produzenten Mischmöglichkeiten anbieten. Ich vermute, daß die Hotels, die da gebaut werden, am Ende den größeren Effekt für die Franzosen haben werden. Ich hatte am Anfang die Bemühungen der Franzosen mit freundlichem Interesse verfolgt und hatte auch gewisse Hoffnungen. Mir will aber immer weniger in den Kopf, warum die Franzosen unbedingt in Ostdeutschland Filme drehen wollen. Bei allem, was man sagt, ich glaube der "Urgrund" für den Kauf war die Immobilie.
Seid Ihr denn damals in irgendeiner Phase in die Gespräche eingebunden worden?
Gräf: Nein, niemand. Natürlich gab es Gespräche zwischen der amtierenden Geschäftsleitung der DEFA und der Treuhand. Ich habe aber nicht das Gefühl, daß die Geschäftsleitung sich getraut hat, eigene Ideen zu entwickeln. Sie haben dann zwar das Studio ökonomisch besser geführt, als die Treuhand je vermutet hätte. Aber sie haben kein Konzept durchzusetzen versucht, das auch den Filmemachern der Region Produktionsmöglichkeiten eingeräumt hätte. Selbst wenn sie das gewollt hätten: die DEFA ist ein Treuhand-Betrieb, und die Treuhand verfährt mit der DEFA, wie sie mit der ganzen ostdeutschen Industrie verfährt; dort wird nicht verhandelt. Die Entscheidung wird ohne die Mitsprache derjenigen getroffen, die es eigentlich betrifft. Es gab 1991 natürlich in Babelsberg die Konferenz der europäischen Regisseure, wo die Vision entworfen wurde, Babelsberg zu einem Studio für den europäischen Film zu machen. Es gab Gespräche mit Peter Fleischmann und Volker Schlöndorff. Die öffentlich verkündeten Visionen sind aber das eine, die ganz konkreten Bedingungen, unter denen jetzt so eine Privatisierung durchgezogen wird - und natürlich das Profitinteresse der Investoren -, sind etwas ganz anderes. Ich glaube, daß die Entscheidungsfreiheit des Geschäftsführers Volker Schlöndorff auch nicht sehr groß ist. Die Franzosen entscheiden im Moment über jede größere Summe, die dort verbraucht wird. Ich habe den bösen Verdacht, daß die Franzosen die Vision nur genommen haben, um sich dort einzukaufen - sie haben sich, nach den Treuhand-Verträgen - ja auch nur für zehn Jahre verpflichtet, dort Filme zu machen. Die Dinge in der Welt werden eben nicht von Leuten bewegt, die sich in geistigen, philosophischen oder auch politischen Sphären bewegen. Sie werden von ganz materiellen Dingen, von ökonomischen Kräften bewegt.
Joachim Kürten (filmdienst 22/1992)