„Die Kamera liebt mich...“
Die Schauspielerin Angelica Domröse
von Michael Hanisch
Sie kam zum Kino in einer Zeit, als man in der DDR noch über die Frage diskutierte, ob der Star im sozialistischen Kino eine berechtigte Funktion habe. Bei derartigen Diskussionen – in ihrer Ernsthaftigkeit vergleichbar den Debatten über das Aktfoto und dessen Berechtigung in der sich entwickelnden sozialistischen Menschengemeinschaft – dachte man schon sehr bald an Angelica Domröse. Nach ihren ersten Filmen schien die Frage für die Mehrheit geklärt: Ja, auch das DDR-Kino konnte bis zu einem gewissen Punkt Stars gebrauchen. Schließlich musste sich auch der Film jeden Tag einem harten Wettbewerb stellen. Der Westen hatte Stars, beispielsweise Brigitte Bardot, und war damit auch in der DDR äußerst erfolgreich. Also wurde Angelica Domröse zur „DDR-Brigitte-Bardot“ apostrophiert. Gewisse äußere Ähnlichkeiten waren ja durchaus vorhanden.
„Die Jule vom Film“
Als 1959 Slatan Dudows „Verwirrung der Liebe“ in die Kinos kam, war Angelica Domröse 18 Jahre alt und hatte schon sehr viel von dem, was einen Star ausmacht. Die Kamera schien sie zu lieben. Sie konnte spielen, hatte etwas, was man „Ausstrahlung“ nannte, und stand am Anfang einer viel versprechenden Filmkarriere. Logischerweise ging sie zur Filmhochschule nach Babelsberg, wo Schauspieler fürs Theater wie für den Film fundiert ausgebildet wurden. Ihre primäre Orientierung galt dem Kino. Am Ende des Studiums musste sie sich zwischen Kino und Theater entscheiden. Entgegen des Rats von Dudow („Du bist ein Talent für den Film, nicht fürs Theater“) nahm sie ein Angebot von Helene Weigel an und wurde Mitglied des Berliner Ensembles. „Meine Überlegung war sehr rational“, gestand sie später. „Die Filme der DEFA hatten mir nie so gefallen. Wir sind kein großes Filmland, aber wir sind ein großes Theaterland. Ich würde also mehr lernen am Theater. Und am allermeisten am BE.“ Eine Entscheidung, die sie trotz alle Kämpfe wohl nie bereut hat. Im BE war sie freilich ein Fremdkörper, das wusste sie, und das ließ das Ensemble sie auch spüren. Weniger Helene Weigel – die sie mütterlich „Pupperl“ nannte – oder Erich Engel, für den sie das „Püppchen“ war; eher die Regisseure, die sich als „Brecht-Erben“ fühlten und sich auch so benahmen; so Manfred Wekwerth, der die wissbegierige Elevin zutiefst kränkte, als er während einer Probe sagte: „Nehmt doch mal die Jule vom Film da weg!“ Die 21-Jährige war tief verletzt. Dass sie am BE nicht viel zu spielen hatte, nahm sie hin; dann ging sie eben als Zuschauerin in die Vorstellung. Sie wollte lernen und wusste, dass drei Jahre Schauspielausbildung längst nicht genügten. Sie reagierte auf ihre Art auf die Arroganz der „Brechtianer“, nahm die Berge von Autogrammkarten mit ins Theater und freute sich heimlich über das große Poster mit ihrem Konterfei, das für einen Film mit ihr warb und direkt neben dem BE hing.
Ein großer Teil des Lebens der Schauspielerin Domröse war ein ewiger Kampf um Anerkennung. So war es für sie ein harter Schlag, als sie nach sechs Jahren BE von Helene Weigel vor die Tür gesetzt wurde. Doch auf das Tief folgte ein Neuanfang an der Berliner Volksbühne, die in jener Zeit zu einer der führenden Ostberliner Bühnen wurde. Hier arbeitete sie mit Benno Besson, mit Karge/Langhoff, hier erlebte sie mit Wolf Kaiser Triumphe in „Caesar und Cleopatra“. Beim BE bekam sie kleine und kleinste Rollen, in der Volksbühne war sie die Eboli, die Cressida, die schöne Helena, die Celimène in Molières „Menschenfeind“. Hier bewies die „Jule vom Film“, dass sie sehr wohl ein Theaterpublikum begeistern konnte. „Die aufregendste Theaterzeit meines Lebens“, bekannte sie später.
Was hatten ihr die DEFA und das DDR-Fernsehen zu bieten? Betrachtet man ihre Filmografie zu jener Zeit, kann man die arrogante Haltung fundamentalistischer Brecht-Jünger fast verstehen. Auf „Verwirrung der Liebe“ folgten Filme wie „Die Liebe und der Co-Pilot“ oder Fernseharbeiten wie „Papas neue Freundin“, „Vielgeliebtes Sternchen“, „Oh, diese Jugend“ – Unterhaltungsware, die beim breiten Publikum gut ankam, aber eine ehrgeizige junge Schauspielerin eher unterforderte. Es ist bedauerlich, dass die jungen Regisseure der dritten Generation bei der DEFA um Angelica Domröse genauso einen Bogen machten wie ältere Kollegen. Egon Günther, Frank Beyer, Konrad Wolf besetzten sie so wenig wie Lothar Warneke, Rainer Simon oder Roland Gräf. Mit einer gewissen Berechtigung überschrieb sie in ihren Memoiren ein Kapitel mit den Worten: „Meine schönsten Filme drehe ich jetzt.“ Mit „jetzt“ war ihre Zeit nach ihrem Weggang aus der DDR gemeint. Einzig Heiner Carow entdeckte das große Potenzial der Schauspielerin. Seine Paula in „Die Legende von Paul und Paula“ (1973) – von einigen Funktionären argwöhnisch betrachtet, von einem Teil der Kritik und vom Massenpublikum geliebt – wurde eine Ikone, eine Figur, in der sich viele Zuschauer wiedererkannten. Noch heute ist für viele der Name Domröse allein mit dieser Rolle verbunden. Hier wurde ein Maßstab gesetzt, den das DDR-Kino nie wieder erreichte. Angesichts eines solchen Films, einer solchen Figur und der Leistung der Schauspielerin wurde jede Diskussion über Stars im Sozialismus zur Farce. Andererseits war Angelica Domröse skeptisch gegenüber werbewirksamen Titeln, Preisen und Auszeichnungen. Sie fühlte sich natürlich geehrt, als sie 1963 der „Stern“ in einem Porträt als „Beliebteste Filmschauspielerin der DDR“ bezeichnete. Ihr späterer Kommentar zu diesem Titel: „Ich hatte ihn mit ein paar im Grunde sehr mittelmäßigen Filmen verdient.“
„Karnickelbuchte“
Dass sie längst auch eine politisch wache Persönlichkeit geworden war, die sich Gedanken über den Wert und die Funktion ihrer Kunst in einem Land machte, das eine bessere Welt aufzubauen behauptete, wurde im Zusammenhang mit der Ausbürgerung Biermanns deutlich. Als ihr die Arbeit in der DDR mehr und mehr unmöglich gemacht wurde, verließ sie mit ihrem Mann Hilmar Thate die DDR. „Ich konnte dieses Land nicht mehr ertragen“, gestand sie später, „nicht seinen geistigen Kartoffelsuppengeruch, nicht seine kleinbürgerliche Selbstgerechtigkeit. Ich wollte raus.“ „Karnickelbuchte“, nannte sie einmal jenes Land, das seine Bürger einsperrte. Sie spielte in Hamburg, Wien und in West-Berlin Theater, bekam gewichtige, große Rollen, fühlte sich angenommen – wofür der Preis der Zeitschrift „Theater heute“ als Schauspielerin des Jahres nur der äußerlich sichtbare Ausdruck war.
Und das Kino? Wo stand die Kamera, die sie so liebte? Frank Blum konstatiert, dass es ein ironisches Phänomen sei, wenn Regisseure wie Frank Beyer und Egon Günther erst im Westen Stoffe fanden, die sie mit ihr realisierten. Vor dem sehr selbstkritischen, scharfen Blick der Schauspielerin bestehen von ihren DEFA-Produktionen nur „Die Legende von Paul und Paula“ und Horst Seemanns „Fleur Lafontaine“, schon nicht einmal mehr ihre „Effi Briest“ in Wolfgang Luderers Fernsehfilm. Jetzt aber waren Arbeiten nach Büchern von Klaus Poche wie Beyers „Die zweite Haut“ oder Egon Günthers „Hanna von acht bis acht“ sowie „Mamas Geburtstag“ die Herausforderungen. „Die Filme, die ich jetzt drehte, brachten mich an Punkte, an denen ich früher nie war. Ich liebe auch ‚Mamas Geburtstag‘ und ‚Hurenglück‘. ‚Hurenglück‘ ist ein harter Film, ein sehr, sehr harter Film, aber ich mag ihn. Es muss an diesen Grenzerfahrungen liegen. Genau wie bei ‚Hurenglück‘. Dass in meinem Alter noch einmal etwas Neues begann, von dem ich nicht wusste, das hat mich überrascht. Am Theater erfuhr ich es – noch später, noch überwältigender – bei George Tabori.“ Auf dem Bildschirm wie auf der Bühne war sie präsent. Michael Haneke besetzte sie 1983 in seiner Bruckner-Inszenierung „Krankheit der Jugend“, 1986 in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“; dazwischen stand sie in seinem Fernsehfilm „Fraulein“ vor der Kamera. Peter Zadek, Jérôme Savary und George Tabori arbeiteten mit ihr; in Wien stand sie bei Tabori als „Stalin“ auf der Bühne, 1999 am Berliner Kurfürstendamm als „Callas“. Die Kritiker konstatierten Ereignisse.
Die Paula mit 50
Der vorläufige Abschied der Filmschauspielerin Domröse erfolgte 1991 – dort, wo sie mit „Verwirrung der Liebe“ 32 Jahre zuvor begonnen hatte: in den Babelsberger Ateliers. Heiner Carow besetzte sie in seinem DDR-Abschiedsfilm „Verfehlung“. Da war sie 50 Jahre alt. Carow hatte sie kurz nach der Wende mit den Worten „Du wirst noch einmal die Paula spielen, die Paula mit 50“ zu gewinnen versucht. Dass diese deutsche Ost-West-Liebesgeschichte ihr Abschied vom Kino sein würde, konnte sich damals wohl niemand vorstellen, sie am allerwenigsten. Am Anfang von „Verfehlung“ tobt sie nackt und ausgelassen mit ihren Enkeln in einem Badezuber; am Ende zieht sie als Häftling in einem Gefängnishof ihre Bahnen – in den letzten Monaten der DDR. Mit 50 sah auch sie für sich offenbar keine Chance mehr als Kino-Schauspielerin. 2001 bekannte sie in einem Fernsehporträt: „Ich habe meine spezielle Beziehung zur Kamera sehr genossen. Ich fühle mich vor einer Kamera nie gehemmt. Ich glaube, die Kamera liebt mich, und sie sucht Sachen, die Menschen gar nicht sehen können. Deshalb bin ich vor der Kamera ganz frei.“ Was aber nützt es, wenn das deutsche Kino, genauer: bestimmende Regisseure und Produzenten, glauben, auf sie verzichten zu können? Die Kamera mag sie lieben, aber die, die hinter der Kamera stehen? Bald entstanden auch immer weniger Fernsehfilme. „Einmal habe ich dem Fernsehen gesagt, wenn das Fernsehen mein Maßstab wäre, müsste ich mich ja aufhängen“, bemerkt sie in ihren Erinnerungen. „Ich weiß nicht, ob das Fernsehen das verstanden hat.“
Eines der Talente, über das Angelica Domröse verfügt, ist die Anpassung im durchaus positiven Sinn, als eine fürs Überleben von Schauspielern lebensnotwendige Tugend. Dieses Talent musste sie im Westen weit mehr entwickeln als in der DDR. Als ihr Kino und Fernsehen nur noch wenig zu bieten hatten, konzentrierte sie sich aufs Theater und entdeckte, dass ihr „die andere Seite“, das Regieführen, ebenfalls Spaß macht. Die Anregung dazu erhielt sie durch Michael Haneke. Sie inszenierte große „Menschenstücke“ wie Hauptmanns „Michael Kramer“, Kurt Weills „Happy End“, moderne Dramen. Im Sommer 2002 brachte die Kammeroper von Schloss Reinsberg eine moderne Variante von Glucks Oper „Iphigenie auf Tauris“ heraus. Inszenierung und Darstellerin des Prinzen Heinrich: Angelica Domröse. 2003 erschienen ihre Erinnerungen „Ich fang mich selbst ein – Mein Leben“. Darin findet man nicht allzu viel über ihre Filmarbeit. Das Buch ist deutlich aus der aktuellen Perspektive entwickelt, die primär vom Theater bestimmt wird. Darüber hinaus wird sehr anschaulich das Leben einer jungen Frau im Nachkriegs-Berlin beschrieben. Viele Anekdoten geben ein aufschlussreiches Bild des aufregend-bunten Lebens in der Viersektorenstadt, die sie als einen „besonderen Einfall zur Förderung der kulturellen Vielfalt“ schätzen lernte. Man liest Anekdoten, die es wert wären, als Grundlage für einen neuen Berlin-Film zu dienen – Buch: Wolfgang Kohlhaase.
Treue zu sich selbst
Angelica Domröse, Tochter einer Buchhalterin bei der Deutschen Reichsbahn und eines französisch-jüdischen „Fremdarbeiters“, wuchs in Berlin-Mitte auf. Gartenstraße 85, das letzte Haus im Ostsektor vor der Grenze. Geboren wurde sie in Berlin-Weißensee am 4. April 1941 – vor 65 Jahren. Im Februar 2006 stand wieder die Bühnenschauspielerin im Rampenlicht. Über ihre Leistung als morphiumsüchtige Mary in Eugene O’Neills Stück „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ in Potsdam waren die Kritiker begeistert: „Angelica Domröse erfüllt die Rolle der ‚Morphelia‘ in allen ihren Nuancen – von der Geste arroganter Abwehr bis zur kreatürlichen Verzweiflung“, schrieb die „Berliner Zeitung“. 30 Jahre zuvor resümierten die Autoren eines DDR-Theaterlexikons ihre Arbeit: „Eine Darstellerin, die mit gezieltem Einsatz technischer Mittel ästhetische Wirkungen zu erzielen weiß und schnell Publikumserfolge errang.“ Im Wesentlichen scheint sich Angelica Domröse über die Jahre hinweg treu geblieben zu sein.
Michael Hanisch (filmdienst 7/2006)
Literaturhinweis:
- Ich fang mich selbst ein – Mein Leben. Von Angelica Domröse. Bergisch-Gladbach 2003
- Angelica mit c – Die Schauspielerin Angelica Domröse. Von Frank Blum. Frankfurt am Main 1992