Die Ostalgie ist vorbei.
Die DEFA-Stiftung zwischen Erbpflege und Talentförderung
von Bernd Buder
Stanislaw Mucha, Fatih Akin und Hans Weingartner sind einige der Preisträger des Preises zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses, den die DEFA-Stiftung seit 2001 vergibt. Die im Dezember 1998 gegründete Stiftung dient dem Erhalt und der Pflege des DEFA-Films sowie seiner Nutzbarmachung. Darüber hinaus schreibt die Satzung als nahezu gleichwertigen Zweck vor, die deutsche Filmkunst zu fördern. Mit der Vergabe von Förderpreisen und zunehmender Präsenz auf deutschen Festivals hat sich die DEFA-Stiftung in der filmkulturellen Szene etabliert. Ziel ist es, die archivarischen Aufgaben ständig neu zu formulieren und aktiv an der Gestaltung der deutschen Filmlandschaft teilzunehmen.
Noch 2002 verspottete die „Berliner Zeitung“ die Preisvergabe der DEFA-Stiftung als „Veteranentreffen“. Damals war der Aufbau der Stiftung gerade erst abgeschlossen, der rechtliche Rahmen abgesteckt und die Finanzierung auf eine solide Grundlage gestellt. Mit der Vergabe des Förderpreises an Fatih Akin im selben Jahr bewies man zudem frühzeitig Weitsicht – Akin holte drei Jahre später den „Goldenen Bären“ auf der „Berlinale“ – und postulierte den Anspruch, einen Beitrag zur Weiterentwicklung des deutschen Films zu leisten. „In den letzten Jahren hat sich die Stiftung in der deutschen Öffentlichkeit platziert“, sagt Helmut Morsbach, seit 2003 Vorstand der DEFA-Stiftung. Die DEFA-Stipendien würden inzwischen als „Qualitätsmerkmal“ zur Kenntnis genommen. Morsbach hebt ausdrücklich die Gründungsarbeit seines Vorgängers Wolfgang Klaue hervor, auf die er aufbauen konnte. Nicht zuletzt mit dem Ausbau der Präsenz auf verschiedenen Filmfestivals – zur Zeit werden Förderpreise in Chemnitz, Cottbus, Dresden, Leipzig, Saarbrücken und Schwerin vergeben – ist die DEFA-Stiftung in den Fokus der Fachöffentlichkeit gerückt.
Eine private Stiftung
Die Förderung des filmkünstlerischen Nachwuchses ist zu einer wichtigen Aufgabe avanciert. Gleichzeitig werden mit der Vergabe von Programmpreisen Spielstätten und Festivals unterstützt, die sich innovativ und diskursreich mit dem DEFA-Film beschäftigen und helfen, die bisherige Auseinandersetzung um neue Aspekte zu bereichern. Die Palette der prämierten Institutionen reicht vom Landkino Arnsdorf bis zum Österreichischen Filmarchiv. Dass die Verbindung zwischen den beiden Aufgaben der Stiftung, zwischen der Förderung des zeitgenössischen deutschen Kinos und der Pflege des ostdeutschen Filmerbes und dessen Aufarbeitung nicht zum Spagat zwischen Heute und Gestern verkommt, liegt nicht zuletzt an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Stiftung. Denn im Unterschied zu ähnlichen Institutionen ist die DEFA-Stiftung eine private Stiftung, was sie von vielerlei bürokratischen Zwängen entbindet. Auf der anderen Seite werden damit neue wirtschaftliche Notwendigkeiten geschaffen.
In diesem Jahr wird die DEFA-Stiftung für Preisgelder, Förderstipendien und zur Unterstützung von Veranstaltungen 800.000 Euro aufbringen – Geld, das „erst einmal verdient werden muss“, so Morsbach. Dazu hat der Bund bei der Gründung der Stiftung „Teile des nationalen Kulturerbes in die Hände einer privaten Stiftung gegeben“. Während das Bundesarchiv weiterhin der staatlich garantierten Verpflichtung zum Erhalt der Filmkopien nachkommt, fließen die Erlöse der Kino- und Fernsehvermarktung zum großen Teil an die DEFA-Stiftung. Zur Finanzierung der Stiftungsarbeit wurde bei der Gründung der Erlös aus dem Verkauf einer Immobilie in Berlin-Mitte als Stiftungskapital festgeschrieben. Aus dessen Zinsen und den Einnahmen der Verwertungsgesellschaften finanziert sich die Stiftung heute. Neben dem Progress Film-Verleih, der vertragsgebunden bis Ende 2012 mit der Kinodisposition in Deutschland, der Verwertung der Weltrechte und der Auswertung der Fernsehrechte betraut ist, gehört auch der DVD-Vertrieb „Icestorm“ dazu. „Icestorm“ verlegt weltweit Editionen mit DEFA-Klassikern, aber auch unbekannteren Filmen. Die Nachfrage reicht weit ins Ausland; vor allem in den USA konnte ein Markt erschlossen werden, und vor kurzem wurde der Vertrieb sogar auf Namibia ausgeweitet. Ein wesentlicher Umsatz wird auch mit Zweitverwertungen des umfangreichen dokumentarischen Materials sowie von Spielfilmszenen gemacht. Zu Jübiläen wie dem 60. Jahrestag der DEFA-Gründung, aber auch zu politischen Großereignissen bietet der Progress-Ausschnittdienst gezielt Material an. Vor kurzem hat die Stiftung auch das Zeitzeugen-Archiv Thomas Grimm erworben. 15 Jahre lang hat Grimm Selbstzeugnisse von über 1000 Personen mit der Videokamera dokumentiert.
Zusammen mit den Beständen der ehemaligen Cintec Film- und Fernsehproduktionsgesellschaft, die zwischen 1985 und 2004 für öffentlich-rechtliche Sender Dokumentationen und Beiträge zu Kultur, Politik und Alltag in der DDR produzierte, verfügt die DEFA-Stiftung damit über fast 9000 Kassetten und 2000 Stunden Filmmaterial, die den Alltag in der DDR und das Zusammenwachsen beider deutscher Staaten dokumentieren und anhand autobiografischer Erinnerungen reflektieren. Die Vermarktung dieses zeitgeschichtlich wertvollen Fundus obliegt der vor kurzem gegründeten „defa-spectrum“, die das Archivmaterial nach Verwertungsgesichtspunkten katalogisiert. In der Stiftungssatzung wird der DEFA-Film zum „nationalen Kulturerbe“ erklärt, unabhängig davon, ob es sich dabei, so der damalige Staatsminister Michael Naumann in seinem Statement zur Gründung der DEFA-Stiftung, um eine „widerspruchsvolle Reflexion der Zeit“ handelt oder um „propagandistische Filme ... (als) aufschlussreiche Dokumente über die SED-Diktatur“. Der Stiftung wurden die Rechte an sämtlichen Kinofilmen übertragen, die in der DDR und zuvor in der sowjetischen Besatzungszone von den Studios der DEFA gedreht wurden, etwa 950 Spielfilme, 820 Animationsfilme sowie 5200 Dokumentarfilme und Wochenschauen. Dazu kommen etwa 4000 deutschsprachige Synchronfassungen ausländischer Filme, die für die Kinoauswertung in der DDR angefertigt wurden. Während der Erhalt der Kopien vor allem dank der Arbeit des Bundesarchivs heute kaum Probleme aufwirft, sind immer noch Aufführungsrechte an einigen Filmen zu klären. Dazu gehört der Rückkauf von Rechten, die in der Wendezeit über den DEFA-Außenhandel leichtfertig veräußert wurden, genauso wie die Ermittlung von Rechteinhabern. Oft muss, bevor ein Film wieder öffentlich aufgeführt werden kann, ein Mosaik an Literatur- und Musikrechten mühselig rekonstruiert werden. Bei Rainer Simons „Die Frau und der Fremde“ etwa, der 1985 auf der „Berlinale“ mit einem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, scheitert man derzeit daran, dass einer der Rechteinhaber schlichtweg nicht zu ermitteln ist.
Untergegangene Filme
Die DEFA-Stiftung bemüht sich, nach der Popularität der Verbotsfilme in den 1990er-Jahren verstärkt Filme hervorzuheben, die aus verschiedenen Gründen untergegangen sind. Morsbach nennt als Beispiel die „Überläuferfilme“, die 1990, kurz nach der politischen Wende in der damaligen DDR, fertig wurden. In diesem Jahr unterstützte die Stiftung eine Filmreihe des Festivals Max-Ophüls-Preis, die DEFA-Debütfilme aus der Vorwendezeit zeigte. Bei der Rezeption der Filme stößt man auf die altbekannten Probleme, die Veranstaltern von Filmreihen fast immer begegnen: „Die Leute gehen eher in Filme, die sie schon kennen.“ Neben Klassikern wie „Spur der Steine“ und „Die Legende von Paul und Paula“ ist es schwer geworden, unbekanntere Arbeiten für ein größeres Publikum zu positionieren. Dabei sind es oft die weniger bekannten Produktionen wie „Die Architekten“ (1990), die Raum für unvoreingenommene Sichtweisen zulassen. Nach einer Vorführung vor Städtebauern in Köln etwa fanden die Zuschauer von Peter Kahanes Drama über einen Architekten, der mit seinem Plädoyer für menschengerechtes Bauen am Misstrauen seiner Vorgesetzten scheitert, ihre eigene berufliche Situation punktgenau beschrieben; nur dass heutige Architekten nicht ideologischer Bedenkenträgerei, sondern dem Diktat wirtschaftlicher Notwendigkeiten unterlägen. Solche Neuinterpretationen reizen Morsbach. Sie zeigen, dass DEFA-Filme auch heutige Lebenswirklichkeit reflektieren können. Obwohl die politischen Zusammenhänge, in denen sie entstanden, weggebrochen sind, ist ein Großteil der Filme aktuell geblieben. Jenseits aller Fakten um ihre Entstehung, um politische Einflussnahme bis zur Zensur, bieten sie heute eine Folie zur aktuellen Gesellschaftsbetrachtung.
Ein wachsendes Interesse an der DEFA ist in den USA zu beobachten, was der Pionierarbeit des Fachbereichs für Germanistik und Skandinavistik an der „University of Massachusetts“ in Amherst zu verdanken ist. Dort erwarb man 1990 die Film- und Videobestände der Washingtoner DDR-Botschaft. Seitdem entwickelte sich in Amherst eine eigenständige DEFA-Forschung mit Breitenwirkung. Im Jahr 2002 war Frank Beyer zu einer achtwöchigen Vortragsreise unterwegs, die ihn an 52 amerikanische Universitäten führte. Im Oktober 2005 präsentierte das New Yorker Museum of Modern Art (MOMA) eine gut besuchte Reihe mit 21 DEFA-Filmen, die anschließend an fünf weiteren Orten in den USA nachgespielt wurde. Beyers Verbotsfilmklassiker „Spur der Steine“ fehlte, dafür kamen wichtige Filme „aus der zweiten Reihe“ wie Evelyn Schmidts „Das Fahrrad“ und „Dein unbekannter Bruder“ von Ulrich Weiß zur Aufführung, daneben auch einige Dokumentar- und Animationsfilme, die im Ausland bisher nur selten zu sehen waren.
Trotz des ostdeutschen Schwerpunkts versteht sich die DEFA-Stiftung als gesamtdeutsche Institution. Mit der in Bremen geborenen Valeska Grisebach erhielt 2002 eine westdeutsche Filmemacherin ein Förderstipendium zur Recherche für ihren Spielfilm „Sehnsucht“, mit dem sie es in diesem Jahr in den Wettbewerb der „Berlinale“ schaffte. Die DEFA-Stiftung ist zur Zeit die einzige Institution, die eine Rechercheförderung in Form von Stipendien anbietet. Das Spektrum reicht von der Rechercheförderung für Dokumentar-, Animations- und Spielfilmprojekte über ehrgeizige Forschungsprojekte, die sich etwa dem Ideologiegehalt im DEFA-Märchenfilm oder, unter dem griffigen Titel „Last Features – DEFA’s lost Generation“ dem Schicksal der letztproduzierten DEFA-Filme widmen, bis zu archivischen Projekten wie der Aufarbeitung des Firmenarchivs des 2005 ums Leben gekommenen Potsdamer Film- und Fernsehproduzenten Thomas Wilkening. Die Nachfrage nach Stipendiengeldern ist in den letzten Jahren ständig gestiegen. Im Herbst 2005 wurden 129 Förderanträge eingereicht, knapp über 40 davon konnten mit der zur Verfügung stehenden Fördersumme von rund 240.000 Euro positiv beschieden werden.
60 Jahre DEFA
Wenn sich am 17. Mai zum 60. Mal der Gründungstag der DEFA jährt, ist dies für die DEFA-Stiftung ein Jahrestag, der begangen werden muss – über das „Wie“ gab es lange Diskussionen, nicht nur stiftungsintern. Dazu befragte man im Vorfeld ehemalige Mitarbeiter und Künstler, in den Statements wurde die DEFA mal als „Familie“ und „Heimat“ bezeichnet, mal als „handwerkliches, nicht ideologisches Zuhause“, oft war von „Versagen“, „Schuld“, „Hoffnung und Enttäuschung“ die Rede. Von den ehemaligen Mitarbeitern, die die DEFA aus politischen Gründen verlassen haben oder mussten, gaben einige an, „nie wieder“ das Firmengelände betreten zu wollen; andere haben inzwischen die innere Distanz gefunden, um nach vielen Jahren zurückzukehren. Die Ambivalenz dieser Aussagen führte frühzeitig vor Augen, dass der 17. Mai „auf keinen Fall ein Betriebsfest“ (Morsbach) werden sollte. Im Vordergrund wird der Begegnungscharakter zwischen den Generationen stehen und „ein Nachdenken über das, was wir da begehen“. Dabei werden auch Berufsgruppen und Personen ins kollektive Gedächtnis zurückkehren, die in der Vergangenheit von der breiten Öffentlichkeit vergessen wurden. Die Handwerker der DEFA zum Beispiel, von den Kulissenbauern bis zum technischen Personal, und Persönlichkeiten wie Karl Hans Bergmann, der erste Verwaltungsdirektor der DEFA, der 1950 politische Schwierigkeiten bekam, nach West-Berlin ging und dort zunächst bei der „Berlinale“, dann als Geschäftsführer der freien Volksbühne wirkte.
Das Schicksal Bergmanns, dessen Tätigkeit als zweiter Gründungsvater der DEFA neben dem heute ungleich populäreren Regisseur Kurt Maetzig nahezu vergessen ist, zeigt, wie die politisch motivierte Manipulation der DDR-Geschichtsschreibung bis heute fortwirkt. Daran zu erinnern, gehört auch weiterhin zu den wichtigen Aufgaben der DEFA-Stiftung, auch wenn die Verbotsfilme aus den 1960er-Jahren im Rahmen des DEFA-Jahrestages keine Rolle spielen werden.
Weites Aufgabenfeld
Das DEFA-Jubiläum fällt in eine Zeit, in der im In- und Ausland zunehmendes Interesse an der ostdeutschen Filmgeschichte erkennbar wird. Die Filme aus Babelsberg gehören unstrittig zum gesamtdeutschen Kulturerbe, und in manchem Feuilleton werden in den künstlerischen Erben der DEFA die sensibleren Filmemacher verortet. Von punktgenauer Alltagsbetrachtung, von einfühlsamer Beschreibung sozialer Realitäten, ausgedrückt in persönlichen Geschichten, ist da oft die Rede. Manchmal werden Traditionslinien konstruiert, als deren populärste Vertreter im Dokumentarfilmbereich Volker Koepp und Barbara und Winfried Junge genannt werden.
Beim Spielfilm ist es Andreas Dresen, der erst kürzlich von einer von der DEFA-Stiftung geförderten US-Tournee zurückkehrte. Morsbach reagiert zurückhaltend, wenn es darum geht, ästhetische, dramaturgische oder inhaltliche Traditionslinien der DEFA zu benennen. „In den 1980er-Jahren hätte man sich in der DDR einen Film wie ,Sommer vorm Balkon’ gewünscht“, meint er und erwähnt die sozialkritischen Momente; absehbar ist allenfalls, dass die Zeit von Filmen wie „Sonnenallee“ oder „Good bye, Lenin!“ vorbei ist. Morsbach: „Gott sei Dank sind vor allem die Ostalgie-Geschichten der Fernsehsender vorbei und kommen hoffentlich auch nicht wieder.“ Filme wie „Das Leben der anderen“, die man zwar durchaus kritisch sehen sollte, eröffnen dem breiten Kinopublikum einen neuen, reflektierenden Blick auf die DDR, der dem populären deutschen Kino in letzter Zeit abhanden gekommen ist – insofern müsse man „froh sein, dass es ihn gibt“.
Der DEFA-Film sei eigentlich ein „abgeschlossenes Sammelgebiet“, unkten manche bei der Gründung der DEFA-Stiftung. Doch diese bewegt sich heute munter im Spannungsfeld zwischen historischer Aufarbeitung und Ostalgie, zwischen Pflege des Erbes und Nachwuchsförderung. Auch wenn man die Rezeptionsmuster des DEFA-Films vielleicht nur wenig ändern kann, so erlaubt man sich doch immer wieder unverstellte Blicke auf die Vergangenheit, um dem Altbekannten neue Sichtweisen hinzuzufügen. Mit dem Instrumentarium der Förderpreise und Stipendien gelingt es sogar, Einfluss auf die weitere Entwicklung des deutschen Films zu nehmen.
Bernd Buder (filmdienst Sonderheft 10/2006)