Engel in Leningrad
Regie: Leonija Wuss-Mundeciema, 30 Min., Farbe, Dokumentarfilm
Deutschland
DEFA-Studio für Dokumentarfilme GmbH, 1991
- Film-/Videoformat
- 35 mm
- Länge in m
- 848
- Sonstiger Titel
- Petrikirche Leningrad; Engel in Leningrad, wo ist dein Kreuz geblieben?
- Englischer Titel
- ANGEL IN LENINGRAD, WHERE DID YOU LEAVE YOUR CROSS?
Kurzinhalt (Deutsch)
Die Sankt Petri-Kirche auf dem Newski- Prospekt von Leningrad diente seit 1836 als Hauptkirche für die deutschen Gemeinden in Russland. Sie bildete zusammen mit der Petrischule ein bedeutendes Zentrum deutscher Kultur, bis sie in den dreißiger Jahren umfunktioniert wurde, 1961 zum Schwimmbad.
Der Film geht diesen Fakten und der Meinung von Menschen nach, die sich für oder wider die zweckentfremdete Nutzung des Sakralbaus aussprechen.
Filmstab
- Regie
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- Leonija Wuss-Mundeciema
- Drehbuch
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- Leonija Wuss-Mundeciema
- Kamera
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- Wolfgang Dietzel
- Schnitt
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- Ingeborg Marszalek
- Renate Cana
- Kameraassistenz
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- Agris Dzelme
- Musik
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- Eglis Straume
- Ton
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- Aivars Riekstins
- Produktionsleitung
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- Baiba Urbane
- Klaus-Dieter Dörrer
- Person, primär
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- Robert Leinungen
- Woldemar Miller
- Martin Luther
- Harald Karlinsch
- Jewgeni Lind
- Friedrich Schorlemmer
- Person, sekundär
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- Olga Bergholz
- Ronald Lingen
- Alexander Brüllow
- Barclay de Tolli
- Maximilian Messmacher
Kurzinhalt (Englisch)
The St. Petri Church in the Newski Prospekt in Leningrad served as the central church for the German parishes in Russia since 1836. It represented, together with the Petri School, a meaningful centre of German culture until it was restructured in the thirties, and rebuilt into a swimming pool facility in 1961. The film investigates the facts and the opinions of the people who declare themselves for or against the misuse of the sacred building.
Langinhalt
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Langsamer Zoom auf einen steinernen Engel (halbnah) im Off dazu der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer im Juni 1991: "Wenn der Mensch Gott abschafft, macht er etwas anderes, häufig auch sich selbst zu Gott. Der Kommunismus ist eine einzige Irrtumsideologie mit großen und hehren schönen Ansprüchen...(Umschnitt auf den Erzähler)...Sie haben aus Kirchen Museen und in Leningrad sogar ein Schwimmbad gemacht, und sie haben sich ihre Götter aufgestellt". Fahraufnahme an den Säulen der Kasaner Kathedrale vorbei mit Blick auf das Denkmal von Barclay de Tolli (halbtotal). Fahraufnahme an einem Gärtner vorbei bis zur Hauptstraße mit Blick auf verzierte Singer-Eckhaus auf dem Newski-Prospekt (halbtotal). Umschnitt. Zoom auf eine Kuppel und dem darauf stehenden Engel ohne Kreuz (halbtotal) mit eingeblendetem Filmtitel "Engel in Leningrad - Wo ist dein Kreuz geblieben". Umschnitt
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Blick auf ein gerahmtes ovales Bild von Olga Bergholz über ihrem Grab (nah). Rückwärtsfahrt von der Grabstätte (halbtotal). Sprecherin: "Olga war sieben als die Revolution in Russland ausbrach, und die Flammen fürchtend betete sie "Oh Gott, lass uns alle nicht verbrennen". Während der Belagerung, also viel später, war die Dichterin der Rettungsengel Leningrads dessen Stimme die erschöpfte Stadt wachzuhalten vermochte. Das Olga Bergholz in der Stalinzeit verfemt wurde, doch jeder hier kannte, auf dem Wolkowo-Friedhof ruht, wußte uns heute kaum jemand mehr zu sagen...(Kameraschwenk von der Grabstelle über den Friedhof im Regen)...Die Stadt an der Newa lebt schwer als wäre sie krank". Umschnitt
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Sprecherin: "Ziel unserer Reise war der evangelisch-lutherische Dom am Newski-Prospekt 22". Umschnitt auf einen Schwimmer im Wasserbecken (halbnah) (O-Ton) "Klar ist es nicht gut hier schwimmen zu gehen, aber von der Kirche ist doch kaum noch etwas übrig. Vielleicht noch die Wende und die Innentreppe, das alles wieder in eine Kirche umzubauen kostet viel zu viel Geld und Mühe. Es kann passieren dass man am Ende weder Bad noch Kirche hat". Umschnitt auf zwei Frauen im Wasser (halbnah) (O-Ton) "Bäder gibt es sehr viele, aber die sind verschmutzt, das Wasser ist dort eben nicht klar. Hier aber ist es sauber, das Beste Bad in der Stadt, ich weiß das weil ich noch in zwei andere Bäder gehe". Umschnitt auf die schwimmenden und plantschenden Badegäste im Becken (halbtotal). Umschnitt. Blick von oben in das ehemalige Kirchenschiff in dem jetzt ein Schwimmbecken mit 5 Bahnen ist (halbtotal). Blick auf den ehemaligen Altarbereich, dort ist jetzt ein Sprungturm (halbtotal). Umschnitt auf die Sonnenreflexe an den Kirchenwänden durch die Spiegelungen im Wasser (halbtotal). Umschnitt. Blick auf die Spiegelungen der Bogendecke im ruhigen Wasser des Beckens (halbtotal). Sprecherin: "Schon 1703 stand hier eine Kirche aus Holz, 1832 wurde sie von Alexander Brüllow in Stein gebaut und vier Jahre später zum Dom der evangelisch-lutherischen Gemeinden Russlands geweiht...(Blick auf einen Taucher mit zwei Luftflaschen unter Wasser bei der Reinigung des Bodens mit einem Staubsauger)...Bis 1936 bildete dieser das Zentrum des deutschen Geisteslebens in Russland. Dann wurde er geschlossen und die nachfolgenden Jahre des Misstrauens endeten im Krieg". Umschnitt
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Kameraschwenk über das Krafttraining von Männern auf der oberen Ebene der ehemaligen Kirche (halbtotal). Blick auf trainierende Frauen auf Standrädern (halbtotal). Kameraschwenk auf eine steinerne Engelsfigur ohne Kreuz auf der Kuppel der Kirche (halbnah). Im Off dazu Robert Leinungen: "Das Geschäft mit den Häusern, mit den Kirchen, mit den Kreuzen, es war ein Geschäft mit Menschen...(Ab hier der Erzähler im Bild)...Der Mensch hat sich gewagt die Hand zu heben um ein Kreuz zu stürzen, um eine Kirche zu sprengen. Er dachte dass er, also mit Dingen zu tun hat, aber es kam dazu dass der Mensch, die Seele des Menschen zerbrochen hat". Umschnitt. Leinungen löst einen zerbrochenen und umgestürzten Grabstein aus der Erde (halbnah) (O-Ton) "Das ist alles zerbrochen". Umschnitt auf Robert Leinungen vor einem Grab (halbnah). Sprecherin: "Robert Leinungen, 1921 in Petrograd geboren, wohnt erst seit ein paar Jahren wieder in seiner Stadt...(Blick auf Robert bei der Überprüfung der Grabnamen mit seinen Notizen)...er ist den schweren Weg aller Rußlanddeutschen gegangen, hatte aber Glück und überlebte...(Leinungen befreit ein Grab vom grünen Wildwuchs)...Aus dem Verbannungsort im Südural brachte er in seine Wohnung knorriges Wachhodergeäst mit. An der Grenze Europas zu Asien...(Blick auf einen Grabstein)...führt der Wachholder seine Zweige dicht an der Erde lang,...(Blick auf das Gesicht von Leinungen)...so als wolle er sie heimlich umarmen, meint er. Vom Smolensker Friedhof, dem ältesten hier, hat er eine genaue Karte hergestellt, jeden Stein, jedes Kreuz, alles was zu dokumentieren ist haben ich festgehalten, sagt er...(Blick auf den Gang von Robert zwischen den Gräbern)...Von einem Friedhof würde der Erbauer Sankt Petersburgs, zusammen mit den Opfern, jene liegen die diese Stadt vernichten wollten. Die Arbeit Leinungens wird für künftige Geschichtsschreiber unentbehrlich sein, sie ist ein Zeitspiegel besonderer Art". Umschnitt
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Kameraschwenk über die Inneneinrichtung eines Wohnzimmers (halbnah) dazu Leinungen im Off: "Es waren die 30er Jahre, mehrere von den Deutschen wurden repressiert, meinen Vater haben sie auch genommen, aber nach einem Jahr wurde er frei gelassen. Damals konnte man ja nichts dazu sagen…(Ab hier ist Leinungen im Bild)…und der hat ja auch nichts erzählt, nur später vor dem Tode schon. Während der Leningrader Blockade...(Wischt sich die Tränen aus den Augen)...hat er mir also gestanden das man ihn kriminiert hat als wäre er ein italienischer Spion, und er mußte da ein Papier unterschreiben, er hat es nicht unterschrieben. Er wurde frei gelassen. Na und dann später, ich studierte damals an der Leningrader Universität, ich war Student der Mathematischen Fakultät, ich wollte Astronom werden...(Leinungen kämpft mit den Tränen)...Na, dann kam der Krieg, die Belagerung von Leningrad". Kameraschwenk über Einrichtungsgegenstände aus Baumwurzeln im Zimmer) (nah). Sprecherin: "11 Mitglieder der Familie von Leinungen haben die Kriegszeit nicht überlebt, er ist als einziger noch übrig". Kameraschwenk über die Baumwurzeln (nah) dazu Leinungen weiter (halbnah) (O-Ton) "Ich hatte kein recht zurück nach Leningrad zu kommen, 30 Jahre lang hatten wir kein Recht nach Hause zu fahren. Wir konnten fahren wohin wir wollten, nur nicht nach Hause. Na und so das Recht zurückzukommen nach Leningrad, erhielt ich im Jahre 1972, aber die Möglichkeit, eine reelle Möglichkeit dazu war bei mir nicht. Nach Leningrad zu kommen ist gar nicht so leicht". Umschnitt
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Kameraschwenk über einen Plan an der Wand (halbnah). Umschnitt auf Leinungen (halbnah) (O-Ton) "Ich kann es nicht verstehen. Wie kann der Mensch so grausam sein, und die Petrikirche, die größte Kirche die existiert schon seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Die Gemeinde ist damals gegründet als der erste, nun sagen wir mal, der erste Stein der Stadt gelegt worden ist, von diesen Zeiten an existierte die Petrikirche, die Petrigemeinde, zu der auch meine Verwandten gehörten wie ich schon gesagt hab. Und plötzlich, und das sicher auch schon weltbekannt wahrscheinlich, das in dieser Kirche heute ein Schwimmbad ist...(Blick auf den Plan an der Wand und die Buchregale in Leinungens Wohnzimmer)...ich meine ein normaler Mensch kann es nicht verstehen. Es ist Vandalismus so etwas zu tun, am Ende des 20. Jahrhunderts ist das Vandalismus, das ist meine Überzeugung... (Blick in das heutige Schwimmbad)...Es häng ja gar nicht vom Glauben ab, bist du ein Gläubiger oder nicht, bist du ein Orthodoxe oder noch jemand, es ist ein heiliges Haus...(Kameraschwenk von den Sprungtürmen auf das Wasserbecken)...es ist ein Gotteshaus. Du hast kein recht sich dort so zu benehmen". Zwischenschnitte von den Fenstern im Schwimmbad (halbtotal). Umschnitt. Zoom auf die Männer und Frauen bei ihrem Krafttraining auf dem erhöhten Bereich über dem Wasserbecken (halbtotal). Sprecherin: "Nach dem die Innenausstattung geraubt und die berühmte Orgel demontiert war, brachte man für längere Zeit in diesem Dom ein Gemüselager unter. Ab 1956 stellte man Erwägungen an, ob man das Haus nicht in ein Theater umbauen sollte...(Aufnahme mit einem Kamerakran über die Fassade der St. Petri-Kirche)...letztlich siegten die Sportler. Die baltische Handelsflotte richtete hier 1961 eine Schwimmhalle ein, die heute als eine der besten unter den 32 Bädern der Stadt gilt...(Kamerakran-Aufnahme mit Blick auf das Eingangsportal und den Fenstern hinter den Balkonen im oberen Bereich der St. Petri-Kirche)...Am 13. Juni 1991, mitten in den Dreharbeiten zu unserem Film, wurden wir unerwartet Zeugen eines bemerkenswerten Streites zwischen dem Direktor des Schwimmbades, Dipanow, und einer Passantin die dann weiter ging ohne ihren Namen zu nennen". Umschnitt
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Im Off die Unterhaltung mit deutscher Übersetzung: Direktor "Aber wir reden doch darüber dass diese Kultstätte sich selbst gehören muß". Frau "Ich bitte Sie". Direktor "Hier kann es doch nur darum gehen dass wir im Austausch dafür neue Schwimmbäder und Erholungszentren bauen". Frau "Nein, die sollen sich stattdessen ein neues Gotteshaus bauen"...(Blick von unten auf den Engel ohne Kreuz auf dem Dach)...Direktor "Wieso denn sie"? Frau "Den Lutheranern die jetzt Anspruch auf dieses Gebäude erheben, davon habe ich nie etwas gehört. Das ist schon lange kein Gotteshaus mehr, es ist ein Freizeitzentrum". Direktor "Es kann aber kein Schwimmbad sein". Frau "Doch, es kann". Direktor "Nein, es kann kein Schwimmbad sein". Frau "Es ist aber eins, wieso kann es keins sein wenn es eins ist"? Direktor "Wenn es eines ist dann heißt es nicht dass es dann darf". Frau "Aber warum soll es denn ein Gotteshaus sein, sagen Sie es nur". Direktor "Weil es als Gotteshaus gebaut wurde". Frau "Für wen? Na und, wenn es auch mal ein Gotteshaus war, im Laufe der Jahrhunderte hat sich die...religiöser Kultstätten immer gewandelt. Ich bin Antichrist, ich weiß das"...(Blick auf den steinernen Engel auf dem Dach)...Direktor "Der Mensch braucht den Geist". Frau "Sicher muß man die Gläubigen respektieren, aber diese Gläubigen jetzt, die haben kein Recht auf dieses Haus, weil es eben so etwas gibt wie Verjährung. Die Gläubigen die dieses Haus erbaut haben sind längst verstorben, und die von heute die greifen nach einer fremden Sache". Direktor "Aber wie hat denn alles begonnen? Wer hat das zerstört"? Frau "Wir beide haben es jedenfalls nicht zerstört, wir müssen es auch nicht zurückgeben"...(Ab hier sind die beiden diskutierenden in der Vorhalle des Schwimmbades zu sehen)...Frau "Sie glauben doch auch nicht an Gott". Direktor "Sehen Sie, Gott ist in jedem von uns". Frau "Gut, dann hören Sie auf den Gott der in Ihnen ist". Direktor "Das tue ich". Frau "Wie kann man Schaden anrichten, irgendeines Fetisch wegen"? Direktor "Warum Fetisch"? Frau "Ist doch ganz klar". Direktor "Wegen dem Kommunismus"?...(Blick auf die auf den Direktor einredende Frau)...Frau "Das ist was anderes. Hier baden kranke Kinder, hier arbeiten prophylaktische Gruppen. Hier gewinnt man die Jugend wieder, wird gesund". Direktor "Eben, und für diese Menschen muß man ein Schwimmbad bauen". Frau "Wo bauen? Wo bauen"? Direktor "Wo ganz normale Menschen das bauen". Frau "Aber warum denn? Wenn im Stadtzentrum schon ein Bad existiert, und das also soll man zerstören". Direktor "Wieso denn zerstören, man muß es einfach den Gläubigen zurückgeben". Frau "Um es zurückzugeben muß man es erst kaputt machen, das Bad". Direktor "Das Bad, na klar". Frau "Ja, also an einem Ort etwas zerstören um es an einem anderen wieder aufzubauen, so"? Direktor "Nein, ich kann Ihre Meinung da nicht teilen, Sie leben nur am heutigen Tag nur am heutigen Tag". Frau "Im Gegenteil". Direktor "Nein, nicht im Gegenteil". Umschnitt
0:12:35
Blick auf die steinernen Figuren auf den Säulen vor dem Eingangsportal der St. Petri-Kirche (halbnah). Sprecherin: "Der Streit um die Rückgabe des Doms dauert schon lange an. Von interessierten Menschen wird jetzt das Schicksal des Inventars geklärt...(Blick auf die Prüfung einer farbigen Illustration aus der Kirche mit einer Lupe)...etwa der Vernichtungsweg der einst berühmten 70 Register umfassenden Orgel. Das Instrument wurde 1935 zerlegt, man verschickte die Teile nach Moskau, die Glocken ließen sich bisher nicht finden...(Blick auf Woldemar Miller beim Studium von Illustrationen der Kirche vor dem Umbau in einem Archiv)...vermutlich sind sie aber in der Stadt geblieben. Bauingenieur Woldemar Miller, Mitglied der Gesellschaft der Deutschen von Sankt Petersburg, hat mit den allerersten Vorbereitungen zur Restaurierung der Kirche begonnen, wozu das Studium der Blätter gehört...(Filmeinblendung)...die Maximilian Messmacher zur Ausstattung des Doms schuf. Für viele Lutheraner in Russland war dieser Dom einst die Begegnungsstätte wo man Zuversicht schöpfen konnte, und die Kunst des Miteinanderlebens zweier großer Kulturen gewann, dort an Stimme...(Blick auf die farbigen Blätter des Kirchen-Innenraumes)...Der Krieg hat sie zum Schweigen gebracht, für wie lange noch"? Umschnitt auf den erzählenden Woldemar Miller (halbnah) (O-Ton) mit deutscher Übersetzung: "Meiner Meinung nach, da das Haus noch in ziemlich guten Zustand ist, und nur eine Befestigung braucht, kann die Arbeit für die Vorbereitungsphase auf ein Jahr kalkuliert werden, und die Bautätigkeit selbst, inklusive Restaurierung dürfte etwa zwei Jahre dauern". Zoom auf die ausgelegten Blätter auf dem Tisch (halbnah). Umschnitt
0:14:20
Blick auf Ronald Lingen vor einem großen Rhododendronbusch in einem Garten (halbtotal). Sprecherin: "Unlängst ist Ronald Lingen aus der Verbannung zurückgekommen". Lingen im Off dazu: "Sehr viele schlechte Menschen waren dort, Diebe, und 25 Jahre war ich zwischen ihnen, und jetzt bin ich gar nicht verdorben, ich bin sehr froh das ich nicht verdorben bin". Umschnitt auf den Klavier spielenden Lingen (halbnah) (O-Ton)...(Blick auf Sankt Petersburg von der Seeseite aus)...Lingen im Off: "Jetzt mochte ich eine Elege Ihnen spielen, die habe ich für meine Mutter geschrieben. Die war in England gestorben als der Krieg war". Umschnitt auf den spielenden Lingen von vorne gesehen (halbnah) (O-Ton). Kameraschwenk vom Klavier auf die Bücher auf einem Tisch und die Pflanzen auf der Fensterbank (halbnah). Sprecherin: "Ronald von Lingen, geboren 1913 in Sankt Petersburg, wollte Musiker werden, mußte aber fast 30 Jahre in einem sibirischen Lager unter Zwangsarbeit verbringen. In seinen Kompositionen spiegelt sich diese Zeit nur bedingt wieder. Sucht er in der Musik Schutz vor Verbitterung"? Blick auf Lingen auf dem Klavierstuhl (halbnah) (O-Ton) "Wie ich gesagt habe, ich lernte in der Peterschule. Neben der Peterschule ist die Kirche, die Peterkirche steht dort. Ich besuchte Kindergottesdienst, also die Eltern besuchten von eins bis zwei Uhr, und wir Kinder von zwei bis drei Uhr. Ich war, ich liebte sehr Musik, ich war bekannt mit dem Orgel spielen, und er hat mich auch gesehen und hat mich zu sich gerufen. Ich war sehr gut mit ihm bekannt, Familienname war Bertoldi...(Blick auf eine der Newa-Brücken von Sankt Petersburg)...Also ich möchte sehr gerne wieder in der Kirche...(Blick auf das Gesicht von Lingen)...die Orgel sehen, aber die ist wahrscheinlich nicht mehr (in russisch) sie ist kaputt gemacht und sehe ich nicht. Aber der Engel der muß ein Kreuz haben, unbedingt, und das Wasser muß aus der Kirche raus gehen, das wir wieder lutherane und deutsche Menschen, nicht nur Deutsche, die gläubigen Menschen, das sie wieder in diese Kirche eintreten können, das ist mein Wunsch und das meine kleine Tochter meines Sohnes, wenn sie 9 Jahre alt wird, und etwas wächst, das sie auch in diese Kirche kommt". Umschnitt
0:17:40
Zoom auf eine historische Postkarte mit einer Kirche (nah). Überblendung auf eine Postkarte der Sankt Anne-Kirche (nah). Wechselschnitte auf historische Postkarten mit evangelisch-lutherischen Kirchen in Sankt Petersburg (nah). Sprecherin: "Zu Anfang des Jahrhunderts gab es in dieser Stadt über 20 evangelisch-lutherische Kirchen. Heute ist keine mehr da die zum Gottesdienst einladen kann. Mit der ihm eigenen Besessenheit hat Jewgeni Lind, einst Leistungssportler, dann Lehrer und Journalist, das Geistesleben der Stadt zu verteidigen gesucht"...(Einblendungen von historischen Postkarten mit Kirchen)...Im Off Lind mit deutscher Übersetzung: "Erziehung ist nicht gleich Bildung, man kann viele Sprachen beherrschen und trotzdem genau ausrechnen unter welcher Kirche wie viel Dynamit zu legen ist damit sie gesprengt wird...(Kameraschwenk auf den erzählenden Lind)...Erziehung gleicht der Vervollkommnung der Seele und die sollte im Hintergrund eines Wiederaufbaues der Religion geschehen, jener unzähligen Kirchen die in Leningrad verschwunden sind". Blick auf ein gerahmtes Bild mit einem Kinderporträt von Lind nah). Sprecherin: "Als Jewgeni Lind zwei Jahre alt war herrschte bereits das Misstrauen. Wird es einmal enden"? Jewgeni Lind weiter (O-Ton) "Retten wird uns die Güte und ein Leben in Wahrheit. Ich hoffe dass das Unmaß an Unvernunft, das über 70 Jahre bei uns waltete...(Blick auf den erzählenden Lind)...sich plötzlich in eine sinnvolle und produktive Eigenheit verwandeln wird, die uns vor dem Abgrund halt machen läßt, und zu begreifen lehrt, wenn der Mensch nur ein einziges Mal in das Bad springt und auf dem Rücken schwimmend das Gewölbe über der Kirche erblickt. Wenn er mit den Armen fuchtelnd zum anderen Ufer strebt, dann geht sein Weg ins Nichts, weil die Seele in solch einer frevelhaften Welt nicht leben kann". Umschnitt
0:19:20
Blick auf die Schwimmer im Bad der Sankt Petrikirche (halbtotal). Kameraschwenk über die Schwimmerinnen und Schwimmer (halbtotal). Sprecherin: "Jewgeni Lind hat im Gespräch einen Ausdruck aus der Architektensprache benutzt, den Begriff des Schlußsteins. Wenn der verbindende Schlußstein entfernt wird fällt das Gebäude in sich zusammen. Für seine Heimatstadt ist die Sankt Petrikirche solch ein Schlußstein, zusammen mit der Isaakskathedrale. Wenn diese ihrem Zweck entfremdet sind leidet die Stadt und kann nicht gesunden". Umschnitt auf ein Foto von Maximilian Messmacher, einer der bedeutendsten Architekten in Petersburg des 19. Jahrhunderts (nah). Abblendung. Umschnitt. Kameraschwenk über die Fassade der Steiglitzschule (halbtotal). Sprecherin: "Messmacher leitete diese Schule jahrelang. Umbau und Ausbau der Sankt Petrikirche waren Messmachers letzte Arbeit am Newa-Ufer bevor er 1897 nach Dresden übersiedelte, machte er sie der Heimat zum Geschenk". Kameraschwenk über die farbigen Illustrationen der Sankt Petrikirche von innen (nah). Kameraschwenk über die voll besetzte Kirche (nah). Rückwärtszoom vom Altarraum auf das ganze Kirchenschiff (nah). Überblendung auf eine farbige Illustration der Orgel (nah). Überblendung auf die geschwungenen Fenster und den verschieden Etagen der Kirche (nah). Mehrere Zwischenschnitte mit Überblendungen von Detailaufnahmen der Kirche auf den farbigen Illustrationen (nah). Überblendung auf die reich verzierte und bemalte Gewölbedecke (nah). Detailaufnahme des Haupteinganges mit Schrift "Herr segne meinen Eingang" (nah). Umschnitt
0:21:20
Rückwärtszoom vom steinernen Engel ohne Kreuz auf dem Dach des Gebäudes (halbnah) im Off dazu: "Ich sagte, wenn der Mensch Gott abschafft, dann hat er andere Götter. Ich glaube die entscheidende Infragestellung des Glaubens ist heute nicht die durch den Intellekt, sondern wie es Jesus auf einen einfachen Satz gebracht hat: "Gott oder das Geld, ihr könnt nicht zwei Herren dienen". Kameraschwenk von oben über den Innenraum der Schlosskirche zu Wittenberg (halbtotal). Sprecherin: "Der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer erinnert uns hier an Worte Martin Luthers". Umschnitt auf Schorlemmer (halbnah) (O-Ton) "Gott ist das woran du dein Herz hängst. Frage, woran hängst du dein Herz? Und, hat er geschrieben: "Es ist mancher der meint er habe Gott und alles genug wenn er Geld und Gut hat. Er verlässt und brüstet sich darauf so steif und sicher, dass er auf niemand etwas gibt. Siehe, dieser hat auch einen Gott, der heißt Mammon, das ist Geld und Gut, darauf er all sein Herz setzt, welches auch der allergewöhnlichste Abgott auf Erden ist". Geld kann wichtig sein wenn es geteilt wird den Menschen, die sich als Geschwister auf der einen Erde verstehen die miteinander Vater sagen, und wir sind Kinder, aufeinander angewiesen und darauf angewiesen das diese Welt, in der Bildersprache ausgedrückt, nicht aus Gottes Händen fällt. Man könnte sogar sagen, man müßte verzweifeln wenn man nicht einen verborgenen Glauben an Gott hätte". Umschnitt.
0:24:20
Kameraschwenk von oben über die bunten Glasfenster und den Innenraum der Schlosskirche zu Wittenberg (halbtotal). Kameraschwenk über den gehenden Pfarrer Schorlemmer auf der Empore der Kirche (halbtotal). Sprecherin: "Vielleicht ist es der verborgene Glaube der manchen Rußlanddeutschen hoffen läßt dass er seinen Dom einmal wieder betreten wird, und dies hält ihn oft von dem verzweifelten Schritt der Ausreise zurück. Schon vor Jahrzehnten hat Bischof Harald Karlinsch begonnen diese Hoffnungen zu wecken indem er die verstreuten deutschen Gemeinden aufsuchte und dort Zuversicht verbreiterte...(Fahraufnahme an der Sankt Petri-Kirche vorbei)...Wir erhielten eine kurze Audienz beim Bischof Karlinsch, einen Tag nach seinem 80. Geburtstag. "Sein und Haben" war unser Gesprächsthema". Fahraufnahme an der Sankt Petri-Kirche vorbei (halbtotal) dazu im Off der Bischof: "Gott hat uns zwei Hände gegeben und wir haben mit einer Hand das zu erfassen was den Menschen zum Menschen macht...(ab hier ist der erzählende Bischof in seiner Kirche zu sehen)...Zum anderen haben wir zu nehmen um wieder weiter zu geben. Alles das was Gott uns gibt zu unserem Wohl ist gedacht das es dann weiter gegeben wird in verschiedener Weise zum Wohl der anderen und der Nachkommen...(Zoom auf den Bischof)...Jede Generation steht auf dem Herzen und auf den Schultern der vorher gehenden, und so können wir verstehen: Sein und Haben ist der natürliche Puls der Menschheit und der natürliche Wellengang der Menschheitsgeschichte". Umschnitt.
0:26:00
Blick in die Jesuskirche zu Riga (halbtotal). Sprecherin: "Hier arbeitet die Bischofskanzlei der deutschen evangelisch-lutherischen Kirche in der Sowjetunion...(Blick auf den Taucher im Schwimmbad der Sankt Petrikirche)...von da aus ergehen auch die Gesuche die Sankt Petrikirche, die für die Erhaltung des geistigen Lebens der Newastadt unverzichtbar ist zu retten". Blick auf den abspringenden Taucher am Beckenrand (halbtotal) (O-Ton). Umschnitt. Kameraschwenk über den Taucher unter Wasser (halbtotal). Umschnitt. Blick auf den auftauchenden Taucher mit einer Kachel in der Hand (halbnah). Kameraschwenk vom Taucher auf den Sprungturm im ehemaligen Altarbereich (halbtotal). Gegenschnitt. Blick von oben auf die Reinigungsarbeiten der gekachelten Böden und Beckenwände (halbtotal). Rückwärtszoom von oben auf die Reinigungsarbeiten im gesamten Raum (halbtotal). Umschnitt
0:27:25
Blick auf Ronald Lingen neben Robert Leinungen bei einer Messe im Freien bei Regen (halbtotal) (O-Ton). Umschnitt. Rückwärtszoom vom singenden Chor vor dem Eingangsportal der Sankt Petri-Kirche auf die beiden Statuen auf dem Vorplatz (halbtotal) (O-Ton). Kameraschwenk von den Statuen auf die Gläubigen mit Regenschirmen (halbtotal) im Off dazu Friedrich Schorlemmer: "Ich habe den Eindruck das die Menschen der Sowjetunion, wie in fast allen Ländern der modernen Zivilisation, auch die Menschen in einer ganz tiefen inneren Krise stecken, in einer Wertekrise würde ich vielleicht sagen. Was soll nun werden aus der Welt"? Umschnitt auf eine Fahraufnahme an der Newa entlang (halbtotal)...dazu Schorlemmer im Off: "Wenn die russische Seele sich wieder auf sich besinnt, und wenn dies wieder verschmilzt mit den großen Gütern des Glaubens, dann kann aus Russland auch ein Segen für Europa wieder werden. Damit wird Russland nicht der große kranke Koloss am Rande Europas sein, sondern wieder eine Kraftquelle, Erneuerungsquelle für uns Europäer". Kamerafahrt an der Newa vorbei mit Blick auf Sankt Petersburg am Horizont (halbtotal). Eingeblendeter Rolltitel mit Stabangaben: Buch und Regie Leonija Wuss-Mundeciema. Kamera Wolfgang Dietzel. Assistenz Agris Dzelme. Musik Eglis Straume. Ton Aivars Riekstins. Trick Moser & Rosié. Grafik Dieter Lehmann. Schnitt Renate Cana und Ingeborg Marszalek. Produktion Baiba Urbane und Klaus Dörrer. Wir danken dem Nordelbischen Kirchenamt Kiel und dem Rigaer Studio für Dokumentarfilme. DEFA-Studio für Dokumentarfilme GmbH. Abblendung
0:29:45 ENDE