Die Söhne der großen Bärin
Am 13. Juni feiert „DEFA-Chefindianer“ Gojko Mitić seinen 80. Geburtstag. Eine Reihe von DEFA-Indianerfilmen sind zu diesem Anlass im Fernsehen zu sehen sowie auf Online-Streamingdiensten wie Amazon Prime und Netzkino verfügbar.
historischer Hintergrund
DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN spielt zu Zeiten des letzten großen Freiheitskampfes der Dakota-Stämme gegen weiße „Eroberer“ und versucht die historischen Ereignisse korrekt widerzugeben. 1868 wurde den Dakota per Vertrag das Territorium um die heutigen US-amerikanischen Bundesstaaten Nord- und Süddakota sowie Teile von Montana zugesichert. Nachdem sechs Jahre später in den Black Hills Gold gefunden wurde, verloren die Verträge ihre Gültigkeit. Bis Ende Januar 1886 sollten die Indianer das Gebiet verlassen, doch einzelne Stämme widersetzten sich. Die US-amerikanische Regierung begann ihre Ansprüche mit gewaltsamen Mitteln durchzusetzen.
Western aus der DDR?
Schon in den späten 1950er-Jahren gab es bei der DEFA Überlegungen, einen eigenen historischen Spielfilm über Ereignisse des Wilden Westens zu drehen, doch der Plan zerschlug sich. Ab 1962 waren dann die Karl-May-Filme um den Apachen-Häuptling Winnetou und seinen Blutsbruder Old Shatterhand ein Kassenschlager in den Kinos der Bundesrepublik und wirkten auch auf die DEFA wie ein Katalysator. In der DDR war das Werk Karl Mays zu diesem Zeitpunkt unerwünscht und um die Verfilmungen zu sehen, mussten DDR-Bürger in die Tschechoslowakei oder Ungarn reisen. Doch auch die DDR-Jugend wollte längst Wild-West-Abenteuer auf der Leinwand erleben. So entstanden Bemühungen, das Filmrepertoire der DEFA um ein neues Genre zu bereichern. Bei der Suche nach einer verfilmbaren Vorlage fiel die Wahl auf die Buchreihe „Die Söhne der großen Bärin“ der Autorin und Historikerin Liselotte Welskopf-Henrich (1901–1979).
Anspruch des DEFA-Indianerfilms
Welskopf-Henrich, die auch das Drehbuch zu DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN mitverfasste, legte großen Wert darauf, dass der Film mehr als eine Abenteuergeschichte erzählt. In einer Produktionseinschätzung der Künstlerischen Arbeitsgruppe „Roter Kreis“ vom 10. Dezember 1965 heißt es: „Wir sahen (...) die Möglichkeit, einen Indianerfilm zu schaffen, der sich von dem unrealistischen Klisché derjenigen komerziellen (sic!) Western-Filme unterscheidet, die die Indianer nur als anonyme Masse und Menschenfeinde zeigen.“ Die Indianer sollten weder als wilde Übeltäter noch als unfehlbare Helden dargestellt werden. Vielmehr wurde der Anspruch verfolgt die amerikanischen Ureinwohner in ihrer Normalität zu zeigen, einen Einblick in ihre Lebensweise zu gewähren und eine neue Sicht auf die US-amerikanische Geschichte zu geben. Damit war ein Alleinstellungsmerkmal gefunden, das die DEFA-Indianerfilme von anderen Filmen innerhalb des „Western“-Genres abgrenzt.
1965 – ein schwieriges Filmjahr
DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN kam in einem Jahr in die Kinos, in dem fast die gesamte DEFA-Jahresproduktion nach dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED in den Giftschrank verbannt wurde. Es darf in Frage gestellt werden, ob der Film ein Jahr später überhaupt produziert worden wäre. Schließlich galten Western bis dahin als bürgerliches Filmgenre, in dem harte Cowboyfiguren – dargestellt durch Schauspieler wie John Wayne – glorifiziert wurden und das sich der Geschichte des „Klassenfeindes“ widmet. Im Vergleich zu den verbotenen DDR-Gegenwartsfilmen 1965/66 schien der Indianerfilm aus kulturpolitischer Perspektive jedoch vergleichsweise unbedenklich, sodass DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN am 18. Februar 1966 Premiere feierte.
Suche nach einem Regisseur
Die Suche nach einem geeigneten Regisseur gestaltete sich schwierig. Bei der DEFA wollte sich niemand dem Stoff widmen, sodass der tschechoslowakische Filmemacher Josef Mach (1909–1987) als Gast verpflichtet wurde. Mach inszenierte im Anschluss noch den DEFA-Zirkusfilm SCHWARZE PANTHER und war danach wieder für die Barrandov-Studios tätig. Nach dem großen kommerziellen Erfolg von DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN mit mehr als neun Millionen Kinozuschauern war die Regisseur-Suche für die folgenden DEFA-Indianerfilme deutlich einfacher. Insbesondere Gottfried Kolditz und Konrad Petzold profilierten sich mit mehreren Filmen in diesem Genre.
Schauspieler: Mitić, Vršťala und viele bekannte DEFA-Gesichter
Für die Hauptrolle des Tokei-ihto wurde der Serbe Gojko Mitić (*1940) verpflichtet. Der damalige Sportstudent spielte zuvor bereits kleinere Rollen in einigen westdeutschen Winnetou-Filmen. Der Schoschonen-Häuptling Wokadeh in Alfred Vohrers UNTER GEIERN (1964) war sein größter Part. Als kurze Zeit später die DEFA in Person von Produktionsleiter Hans Mahlich auf Mitić zukam und ihm die Rolle des Tokei-ihto in DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN anbot, handelte es sich für ihn zunächst nur um einen weiteren Film, in dem er mitwirken sollte. Der Erfolg, der sich einstellte, war keineswegs vorhersehbar. Doch Mitić wurde über die Grenzen der DDR hinaus zum Idol für Millionen Kinder und Jugendliche und spielte bis 1982 in insgesamt zwölf DEFA-Indianerfilmen verschiedene historische und fiktive Indianerpersönlichkeiten.
Als negativer Gegenpart wurde der tschechoslowakische Schauspieler Jiří Vršťala (1920–1999) besetzt, der dem Publikum bereits durch seine Darstellung des Clown Ferdinand bekannt war und als Ehepartner von Angelica Domröse 1966 zeitweilig in die DDR übersiedelte. In weiteren Rollen sind viele etablierte Darsteller des DEFA-Ensembles zu sehen, darunter Rolf Römer, Hans Hardt-Hardtloff, Gerhard Rachold, Hannjo Hasse, Helmut Schreiber, Ruth Kommerell und Brigitte Krause. Seine erste kleine Nebenrolle beim Film spielte der damals 18-jährige Henry Hübchen.
Verfasst von Philip Zengel (Juni 2020)