Beethoven - Tage aus einem Leben
Der DEFA-Spielfilm BEETHOVEN – TAGE AUS EINEM LEBEN (1976) wurde anlässlich des 250. Beethoven-Jubiläums durch die DEFA-Stiftung digital restauriert und erscheint nun zusammen mit Max Jaaps ebenfalls digital restaurierten DEFA-Dokumentarfilm LUDWIG VAN BEETHOVEN (1954) bei ICESTORM auf DVD.
Kurzinhalt
Der Film gewährt Einblicke in das Leben des renommierten Komponisten in den Jahren 1813 bis 1819. Beethoven steht auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Sein Werk „Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria“ wird mit großer Begeisterung aufgenommen. Im Gegensatz zum künstlerischen Erfolg stehen die Lebensumstände Beethovens: Er ist stark schwerhörig, leidet unter Geldmangel, wird aufgrund seiner politischen Gesinnung bespitzelt, die Haushälterinnen halten es aufgrund seines Temperaments nur für kurze Zeit bei ihm aus und das Verhältnis zu seinen Brüdern ist angespannt. Beethoven vereinsamt zunehmend und trauert seiner „unsterblichen Geliebten“ nach…
Produktionsnotizen
Die Dreharbeiten erfolgten zwischen dem 3. September 1975 und dem 24. Februar 1976 unter dem Arbeitstitel „Der Compositeur“. Die Außenaufnahmen entstanden unter anderem in der CSSR und in Wien. Die Schlussszene wurde auf der Berliner Karl-Marx-Allee gedreht. Premiere feierte die Produktion am 14. Oktober 1976 im Berliner Kino International. Der Film war ein Beitrag der DEFA zum Beethoven-Jahr 1977, in dem sich der Tod Beethovens zum 150. Mal jährte. Wissenschaftlich begleitet wurde das Filmprojekt insbesondere von Dr. Karl-Heinz Köhler, dem langjährigen Leiter der Musikabteilung der Deutschen Staatsbibliothek in Ostberlin.
Kein biografisches Künstlerepos
Der Filmtitel BEETHOVEN – TAGE AUS EINEM LEBEN deutet bereits an, dass es den Filmschaffenden um einen episodischen Einblick in das Leben des bedeutenden Komponisten Ludwig van Beethoven (1770–1827) ging. Gezeigt wird eine Reihe an Begebenheiten, die so oder so ähnlich stattgefunden haben könnten. Die einzelnen Kapitel des Films fügen sich mosaikartig zu einem Gesamteindruck der Lebensverhältnisse des Komponisten zusammen. „Wir wollten keinen Film über ein Denkmal machen, sondern über einen Menschen“ wird Regisseur Horst Seemann am 12. Oktober 1976 im ND zitiert. Der Film porträtiert ein widersprüchliches Genie, dessen Leben sich in einem Spannungsfeld von Arbeit, Liebe, Familie, Freundschaft, Natur, Krankheit und fortschreitender Technik bewegt. Die dargestellten, mitunter zwischen Tragik und Komik pendelnden Geschehnisse folgen keiner strikten biografischen Chronologie, orientieren sich aber an authentischen Eckdaten, wie der umjubelten Aufführung des Orchesterwerks „Wellingtons Sieg“ 1813 oder dem Tod des Bruders 1815.
Regie: Horst Seemann
Horst Seemann (1937–2000) zählt zur zweiten Regie-Generation der DEFA. Nach seinem Regie-Studium in Potsdam-Babelsberg, Assistenzen bei Sergej Gerassimov und Günter Reisch sowie einigen Kurzfilmen, inszeniert er mit dem Film-Musical HOCHZEITSNACHT IM REGEN (1967) seinen ersten abendfüllenden DEFA-Spielfilm. Es folgt der Historienfilm SCHÜSSE UNTERM GALGEN (1968) nach einer Vorlage von Robert L. Stevenson, bevor sich Seemanns Schaffen für einige Jahre auf Gegenwartsfilme konzentriert. Es entstehen ZEIT ZU LEBEN (1969), LIEBESERKLÄRUNG AN G.T. (1971), REIFE KIRSCHEN (1972) und SUSE, LIEBE SUSE (1974). BEETHOVEN – TAGE AUS EINEM LEBEN wird 1976 von der Kritik als Seemanns bisher reifste Regieleistung gewürdigt. Seemann, der für den Film auch die Musikauswahl traf, wird von Kameramann Otto Hanisch (* 1927) beschrieben als „hochintelligenter Mann, ungeheuer musisch. Er spielte Klavier, komponierte und machte die tollsten Sachen. Mit großer Begabung und Geschick hat er die Beethovenmusik als Filmmusik wunderbar eingesetzt.“ (zitiert aus „Kamera läuft. Band I“ von Peter Badel in der Schriftenreihe der DEFA-Stiftung). In den 1980er Jahren entstehen drei weitere DEFA-Spielfilme unter Seemanns Regie. Darunter die erfolgreiche Literaturverfilmung LEVINS MÜHLE (1980), ÄRZTINNEN (1983), der 1984 in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen wird und der experimentelle Science-Fiction-Film BESUCH BEI VAN GOGH (1985). Sein letzter Spielfilm ist die 1953 im geteilten Berlin spielende Geschichte ZWISCHEN PANKOW UND ZEHLENDORF (1991). Nach der Wende kann Seemann kaum noch Projekte verwirklichen.
Die Darsteller: Donatas Banionis ist Beethoven
1971 ist Donatas Banionis (1924–2014) in Konrad Wolfs vielbeachteter Koproduktion GOYA in der Rolle des Malers Francisco de Goya erstmals bei der DEFA zu sehen. Mit der Darstellung des Beethovens porträtiert er abermals eine historische Person des kulturellen Lebens. Die Kritiker urteilen überwiegend begeistert über Banionis Beethoven-Verkörperung. „Beeindruckend, wie der sowjetische Schauspieler Donatas Banionis die Titelrolle interpretiert. Berührend, wie er die persönliche Tragik eines Künstlers sichtbar werden lässt, der auf der Höhe seines Lebens das Gehör verliert (…)“ schreibt beispielsweise Horst Knietzsch in seiner Filmkritik (Neues Deutschland, 16./17. Oktober 1976). Banionis zählte zu dieser Zeit zu den gefragtesten Darstellern der Sowjetunion: Wenige Jahre zuvor spielte er mit dem Psychologen Kelvin in Tarkowskis SOLARIS (1972) seine international bekannteste Rolle. 1976 ist er – erneut unter der Regie von Konrad Wolf – in MAMA, ICH LEBE (1977) ein letztes Mal in einem DEFA-Film zu sehen. Synchronisiert wird Banionis in BEETHOVEN – TAGE AUS EINEM LEBEN von Hans Teuscher, der zugleich Beethovens Bruder Karl verkörpert. Teuscher vermag es in einer Dialogszene die Stimmen der beiden Brüder beeindruckend voneinander abzusetzen. Die Produktion ist bis in die kleinste Nebenrolle hochkarätig mit bekannten Darstellern besetzt. Dazu zählen u.a. Fred Delmare als Erfinder Johann Mälzel, Eberhard Esche als Beethovens Sekretär, Stefan Lisewski als Johann van Beethoven und Renate Richter als Josephine von Brunsvik.
Szenarium: Günter Kunert
Das Szenarium zum Beethoven-Film verfasste der Schriftsteller und Lyriker Günter Kunert (1929–2019), der zusammen mit Seemann auch das Drehbuch erarbeitete. Das erste Treatment zum Beethoven-Film schrieb Kunert bereits im März 1973; die Fertigstellung des Szenariums folgte bis Januar 1974. Kunerts Handschrift ist im Film allgegenwertig. Ralf Schenk hält in seinem Nachruf auf Kunert fest: „Wer von Kunert ein konventionelles Biopic erwartet hatte, sah sich getäuscht. Stattdessen verdichtete er das Leben und Wirken Beethovens zu einer Parabel auf das Verhältnis zwischen Kunst und Macht“ (Filmdienst, 23.9.2019). Kunert war im Laufe seiner Karriere immer wieder für die DEFA tätig. Bereits 1953 schrieb er für die DEFA-Satirereihe „Das Stacheltier“. Im Bereich des DEFA-Spielfilms entstehen Drehbücher für die Joachim-Kunert-Filme SEILERGASSE 8 (1960) und DAS ZWEITE GLEIS (1962) sowie für Egon Günthers Johannes R. Becher Verfilmung ABSCHIED (1968). Seine Zusammenarbeit mit Günter Stahnke für das DDR-Fernsehen (MONOLOG FÜR EINEN TAXIFAHRER, 1962 und FETZERS FLUCHT, 1962) ist bereits im Vorfeld des 11. Plenums des ZK der SED von Restriktionen und Verboten geprägt. Für die DEFA realisieren Kunert und Stahnke in einem weiteren gemeinsamen Projekt die Kinderfilmoper VOM KÖNIG MIDAS (1962).
Echo
Die Kritiken lobten die künstlerisch anspruchsvolle Beethoven-Verfilmung und hoben insbesondere die darstellerischen Leistungen sowie die gelungene Zusammenarbeit zwischen Kunert und Seemann hervor. Kaum eine Filmkritik ging nicht auf die markante und zum Teil kontrovers diskutierte Schlussszene ein, in der Beethoven, seinen Hausrat hinter sich herziehend, das 19. Jahrhundert verlässt und die Karl-Marx-Allee entlangschreitet – ist er in der DDR angekommen oder geht er in Richtung Westberlin? BEETHOVEN – TAGE AUS EINEM LEBEN erhält 1976 das Prädikat „besonders wertvoll“ verliehen. Die Produktion ist auf internationalen A-Festivals in Teheran und Neu-Delhi im Wettbewerb vertreten und wird anschließend auch in weiteren Ländern wie der CSSR, Jugoslawien, Japan, Korea oder Portugal präsentiert.
Einblicke in die Digitalisierungsarbeit
Die digitale Bearbeitung erfolgte zwischen März und September 2020 bei der Firma Eurotape in Berlin. Als Ausgangsmaterialien wurden ein 35mm Originalbildnegativ und ein 17,5mm Magnetband genutzt. Die Materialien stammen aus dem Bundesarchiv. Das ORWO Negativ im Breitwandformat 1,66:1 wurde in 4,3K 16Bit auf dem ARRI XT Scanner mit Wetgate digitalisiert. Die Retusche, das Grading und die Fertigstellung erfolgten anschließend in 2K. Entstanden sind ein ProRes file, ein DCP sowie das DCDM. Die Rohdaten (DPX Scandaten und Wav Tondaten) werden ebenfalls gesichert. Im Zuge der Bearbeitung entstand auch eine barrierefreie Fassung mit Audiodeskription und Untertitelung für Gehörlose und Hörgeschädigte. Das DCP ist im DEFA-Filmverleih in der Deutschen Kinemathek abrufbar und kann für Kinovorführungen gebucht werden. Gefördert wurde die digitale Bearbeitung durch Mittel des Förderprogramms Filmerbe, finanziert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), Bundesländer und die Filmförderungsanstalt (FFA).
Im nachfolgenden Videoausschnitt sehen Sie den Rohscan der ersten fünf Filmminuten des Originalbildnegativs. Die bearbeitete Fassung des Filmanfangs können Sie sich zum Vergleich auf der Website des Filmportals anschauen.
verfasst von Philip Zengel (Januar 2021)