Die Chemie muss stimmen.
Gespräch mit der Cutterin Monika Schindler
von Michael Hanisch
Das „Lexikon des internationalen Films“ weist über 50 Filme aus, an denen Monika Schindler als Cutterin beteiligt war. Und diese Liste ist ganz gewiss nicht auf dem allerneuesten Stand. 1961 kam sie von der Babelsberger Filmhochschule zurück ins DEFA-Studio für Spielfilme, wo sie vor ihrem Studium schon als Lehrling arbeitete. Regisseure wie Roland Gräf, Herrmann Zschoche, Günter Reisch arbeiteten bei fast allen ihren Filmen mit Monika Schindler als Cutterin. 1964/65 war sie an Egon Günthers zweitem, sogleich verbotenem Film „Wenn du groß bist, lieber Adam“ beteiligt. Als Günther seinen letzten DEFA-Film „Stein“ drehte, erinnerte er sich an seine Cutterin von einst. 1999 arbeitete sie für „Die Braut“ erneut mit Günther zusammen. Zuvor schnitt sie 1996 den Kinderfilm „Ferdinand und der verzauberte Einbrecher“ sowie 1997 Helma Sanders-Brahms’ „Mein Herz – niemand!“. Monika Schindlers jüngste Arbeit entstand für „Nachtgestalten“ von Andreas Dresen.
War die neuerliche Zusammenarbeit mit Egon Günther eine Rückkehr nach großer Entfernung?
Schindler: Eigentlich nein. Wir waren ja damals, 1964, beide noch sehr jung: Ein junger Regisseur drehte mit „Und wenn du groß bist, lieber Adam“ seinen zweiten Film und hatte eine junge Cutterin. 25 Jahre später, als Egon Günther nach der Wende diesen Film in die Kinos bringen wollte, erinnerte er sich an mich, suchte mit mir das noch vorhandene Material zusammen. Aus dieser erneuten Zusammenarbeit entstand eine Arbeitsfreundschaft, sodass ich auch seine beiden Kinofilme „Stein“ und „Die Braut“ schneiden konnte. Ich hoffe natürlich sehr, dass unsere Wege wieder einmal zusammenführen.
Sie haben bei der DEFA über 25 Jahre gearbeitet.
Schindler: 25? Waren das nicht 35? Ich habe doch schon 1955 als Lehrling bei der DEFA angefangen.
Also 35 Jahre bei der DEFA, und nun schon wieder zehn Jahre in der Marktwirtschaft. Was überwiegt in der Erinnerung?
Schindler: Die Arbeit in einem großen Filmstudio war schon sehr schön, man fühlte sich dort aufgehoben, kannte und schätzte viele Kollegen, mit denen man teilweise schon als Lehrling zusammen war. Wir heirateten fast alle zur selben Zeit, bekamen Kinder und wurden Großeltern. Meine Arbeitskolleginnen waren also auch meine Freundinnen. Das gab schon so eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl. Auch wenn der Job noch so anstrengend war – zu Hause hatte ich dadurch fast so gut wie keine Kontakte. Der Grund war einfach: Früh verließ ich das Haus und kam meist erst spätabends zurück. So hatte ich Freundschaften nur im Betrieb. Nach der Wende wurden wir entlassen, und alle waren plötzlich weg. Das machte mir schon zu schaffen, es war, als ob ich in ein dunkles, schwarzes Loch fiel. Wie ein Baum ohne Wurzeln. Gott sei’s gedankt, blieb ich nicht lange arbeitslos. Aber heute sind die Schneideräume an ganz verschiedenen Stellen Berlins. Das Traurige daran ist, man sieht kaum noch jemand vom Drehstab, weiß im Prinzip nicht, mit wem man zusammenarbeitet. Mir fehlen diese Arbeitsfreundschaften, die Gespräche über Filme.
Gibt es nur schöne Erinnerungen an die Zeit bei der DEFA? Was bedeutete es für eine Cutterin, wenn ein Film plötzlich aus fadenscheinigen Gründen verboten wurde?
Schindler: Natürlich hat das geschmerzt. Wenn ein Film nur ein bisschen problematisch war, ahnten wir es schon. Es gab verschiedene Methoden, einen Film abzuwürgen: gleich von vornherein das Drehbuch zu verbieten oder erst später nach dem Drehen oder aber, wie bei „Spur der Steine“, den Film ins Kino zu bringen, dann Claqueure ins Kino zu schicken und zu behaupten, die Arbeiterklasse möchte diesen Film nicht. Aber andererseits haben es die Regisseure heute doch auch nicht einfach. Sie haben gute Bücher, müssen aber ständig versuchen, Geld für die Realisierung aufzutreiben. Das ist auch nicht einfach. Ich weiß z.B., dass Roland Gräf nach der Wende zwei- oder dreimal versucht hat, einen Film auf die Beine zu stellen, aber immer scheiterte es an der Rest-Million. Bei der DEFA gab es zumindest den Vorteil: War das Buch einmal genehmigt, hatte man keine Geldsorgen. Wie gesagt: Man war in einem großen Studio sicher aufgehoben, konnte produzieren. Man musste nur sehen, dass die Abnahme glimpflich verlief und hatte keine Verleihsorgen.
Ab wann stießen Sie bei der DEFA zu einem Filmteam? Schon während der Dreharbeiten?
Schindler: Das war unterschiedlich. Meist war man von Drehbeginn an dabei. Häufig gab es Überlappungen. Da war man noch mit dem einem Film beschäftigt, als bereits die Muster des neuen anfielen. Oft war schon der halbe, manchmal auch der ganze Film abgedreht, bis ich mit dem Schnitt anfangen konnte. Das war zwar schön, wenn der eine oder andere Regisseur zu einem kam und sagte: „Ich warte auf dich, bis du frei bist...“
Wie ist das denn heute? Besuchen Sie ab und an auch Dreharbeiten, um sich in die Atmosphäre eines Films einzufühlen?
Schindler: Nein, heute nicht mehr. Erstens ist man nach der jahrelangen Arbeit beim Film nicht mehr so neugierig auf Dreharbeiten, das Interesse hat nachgelassen. Und alle, die schon einmal bei Filmaufnahmen dabei waren, werden für mich Verständnis haben, denn es dauert sehr lange, bis eine Szene im Kasten ist. Oftmals ist das zermürbend. Und zweitens wird man als Cutterin relativ spät nach Drehbeginn engagiert. D.h., viele Muster warten darauf, geschnitten zu werden. Da hat man einfach keine Zeit zu Ausflügen an den Drehort. Bei „Nachtgestalten“ kam noch dazu, dass nur nachts gedreht wurde. Wenn man tagsüber arbeitet, fällt ein Drehortbesuch aus.
Wer engagiert Sie heute? Der Produzent?
Schindler: Ich denke, der Wunsch für ein Engagement läuft über den Regisseur. Er wird dem Produzenten sagen: „Ich hätte gern den Kameramann, die Kostümbildnerin, die Cutterin.“ Der Produzent macht dann mit denen die Verträge. Cutterin ist ein sehr regiegebundener Beruf. Es gehört großes Vertrauen dazu, einer Schnittmeisterin sein Material anzuvertrauen. Denn wenn der Film abgedreht ist, steht auch meine Version von dem Film.
Lesen Sie das Drehbuch, bevor Sie Ihren Vertrag unterzeichnen?
Schindler: Bei der DEFA habe ich das immer getan. Da lagen die Bücher zumeist schon lange vor. Die Regisseure kamen in den Schneideraum mit dem Drehbuch und sagten: „Lies dir das mal bitte durch. Ich will damit im Juli anfangen. Vielleicht hast du Interesse daran. Vielleicht hast du auch noch Vorschläge dazu.“ Heute erfahre ich von dem Film, wenn der Regisseur mich nicht schon vorher verständigt hat, erst kurz vor Drehbeginn. Und wenn mir die Regie sympathisch ist, würde ich auch einen Film mit einem weniger guten Drehbuch schneiden. Vielleicht lässt sich dann ja im Schnitt noch etwas verbessern. Man muss bedenken, es gibt keine Festanstellungen mehr, irgendwie muss man sich auch die Miete verdienen. Arbeitslos zu sein macht überhaupt keinen Spaß, das ist ganz schlimm.
Ist es ein Zufall, dass Sie nach der Wende vor allem mit Regisseuren von der DEFA, aber auch mit Regisseurinnen aus dem Westen zusammen gearbeitet haben?
Schindler: Ach, Zufall... Bei Helma Sanders-Brahms hat es mir gefallen, wie sie sich nach der Wende leidenschaftlich für den Erhalt der DEFA eingesetzt hat. Dadurch haben wir uns öfter gesehen, im Schneideraum, im Studio. Dann drehte sie „Apfelbäume“ und rief mich an. Bei Ula Stöckl lief das ein wenig anders. Sie hatte wohl schon eine Cutterin, mit der sie aber nicht glücklich war. Durch Vermittlung kam sie dann auf mich. Es ist ja so ungeheuer wichtig, dass sich die zwei Menschen, die da allein im Schneideraum sitzen, einigermaßen verstehen. Es muss – wie man jetzt sagt – die Chemie stimmen. Es scheint, die beiden Frauen waren mit meiner Arbeit zufrieden, denn ich habe dann auch ihre folgenden Filme geschnitten.
Ist es für Sie reizvoll, mit ganz verschiedenen Persönlichkeiten zusammenzuarbeiten, auch mit verschiedenen Generationen? Egon Günther ist über 70, Andreas Dresen 36.
Schindler: Das ist wohl das reizvollste an meinem Job, dass ich immer wieder mit ganz unterschiedlichen Leuten arbeiten kann. Mit klugen, belesenen, toleranten, lustigen Menschen. Da ist es ganz egal, ob sie jung oder alt sind. Die Hauptsache ist, dass man sich gegenseitig etwas zu geben hat. Andreas Dresen schätzt meine Arbeit sehr, und ich finde es bemerkenswert, wie gut er recherchiert, mit welcher Genauigkeit er arbeitet, wie er alles durchdenkt und seine Filme mit so viel Liebe dreht. Er hat das Alter meiner Tochter, die übrigens seit einiger Zeit bei mir als Assistentin arbeitet. Unsere Zusammenarbeit klappt bestens. Egon Günther, besessen von seinen Drehbüchern und von der Filmarbeit, dreht mit der gleichen Liebe. Die Arbeit im Schneideraum ist sehr angenehm. Während ich die handwerklichen Tätigkeiten verrichte, die Rolle einlege, Klebestellen mache, hat er mir bei der „Braut“ z.B. unheimlich viel über Goethe erzählt und die Weimarer Verhältnisse, über alle möglichen Liebschaften. Momentan arbeite ich wieder mit einem jungen Regisseur zusammen, wir kamen über Günter Reisch zusammen und machen nun schon den dritten Film gemeinsam. Vielleicht schätzen die jungen Leute meine Erfahrung, und ich kann ihnen ab und an bei Entscheidungen eine Hilfe sein. Außerdem bin ich ziemlich ehrlich und sage direkt, ob mir etwas gefällt und ob ich es gelungen finde oder nicht. Wer diese Eigenschaft liebt, arbeitet, glaube ich, gern mit mir.
Kann es vorkommen, dass der Produzent von Ihnen auch eine etwas unangenehmere Arbeit verlangt, nämlich einen Film gegen den Willen des Regisseurs zu kürzen?
Schindler: Nein, das würde ich auch prinzipiell nicht tun. Bei der DEFA gab es bei „Hostess“ so einen Fall. Da bekam ich von Professor Wilkening einen Brief in den Schneideraum mit der Aufforderung, dies und das müsse geändert werden, dies und das müsse raus. Ich habe geantwortet, dass ich dies nur zusammen mit dem Regisseur mache. Rolf Römer, der Regisseur, hat sich dagegen verwahrt. Ich bin der Meinung, der Regisseur bestimmt den Film, und deshalb muss er gefragt werden, wenn etwas geändert werden soll. Heute gibt es ja die so genannten Sachzwänge, wie z.B. bei der „Braut“. Vor allem das Fernsehen möchte am liebsten einen 90-Minuten-Film haben, auch die Verleiher lieben überlange Filme nicht. Erst einmal meinen sie, das Publikum wünsche diese nicht und gleichfalls nicht die Kinobetreiber, weil sie dann Zeit für die Werbung verlieren. Ein Film, den man am Abend dreimal spielen kann, bedeutet dreimal Werbung. Ist er überlang, kann es nur zwei Vorstellungen geben, d.h. finanzielle Einbußen. Aber 30 Jahre Christiane Vulpius und Goethe lassen sich nun mal schwer in 90 Minuten erzählen. Das sind wieder andere Zwänge. Ich aber würde niemals gegen den Willen eines Regisseurs seinen Film verändern.
Michael Hanisch (filmdienst 22/1999)