Keine Stadt der Zukunft.
Zu Peter Kahanes Film „Die Architekten“
von Ralf Schenk
Nach seinen Jugendfilmen „Ete und Ali“ (1985) und „Vorspiel“ (1987) plante Peter Kahane die Verfilmung einer Erzählung von Friedrich Wolf über einen Juden und einen Kommunisten, die sich im Zweiten Weltkrieg in einem französischen Internierungslager begegnen, aneinander reiben und sich annähern. „Jules“, wie der Film heißen sollte, wurde nicht genehmigt: DEFA-Generaldirektor Hans Dieter Mäde lehnte das Projekt ab, weil ihm die unkonventionelle, undidaktische Sicht auf das Thema Exil, Widerstand und Solidarität suspekt war. Kahane, damals knapp 40 Jahre alt, wurde so gleichsam sein eigener Blick auf die Dinge abgesprochen, womit er das Schicksal vieler Filmemacher seiner Generation teilte. Gemeinsam mit anderen brachte er 1988 seine Erfahrungen zu Papier; in dem „Manifest der Nachwuchsgruppe“ gaben die Autoren ihrem Zorn Ausdruck, plädierten für einen „Bruch mit jeder Form von Tabuisierung“, für Selbstbewusstsein gegen Selbstzensur. Die DEFA, so hieß es, bräuchte „extreme Positionen“. „Aufgabe ist es, durch Zuspitzung in Prozesse der Realität einzugreifen, deren Resultat noch nicht feststeht. Es gilt, den Spaß an der provozierenden Sicht wieder zu entdecken.“ Das „Manifest“ war ein Aufbäumen gegen die Verhinderungsmechanismen in der Filmproduktion der DDR, die sich immer wieder stärker als das Durchsetzungsvermögen vor allem jüngerer Regisseure erwiesen.
„Die Architekten“ geriet für Kahane zur existenziellen Nagelprobe, zum „letzten Versuch, in dem ich alles, was ich erfahren hatte, loswerden wollte“. Er und sein Autor Thomas Knauf erarbeiteten ein Szenarium „frei von allen Vorgängen der inneren Zensur, konzentriert auf die Frage des Umgangs mit Menschen, die etwas Besonders wollen. Die Verabredung, ehrlich, offen, unkontrolliert durch die innere Vorzensur zu schreiben, gab uns Freude“ (Kahane). Hauptfigur ist Daniel Brenner, ein junger, engagierter Architekt, der seit dem Ende seines Studiums darauf wartet, sein Können unter Beweis zu stellen, doch statt eigener Bauten wird ihm bestenfalls die Projektierung von Busstationen und Transformatorenhäuschen angeboten. Dieser frustrierenden Situation glaubt er zu entkommen, als er mit dem Auftrag betraut wird, für eine Ost-Berliner Satellitenstadt ein großzügiges sozio-kulturelles Zentrum zu entwerfen. Als Bedingung bittet er darum, seine Mitarbeiter selbst auswählen zu dürfen. Sie entwerfen Ideen für eine Trabantenstadt, die nicht nur aus genormten Wohnsilos besteht, sondern in der es sich wirklich leben lässt. Zu den geplanten Bauten gehören Cafés, Geschäfte und ein Kino, Spielplätze und Promenaden mit viel Grün. Aber Daniel hat die Rechnung ohne die realsozialistische Bürokratie gemacht: Bevormundung und ökonomische Zwänge entstellen das Projekt bis zur Unkenntlichkeit. Während er um „seine“ Stadt kämpft, brechen sich in seiner Gruppe zunehmend Resignation und Zynismus Bahn. Die Freunde beginnen, getrennte Wege zu gehen. Tausende, für die auch Daniels „Stadt der Zukunft“ gedacht war, verlassen die DDR; auch Frau und Tochter verabschieden sich. Vor der Tribüne, auf der die offizielle Feier zum Baubeginn stattgefunden hat, bricht Daniel Brenner zusammen. Kahane: „So endet der Film am Punkt der tiefsten Depression vor dem Herbst 1989.“
Die Geschichte jener jungen Architekten, die sich der Norm und Gleichgültigkeit entgegenstellen, war zugleich eine Metapher für die Situation der Filmemacher. Kahane und Knauf wussten, worüber sie reflektierten: „die Perversion unserer Gesellschaft, in der das verhindert wurde, was eigentlich ihren Sinn ausmachen sollte und die Basis ihrer Existenz ist: Produktivität und Kreativität“. All dies sollte nun nicht mehr – wie vorher so oft – indirekt behandelt werden, etwa im Gewand historischer Allegorien, sondern modellhaft, typisierend, „ganz direkt und deutlich“. Im Dezember 1988 nahm die DEFA-Direktion nach langen Diskussionen das Buch ab. Dennoch dauerte es bis zum 2.10.1989, ehe die erste Klappe fiel. Immer wieder war der Drehbeginn durch die zögerliche Studioleitung verschoben worden. Hans Dieter Mäde hatte seine Funktion als DEFA-Generaldirektor inzwischen aus Krankheitsgründen niedergelegt; der neue Generaldirektor, der langjährige DEFA-Produktionsleiter Gerd Golde, machte Kahane gelegentlich darauf aufmerksam, dass er selbst nicht genau wisse, wie er seinen Genossen in der Kreisleitung der SED diesen Film denn erklären solle.
Das Drehteam wurde bald von einer anderen Art Unsicherheit erfasst. Während es sich am 3.10.1989, in der Hoch-Zeit der politischen Agonie der DDR, noch völlig in seinem Anliegen bestätigt fühlte, kamen zwei, drei Wochen später bereits erhebliche Zweifel auf. Aus dem mutigen Gegenwartsstoff schien über Nacht ein historischer Film zu werden: Die Realität überrollte die künstlerische Erfindung in nie gekanntem Tempo. „Wir dachten“, so Kahane, „wenn wir einen Gegenwartsfilm machen, müssen wir die sich rasant verändernde Gegenwart auch einbeziehen. Wir haben die Demonstration vom 4. November gedreht, Szenen geschrieben, die Daniel in die Auseinandersetzungen des Oktober ’89 gestellt haben. Aber wir begriffen, dass dadurch nicht deutlicher wird, was Daniel erlebt, es ist kein Gewinn, nur eine Aktualisierung. Wir hätten seine Leidensgeschichte durch einen journalistischen Schluss verkleinert.“ So wurden die meisten der neu erfundenen Szenen am Ende nicht in den Film aufgenommen – bis auf eine gravierende Ausnahme: Fürs Finale wählte Kahane die bitterste Variante, Daniels Zusammenbruch im Dreck auf dem Bauland; vor der Tribüne, auf der kurz zuvor der Baubeginn seines Projekts gefeiert worden war. Dazu erklingt ein Chor aus Händels „Messias“: „Denn es ist uns ein Sohn geboren ...“ Ein Sohn, von seinen Vätern verraten.
Die letzte Klappe fiel am 16.1.1990. Uraufgeführt wurde der Film zur Eröffnung des sechsten und letzten Spielfilmfestivals der DDR Ende Mai 1990. Die Reaktionen changierten zwischen retrospektivem Zorn über die noch einmal aufleuchtenden vergangenen Verhältnisse und einer gewissen Ernüchterung über die bisweilen didaktische Form des Films, der weniger auf eine ästhetisierende Bildsprache als auf die rationale Verbalisierung des Themas setzte. „Die Architekten“ erhielten den Sonderpreis der Jury und eine Anerkennung der Katholischen Filmkommission der Berliner Bischofskonferenz. In deren Begründung hieß es: „Trotz der pessimistischen, Verzweiflung ausdrückenden Schlussbilder werden menschliche Werte so herausgearbeitet, dass eine Botschaft den Zuschauer erreichen kann.“ Am 21.6.1990 startete der Film regulär in den Kinos, mindestens ein Dreivierteljahr zu spät, um seine Brisanz entfalten zu können. Denn im Sommer des deutschen Vereinigungsjahres war das Publikum vor allem mit der Währungsunion befasst und ging kaum ins Kino, schon gar nicht in DEFA-Filme über die kollabierende DDR. Während „Die Architekten“ 1990 kaum wahrgenommen wurde, gilt der Film heute als wichtiges Zeitzeugnis über die Endzeit einer Gesellschaft, die von vielen als eine Art Hoffnung angesehen wurde – und scheiterte.
Ralf Schenk (filmdienst Sonderheft 10/2006)