Biologie!
Am 3. Juli erscheint die digital restaurierte Fassung des DEFA-Wendefilms BIOLOGIE! (R: Jörg Foth, 1989) erstmals auf DVD. Die Veröffentlichung des Kinodebüts von Stefanie Stappenbeck bildet den Auftakt der neuen DVD-Reihe „DEFA-Wendejugend“ bei absolut MEDIEN.
Kurzinhalt
Im letzten Schuljahr an der Oberschule unternimmt die 15-jährige Ulla (gespielt von Stefanie Stappenbeck) gemeinsam mit ihrer Klasse und ihrem Lehrer eine Exkursion ins Landschaftsschutzgebiet. Dabei entdeckt sie, dass dort eine Datsche gebaut und eine Forellenzucht betrieben wird. In dem Mädchen regt sich Widerstand. Sie ist nicht bereit, die Eingriffe in die Natur hinzunehmen und setzt für ihre Ideale die eigene Zukunft bedingungslos aufs Spiel. Während sich viele Jugendliche für Natur- und Artenschutz einsetzen, stößt ihr Engagement in der Erwachsenengeneration weitgehend auf Unverständnis...
„Fridays for Future“ bei der DEFA?
Wenn Ulla ihrer Mutter energisch entgegenruft: „Sollen wir denn einfach zusehen, wie unter dem Siegel der Verschwiegenheit alles in die Binsen geht?“, hat das durchaus Parallelen zur schwedischen Schülerin Greta Thunberg, die rund dreißig Jahre nach der Filmpremiere von BIOLOGIE! mit ihrem Schulstreik fürs Klima und der daraus hervorgehenden Fridays for Future-Bewegung weltweit für Aufsehen sorgt. BIOLOGIE! ist jedoch nicht nur ein Plädoyer für den Umweltschutz, sondern auch eine Teenager-Liebesgeschichte. Ulla verliebt sich in den computerbegeisterten Winfried, den Sohn der Familie Tübner, die im Landschaftsschutzgebiet baut. Unter Ullas Einfluss beginnt auch er gegen die Elterngeneration zu rebellieren. Mit ihrer Überzeugungs- und Willenskraft schafft sie es andere von der Bedeutung des Umweltschutzes zu überzeugen.
Literaturverfilmung
BIOLOGIE! basiert auf der literarischen Vorlage Die Wasseramsel des Schriftstellers und Naturfotografen Wolf Spillner. Eine Verfilmung wurde bereits ab 1982 bei der DEFA diskutiert, jedoch mehrfach zurückgewiesen. Im Februar 1989 lehnte Generaldirektor Hans Dieter Mäde den Stoff ein letztes Mal ab. Nachdem Mäde – offiziell aus gesundheitlichen Gründen – seine Leitungsaufgaben nicht mehr wahrnahm, entstand ein Entscheidungsvakuum, in dessen Folge auch die Wasseramsel-Adaption 1989 bewilligt wurde.
Regie: Jörg Foth
Regisseur Jörg Foth (*1949) hatte die DEFA nach Auslaufen seines Nachwuchsvertrags zum 1. Januar 1989 eigentlich bereits enttäuscht verlassen, um sich dem Theater zu widmen. Ihm war nach seinem Debütfilm DAS EISMEER RUFT (1983) lange Zeit kein eigenes Spielfilmprojekt anvertraut worden. Die von ihm gemeinsam mit Regisseur Tran Vu realisierte Co-Produktion der DEFA mit Vietnam, DSCHUNGELZEIT (1987), verschwand nach wenigen Tagen aus den Kinos, nachdem sich die Vietnamesen von dem Projekt distanziert hatten. Die Dramaturgin Erika Richter überzeugte Foth im Frühjahr 1989 zur Rückkehr ans Studio, um Die Wasseramsel zu verfilmen. Im Anschluss an die Dreharbeiten zu BIOLOGIE! dreht Foth für die neugegründete Künstlerische Arbeitsgruppe „DaDaeR“ mit der Clown-Satire LETZTES AUS DER DADAER (1990) seinen letzten DEFA-Film.
Filmproduktion in Zeiten des Umbruchs
Die Dreharbeiten in Brandenburg begannen am 16. August und endeten am 1. November 1989 wenige Tage vor dem Mauerfall. Die tagesaktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen im Herbst 1989 drängten die thematische Brisanz des Films zurück. Zwar blieb BIOLOGIE! bedingt durch die Entstehungszeit – anders als früheren DEFA-Jugendfilmen wie INSEL DER SCHWÄNE (1982) oder ERSCHEINEN PFLICHT (1983) – politische Einmischung und nachträgliche Zensur erspart, jedoch fand die Produktion im Gegensatz zu seinen Vorgängern nur ein eingeschränktes Publikum. In den Kinos lief der Film kaum. Renate Kruppa schrieb am 22. September 1990 nach der offiziellen Filmpremiere im Kammerkino Schwerin in der Schweriner Volkszeitung: „Noch vor einem Jahr wäre der kritische Streifen sicher eine Sensation gewesen, heute erscheint er wie ein Traum von gestern.“
Die Darsteller
Hauptdarstellerin Stefanie Stappenbeck begann bereits als Schülerin mit der Schauspielerei. Ihr Debüt feierte die 1974 in Potsdam Geborene in der Fernsehproduktion DER ELTERNTAUSCHLADEN (R: Carl-Hermann Risse, 1986). Zwei Jahre später spielte sie die Anette im weihnachtlichen TV-Kultfilm DIE WEIHNACHTSGANS AUGUSTE (R: Bodo Fürneisen). Die Rolle der Ulla in BIOLOGIE! war ihr erstes Engagement in einem Kinofilm. In den Erwachsenenrollen wirken bekannte Gesichter der DEFA mit, u.a. Carl Heinz Choynski als Lehrer Hansen; weiterhin Peter Prager, Heide Kipp und André Hennicke. In Cameo-Auftritten sind Dokumentarfilmregisseurin Helke Misselwitz und Dramaturgin Erika Richter zu sehen.
Musik
Die Band, die im Film auf der Messe der Meister von morgen (MMM) mit dem Lied „Langeweile“ der Gruppe Pankow auftritt und sich für BIOLOGIE! The Breads nannte, besteht im Kern aus den Mitgliedern einer in den 1990er Jahren unter dem Namen The Inchtabokatables bekannten Berliner Band. Geiger und Sänger der Gruppe waren bereits in Jörg Foths DEFA-Dokumentarfilm ACH DU JEH – EIN HANS DAMPF UND WURST DOKUMENT (1989) zu sehen.
Verfasst von Philip Zengel (Juli 2020)