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Die ganze Welt soll bleiben - Erich Fried - Ein Porträt

Director: Roland Steiner, 31 Min., Color, Documentary
Deutsche Demokratische Republik (DDR)
DEFA-Studio für Dokumentarfilme, 1988

Film/Video Format
35 mm
Length in m
845
Other Title
Widerstand
English Title
Erich Fried: The Whole World Should Endure
Release Date (for Cinema)
Film poster for "Die ganze Welt soll bleiben - Erich Fried - Ein Porträt"

(Dir.: Roland Steiner, 1988) Graphic Design: Jan Lengert

Short Summary (English)

Born in the year 1921, Erich Fried, the son of jewish parents, had to leave his Austrian home in 1938. He emigrated to London and became a writer. He faced the public, both in his readings and in personal discussions. His own fate (he was suffering from cancer) remained in the background. He fought for his idea "The whole world or nothing!"

 

(Quelle: The Whole World or Nothing ! A Portrait of Erich Fried)

Film still for "Die ganze Welt soll bleiben - Erich Fried - Ein Porträt"

(Dir.: Roland Steiner, 1988)

Film still for "Die ganze Welt soll bleiben - Erich Fried - Ein Porträt"

(Dir.: Roland Steiner, 1988) Photography: Rainer Schulz

Film Crew

Director
  • Roland Steiner
Script
  • Roland Steiner
Camera
  • Rainer Schulz
Film Editing
  • Angelika Arnold
  • Johanna Jürschik
Script Editing
  • Annerose (auch: Anne) Richter
Music
  • Brigitte Unterdörfer
Sound
  • Peter Dienst
Production Management
  • Frank Löprich
Narrator
  • Roland Steiner
Person, Primary
  • Erich Fried
  • Petra Fried
  • Catherine Boswell-Fried
Person, Secondary
  • Rudi Dutschke
  • Hilde Domin
  • Georg Büchner
  • Michail Gorbatschow

Short Summary (German)

Dieser Farb-Dokumentarfilm berichtet über Begegnungen mit dem österreichischen Dichter Erich Fried. Der Lyriker geriet oft in Konflikt mit der öffentlichen Meinung, wenn er offen und kritisch Stellung zu politischen Themen nahm - das brachte ihm den Beinamen "Stören-Fried" ein. Die andere Seite von Erich Fried, er wühlt im Londoner Sperrmüll nach brauchbaren Gegenständen und repariert seine geliebte Hermes-Schreibmaschine mit handwerklichem Geschick. Trotz seiner Krebserkrankung reist er das ganze Jahr in der Welt umher und hält Vorträge und Lesungen. Sein brillanter Kopf kann wundervolle Sätze und Gedichte formulieren, aber auch auf sein Gedächtnis kann er sich immer verlassen, dadurch bereichert der äußerst bescheidene Erich Fried mit fesselnden Erzählungen diesen Dokumentarfilm.

Summary

0:00:00

Blick über die Schulter von Erich Fried auf die Ostsee (halbtotal). Schwenk von Erich Fried auf Muschelsammler am Strand (halbtotal). Sprecher: "Einen Film machen mit Erich Fried, dem österreichischen Dichter der in London lebt. Nach einer Lesung hörte ich jemanden sagen er hätte seine Menschenfreundlichkeit bei Erich Fried gelernt. Erich Fried selbst hat formuliert was er von einem Freund gelernt hat, für Rudi Dutschke". Im Off hört man Fried sprechen: "Was ich von ihm gelernt habe bleibt jetzt vielleicht zu wenig, aber ich hätte vielleicht von Dir schon genug gelernt wenn ich nichts von mir gelernt hätte außer das eine, das Freiheit, Güte und Liebe sein muß, und das Güte und Liebe Freiheit sein muß, und wirkliche Güte und Liebe ist nicht nur ein Begriff von Güte und Liebe, denn sonst bleibt auch die Freiheit nur ein Begriff. Und aus dem Kampf um Freiheit, Güte und Liebe nicht ohne Freiheit und Güte und Liebe geführt werden kann". Umschnitt

0:01:45

Titeleinblendung: "Die ganze Welt soll bleiben. Erich Fried / Ein Porträt". Umschnitt auf einen Fernsehschirm und einer ausgestrahlten Dokumentation (halbnah): Erich Fried geht mit einem Stock an einer Gefängnismauer vorbei. Fried wartet im Gefängnis auf einen Insassen. Ein junger Neonazi begrüßt Fried im Gefängnis. Neonazi und Fried unterhalten sich am Besuchertisch. Im Off erzählt Erich Fried zu den gefazten Fernsehbildern: "Ich glaube das man gerade Menschen die andere oder feindliche Ansichten haben kennen lernen soll, auch um diese Ansichten dadurch zu erschüttern das man sie mit seinen persönlichen Ansichten konfrontiert, auch wenn diese Menschen Ansichten haben die man für ganz verhängnisvoll hält...(Umschnitt auf den redenden Fried in der TV-Dokumentation)...außerdem, man muß zwei Dinge unterscheiden, die Hoffnung einen Menschen zu beeinflussen, und das Andere, das man einen Menschen, mit einen Menschen sprechen soll weil er ein Mensch ist, auch wenn man ihn nicht beeinflussen kann". Umschnitt in der TV-Dokumentation auf den Ausgang des Gefängnisses. Fried verlässt über die Treppe das Gefängnis. Kameragang neben Erich Fried auf dem Gefängnishof. Umschnitt

0:03:35

Blick auf Erich Fried bei einen seiner Vorlesungen (halbnah) (O-Ton) "Dich dich sein lassen ganz dich. Sehen dass du nur du bist wenn du alles bist was du bist, das Zarte und das Wilde, das was sich losreißen und das was sich anschmiegen will. Wer nur die Hälfte liebt der liebt dich nicht halb sondern gar nicht, der will dich zurechtschneiden, amputieren, verstümmeln. Dich dich sein lassen ob das schwer oder leicht ist? Es kommt nicht darauf an mit wie viel Vorbedacht und Verstand sondern mit wie viel Liebe und mit wie viel offener Sehnsucht nach allem – nach allem was du ist. Nach der Wärme und nach der Kälte, nach der Güte und nach dem Starrsinn, nach deinem Willen und deinem Unwillen, nach jeder deiner Gebärden, nach deiner Ungebärdigkeit, Unstetigkeit, Stetigkeit. Dann ist dieses dich dich sein lassen vielleicht gar nicht so schwer". Fried schlägt das Buch zu und greift nach einem anderen (halbtotal). Umschnitt

0:04:50

Blick aus dem Gartenbereich die Wohnung von Erich Fried in London (halbtotal). Fried kommt an einem Stock gehend aus dem Haus (halbtotal). Schwenk über Erich Fried und seine Frau bei der Durchquerung ihres Gartenbereichs (halbtotal). Frau Fried klopft ihrem Mann auf die Schulter und geht zu ihrem Wagen, Fried spaziert mit einer Aktentasche in der Hand die Londoner Straße hinunter (halbtotal). Fried bleibt vor einem Haus mit Sperrmüll stehen und sucht nach Brauchbarem (halbnah). Schwenk über Fried bei seiner Suche im Sperrmüll (halbnah). Fried ergreift eine Gasmaske (halbnah) (O-Ton) "Eine alte Gasmaske aus dem II. Weltkrieg, kaputt natürlich". Umschnitt auf den Schlitten einer Kopiermaschine (halbnah). Schwenk vom Papierauswurf des Kopierers auf Erich Fried (halbnah). Schwenk von Fried auf eintreffende Kunden in der Buchhandlung (halbtotal). Umschnitt. Blick über die Londoner Geschäftsstraße auf den spazierenden Fried (halbtotal). Fried geht zum PKW seiner wartenden Frau am Straßenrand (halbtotal). Umschnitt

0:07:45

Frage aus dem Off an Erich Fried in seinem Wohnzimmer (halbnah) "Wie geschieht es mit Dir wenn Du Gedichte schreibst, führen die Dich auch ins Freie"? Fried kratzt sich auf dem Kopf und antwortet (halbnah) (O-Ton) "Nein, nicht immer, ich mein ich hab auch schon Gedichte geschrieben, intelligentes, früher, wo ich mich gefragt hab, wie komm ich dazu dieses Gedicht geschrieben zu haben, mit dem ich sozusagen nicht übereinstimme, und das ist dann immer sehr gut gewesen wenn man sich dann psychologisch auf etwas drauf kam. Ich schrieb mal ein Gleichnisgedicht, das hieß "Mein Vater", er nahm mich mit in den Krieg, er hatte ihn selber begonnen, denn er selbst verlangte nach Ehren und Sieg, und man hoffte Helden entronnen. Ein junger Krieger mit Haaren von Gold rammte ihn an auf der Brücke, vor mein Schwert und vor meinem Pferd kam des Vaters Schädel gerollt, er hieb meinen Vater in Stücke. Und dann stieg der junge Krieger vom Pferd und hat sich mir kniend ergeben, ich hieb ihn nicht nieder mit seinem Schwert, ich schenkte ihm Freiheit und Leben...und so weiter. Und dann frage ich mich, wieso habe ich diesen Mist geschrieben, und kam drauf dass das noch ein Teil meiner Hassgefühle gegen meinen Vater war aus Vorpubertätszeit". Abblendung. Frage aus dem Off an Fried "Also kommt es vor das Du Dich während Du vielleicht andere versuchst ins Freie zu führen selbst verirrst"? Fried "Gelegentlich ja, also in späteren Jahren, besonders seit ich eine Analyse gehabt hab ist das in der Form eigentlich nicht vorgekommen, aber man kommt natürlich wenn man eine Formulierung in einem Gedicht findet der einem nicht gefällt dann manchmal schon drauf wieso man diese Formulierung gefunden hat, und das ist dann über einen, entweder über das eigene Liebesleben, oder über ideologische Fragen und so ganz aufschlussreich, denn man ist immer in Gefahr in einem Gedicht zu Klischeeformen zu kommen, auch deshalb weil man Klischeevorstellungen, oder Vorstellungen die einem von den Medien einfach angeboten werden leichtfertig übernommen hat, und da die Aufgabe ist gegen Entfremdung zu arbeiten, in jeder Kunst, ob in Skulptur oder in Gedichten, das ist die oberste Aufgabe, muß man gegen sowas sehr kritisch sein. Wenn man gegen Entfremdung arbeitet dann ergibt sich auch von selbst sozusagen eine gewisser Teil von politischem Engagement, aber nicht jedes Gedicht muß politisch sein, aber auch ein Liebesgedicht muß gegen Entfremdung sein, also zum Beispiel gegen die Klischeevorstellungen das ein Mann in dem er eine Frau liebt auch die Herrschaftsrechte über sie erwirbt, oder Eigentumsrechte". Blick auf den nachdenklichen Erich Fried neben seiner Schreibmaschine (halbnah). Umschnitt

0:11:05

Blick auf Erich Fried (halbnah) dazu der Sprecher: "Seine Darstellungen von Wirklichkeiten suchen den Widerspruch um Klarheit. In seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1987 spricht Erich Fried einen Fall an in dem zum miteinander leben eingeladene Zigeuner wieder aus der Stadt vertrieben wurden". Umschnitt auf gefaztes TV-Material von der Rede des Lyrikers Fried (halbnah) (O-Ton). Sprecher: "Zitat: Heute ist nicht ein einziger mehr hier, Darmstadt ist Romarein. Das Wort ist dem Wort Judenrein nachgebildet". Originalton von Fried mit Blick auf den TV-Schirm (halbnah) (O-Ton). Mit "Bravo"-Rufen und Beifall wird seine Rede im TV beendet, Fried trinkt ein Glas Wasser (Rückwärtszoom vom Redner) (halbnah). TV-Umschnitt auf die applaudierenden Zuhörer im Saal (halbnah). Hilde Domin tritt ans Rednerpult (halbnah) (O-Ton)) "Erlauben Sie mir ein Wort. Ich stimme in vielem mit Ihnen überein...Erich Fried, wir leben in einem finsteren Jahrhundert, aber dass die Bundesrepublik nicht der finsterste Punkt dieses Globusses ist, das beweist das sie an diesem Punkte ihre Rede so frei gehalten haben, in der ?? und in der ??". Mit "Buh"-Rufen tritt die Rednerin Domin vom Pult (halbnah). Schwenk auf die applaudierenden und pfeifenden Zuhörer im Saal (halbnah). Sprecher: "Die spontane Wiederrede kam von der Schriftstellerin Hilde Domin, unten, am Bühnenrand, wartet Erich Fried. Ein Handkuss und Worte machen das weiter reden möglich". Umschnitt auf die TV-Bilder mit Hilde Domin und Erich Fried (halbnah) (O-Ton). Umschnitt

0:13:25

Blick auf den erzählenden Fried an seiner Schreibmaschine (halbnah) (O-Ton) "Ich will ein paar Manuskripte für meinen Verlag abtippen und zu dem Zweck muß ich erst die Maschine in einen gebrauchsfertigen Zustand tun, es ist an sich eine gute Hermes-Maschine, aber sowohl das Farbband funktioniert nicht richtig von selbst, als auch das die Feder gerissen ist die den Wagen betätigt. Wenn ich also so mache (betätigt die Leertaste) so bewegt sich der Wagen nicht. Ich habe hier ein Gewicht das an einem Strick hängt (führt es vor) das lass ich da über die Tischkante gleiten und wenn ich das dann tu (betätigt die Leertaste) dann bewegt sich der Wagen. Mit dem Farbband ist es etwas komplizierter, da hab ich ein Gewicht und hier ein Gewicht (führt es vor) und hier eine Schale, oder so eine Schale (zeigt sie) das ist einfacher, wenn ich es auf dieses Gewicht dran lege dann funktioniert das nicht, dann geht das Farbband nach einer Seite, wenn es dann an der Seite fertig ist dann nehme ich das (zeigt das Gewicht mit der Schale) dann tu ich es auf die andere Seite und tu dort das Gewicht drauf legen, dadurch bewegt sich dann das Farbband auch richtig (spannt Seiten mit Durchschreibpapier in die Maschine)". Umschnitt auf die Konstruktion mit Seilen und Gewichten an der Schreibmaschine (nah) (O-Ton). Weitere Detailaufnahmen des Schreibvorganges (nah). Umschnitt

0:15:20

Blick auf die Familie Fried im Erker ihres Hauses (halbtotal). Lachend unterhalten sich Vater, Tochter und Sohn (halbtotal) (O-Ton). Tochter Petra unterhält sich mit den kleinen Kindern in englischer Sprache (halbtotal) (O-Ton). Ehefrau Catherine Boswell-Fried bereitet das Essen am Herd vor (halbnah) (O-Ton). Umschnitt. Erich Fried in seinem Arbeitszimmer zwischen Büchern und Manuskripten (halbtotal). Fried kommt mit einem Buch an seinen Schreibtisch zurück (halbnah) (O-Ton) "Das ist ein Buch, da hab ich Gedichte geschrieben zu Radierungen die Catherine gemacht hat, weil ich sie dazu bringen wollte wieder Radierungen zu machen und das ist mir auch gelungen. Aus den Gedichten und den Radierungen wurde ein Buch gemacht und sie hat sich dann doch sehr darüber gefreut, und...(Aus dem Off: Kannst Du eines vorlesen?)...ja, dieses da zu verschiedenen Radierungen in einem Spiegel, das ist auch etwas Selbstporträt von ihr, das wollte sie überhaupt vernichten, aber ich habe es bewahrt. Spiegel, wie viel Teile ein Spiegel hat das ich mich salbt in ihm sehe, wie viel Teile das ich mir selbst nicht mehr entgehe. In einem bin ich linkisch, im anderen bin ich gerecht, in einem bin ich gut und im anderen bin ich schlecht. In einem bin ich bedächtig und in einem verzerrt von Gewalt. In einem bin ich jung und in einem schon alt. In einem bin ich zweimal und einer bleibt vor mir leer. In einem bin ich noch nicht und in einem bin ich nicht mehr. Spiegel, Spiegel, Spieglein an keiner Wand, lass mich los, bring mich nicht um den Verstand". Fried schaut in die Kamera (halbnah). Zoom auf die Radierungen im Buch (nah). Umschnitt

0:19:10

Fried erzählt an seinem Schreibtisch (halbnah) (O-Ton) "Das ist ein Schlauch der hier an der Brust in eine Vene hinein geht, hier ein Hahn, der hat einen Stoppel". Fried drückt alles mit einer Zange zusammen, bläst in eine Kanüle und beschäftigt sich mit den Hilfsmitteln die für ihn lebenswichtig sind (halbnah). Sprecher: "Trotz seiner schweren Krebserkrankung ist Erich Fried die meiste Zeit des Jahres auf Lesungen oder politischen Veranstaltungen irgendwo in der Welt. Seine Gedichte entstehen eher auf dem Knie als an seinem Schreibtisch". Umschnitt von Fried auf seine aufgehängte Jacke am Buchregal (halbnah). Schwenk über seinen gefüllten Schreibtisch (halbnah). Schwenk über einen Indianer-Kopfschmuck mit Federn auf das Fenster im Arbeitszimmer (halbnah). Umschnitt

0:20:35

Blick auf den zuhörenden Erich Fried am Schreibtisch (halbnah). Im Off der Reporter: "Mir ist Dein Gedächtnis immer wieder verblüffend entgegen getreten, und es ist sicher ein Glück solch ein Gedächtnis zu haben, aber es ist sicher auch sehr schmerzhaft und wünscht Du Dir nicht manchmal das Du Dinge vergessen könntest"? Fried antwortet (halbnah) (O-Ton) "Nein, auf die Idee, also wünschen ohne nicht zu denken, oder, eigentlich nie gekommen... wahrscheinlich hätte ich sonst nicht dieses Gedächtnis. Das ist also, das ist so wie ich mir nie gedacht hab, ich möchte mich jetzt lieber betrinken oder irgendetwas, also der Gedanke, also eine Vermeidung von schmerzhaften Dingen die nun mal als Realität da ist, ist mir nie gekommen. Das ist also wirklich jetzt zum ersten Mal weil Du mich das fragst das ich mich auseinander setze. Das Gedächtnis ist nicht unbedingt selektiv, das heißt, ich habe eine Erinnerung wo ich mich zu meiner zweiten Frau ganz Elend benommen habe, wirklich so verdrängt, dass ich wenn ich nicht ihren Brief und den Durchschlag meines Antwortbriefes gefunden hätte, sondern wenn mir das jemand vorgelesen hätte. Diese Episode die damals 23 Jahre lang zurück lag, abgeleugnet hätte, ich hätte gesagt das habe ich nie gelesen und das habe ich nie geschrieben, was mir dann also sehr zu denken gab wegen der eigenen Glaubwürdigkeit. Das war also eine Gedächtnislücke, ein Verdrängen". Umschnitt

0:22:10

Blick auf eine Bühne beim Eintreffen von Erich Fried (halbtotal) (O-Ton). Schwenk über Erich Fried bis zu seinem Pult (halbtotal). Bühnen-Hintergrundparole "Solidarität mit den Palästinensern" (halbtotal). Fried setzt sich, nimmt seine Aktentasche hoch und entnimmt ihr ein Buch und ein Redemanuskript (halbtotal). Fried fängt an zu erzählen (halbtotal (O-Ton) "Meine Damen und Herren, liebe Freunde. Ich freue mich hier zu Ihnen sprechen zu können, ich wünschte das der Anlass ein weniger grimmiger wäre. Als Kind jüdischer Eltern wurde ich vor 50 Jahren durch Hitler aus meiner Heimat Österreich vertrieben, und es war für mich später, als die Probleme zwischen jüdischen Siedlern, die aufgestachelt waren vom Zionismus, und der palästinensischen Bevölkerung immer deutlicher wurden, klar dass ich mich nicht mit den Vertreibern sondern mit den Vertriebenen solidarisieren muß...(Beifall im Saal)...das ich auf Seiten der Palästinenser stehe und nicht auf Seiten derer, die nicht nur ein ungeheures Unrecht an den Palästinensern begehen und oft ohne es zu wissen sich an ihren eigenen teufelnden Nazis ein Vorbild nehmen, denn das ist geschehen, und geschieht immer mehr im Laufe der Geschichte, sondern die auch dadurch die Zukunft der dort lebenden Juden immer mehr unmöglich machen...(Umschnitt auf den Redner Fried (halbnah))...Es sind eben die teuflischen Muster die da nachgeahmt werden und man darf nicht erst warten bis Gaskammern gebaut werden, bevor man so einen Vergleich für gerecht hält". Umschnitt

0:25:00

Fahraufnahme mit dem PKW in den Nachtstunden und Blick auf Fried (halbnah). Umschnitt. Sprecher: "Erinnerungen an seinen Jugendfreund der sich aus dem Fenster gestürzt hat". Umschnitt auf gefaztes TV-Material vom erzählenden Fried (halbnah) (O-Ton) "...und in seiner Tasche hat es ein Gedicht gegeben: "Zum letzten Mal, zum letzten Mal, will ein Gedicht ich schreiben, es wird von mir und meiner Qual nicht viel sonst übrig bleiben...(Zoom auf das Gesicht von Fried)...Die Welt war gut, die Welt war gut, nur ich wußt nicht zu leben. Euch Brüder, euer Lebensmut, bitt ich mir zu vergeben. Was kommen mag, was kommen magt, ich weiß ihr werdet siegen. Es kommt auch ohne mich der Tag, lasst mich im Grab nur liegen. Kein Ende gabs für meinen Kampf als dies, erst früher, erst später. Ich fiel im Kampf, ich fiel im Kampf, macht mich nicht zum Verräter". Das war es, und dadurch, misstrauisch gemacht, habe ich dann in seinen Papieren auch viel gefunden darüber, dass er an den damaligen Dingen, es war ja Stalin-Ära, ungefähr dieselben Zweifel hatte wie ich, nur habe ich ihm nichts davon erzählt...(Fotoeinblendung des jungen Fried)...um ihn nicht zu belasten, er hat mir nichts davon erzählt im mich nicht zu belasten". Porträt des jungen Fried (nah). Umschnitt

0:27:25

Blick von der Bühne auf Erich Fried bei eine seiner Lesungen (halbtotal) (O-Ton) "Viel weggebrannt von Qualen der Zeit von Qualen des eigenen Leibes – Was bleibt scheint wenig. Da aber scheidet es sich: Entweder die Fertigkeit das Glas noch zum Mund zu führen den Unrat rechtzeitig zu entfernen die Lage im Bett zu finden die die leidigen Schmerzen minutenlang abhält. Vielleicht sogar die Kunst anzukämpfen gegen den Krankheitsgeruch – sonst nichts. Oder zu sehen und dann und wann zu verknüpfen einige treibende lange Gedankenfäden, wie die Fäden der fliegenden Sonnenspinne im Herbst noch. Strophen von Hölderlin mit der Marseillaise. Sätze von Hegel und Marx oder Bloch und Schönberg mit dem Herbstwind herüber vom nahen Wald, oder auch mit einigen von den Worten die sie dem Juden Jesus von Nazareth zugeschrieben haben...(eingeblendetes, gefaztes TV-Material des mühselig die Treppe hoch gehenden Fried)...Dazwischen Bilder: Rosa, Ulrike, Rudi, Erzbischof Romero, Che, die Schatten der Namenlosen und Rauch von Auschwitz und Lichtschein von Hiroshima. Worte bleiben, Gefühle, Gedanken, Wissen und Angst. Zorn bleibt und Widerstand und keine Ruhe. Und Wünsche bleiben, auch einfache Wünsche für Menschen, für sehr nahe und unbekannte, und Hoffnungen auf eine Zukunft. Einiges bleibt nach dem eigenen Bleiben. Die ganze Welt soll bleiben – Oder bleibt nichts"? Umschnitt. Blick von unten auf Fried der sich mühselig die Holztreppe hoch schleppt (halbtotal). Umschnitt

0:29:30

Erich Fried bei einer Lesung (halbnah) (O-Ton) "Brief nach Moskau für Michail Gorbatschow: Nach sechzig Jahren meiner Zuversicht, Zweifel, Enttäuschung, in denen die Ohren sich nicht vor der Lüge im Namen der Wahrheit verschließen konnten, die Augen nicht vor dem Unrecht, kann ich jetzt doch noch zwischen mein Alter und meinen Tod diesen neuen Lichtblick stellen, der alles verändert, diese von Nachricht zu Nachricht deutlicher werdende Hoffnung, dass unsere Kinder glücklicher leben könnten, weil endlich Wahrheit aufsteht aus verkümmerten Halbwahrheiten und da steht in Menschengestalt, und will Menschliches bringen und wagt es, zum Sollen das Dürfen zu fügen, zur Frage die offene Auskunft, und rückt der Freiheit wieder den Stuhl an den Tisch. Dies besingen? – Von tiefen Narben gezeichnet, kann die alte Lust an Liedern für große Genossen noch keine Worte finden, die unbeschädigt genug und gut genug wären für das Aufatmen und die Freude". Umschnitt auf den tippenden Erich Fried an seiner Schreibmaschine (halbtotal). Umschnitt auf die Stabangaben: Ein Film von Roland Steiner; Rainer Schulz; Frank Löprich; Angelika Arnold; Anne Richter; Georgi Gogow; Johanna Jürschik; Peter Dienst. DEFA-Studio für Dokumentarfilme DDR © 1988. Abblendung

0:31:55 ENDE

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