Der Name lebt fort.
In Berlin wurde die DEFA-Stiftung gegründet
von Volker Baer
Welche Bedeutung man dem Ereignis beimaß, mag allein schon daran zu erkennen sein, daß Staatsminister Michael Naumann, der Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, sowie Günter Himstedt, der Präsident der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), es sich nicht nehmen ließen, die Gründung der DEFA-Stiftung in Berlin selbst der Öffentlichkeit vorzustellen. Mit dieser Gründung, die schon lange erwartet und aus den verschiedenen Ursachen immer wieder verzögert worden war, findet ein Kapitel deutscher Filmgeschichte seinen Abschluß. Doch gleichzeitig wird damit ein anderes Kapitel eröffnet – nämlich das Weiterwirken der DEFA-Geschichte und die kontinuierliche Auseinandersetzung mit einer wichtigen Epoche deutscher Filmentwicklung: Die DEFA, wenige Jahre vor der Gründung der DDR ins Leben gerufen und kurz nach deren Ende aufgelöst, steht für die künstlerische und kulturpolitische Existenz Ostdeutschlands in den Jahrzehnten der Teilung unseres Landes.
Nun also wird die DEFA, deren Name im Westen vermutlich schon weithin dem Gedächtnis entschwunden, im Osten hingegen mit mancherlei Erinnerungen verknüpft ist, weiterhin existieren. Als die Ateliers privatisiert, die Produktionsgesellschaft 1992 aufgelöst und das Staatliche Filmarchiv der DDR dem Bundesarchiv eingefügt worden waren, schien es lange, als habe der Name der staatlichen Filmgesellschaft der DDR nur noch in Archiven Bestand. Doch nun wurde – nach fast neunjährigen Bemühungen – endlich eine Lösung gefunden, die es erlaubt, die fast 46 Jahre währende Geschichte des ostdeutschen Kinos lebendig zu halten. Und das dürfte für alle Beteiligten, für Filmwisssenschaftler ebenso wie für Filmschaffende, Historiker ebenso wie für Filminteressierte, eine überzeugende Entscheidung sein: Mit Gründung der DEFA-Stiftung sind alle DEFA-Produktionen sowohl der Öffentlichkeit als auch der wissenschaftlichen Forschung uneingeschränkt zugänglich, in großen Zügen vergleichbar der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, die 1966 in Wiesbaden gegründet wurde, um die Produktionen der ehemals reichseigenen Filmgesellschaften zu sichten, zu erhalten und nutzbar zu machen. Rund 4.400 Filmrechte wurden damals in die Stiftung eingebracht. Der UFA-Filmstock der Jahre 1933 bis 1945 wurde allerdings für 13,6 Millionen DM an Bertelsmann verkauft. Die kommerzielle Auswertung übernahm Transit-Film.
Filmhistorischer Schatz
Bevor man nun für den DEFA-Filmstock eine ähnliche Stiftung errichten konnte, benötigte man ebenfalls ein Verleihunternehmen für die kommerzielle Auswertung. Es vergingen Jahre, bis der ehemalige Progress-Filmverleih der DDR, nach 1990 zunächst als GmbH der Treuhand geführt, privatisiert wurde. Im Frühjahr 1997 war es soweit: Die Dresdener DEFA-GmbH, eine Tochter des Mitteldeutschen Rundfunks, die aus dem ehemaligen Trickfilmstudio der DEFA hervorgegangen war, und die Münchner Tellux-Film, eine der katholischen Kirche nahestehende Produktionsgesellschaft, erwarben den Progress-Verleih in Berlin (s. fd 8/1997, S. 42). Progress übernimmt nun – zunächst für 15 Jahre – die Aufgabe der kommerziellen Auswertung des DEFA-Filmstocks. Dieser Bestand umfaßt nicht weniger als 950 Spiel- und Kurzspielfilme der DEFA, 5.200 Dokumentararbeiten und Wochenschauen sowie 820 Animationsfilme, ferner 4.000 deutschsprachige Synchronisationen ausländischer (vorwiegend aus ehemals sozialistischen Ländern stammender) Filme. Das ist ohne Zweifel ein Paket, mit dem sich wuchern läßt.
Die Rechte an den Filmen, die nicht etwa – wie im Falle der Murnau-Stiftung – verkauft, sondern eben (vom Bundeskulturbeauftragten und der BvS) gestiftet wurden, liegen bei der DEFA-Stiftung, deren Zweck „die Nutzbarmachung, Erhaltung und Pflege des ihr übertragenen DEFA-Filmstocks als Bestandteil des nationalen Kulturerbes und die Förderung der deutschen Filmkultur und Filmkunst“ ist. „Maßnahmen zur wissenschaftlichen und publizistischen Erschließung und Aufbereitung“ der DEFA-Filme sollen angeregt und gefördert werden. Außerdem sollen „Ausstellungen, Symposien und sonstige Fachveranstaltungen“ durchgeführt werden, wie es in der Satzung der Stiftung heißt. Für „kinemathekarische und museale Aufgaben“, vornehmlich in den neuen Ländern, sollen außerdem Mittel vergeben werden. Und schließlich soll auch mit internationalen Einrichtungen kooperiert werden. Für ihre Arbeit hat die DEFA-Stiftung eine zweckgebundene Grundausstattung von nahezu 12,6 Millionen DM an öffentlichen Mitteln erhalten. Zusätzlich wurde das frühere Gebäude des Progress-Verleihs der Stiftung zuerkannt. Hier hat sie ihren Sitz. Der Progress-Verleih ist künftig Mieter in diesem Haus.
Hat Progress die kommerzielle Auswertung für Kino, Fernsehen, Video und für die Nutzung von Filmausschnitten als Aufgabe, so übernimmt das Bundesarchiv-Filmarchiv, das Eigentümer des Materials ist, die archivarische und wissenschaftliche Auswertung bis hin zur internationalen Zusammenarbeit, beispielsweise mit der Internationalen Föderation der Filmarchive (FIAF) für Retrospektiven etwa bei Filmfestspielen. Das Bundesarchiv stellt auch Reproduktionen von Plakaten und historischen Programmen als Werbehilfen zur Verfügung. Auch die Restaurierung von Filmen hat das Bundesarchiv – in Zusammenarbeit mit Progress – übernommen. Bisher wurden bereits 100 Titel quer durch die DEFA-Geschichte restauriert. Die Aufteilung all dieser Aufgaben ist vertraglich geregelt. Etwa 80 Prozent der Nettorendite aus der Filmauswertung sollen dem Stiftungszweck zufließen, 20 Prozent der Erhaltung der Materialien zu Gute kommen. 700.000 DM beträgt die Garantiesumme der jährlichen Einnahmen. Man rechnet jedoch mit einem Stiftungsbudget von etwa 1,2 Millionen DM, von dem dann 600.000 bis 700.000 DM als Fördermittel ausgewiesen werden könnten. Sie dienen nicht allein der filmhistorischen Erschließung, sondern auch der Unterstützung anderer Projekte. So wurden bereits aus den Mitteln, die der Auswertung der DEFA-Filme entstammen, verschiedene Institutionen gefördert. Um den Nachlaß des DEFA-Szenenbildners Alfred Hirschmeier erwerben zu können, erhielt das Filmmuseum Potsdam 100.000 DM, für eine Filmpuppen-Ausstellung wurden dem Deutschen Institut für Animationsfilm in Dresden 20.000 DM zuerkannt, weitere Mittel flossen Filmreihen, Fachblättern, Workshops und Retrospektiven zu. Mit 250 Kopien und Fachliteratur über die DEFA wurde die DEFA Film Library der Universität von Massachusetts begründet. Die Stiftung zeigt erste Spuren.
Das Erbe legt Zeugnis ab
Als Vorstand und Geschäftsführer der Stiftung wurde Wolfgang Klaue berufen. Der 1935 in Ölsnitz im Erzgebirge geborene Filmwissenschaftler kam nach seinem Studium an der Ost-Berliner Humboldt-Universität 1957 an das Staatliche Filmmuseum der DDR, dessen Direktor er von 1969 bis 1990 war. Über zwei Jahrzehnte hinweg gehörte er dem Vorstand der FIAF an, deren Präsident er von 1979 bis 1985 war. Seit 1990 ist er Ehrenmitglied dieser internationalen Vereinigung der Filmarchive. Nach der Wende arbeitete er zunächst für das Bundesarchiv und war für die Murnau-Stiftung tätig. Publizistisch ist Klaue durch viele Veröffentlichungen zur Geschichte des internationalen Dokumentarfilms hervorgetreten. Klaue gilt in Fachkreisen als anerkannter Sachkenner der Filmhistorie.
Der DEFA-Stiftung ist ein Stiftungsrat mit elf Mitgliedern und deren elf Vertretern beigegeben. Den Vorsitz führt der Filmreferent des Kulturbeauftragten (Friedrich-Wilhelm Moog). Der Kulturbeauftragte hat einen weiteren Sitz (Dr. Max Dehmel, früher Filmreferent im Bundeswirtschaftsministerium) ebenso das Bundesfinanzministerium (Dr. Willibald Wenzel). Vertreten sind die Länder Berlin (Wolfgang Abramowski) und Sachsen (Hedda Gehm), ferner die Murnau-Stiftung (Peter Franz), das Bundesarchiv-Filmarchiv (Helmut Morsbach) und die Leipziger Filmwoche (Fred Gehler). Außerdem gehören die ehemaligen DEFA-Regisseure Evelyn Schmidt, Roland Gräf und Rainer Simon dem Stiftungsrat an. Anerkannte Regisseure der DEFA und (als Stellvertreter) namhafte Filmhistoriker der DDR sind also mitaufberufen und mitbeauftragt, den Nachlaß der DEFA zu hegen.
„Die DEFA-Stiftung ist“, wie Staatsminister Naumann es formulierte, „auch eine kulturelle Instanz, die fördernde Aufgaben in der Gegenwart wie in der Zukunft hat und zu einem Diskurs mit der eigenen Vergangenheit führen wird.“ Die Produktionen, die „die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR feierten, hinnahmen oder kritisierten“, werden auch hinfort Auskunft geben können in der Auseinandersetzung mit dem künstlerischen, dem unterhaltenden und dem politisch vereinnahmten Kino wie auch mit der Geschichte der DDR. „Zur Vergangenheit wurde die DEFA mit dem Untergang der DDR“, meinte Michael Naumann. Mit der Stiftung hat sie die Chance, in Erinnerung zu bleiben, da der DEFA-Filmstock in bewußter Verantwortung vor sinnloser Zersplitterung ebenso bewahrt wurde wie vor dubiosen kommerziellen Interessen.
Volker Baer (filmdienst 5/1999)