Zwischen Komik und Pathos.
Der Regisseur Günter Reisch
von Ralf Schenk
Von Hans Rodenberg, der zwischen 1952 und 1962 leitende Positionen bei der Defa und im Kulturministerium der DDR innehatte, stammt ein geflügelter Satz: "Unter keinen wie auch immer gearteten Umständen erscheint dieser Film in meinem Studio." Anfang der 60er Jahre war es wieder einmal soweit: Rodenberg lehnte es vehement ab, die tschechische Komödie "Und das am Heiligabend" von der Defa adaptieren zu lassen. In dem von Hermann Kant geschriebenen Filmentwurf ging es um einen älteren verdienstvollen Genossen und einen jungen Mann, der dessen Tochter heiraten will. Doch der Junge steht der gesellschaftlichen Entwicklung, so wie sie sich in den realsozialistischen Staaten vollzieht, äußerst ablehnend gegenüber: "Meine Einstellung zur Arbeiter- und Bauermacht ist nicht positiv." Nach und nach erfährt der Ältere die Gründe. Sein Schwiegersohn in spe, einst Abiturient, jetzt Möbelträger, verweigert sich opportunistischer Heuchelei aus Karrieredenken. Die Selbstgerechtigkeit der Vätergeneration widert ihn an: "Ich kann sie nun mal nicht leiden, diese Funktionäre, die für alles eine Schublade haben, und die Kader denken, wenn sie Menschen sagen." Diejenigen, die an den Schalthebeln der Macht sitzen, hätten längst vergessen, wie das Leben tatsächlich sei. Ein Vorwurf, den der Alte nicht auf sich sitzen läßt: Am Heiligabend begibt er sich auf Spurensuche in der Wirklichkeit.
Daß der brisante Film trotz des von Hans Rodenberg ausgesprochenen Drehverbots zustandekam, war einer Begegnung zwischen dem als Vaterdarsteller vorgesehenen Erwin Geschonneck und keinem Geringeren als Walter Ulbricht höchstselbst zu verdanken. Ulbricht hatte das Theaterstück gesehen und gab nun grünes Licht. So wurde "Ach, du fröhliche..." (1962), wie der Film schließlich hieß, zu einem Vorläufer jener realistisch-kritischen Gegenwartsarbeiten, die 1965/66 bei der Defa entstanden, die aber mit Einbruch einer neuen kulturpolitischen Eiszeit nach dem 11. Plenum einem Verbot anheimfielen. Von dem jungen Helden aus "Ach, du fröhliche...", der sich die eigenen Erfahrungen nicht ausreden läßt, führte ein gerader Weg zu den nonkonformistischen Hauptfiguren in "Das Kaninchen bin ich" (Regie Kurt Maetzig), "Denk bloß nicht, ich heule" (Regie Frank Vogel) oder "Karla" (Regie Herrmann Zschoche).
Lachen in vielen Varianten
Für Regisseur Günter Reisch, der am 24. November 70 Jahre alt wurde, war "Ach, du fröhliche..." der sechste Kinofilm - und einer von mehreren Versuchen im Genre der satirischen Komödie. 1947 war Reisch zur Defa gekommen, hatte Regieassistenzen unter anderem bei Gerhard Lamprecht ("Quartett zu fünft"), Martin Hellberg ("Das verurteilte Dorf") und Kurt Maetzig ("Der Rat der Götter") absolviert und 1953/54 erste Anläufe zu einem eigenen Projekt unternommen: "Shakespeare dringend gesucht" nach dem Theaterstück von Heinar Kipphardt. Eine Satire, in der sich der Mitarbeiter eines Stadttheaters auf die Suche nach einem wahrhaftigen, nicht schöngefärbten Zeitstück begibt und auf Eitelkeiten und politische Gefallsucht trifft. Das Projekt kam nicht zustande; aber das Debüt, das Reisch wenig später vorlegen konnte, war von diesem früheren Stoff und dessen Intentionen gar nicht weit entfernt: "Junges Gemüse" (1956), eine freche "Revisor-Paraphrase: Ein junger Schriftsteller, der einen Filmstoff übers Landleben in der DDR recherchieren soll, wird fälschlicherweise für einen Instrukteur des Ministeriums gehalten und bringt das Dorf völlig durcheinander.
Reisch und sein Autor Günther Rücker gestatteten sich bissige Sentenzen gegen Bürokraten und Dogmatiker. So tritt ein Dramaturg auf, der dem Autor gute Ratschläge fürs Drehbuch mit auf den Weg gibt: "Vor allem überlasten Sie das Thema nicht. Schreiben Sie nicht mehr als über das neue Bewußtsein, verbunden mit dem neuen Sein, den Kampf des einen gegen das andere, damit verbundenen Kritik und Selbstkritik. (...) Auf keinen Fall mehr. Denken Sie immer daran: das Ohr am Herz der Massen, die Hand am Puls der Zeit." Genau so hatten zahlreiche Defa-Gegenwartsfilme der frühen 50er Jahre ausgesehen: hölzerne politische Stopfgänse, verhöhnt vom Publikum und dann immer mehr gemieden. Reisch und Rücker distanzierten sich davon hohnlachend - und wurden, als "Junges Gemüse" abgedreht war, mit 32 Änderungswünschen des Filmministers konfrontiert.
Auch in den folgenden Jahrzehnten kehrte Reisch immer wieder zu Formen des Heiteren zurück, freilich mit unterschiedlichen Ergebnissen. "Maibowle" (1959) und "Silvesterpunsch" (1960) gerieten zu schwankhaften Familiensagas, die der "sozialistischen Menschengemeinschaft", der Kultur- und Sportbeflissenheit der "werktätigen Klasse" ein freundliches Denkmal setzten. "Der Dieb von San Marengo" (1963) führte in ein französisches Seebad, in dem ein Meisterdieb mit den ortsansässigen Geschäftsleuten und Polizeibeamten kungelt - ein bürgerliches Gesellschaftsbild im Gewand eines Musicals. "Ein Lord am Alexanderplatz" (1967) blendete dann wieder zurück in die DDR und verfolgte die Wege eines aus Westdeutschland eingewanderten Charmeurs (Erwin Geschonneck), dem es im Osten schwerfällt, seiner alten Leidenschaft als Heiratsschwindler zu entsagen. Reisch: "Eigentlich wollte er hier ein ruhiges Leben führen. Aber er ist freundlich zu Frauen, er weiß mit ihnen umzugehen, er muß sich nur umdrehen, schon laufen ihm drei hinterher, denn niemand ist gewohnt, eine Rose geschenkt zu bekommen, ein nettes Wort zu hören. Das war in der DDR nicht so sehr üblich..."
"Ein Lord am Alexanderplatz" zeigte, daß trotz anderslautender offizieller Beschwörungen auch in der DDR das kleinbürgerliche Idyll blühte und gedieh. Reisch verspottete diese Haltung nicht, sondern näherte sich ihr mit augenzwinkerndem Humor, mit Verständnis für die Sehnsucht nach Harmonie und Geborgenheit. Stilistisch machte sich im "Lord am Alexanderplatz" allerdings eine Schwäche bemerkbar, die auch einige spätere Lustspiele des Regisseurs befiel: Einer übersprudelnden Fantasie, einer Unmenge an szenischen Einfällen, die mitunter erst beim Drehen entstanden, wurden kaum Zügel angelegt. Ein Dilemma, das vor allem die "Zerbrochene Krug "-Adaption "Jungfer, Sie gefällt mir" (1969) mit Wolfgang Kieling als Dorfrichter Adam und die Gegenwartssatire "Nelken in Aspik" (1976) belastete. Dabei widmete sich "Nelken in Aspik" einem brisanten Thema: dem beruflichen Aufstieg eines Nichtkönners (Armin Mueller-Stahl), der nach "oben" gelobt, mit gesellschaftlichen Ämtern überhäuft und sogar zum Generaldirektor befördert wird. Zu einer radikalen und auch formal konsequenten Satire konnten (oder durften?) sich die Filmautoren freilich nicht durchringen - es blieb bei einer Ansammlung von Gags, die zwar einzelnen Schwätzern, Kriechern und anderen fragwürdigen Zeitgenossen einen Spiegel vorhielt, aber weniger der Gesellschaft als Ganzes.
Zu einem Publikumserfolg avancierte 1978 "Anton der Zauberer": die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Legende eines Automechanikers, dessen überdurchschnittliches Organisationstalent ihn in der ostdeutschen Mängelwirtschaft erst zum Millionär, später zum Gefängnisinsassen und schließlich zum umschwärmten Ersatzteilbeschaffer eines Großbetriebs macht. Ulrich Thein füllte die Rolle des cleveren Handwerkers und DDR-Schwejks mit Derbheit, Schlitzohrigkeit und einer gehörigen Portion Melancholie aus, auch über die aus Dummheit oder Bequemlichkeit ungenutzten Chancen der DDR. Mit "Wie die Alten sungen..." (1987), seinem letzten Film, kehrte Günter Reisch dann noch einmal zur Personage von "Ach, du fröhliche..." zurück. Mit denselben, nun um 25 Jahre gealterten Schauspielern wandte er sich wiederum Konflikten und Widersprüchen zwischen den Generationen zu. Dramaturgisch geschickt montierte er Szenen aus seinem Tauwetter-"Klassiker" ein; doch gerade dadurch wurde offensichtlich, daß der politische Anspruch von einst hier weitgehend einem privaten Blick, einer euphemistischen Beschreibung des Alltags in der DDR gewichen war. Themen wie Westflucht oder schleichende Resignation angesichts politischer Stagnation, die für viele junge Leute Mitte der 80er Jahre durchaus existentielle Bedeutung hatten, aber bei der Defa als tabuisiert galten, tauchten auch in "Wie die Alten sungen..." nicht auf - obwohl sie, nach dem von "Ach, du fröhliche..." vorgegebenen Maß, in eine solche Fortsetzung gehört hätten.
Spuren deutscher Geschichte
Nicht nur der Umgang mit dem Heiteren zieht sich wie ein roter Faden durch das Oeuvre Günter Reischs, sondern auch die Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte dieses Jahrhunderts. Kurt Maetzig hatte ihn 1953 zu einem seiner Regieassistenten für den zweiteiligen "Thälmann"-Film auserkoren; an diese Zusammenarbeit erinnerte sich Maetzig, als er im Frühjahr 1958 den Auftrag erhielt, bis zum Herbst ein Opus zum 40. Jahrestag der deutschen Novemberrevolution zu drehen. Unter enormem Zeitdruck stehend, verpflichtete er Reisch als Co-Regis-seur. Und während er sich selbst der Ebene der Admiralität und der Offiziere zuwandte, inszenierte der jüngere Kollege die Sequenzen mit den "einfachen" Seeleuten, den Mannschaften und Heizern. "Das Lied der Matrosen" ist immer dann eindrucksvoll, wenn seine Autoren konkrete Lebensbedingungen beschreiben: etwa die miserable Verpflegung auf den Kriegsschiffen. Vor allem in solchen Momenten bewiesen Maetzig und Reisch, daß sie einen im Gegensatz zu "Thälmann" weniger steifen und offiziösen Film im Sinn hatten; mit Helden, die von Denkmälern gehoben und gleichsam vermenschlicht wurden. Insgesamt entsprach "Das Lied der Matrosen" freilich dem Kanon der Zeit, stilisierte den Matrosenaufstand an der Nordseeküste zur kleinen Oktoberrevolution und überbetonte die Rolle des Spartakusbundes.
Aus dem reichhaltigen Figurenensemble des Films erkor Reisch einen jungen, anarchistischen Matrosen (Stefan Lisewski) zu seiner Lieblingsgestalt - einen sympathischen, kräftigen Querdenker. Solchen Figuren, die gewissermaßen "vom Rand" ins Zentrum des Geschehens rückten, galt seine Aufmerksamkeit auch in anderen historischen Arbeiten. So übernahm er 1963 ein Projekt des verstorbenen Slatan Dudow, einen Film über Karl Liebknecht, der sich zu Beginn des ersten Weltkrieges als pazifistischer Außenseiter innerhalb der weitgehend angepaßten deutschen Sozialdemokratie verstand: "Solange Leben in mir ist" (1965). Mit diesem wie mit anderen politischen Prestigeobjekten der Defa ("Unterwegs zu Lenin", 1970, "Trotz alledem!", 1972) balancierte Reisch zwischen parteioffizieller Geschichtsklitterung und realistischem Detail, zwischen romantischem Pathos und atmosphärischer Differenziertheit. Eine genaue Analyse dieser historischen Panoramen steht noch aus; daß sie oft "ein-und blauäugig" gerieten (Klaus Wischnewski), hing wohl vor allem mit der strengen Aufmerksamkeit zusammen, die die Parteiführung der SED jenen Projekten widmete. Allerdings: Man wußte das sehr genau, wenn man sich in der DDR darauf einließ.
Zwei Filme, die Günter Reisch gemeinsam mit seinem Autor Günther Rücker erarbeitete, nahmen dann Abstand vom offiziellen Auftragskino: "Wolz - Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten" (1974) und "Die Verlobte" (1980). "Wolz" war unter dem Eindruck der Studentenunruhen von 1968 geschrieben worden und erinnerte an den Anarchisten Max Hoelz, der in den 20er Jahren unter dem Motto "Eigentum ist Diebstahl" Gerechtigkeit für die Armen einforderte. Das Drehbuch lag bei der Defa fünf Jahre auf Eis; an die anarchistischen Traditionen in der deutschen Arbeiterbewegung zu erinnern, erschien nicht opportun. Auch als der Film abgedreht war, stieß er auf diverse Schwierigkeiten: mehrere SED-Bezirkssekretäre verweigerten eine Aufführung; das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland intervenierte in Cannes, um eine Teilnahme am Festival zu unterbinden; das ZDF kaufte zwar den Film, sendete ihn aber aus Furcht, Parallelen zur RAF heraufzubeschwören, nie; und auch die tschechische Regierung legte keinen Wert darauf, ein Werk, das einen Anarchisten nicht in Bausch und Bogen verurteilte, in Karlsbad zu präsentieren.
Rücker und Reisch näherten sich ihrem Helden (Regimantaas Adomaitis) auf eine romantische, liedhafte Weise. Sie erklärten seinen Haß auf die Reichen mit einem ungestümen Gerechtigkeitssinn; sie beschrieben das Hochgefühl während seiner Aktionen ("Dienstag wollte ich eigentlich die Siegessäule sprengen") und zugleich die Gefahr, die er für sich, seine Anhänger, aber auch die organisierte linke Bewegung heraufbeschwor ("Wer spricht von Programm? Ich sprach von Revolution!"). Nach einem furiosen, rauschhaften Auftakt widmete sich der Film im zweiten Teil einer besonderen, delikaten Episode aus dem Leben von Hoelz/Wolz: Die Kommunistische Partei verpflichtete eine Frau (Heidemarie Wenzel), ihn im Gefängnis zu heiraten. Nur so konnte die Verbindung zu ihm aufrechterhalten werden. Am Ende, nach seiner Freilassung, verschwindet Wolz in einem Fluß; die authentischen letzten Lebensmonate des Max Hoelz in der Sowjetunion wurden von Reisch und Rücker nicht thematisiert. Schließlich "Die Verlobte": Die Odyssee einer Kommunistin (Jutta Wachowiak) in den Gefängnissen der Nazis. Reisch und Rücker wagten, was in Defa-Filmen sonst selten zu sehen war: eine Entdeckungsreise "in menschliche Grenzsituationen, in denen die physische und psychische Kraft eines Menschen dem eigentlich nicht mehr Ertragbaren, Sagbaren, Darstellbaren ausgesetzt" wird (Klaus Wischnewski). Ein Sittenbild der Barbarei und der inneren Gegenwehr, ausgezeichnet mit dem Grand Prix der Filmfestspiele Karlsbad. Heute macht Günter Reisch, trotz eines Stapels ungedrehter Entwürfe, keine Filme mehr. Aber er unterrichtet Studenten, in Deutschland, Österreich oder Italien - und gibt die Erfahrungen aus über 40 Defa-Jahren anekdotenreich an die junge Generation weiter.
Ralf Schenk (filmdienst 25/1997)