Indianer und Glatzköpfe.
Der Regisseur Richard Groschopp
von Ralf Schenk
In der ersten Hälfte der 60er Jahre nahm man bei der DEFA mit Erstaunen zur Kenntnis, wie gut westlich der Mauer die Karl-May-Filme funktionierten. Und nicht nur dort: Bürger der DDR machten sich scharenweise auf den Weg nach Prag, um "Winnetou" oder "Old Shatterhand" wenigstens in den tschechischen Kinos zu genießen. So begann auch die DEFA bald, am "deutschen Western" zu laborieren, freilich nicht auf der Basis der Romane eines Lügenbarons, sondern nach anderen, historisch exakten Büchern. Und weil statt der Cowboys die unterdrückten und gedemütigten "roten Brüder" im Mittelpunkt stehen sollten, erfand man in Babelsberg als Genrebezeichnung den Begriff "Indianerfilm". Wenn schon Bilder aus Amerika, dann wenigstens von richtiger ideologischer Position aus gesehen.
Als der erste Stoff drehreif war, passierte etwas Merkwürdiges. Keiner der knapp vierzig festangestellten DEFA-Regisseure hatte Mut zu oder Lust auf Federschmuck und Lasso. Die Direktion war gezwungen, international auf Suche zu gehen und verpflichtete schließlich einen tschechischen Filmemacher, Josef Mach - dem "Die Söhne der großen Bärin" (1966) zu einem Sensationserfolg gerieten. Damit waren die Schleusen gebrochen: Von nun an offerierten die Babelsberger Studios jedes Jahr ein Indianeropus, bis weit in die 70er Jahre hinein. Und schon beim zweiten Versuch konnte ein einheimischer Regisseur gewonnen werden, ein "alter Hase" gewissermaßen, der James Fenimore Coopers "Wildtöter" mit Gespür für Spannung und Exotik auf die Leinwand brachte: Richard Groschopp. Sein "Chingachgook - die große Schlange" (1967) gehört heute im deutschen Osten zu den Filmen, die fast jeder kennt.
Glatzköpfe made in Babelsberg
Auch eine andere Arbeit Groschopps, der am 1. Februar 90 Jahre alt wurde, galt in der DDR gewissermaßen als Klassiker des Unterhaltungskinos: "Die Glatzkopfbande". Damit versuchte die DEFA 1963, das Phänomen kahlgeschorener, brutaler Jugendlicher, die damals noch nicht Skinheads genannt wurden, in einem Thriller-Plot zu fassen. Richard Groschopp ließ sich von authentischen Ereignissen in der DDR inspirieren: Auf der Insel Usedom wurden brave Camper von Rowdies belästigt, die später über die Ostsee nach Schweden fliehen und sich dort als politisch Verfolgte ausgeben wollten. Natürlich triumphierte, zumindest im Kino, die Macht des Gesetzes: Bei der DEFA legte ein superschlauer Schäferhund nebst Volkspolizei-Leutnant den mißratenen Outsidern das Handwerk. Die abschließende Verfolgungsjagd wurde in den Resten des Peenemünder Raketengeländes gedreht: mit steil in den Himmel ragenden Ruinen als expressionistisches Dekor.
Der "Glatzkopfbande" kann man, wie allen Groschopp-Filmen, heute einen Wert als Zeitdokument nicht absprechen. Auch er belegt die kulturpolitische Entkrampfung nach dem Mauerbau; mit ihm versuchte die DEFA, sich dem Publikum zu öffnen und sich auch den weniger sonnigen Seiten der ostdeutschen Gegenwart einigermaßen realistisch, freilich mit positivem Ausgang und letztlich als Hohelied auf die Organe der Staatsmacht zu nähern. Groschopp: "Wichtig erschien uns, die 'Bandenmoral' anzudeuten, der diese labilen Jungs unterliegen: In der Horde sich ungeheuer stark fühlend, pochend auf eine falschverstandene Kameradschaft. Einzeln wurden sie dann kleinlaut und feige." Daß die Gruppe im "Zivilleben" eine schlampige Maurerbrigade ist, die den Einsturz eines Industrieneubaus und einen Toten auf dem Gewissen hat, entsprach einem Wunsch des Ministeriums des Innern. Gleichzeitig jonglierten Drehbuch und Regie mit antiwestlichen Klischees: Der Anführer der Glatzköpfe, King genannt, hat einen Dienst in der Fremdenlegion hinter sich, nimmt sich den "dekadenten" Yul Brunner zum Vorbild und bevorzugt Landserhefte als Bettlektüre.
Nach der Premiere im Februar 1963 hielten sich Pro und Contra die Waage. Die Kritikerin des "Neuen Deutschland" lehnte das Opus vehement ab, worauf der Ostberliner Staranwalt F.K. Kaul öffentlich in die Bresche sprang und "Die Glatzkopfbande" verteidigte. Ein erzürnter Leser der kulturpolitischen Wochenzeitung "Sonntag" meinte, der Film sei nicht abschreckend, sondern rege einen Teil der Kinobesucher zur Nachahmung an: "Die Bande hatte die volle Sympathie des Publikums, zumindest derer in Lederoljacken. Nach Schluß der Vorführung liefen die Kofferheulen mit voller Lautstärke, und Passanten 'erfreuten' sich einiger Anpöbeleien." Trotz solcher Hinweise, die sonst von vorsichtigen Funktionären gern zu Künstlerschelte und Verboten benutzt wurden, blieb der Film zunächst in den Kinos. Weit über eine Million Zuschauer sahen ihn innerhalb weniger Wochen. Erst nach dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965 war es auch um die "Glatzkopfbande" geschehen. Groschopps Opus wurde weitgehend aus dem Verkehr gezogen; randalierende Jugendliche durften bei der DEFA nun nur noch außerhalb der Grenzen der DDR ihr Unwesen treiben.
Vom Konditor zum Regisseur
Richard Groschopp, geboren am 19. Februar 1906 in Kölleda (Thüringen), hatte schon während seiner Lehre als Konditor davon geträumt, Filmemacher zu werden. So kaufte er sich für 75 Reichsmark eine Kamera und fürweitere 100 einen Projektor. Weil er das teure Negativmaterial so lang wie nur irgend möglich zwischen seinen Fingern fühlen wollte, entschloß er sich, keinen Realfilm zu drehen - "Ein Druck auf den Knopf, und alles wäre vorbei gewesen" -, sondern eine Animation, bei der jedes Bild sorgsam komponiert und einzeln belichtet werden mußte. Das Resultat nannte er "Eine kleine Königstragödie" (1934): Ein Kampf auf dem Schachbrett, schwarzer gegen weißen König. Dafür und für weitere Amateurproduktionen erhielt Groschopp Preise auf internationalen Festivals. Die Branche wurde aufmerksam, der Dresdner Werbefilmproduzent Fritz Boehner verschaffte ihm Aufträge. Sogar Leni Riefenstahl integrierte ihn, für die Aufnahmen der Fechter und des Olympischen Dorfes, 1936 in ihr Olympia-Kamerateam.
Nach 1945 stellte sich Groschopp der Filiale der DEFA in Dresden zur Verfügung; einige der ersten Nachkriegs-Dokumentarfilme aus Sachsen entstanden unter seiner Regie. Aber er drängte zum Spielfilm, und als man in Babelsberg dringend Regisseure suchte, die das Auftragsprojekt "Familie Benthin" zu einem halbwegs glücklichen Ende bringen könnten, erinnerte sich die "Zentrale" an Groschopps Anfragen. Der von der Führung der SED initiierte Film, zunächst unter dem Arbeitstitel "Kalter Krieg" gehandelt, war als agitatorische Unterstützung der Wahlen im Herbst 1950 geplant; die Drehbuchautoren, unter anderen Johannes R. Becher und Ehm Welk, und die Regisseure Kurt Maetzig, Slatan Dudow und eben Groschopp sollten die Überlegenheit östlicher Politik an Hand einer Ost-West-Familiengeschichte plausibel machen. Heraus kam ein filmisches Transparent, das beim Publikum auf wenig Gegenliebe stieß. Aber es öffnete Groschopp die Türen zum Spielfilmstudio. Danach drehte er "Gebrauchsfilme", vornehmlich Krimis und Lustspiele. Fast alle waren, wie viele andere Arbeiten der DEFA, einem jeweils aktuellen "gesellschaftlichen Anliegen" verpflichtet. "Modell Bianka" (1951) wollte im Gewand eines heiteren, in der Modebranche angesiedelten Verwechslungsspiels den Unterschied zwischen kapitalistischer Konkurrenz und sozialistischem Wettbewerb belegen. "52 Wochen sind ein Jahr" (1955) plädierte für die genossenschaftliche Umgestaltung auf dem Lande. "Sie kannten sich alle" (1958) warnte - Vorsicht, Feind hört mit! - vor Industriespionage, "Ware für Katalonien" (1959) rekonstruierte einen authentischen Fall von groß angelegtem Optikschmuggel. "Entlassen auf Bewährung" (1965) folgte den Spuren eines Ex-Strafgefangenen und warb für gesellschaftliche Toleranz. Aus der Reihe unaufgeregt inszenierter, in Inhalt und Form zeittypischer DDR-Stoffe fiel "Freispruch mangels Beweises" (1962), der Hintergründe von Korruption und einer Parteispendenaffäre in München beleuchtete.
Das satirische Zwischenspiel
Bekannt wurde Richard Groschopp aber auch als einer der Väter des "Stacheltiers", jener satirischen Kurzfilmreihe, die zwischen 1953 und 1965 mit rund 275 Folgen produziert wurde. Groschopp drehte davon über fünfzig. Sein Credo: "Lachend die Wahrheit sagen, angreifen und anprangern, was an Torheiten, Schwächen, Lastern so alles bei uns auftaucht; demonstriert an allerlei unerfreulichen Zeitgenossen, wie Bummelanten, Faulpelzen, Bürokraten, Egoisten, Karrieristen. Darüber hinaus wollten wir Erscheinungsformen des Kapitalismus ins satirische Visier nehmen. Auf alle Fälle: immer auf die Pauke hauen." Kein Wunder, daß manches "Stacheltier" der Obrigkeit so gar nicht gefiel...Groschopps letztem Kinofilm "Chingachgook - die große Schlange" folgten noch mehrere Fernsehproduktionen. Nach 1971 widmete er sich, unter anderem mit dem Buch "Ober Filmgestaltung", wieder verstärkt einem alten Hobby, der Anleitung von Amateuren. 1992 schließlich drehte Lothar Warneke ("Einer trage des anderen Last") einen Dokumentarfilm über den greisen Kollegen: "Zwei Schicksale oder Eine kleine Königstragödie". Ein Porträt, in dem Groschopp ironisch und manchmal sentimental auf seine Biografie und seine Ideale zurückblickt.
Ralf Schenk (filmdienst 4/1996)