Zwischen Aufbruch und Abbruch.
Situationsbeschreibung am Einzelfall – Kino in Cottbus
von Harald Schüren
Im Regierungsbezirk Cottbus versucht die Treuhandanstalt, die bis zur „Wende“ staatlich dirigierte Kinolandschaft zu privatisieren, ohne dass sich neue Monopole bilden. Gleichzeitig engagieren sich lokale Filminitiativen beim Aufbau einer nichtkommerziellen Filmarbeit. Die Kinoszene im südöstlichen Zipfel von Brandenburg ist ein Beispiel für die mühsamen Bestrebungen, der Filmkultur in den neuen Bundesländern auch unter marktwirtschaftlichen Bedingungen einen Platz zu sichern.
Gebäude und Inventar sind bewertet. Die Eröffnungsbilanz ist erstellt. Eine öffentliche Ausschreibung war nicht nötig. Die Angebote der Bewerber lagen schon lange auf dem Tisch. Die Unterlagen mit den Empfehlungen sind zur Treuhand-Zentrale in Berlin gegangen. Dort wird jetzt entschieden - nicht nur über die Privatisierung von Konkursmasse der ehemaligen Bezirksfilmdirektion, sondern auch über das zukünftige Gesicht der Kinolandschaft im südöstlichen Teil von Brandenburg. Der Regierungsbezirk Cottbus: 8.262 Quadratkilometer mit 885.365 Einwohnern. 42 Kinos gab es hier noch, allein vier in Cottbus mit seinen 130.000 Einwohnern. Bislang haben 18 Filmtheater durchgehalten. Die komplette Abspielbasis steht somit zum Verkauf. Die Bewerber sind die UFA-Theater-AG, die Flebbe-Theaterbetriebe, die Krüger-Quiring-Theaterbetriebe, einige kleinere Kinobetreiber aus dem Westen sowie einige Privatleute aus dem Osten.
Privatisierung ohne Monopolisierung
Das Angebot der Treuhänder an die großen und kleinen Bewerber ist einfach: Kino gegen Kapital. „Wir wollen, dass die Kinolandschaft erhalten bleibt“, sagt Ralf Siewert von der Treuhandstelle Cottbus. „Aber Kapital muss her. Es macht wenig Sinn, wenn wir einem Liebhaber mit viel Idealismus ein Kino geben, dem dann nach kurzer Zeit das Geld ausgeht. Unsere Vorentscheidungen sind gefallen.“ Der Stand der Dinge: 13 Häuser – einschließlich zur Zeit geschlossener Theater – gehen an die UFA, darunter die „Filetstücke“ der Region. Flebbe-Gruppe und Krüger-Quiring erhalten den Zuschlag für jeweils drei weitere Kinos. Drei Kommunen wollen ihre Kinos selbst benutzen. 12 Säle sollen von privaten Bewerbern übernommen werden. Vorbedingung für alle ist eine Beschäftigungsgarantie bis zum 31. Dezember 1991. „Wir streben eine ausgewogene Verteilung an“, erklärt Siewert das Cottbuser Modell. „Wir wollen verhindern, dass ein Bewerber sich die Rosinen rauspickt.“ Faustpfand zur Verhinderung einer schnellen neuerlichen Monopolisierung sind weitere sechs Kinos, die nicht an die UFA, sondern an Flebbe und Krüger-Quiring gehen könnten. Siewert: „Das Angebot steht. Aber beide zögern, sie wollen nicht die Konkurrenz aufnehmen. Falls sie nicht zuschlagen, haben wir noch eine Menge anderer Kleinbewerber aus den alten Bundesländern“, gibt sich der Treuhand-Manager selbstbewusst.
Zukunft durch den Markt?
Ist dies das begründete Vertrauen in die Schubkraft eines Reißbrett-Modells oder der Auftakt für das große Kinosterben, weil nach dem Aufkauf aus wirtschaftlichen Interessen die große Schließungswelle anlaufen wird? „Das wird hier bald totes Land sein. Die Kinos in den kleinen Städten wird es nicht mehr geben“, sagt Dorothea Wentzke, Geschäftsführerin der „Cottbuser Filmtheaterbetrieb GmbH“ in der Bahnhofstraße, die die ehemals volkseigenen Kinos seit der „Wende“ weiterbetreibt. „Es gibt kein Überleben, aber es gibt auch keine Alternative zum jetzigen Weg.“ Die Bilanz, die Wentzke zieht, ist bitter. Am 1. Juli 1990 übernahm die neugegründete „Cottbuser Filmtheater GmbH“ die volkseigenen Kinos. Ein Start ins Aus, weil die Subventionen der ehemaligen Bezirksfilmdirektion wegfielen. Der Preis für die Kinokarte stieg von 1,50 DM auf 5,00 bis 7,00 DM – für viele Zuschauer zuviel. Dazu etablierte sich die neue Konkurrenz Video: 40 Videotheken schossen allein in Cottbus aus dem Boden. Kein Filmtheater konnte Gewinn machen. Die Löhne konnten bis Februar gezahlt werden, dann begann der Personalabbau - von 400 auf 140 Beschäftigte. Die UFA stieg mit ihrer Programmplanung ein: West-Programm und „Mainstream“.
Heute werden noch 18 Kinos betrieben. Der Verschleißgrad von Einrichtung, Technik und Bausubstanz liegt bei 70 Prozent. Jetzt steht der Verkauf unter der Führung der Treuhandanstalt an. Die Aussichten? „Wir sind froh, dass die UFA bereit ist, Arbeitskräfte zu übernehmen und Investitionen zu tätigen“, sagt Dorothea Wentzke. Eine realistische Einschätzung? Wahrscheinlich werden sich nur acht bis zehn Kinos insgesamt halten können.
Der Kampf um die Kinokultur
Szenenwechsel ins „Glad-House“, Straße der Jugend 16. Hier, im zweiten Stock des Cottbuser Jugendzentrums haben sich die Mitglieder des Clubs „Kommunales Kino Cottbus“ einen Abspielraum eingerichtet. Kleine Leinwand, 60 Plätze, zwei alte Projektoren, die eine der ehemaligen mobilen Betriebskinogruppen zur Verfügung gestellt hat. Seit dem 8. September 1990 macht das „Kommunale Kino“, ein Zusammenschluss dreier Filmclubs, Programm: von Andy Warhol zu Margarethe von Trotta, von Rosa von Praunheim bis zu Louis Malle. „Wir können und wollen kein kommerzielles Kino machen, wir sehen den Film nicht nur als Ware, sondern auch als Kunstform“, umschreibt Peter Fischer den Ansatz der kommunalen Initiative. „Wir haben unser Publikum, das bereit ist, andere als die üblichen Filme zu sehen.“ Die Bedingungen, unter denen der Aufbau des „Kommunalen Kinos“ angepackt wird, sind mehr als bescheiden. Die Unterstützung beläuft sich auf 5.000 DM für die Unterstützung des laufenden Betriebes sowie eine Geschäftsstelle für das letzte Jahr. Für 1991 sind noch keinerlei konkrete Beiträge zugesagt. Die Kommune ist fast bankrott und hat andere Sorgen, fürchtet die große Arbeitslosigkeit im Braunkohle-Revier. Inzwischen ist für jeden Film eine Garantiesumme von 250,00 DM fällig. Zusätzlichen Ärger machen die Vorrechte der kommerziellen Kinos bei den Verleihern. Die Kinomacher befürchten eine „schwarze Liste“ der Filme, die nicht allzu schnell in den neuen Bundesländern anlaufen sollen. Trotzdem stellen die fast ausschließlich ehrenamtlich arbeitenden Mitglieder bis jetzt ein Programm von acht Filmen pro Monat auf die Beine. Es gab Kontakte zu westdeutschen nichtkommerziellen Kino-Initiativen. Auch finanzielle Hilfe ist im Gespräch - aber eben nur im Gespräch. „Die Situation in den westdeutschen Ländern ist nicht übertragbar“, betont Fischer. „Wir müssen unseren eigenen Weg finden.“ Das Erstaunlichste ist, dass trotz der bevorstehenden Übernahme der Kinos durch die westdeutschen Giganten keine Untergangsstimmung herrscht, eher ein verbissener Durchhaltewillen. Cottbus ist die erste Stadt, die sich an der Gründung eines kommunalen Kinos versucht. Drei andere Kommunen planen einen ähnlichen Weg: Überlebenstraining der Kinokultur in den Nischen der Mehrzweck-Kulturzentren. Das Fazit des Kulturreferenten von Cottbus, Herbert Nahly, klingt wie das dazu trotzig entworfene Programm: „Monopolisierung? Unsere Möglichkeiten dagegen sind doch gleich null. Deshalb müssen wir da durch. Wir versuchen das Machbare. Unser kommunales Kino wird die Aufgabe haben, unter schweren Bedingungen diejenigen Filme zu zeigen, die sonst niemand mehr sähe.“
In der Kinolandschaft in Cottbus ist die Marktwirtschaft auf dem Vormarsch. Bleibt die Kultur auf der Strecke? Oder werden die Sicherungen, die die Treuhandanstalt eingebaut hat, halten und Raum lassen für die Versuche, Kino als Kulturträger auch ohne das Diktat „Markt“ weiter am Leben zu halten?
Harald Schüren (filmdienst 9/1991)