Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Vergangener Glanz einer Filmstadt.

60 Jahre Farbfilm aus Wolfen

von Babett Stach

Wolfen - für einen Teil der Bevölkerung der DDR bedeutete dieser Ort ein Stück Idendität, der andere verbindet mit dieser Stadt unweit von Bitterfeld eher Vorstellungen wüster Umweltzerstörung - und doch ist es ein Ort gemeinsamer Geschichte: deutscher Filmgeschichte. Im Folgenden ist weniger von Filmkunst die Rede, als von dem Stoff, auf den diese gebannt wird. In Wolfen stand eine der größten Filmfabriken Europas -1936 die Wiege des Agfa-Color-Films. Zuletzt bot "die Film", wie der volkseigene Betrieb im Volksmund genannte wurde, etwa 15.000 Menschen Arbeit, bei einem mit 50 Prozent hohen Anteil an Frauenbeschäftigung. Gearbeitet wurde im Drei-Schicht-System. Deshalb und auf Grund harter Arbeitsbedingungen bei Temperaturen zwischen 6 und 30 Grad bzw. in Dunkelbetrieben bot sie zudem im Vergleich zum Durchschnitt in der DDR gute Verdienstmöglichkeiten. Mit einer Arbeitslosenquote von fast 19 Prozent zu Jahresbeginn 1996 gehört der traditionsreiche Chemiestandort heute zu den Sorgenkindern des Landes Sachsen-Anhalt. Sanierungsgesellschaften auf der Basis von ABM-Kräften bieten mit schlecht bezahlten Trümmerfrauenjobs nur vorübergehende Lösungen. Die maroden Industrieanlagen, teilweise noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, werden ebenso eingeebnet wie erst in den 70er und 80er Jahren errichtete Werkshallen. Investoren, die sich auf den geschaffenen Freiflächen ansiedeln sollen, sind allerdings noch nicht in Sicht. Das Warenzeichen ORWO blieb zwar erhalten, doch wird an diesem Standort heute nicht mehr produziert. Vielmehr verpacken die knapp 100 Beschäftigten der ORWO GmbH seit dem 1.April 1996 wieder Filme in Wolfen, Color-und Schwarz-Weiß-Negativfilme eines nicht genannten Herstellers.

Von Berlin nach Wolfen

Die Vorläufer der Filmfabrik Wolfen waren in Berlin zu Hause. 1873 hatten sich dort die chemische Fabrik Dr. Jordan in Berlin-Treptow und die Gesellschaft für Anilinfabrikate in Berlin-Rummelsburg zur "Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation" zusammengeschlossen. Ab etwa 1887 stieg das Unternehmen mit der Herstellung von Entwicklersubstanzen und Trockenplatten in das Fotogeschäft ein, dessen Produkte unter dem Warenzeichen "AGFA" vertrieben wurden. Der Durchbruch bei der Herstellung von "Kinefilm" gelang um 1907/8. Günstige Bedingungen für eine Expansion des Unternehmens boten sich am Standort Wolfen: angeschlossen an einen Eisenbahnknotenpunkt, Braunkohlereviere als Energiebasis, Brauchwasser aus der Mulde und im Vergleich zu Berlin preiswerteres Baugelände, billigere Arbeitskräfte sowie sauberere (!) Luft. Seit dem Bau einer Farbenfabrik in Greppin hatte die Agfa bereits 1895 einen Standort in dieser Region. Im Juli 1910 nahm die Filmfabrik Wolfen ihre Produktion mit der Herstellung von Kine-Positivfilm auf Nitrozellulose als Unterlage auf. Das Know-how kam zunächst aus Berlin, doch zogen die Wolfener Laboratorien bald nach, z.B. bei Versuchen zur Herstellung von Sicherheitsfilm auf Acetylzellulose-Basis, der jedoch erst Jahrzehnte später den Nitrofilm ersetzte. Der Erste Weltkrieg führte nach anfänglicher Stagnation eher zu Produktionssteigerungen in Wolfen. Die steigende Nachfrage nach Kinefilm resultierte aus einer limitierten Einfuhr aus dem Ausland; dies betraf den Roh- wie den Spielfilm gleichermaßen. So konnte sich die Agfa gerade in dieser Zeit den zuvor im wesentlichen von der amerikanischen Kodak-Gesellschaft beherrschten deutschen Markt erschließen. Ein nicht unbedeutender Auftraggeber war die Heeresverwaltung, Diese orderte Klarsichtfolien für Gasmasken und für die Luftaufklärung einen besonderen Fliegerfilm. Hinzu kam die wachsende Bedeutung des Films als Propagandamittel. Als sich 1925 die großen deutschen Chemieunternehmen, darunter Hoechst, BASF, Bayer-Leverkusen und Agfa zur IG Farbenindustrie AG zusammenschlossen, stieg die Filmfabrik in Wolfen zum Leitbetrieb der Sparte auf, in der Unternehmen der Produktionszweige Fotografie, Kunstseide, Zellwolle, synthetische Seide und Zellstoff zusammengeschlossen waren.

AGFACOLOR

Das in den Wolfener Labors in den 30er Jahren entwickelte Agfacolor-Verfahren basiert auf dem von Rudolf Fischer (Neue Photographische Gesellschaft Berlin) bereits 1912 entwickelten Grundgedanken der subtraktiven Dreifarbenfotografie mittels farbgebender Entwicklung. Bei diesem Prinzip wird der Film mit drei übereinandergegossenen, jeweils für blaues, grünes und rotes Licht empfindlichen Halogensilberemulsionen beschichtet. In diesen Schichten sind sog. Farbkuppler eingelagert, mit deren Hilfe wiederum bei der Filmentwicklung die für den Aufbau des Farbbildes erforderlichen Farbstoffe Gelb, Purpur und Blaugrün erzeugt werden. Dieser "Agfacolor-Neu-Film" wurde im Oktober 1936 der Öffentlichkeit vorgestellt, nachdem er einen Monat zuvor bei den Olympischen Spielen in Berlin erfolgreich getestet worden war. Die revolutionäre Erfindung dieses ersten Mehrschichtenfarbfilmes, des ersten praktikablen Farbfilmes überhaupt, wurde auf der Pariser Weltausstellung von 1937 mit einem "Grand Prix" ausgezeichnet. Als Fotofilm für den Amateur später weiterentwickelt, trug dieser Film gemeinsam mit den dazu entwickelten Kameras zum Durchbruch des bis heute dominierenden Kleinbildsystems bei.

Vorerst nur im Umkehrverfahren (Diafilm) entwickelt, liefen im Juli 1938 große Versuchskomplexe zur Herstellung von Negativ- und Positivfilm nach dem Agfacolor-Verfahren an. Zur Erinnerung: das farbige Kinoerlebnis hatte es schon gegeben. Bereits die in Schwarz-Weiß gedrehten Stummfilme waren durch nachträgliche manuelle oder maschinelle Kolorierung einzelner Bilder oder durch Virage bzw. Tonung ganzer Szenen "farbig". Schließlich lieferte die Filmfabrik bereits ab 1922 eingefärbte Positivfilme in bis zu acht Tönen. Ein weiteres Verfahren zum Film in natürlichen Farben war "Ufacolor" ein Zweifarbensystem auf der Basis von Agfa Bipack Filmen, d.h. zwei Schwarz-Weiß-Filme wurden gleichzeitig belichtet und auf einen doppelseitig beschichteten Positivfilm kopiert. Die Rohfilme für das nach dem Ungarn Bela Caspar benannte Gasparcolorverfahren kamen ebenfalls aus Wolfen. Es wurde v.a. für Werbefilme z.B. von Oskar und Hans l Fischinger genutzt. Das in den USA genutzte Technicolorverfahren war dagegen ein Dreifarbensystem, das jedoch im Gegensatz zum Wolfener Mehrschichtenfarbfilm weit aufwendiger und damit kostenintensiver mit einer Drei-Streifenkamera zu realisieren war. Der erste abendfüllende auf Agfacolor-Negativ-Positivmaterial gedrehte Spielfilm "Frauen sind doch bessere Diplomaten", ein Kostümfilm der Ufa, wurde vor 56 Jahren in Berlin uraufgeführt. Bereits 1939 begonnen, mußten viele Szenen neu gedreht werden, da bei der Herstellung der Agfacolor-Kopien immer wieder technische Probleme auftraten. Tobis und Terra produzierten mit "Das Bad auf der Tenne" bzw. "Große Freiheit Nr. 7" (beide 1943) ihre ersten Farbfilme. Nicht zuletzt wurde der Farbfilm ganz bewußt für Propaganda- und Durchhaltefilme wie "Kolberg" eingesetzt.

Zwischen "Bruderkampf" und "Gentleman Agreement"

Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die daran anschließende unterschiedliche wirtschaftliche und politische Entwicklung in den Besatzungszonen, die schließlich zur deutschen Teilung führte, zertrennte auch nach und nach die arbeitsteiligen Beziehungen zwischen einzelnen Unternehmen. Das Vermögen der IG Farbenindustrie AG wurde nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges durch das Kontrollratsgesetz Nr. 9 vom 30.11. 1945 beschlagnahmt. Zunächst von amerikanischen Truppen besetzt, wurde die Wolfener Filmfabrik nach deren Abzug im Juli 1946 in eine sowjetische Aktiengesellschaf (SAG) umgewandelt. Von der totalen Demontage diente die Produktion weitestgehend der Erfüllung von Reparationsaufträgen. Außerdem wurden Technik und Fachpersonal abgezogen, um im ukrainischen Shostka eine Filmfabrik zur Herstellung von "Sovcolor-Filmen" nach dem Wolfener Verfahren aufzubauen. Die von der sowjetischen Besatzungsmacht in den Filmstudios und Kopieranstalten in Berlin, Wien und Prag erbeuteten Rohfilme ermöglichten es ferner, eigene Filme auf Agfacolor-Material zu drehen, z.B. den Märchenfilm "Die steinerne Blume". Die ersten deutschen Nachkriegs-Farbfilme waren "Das kalte Herz" (DDR) und "Schwarzwaldmädel (BR Deutschland), beide 1950 entstanden. Im Bayer-Werk Leverkusen wurde bereits im August 1945 über den Bau einer neuen Filmfabrik nachgedacht, da man sich keine Illusionen über die weitere Zusammenarbeit mit einem in der sowjetischen Besatzungszone gelegenen Betrieb machte und deshalb die Abhängigkeit von dessen Rohfilmlieferungen überwinden wollte. Jedoch waren die in Ostdeutschland verlorengegangenen Produktionskapazitäten der Agfa nicht so kurzfristig zu ersetzen. Demgegenüber war Wolfen weiterhin auf die Rohstofflieferungen aus Westdeutschland angewiesen. Die für die Filmproduktion benötigte Acetylcellulose und Gelantine waren in der erforderlichen Qualität zu dieser Zeit nur in Großbritannien, den USA und eben in Westdeutschland zu haben. Ebenso konnte es sich die Dormagener Firma wirtschaftlich nicht leisten, ihren größten Kunden zu verlieren. Die Wiederherstellung der Agfa AG in Westdeutschland fand schließlich mit dem Zusammenschluß der Leverkusener Filmfabrik und des Kamerawerkes in München 1953 ihren juristischen Abschluß. Um auf dem deutschen und ausländischen Märkten konkurrenzfähig zu bleiben, war man also weiterhin auf die Beziehungen zwischen Leverkusen und Wolfen angewiesen, die bis Anfang der 60er Jahre aufrecht erhalten wurden. Mehrfach bedroht wurden sie jedoch durch die 1952 entbrannten Auseinandersetzungen zwischen den "Quasi-Konkurrenten" um die Rechte an dem weltweit bekannten Warenzeichen. Der laxe Umgang der sowjetischen Besatzungsbehörden mit dem gewerblichen Rechtschutz sowie das Fehlen eines gesetzlichen Warenzeichenschutzes in der DDR wirkten sich nachteilig auf die juristische Position Wolfens aus. Da die Warenzeichen bei der Gründung des SAG-Betriebes nicht inventarisiert worden waren, verblieben sie formaljuristisch in der Liquidationsmasse der IG Farbenindustrie AG. Ferner hatte der SAG-Betrieb von der ab Juni 1950 zugelassenen Wiederanmeldung von Warenzeichen beim Patentamt München keinen Gebrauch gemacht. Auf Grund einer Entscheidung des Amtsgerichtes in Frankfurt a.M. wurden der neu gegründeten Agfa AG in Leverkusen alle Warenzeichenrechte für Deutschland übertragen. Die Bindung des Agfa-Warenzeichens an die Produktionsstätte Wolfen war für das Gericht lediglich Gewohnheitsrecht. Außerdem hielt es nicht einmal für zweifelsfrei bewiesen, daß der Wolfener SAG-Betrieb aus der ehemaligen IG Farbenindustrie AG hervorgegangen war. Die Tatsache, daß inzwischen über 80 Prozent der Wolfener Filmproduktion über Export abgesetzt wurden und dieser ohne das bekannte Warenzeichen gefährdet war, ließ die Wirtschaftsbürokratie der DDR vor dem Hintergrund bereits laufender Rechtsstreitigkeiten im Ausland, z.B. in Ägypten und Indien, in Aktion treten. Dabei wurde die Verhandlungsführung nicht selten aus den eigenen Reihen erschwert: Mit Einführung der zentralen Planwirtschaft erfolgte die strikte Trennung zwischen Produktion und dem Außenhan del als Staatsmonopol. Die Geschäftsführung des VEB Filmfabrik Agfa Wolfen (Bezeichnung ab 1954) benötigte für ihre Verhandlungen nicht nur die Zustimmung der Außenhandelsbehörden, sondern wurde von diesen sogar teilweise von den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Ergebnis zäher Verhandlungen vor dem Hintergrund des Kalten Krieges war 1956 schließlich das erste innerdeutsche Warenzeichenabkommen auf Unternehmensebene. Die Vertragspartner erteilten sich gegenseitig die Erlaubnis, die Agfa-Warenzeichen für alle fotografischen Artikel in den Ländern (mit) zu benutzen, in denen sie für einen der beiden registriert waren oder noch registriert werden würden. Ferner wurde der Vertrieb über gemeinsame Vertretungen vereinbart. Auf Beschluß des Ministerrates der DDR wurde diese "Zweckehe auf Zeit" mit Wirkung zum 31.3.1964 gekündigt.

ORWO – Original Wolfen

Noch während der Laufzeit des "gentleman agreement" rüsteten sich Leverkusen und Wolfen für die "Zeit danach". Angesichts der Verschärfung des kalten Krieges und des Baues der Mauer war dieser Vertrag trotz volkswirtschaftlicher Notwendigkeit längst ein Dorn im Auge der politischen Entscheidungsträger in der DDR. Die Politik zur "Störfreimachung der Wirtschaft" mit dem Ziel der Unabhängigkeit von Zulieferungen aus Westeuropa bedeutete eine noch engere Bindung an die Sowjetunion und die einseitige Orientierung auf den Warenaustausch mit den Staaten im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, dem Wirtschaftsverbund des Ostblocks. Diese totale Umorientierung bedeutete jedoch in der Praxis: Erschließung neuer, zuverlässiger Rohstofflieferanten und den Aufbau eines eigenen Auslandsvertreternetzes sowie die Durchführung einer massiven Werbekampagne. Die Einführung des Warenzeichens "ORWO - Original Wolfen" war seit Jahren vorbereitet. Die Versäumnisse im Investitionsbereich waren allerdings nicht zu übersehen: Die Qualität der Filme krankte an der wechselnden Qualität der Ausgangsstoffe. Die minderwertige einheimische Gelantine erforderte immer neue Rezepturen für deren Paßfähigmachung; dem großen Produktionspotential standen nur geringe Mittel für Forschung und Entwicklung gegenüber. Auch war die Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften nicht ohne Folgen für die Wolfener Filmfabrik geblieben. So hatte sich bereits 1945 das Gros des Managements und der Wissenschaftler nach Leverkusen und München aufgemacht. Ferner hatten die amerikanischen Besatzer in ihrer kurzen Amtszeit Teile der wissenschaftlichen Bibliothek, Unterlagen über Patente sowie Forschungsergebnisse abtransportieren lassen und die bis dato geheimen Wolfener Rezepturen sukzessive veröffentlicht. Die Entwicklung der Filmwirtschaft der DDR zur Produktionskonzentration bei gleichzeitiger Spezialisierung fand ihren Abschluß in der Bildung des Fotochemischen Kombinates Wolfen, dem u.a. die Fotochemischen Werke Berlin, das Gelantinewerk Calbe und das Fotopapierwerk Dresden angehörten. Der Erfolg von einst wiederholte sich jedoch nicht, Qualitätsprobleme im Colorfilmbereich ließen Marktanteile schwinden. Der Anschluß an internationale Trends, wie das neue Konfektionierungsverfahren (Filmkassetten für Schnelladekameras), gelang nur über Lizenznahmen.

Die Wende

Die politischen Veränderungen der Jahre 1989/90 brachten auch für die Filmfabrik Wolfen neue Ausgangsbedingungen mit sich. Völlig überaltete Produktionsanlagen wurden geschlossen. Das Fotochemische Kombinat wurde aufgelöst, der Volkseigene Betrieb Filmfabrik Wolfen zunächst in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 1992 wurde diese wiederum in die Wolfener Vermögensverwaltungsgesellschaft und die Filmfabrik Wolfen GmbH gespalten, welche zuletzt die Herstellung und den Vertrieb von Filmmaterialien einschließlich der Zwischenprodukte in sich vereinigte. Doch konnte das angestrebte Ziel, als vierte Marke auf dem deutschen Markt zu bestehen, nicht erreicht werden. Ferner war der ORWO-Film für die Stammkundschaft in Osteuropa und der Dritten Welt nach der deutschen Währungsunion nicht mehr bezahlbar. Trotz langjähriger Verhandlungen mit verschiedenen Kaufinteressenten erklärte die Treuhandanstalt im Herbst 1994 das Vorhaben einer Gesamtprivatisierung der Filmfabrik Wolfen für gescheitert. Die Teilbereiche Forschung, Filmherstellung und Konfektionierung wurden nunmehr einzeln feil geboten und der Liquidator bestellt. Obwohl auch Konzepte von Investoren zum Erhalt der Filmproduktion vorlagen, besteht das "Original Wolfen" heute nur noch als Verpackung fort.

Das Erbe

Begibt man sich auf Spurensuche, trifft man im wesentlichen auf drei Anlaufpunkte. Der Aufbau einer wissenschaftlichen Bibliothek begann parallel zum Aufbau der Filmfabrik. In diese wurden später auch die Bibliotheken der beiden Berliner Vorläufer integriert. Trotz des Aderlasses im Jahre 1945 und dank einer großzügigen Beschaffungspolitik umfaßt der Bestand heute über 155.000 Monographien und 550.000 Patentschriften. Noch 1992 wurden etwa 300 aktuelle internationale Periodika bezogen. Ferner wurden die wissenschaftlichen Bibliotheken der Farbenfabrik in Greppin und des Chemischen Kombinates Bitterfeld nach der Wende in der DDR übernommen. Wie auch das ebenso traditionsreiche Firmenarchiv ist die Bibliothek heute Eigentum der Wolfener Vermögensverwaltung AG i[n]. L[iquidation], deren weiteres Schicksal am Standort Wolfen angesichts leerer Kassen nicht gesichert scheint. Ca. 2000 lfd. Meter Archivgut und rund 12.000 Fotos dokumentieren Agfa-, IG Farben- und ORWO-Geschichte. Hauptnutzer sind gegenwärtig die neuen Eigentümer und Nachfolgeeinrichtungen auf dem Gelände des Industrieparks Wölfen sowie ehemalige Mitarbeiter, die z.B. für die Rentenberechnung Beschäftigungszeiten nachweisen müssen. Als 1990/91 mit dem Abbau veralteter Produktionsanlagen im Faser- sowie im Filmbereich begonnen wurde, entstand die Idee, komplette Produktionsstrecken, Maschinen und Geräte im Rahmen eines Museums zu erhalten. Mit öffentlichen Fördermitteln des Landes Sachsen-Anhalt und durch den Bund unterstützt, begann der "Industrie- und Filmmuseum Wolfen e.V." mit der Sichtung und Sammlung potentieller Ausstellungsstücke. Als Standort wurde ein unter Denkmalschutz gestelltes Gebäude aus dem Jahre 1909/10 gewählt, welches bis 1990 die Begießerei I, eine Produktionsstrecke zum Aufbringen der Emulsion auf die Filmunterlage, beherbergte - also ein Museum am Originalschauplatz mit originalen Exponaten. Daneben wurden weitere Anlagen und Maschinen zusammengetragen, um möglichst viele Schritte von der Herstellung der Filmunterlage bis zur Auslieferung des verpackten Films zu dokumentieren. Neben modernen Produktionsanlagen verwahrte der teilweise restlos veraltete Maschinenpark des Volkseigenen Kombinates durchaus historische Schätze, denen nunmehr der nahtlose Übergang von der Produktion ins Museum beschieden war.

Angesichts des massiven "Rückbaues" war für die Projektgruppe des Museums zur Rettung interessanter Objekte Spürsinn nötig und mitunter Eile geboten. Im Dezember 1993 wurde ein erster Teilbereich des Industrie- und Filmmuseums geöffnet. Bei einer Führung durch ebenfalls noch "originales" Personal lernt der Besucher unterschiedliche Abschnitte der Filmherstellung kennen, eine Mischung aus Nostalgie und praktischem Anschauungsunterricht. Daneben gewinnt er auch einen Überblick über den jahrzehntelangen Einfluß der Agfa bzw. der Filmfabrik auf das soziale Umfeld und die Entwicklung Wolfens vom Dorf zur Stadt.

Babett Stach (filmdienst 8/1997)

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