Die Buntkarierten
Ein Arbeiterporträt über drei Generationen
Kurt Maetzigs zweiter DEFA-Spielfilm DIE BUNTKARIERTEN (1949) feierte vor 70 Jahren – am 8. Juli 1949 – seine Premiere im Berliner Kino Babylon und gilt als erfolgreicher Filmklassiker der Nachkriegszeit.
Kurzinhalt
Guste (gespielt von Camilla Spira) wird 1884 als uneheliche Tochter eines Dienstmädchens geboren. Nachdem die Mutter bei der Geburt stirbt, scheint Gustes Lebensweg als Dienstmädchen vorgezeichnet. Zur Hochzeit mit dem Arbeiter Paul (Werner Hinz) bekommt Guste von ihren Herrschaften die damals typische Bettwäsche für Dienstboten geschenkt – die Buntkarierten. Gravierende politische Ereignisse wie der Erste Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise und die Machtergreifung der Nationalsozialisten stellen Guste und ihre Familienmitglieder über die kommenden Jahrzehnte immer wieder vor neue Herausforderungen.
Hier finden Sie die Filmdaten.
Hintergrund
DIE BUNTERKARIERTEN ist ein Epos, das über einen Zeitraum von mehr als 60 Jahren den Lebensweg einer Arbeiterfamilie vor dem Hintergrund einer bedeutenden historischen Epoche erzählt – vom Kaiserreich bis zur Gründung der DDR.
Entstehungsgeschichte
Der widersprüchliche Satz eines Pfarrers – „Und ist dein Leben köstlich gewesen, dann ist es Mühe und Arbeit gewesen!“ – während der Beerdigung einer alten Frau inspirierte die Autorin Berta Waterstradt (1907-1990), die Lebensgeschichte einer Frau aus einfachen Verhältnissen zu erzählen. Basierend auf dieser Idee verfasste sie ohne konkreten Auftrag ein Hörspiel-Skript mit dem Titel „Während der Stromsperre“. Als Waterstradt das Dokument nach der Fertigstellung einem Rundfunkdramaturgen vorlegte, wies dieser den Stoff zurück und erteilte ihr den Auftrag, binnen eines Jahres eine Überarbeitung vorzunehmen. Durch glückliche Umstände konnte Waterstradt ihr Skript der russischen Zensuroffizierin Sakwa zukommen lassen, die den Stoff ohne Änderungen akzeptierte. „Während der Stromsperre“ wurde mehrfach mit großem Erfolg im Rundfunk ausgestrahlt.
Berta Waterstradt konzipierte, basierend auf dem Hörspiel, ein Exposé für eine filmische Adaption des Stoffes mit dem Titel DIE BUNTKARIERTEN, das die DEFA, aufgrund einer zu großen inhaltlichen Nähe mit Wolfgang Staudtes ROTATION (1949), zunächst ablehnte. Durch einen erneuten Zufall traf Waterstradt im Kino auf den Regisseur Kurt Maetzig. Dessen Pläne, einen Film über den Spanischen Bürgerkrieg nach Vorlage von Eduard Claudius’ Roman „Grüne Oliven und nackte Berge“ zu verfilmen, hatten sich kurz zuvor zerschlagen. Maetzig war auf der Suche nach einer Alternative, die er mit DIE BUNTKARIERTEN fand. Von der Drehbuchentwicklung bis zur Premiere verging kaum mehr als ein Jahr.
Regisseur Kurt Maetzig
Kurt Maetzig (1911-2012) zählt zu den Gründervätern der DEFA und zur ersten Regie-Generation in der ostdeutschen Filmproduktion. Sein erster Spielfilm EHE IM SCHATTEN (1947) – basierend auf dem Schicksal des Schauspielers Joachim Gottschalk (1904-1941) – avancierte zum zuschauerstärksten deutschen Film der Nachkriegszeit. Mehr als zwölf Millionen Menschen sahen ihn in den Kinos. DIE BUNTKARIERTEN war Maetzigs zweites Spielfilmprojekt. Erneut gelang es ihm, eine große Wirkung beim Publikum zu erzielen. Der Regisseur produzierte seine Filme mit einer beachtlichen Schnelligkeit – 23 Spiel- und sieben Dokumentarfilme in 30 Schaffensjahren – und zeichnete sich durch eine große thematische Bandbreite bei der Auswahl seiner Filmprojekte aus. Von monumentalen Auftragsproduktionen (ERNST THÄLMANN – FÜHRER SEINER KLASSE) über kritische Gegenwartsfilme (DAS KANINCHEN BIN ICH) bis zum utopischen Film (DER SCHWEIGENDE STERN) bediente Maetzig viele Genres.
stilistische Besonderheiten
Nachdem Bertolt Brecht Kurt Maetzig bescheinigte, dass EHE IM SCHATTEN in seinen Augen „ein schrecklicher Kitsch“ sei, bemühte sich Maetzig darum in DIE BUNTKARIERTEN unnötige Sentimentalitäten zu vermeiden. Vielmehr wollte der Regisseur einen Film mit „viel Herz“ schaffen, ohne dabei dem Kitsch zu verfallen, wie er in einem Interview mit Günter Agde im Jahr 1987 rückblickend festhielt. So wurde DIE BUNTKARIERTEN zwar ein Volksstück, das sich jedoch von einer rein kleinbürgerlichen Perspektive löst und am Fortgang der deutschen Geschichte orientiert.
Auffallend ist die nicht durchgehende Spielhandlung: Anhand von 17 Stationen wird aus dem Leben der Arbeiterfamilie erzählt. Übergänge für die einzelnen Passagen zu finden, war Aufgabe der Montage, die sich vor allem dem Stilmittel der Blende bedient. Maetzig betonte: „DIE BUNKARIERTEN ist eigentlich ein richtiger Bilderbogenfilm. Das sind 17 Genre-Szenen (…), sie sind durch diese Übergänge gleitend verbunden, und der Zuschauer glaubt, das ganze Leben dieser Guste von der Wiege bis zum 65. Lebensjahr miterlebt zu haben.“ Hervorzuheben ist die Arbeit von Schnittmeisterin Ilse Voigt und Kameramann Friedl Behn-Grund, mit denen Maetzig mehrfach bei verschiedenen Projekten zusammenarbeitete.
Echo
Kurt Maetzig, Berta Waterstradt, Friedl Behn-Grund und Camilla Spira erhielten 1949 für ihre Arbeit den erstmals verliehenen Nationalpreis der DDR. Der Film wurde von äußerst positiven Kritiken begleitet. So urteilte Leo Menter in der Weltbühne: „Der DEFA darf man gratulieren, Sie hat wieder dorthin gefunden, wo ihr Name sich seinen guten Klang geholt hat.“ Gelobt wurden auch die darstellerischen Leistungen – insbesondere von Camilla Spira und Werner Hinz. Brigitte Krause, die später über Jahrzehnte eine feste Mit-Spielerin in der Film- und Fernsehlandschaft der DDR war, gab als Gustes Enkelin Christel ihr Filmdebüt.
Verfasst von Philip Zengel (Juli 2019).
Weiterführende Literatur
- Agde, G. (1983). Kurt Maetzig – eingreifen, aufklären, verändern. In R. Richter (Hrsg.): DEFA-Spielfilm-Regisseure und ihre Kritiker, Band 2 (S. 99-120). Berlin: Henschelverlag.
- Blum, H. R. (1977). Kurt Maetzig der Pionier. In P.W. Jansen & W. Schütte (Hrsg.): Film in der DDR (S. 57-77). München: Hanser.
- Habel, F.-B. (2017). Die Buntkarierten. In: Das große Lexikon der DEFA-Spielfilme (S. 129-130). Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf.
- Mückenberger, C. (1994). Zeit der Hoffnungen 1946 bis 1949. In Filmmuseum Potsdam (Hrsg.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg 1946-92 (S. 8-50). Berlin: Henschelverlag.
- Waterstradt, B. (1977). Die Geburt der „Buntkarierten“. In H. Knietzsch (Hrsg.): Kino- und Fernseh-Almanach (S. 22-26). Berlin: Henschelverlag.