Fünf Patronenhülsen
Bei ICESTORM erscheint am 30. September 2021 Frank Beyers DEFA-Spielfilm FÜNF PATRONENHÜLSEN (1960) in der Reihe „Filmwerke HD-remastered“ auf DVD. Wir stellen die Produktion anlässlich der Neuveröffentlichung als DEFA-Film des Monats vor.
Kurzinhalt
Während des Spanienkrieges deckt der deutsche Kommissar Witting (Erwin Geschonneck) mit fünf Interbrigadisten den Rückzug ihres Bataillons. Nach ausgeführtem Auftrag müssen sie sich durch die feindlichen Linien schlagen. Witting wird schwer verwundet. Er übergibt seinen Kameraden eine Meldung für den Stab – in Einzelstücke aufgeteilt und in fünf Patronenhülsen gesteckt. Zusammenhalten und durchkommen lautet die Devise. Der Auftrag spornt sie an, nur der Franzose Pierre (Armin Mueller-Stahl) kann in der glühenden Hitze der Sierra den Durst nicht aushalten. Er verlässt die Deckung, um an einem Brunnen zu trinken…
Spanischer Bürgerkrieg im DEFA-Spielfilm
Mit FÜNF PATRONENHÜLSEN widmete sich die DEFA zum dritten Mal in einem Spielfilm dem Spanischen Bürgerkrieg. Vor Frank Beyer beschäftigten sich bereits der österreichische Filmemacher Karl Paryla in MICH DÜRSTET (1956) und Martin Hellberg in WO DU HIN GEHST... (1957) mit der Thematik. Das Drehbuch zu FÜNF PATRONENHÜLSEN stammt aus der Feder des Schriftstellers Walter Gorrish (1909–1981), der selbst im Spanischen Bürgerkrieg für die Internationalen Brigaden auf Seiten der Republikaner gegen die Nationalisten kämpfte und mit seinem Buch „Um Spaniens Freiheit“ bereits die literarische Vorlage zu MICH DÜRSTET lieferte.
Kaum Dialog
Ungewöhnlich für eine DEFA-Produktion: Rund die Hälfte der Szenen in FÜNF PATRONENHÜLSEN kommt ohne Dialog aus. Noch während der Dreharbeiten wurde das Drehbuch um ein Viertel der Dialoge gekürzt. Wolfgang Kohlhaase hielt über Drehbuchautor Gorrish fest: „Es gibt robuste Erzähler, denen die eigene Rolle mühelos zur Hauptrolle gerät, Publikum macht sie mitteilsam, Applaus erfinderisch (…) Gorrish erzählt anders, und seine Geschichten sind andere. Ihre Einzelheiten sind verbindlich, der Vorgang ist bis zum absurden Zufall zwingend: So war es. Er war dabei. Es hat ihn eher still gemacht.“
Hochkarätige Besetzung
Die wenigen Dialoge lassen das ausdrucksstarke Spiel des durchgehend männlichen Schauspielensembles in den Mittelpunkt rücken. Die prominent besetzten Akteure werden gleich zu Beginn, begleitet durch eine von Ernst Busch gesungene Interpretation des Liedes von der Jamarafront, vorgestellt. Zu sehen sind: Erwin Geschonneck als Kommissar Witting, Ulrich Thein als sowjetischer Funker Wasja, Edwin Marian gibt den spanischen Soldaten José, Ernst-Georg Schwill den Deutschen Willi, Armin Mueller-Stahl den Franzosen Pierre, Manfred Krug den Polen Oleg und Günter Naumann den Bulgaren Dimitri. Die verschiedenen Nationen der Charaktere untermauern ein starkes Motiv des Films: Internationale Solidarität. Herzuheben ist die schauspielerische Leistung, des in der kleinsten Rolle besetzten Geschonnecks, der die Rolle von dem eigentlich vorgesehenen, aber erkrankten Ernst Busch übernahm. Frank Beyer ließ Geschonneck in einem Brief zum 70. Geburtstag wissen, er habe eine Figur gespielt, „(...) die durch deine Persönlichkeit über die ganze Länge des Films dem Zuschauer gegenwärtig blieb.“
Regie: Frank Beyer
Über zwei Jahre lag das Szenarium zu FÜNF PATRONENHÜLSEN vor seiner Realisierung im DEFA-Spielfilmstudio, bevor sich der damals noch junge Regisseur Frank Beyer dem Stoff widmete. Beyer zeigte sich nach seinem zweiten langen Spielfilmprojekt EINE ALTE LIEBE (1959), das anlässlich der Kollektivierungs-Kampagne zu Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) der DDR-Regierung entstand, unzufrieden. Früh geriet der Film in den Fokus der Zensoren. Kritisiert wurde u.a. die unzureichende Darstellung der SED. Im Nachgang des 8. Plenums des ZK der SED wurden sämtliche im Einsatz befindlichen Filme mit landwirtschaftlicher Thematik überprüft. Im Zuge dieser Überprüfung wurde EINE ALTE LIEBE 1960 ohne Kenntnis des Regisseurs zurückgezogen und aus den Spielplänen entfernt. Beyer löste sich nun bewusst vom Genre des Gegenwartsfilms und entschied sich für eine historisch-politische Vorlage. FÜNF PATRONENHÜLSEN bildete den Auftakt weiterer Filme des Regisseurs, die den Widerstand gegen den Faschismus als zentrales Thema wählten. KÖNIGSKINDER (1962) und NACKT UNTER WÖLFEN (1962) folgten.
Ein eingespieltes Filmteam
Erstmals drehte Beyer anhand eines optischen Drehbuchs, das die verschiedenen Einstellungen bereits vor den Dreharbeiten grafisch abbildete. Hervorzuheben ist auch die Arbeit von Kameramann Günter Marczinkowsky, der es schaffte die Gefühlsregungen der durstigen Soldaten zu visualisieren. Marczinkowsky arbeitete mit Frank Beyer bereits ein Jahr zuvor bei EINE ALTE LIEBE zusammen. Das Duo sollte seine erfolgreiche Zusammenarbeit nach FÜNF PATRONENHÜLSEN noch mehrfach fortsetzen – KÖNIGSKINDER, NACKT UNTER WÖLFEN, KARBID UND SAUERAMPFER, SPUR DER STEINE. Weitere langjährige Arbeitsbeziehungen verband Beyer mit dem Komponisten Joachim Werzlau und Szenenbildner Alfred Hirschmeier.
Drehorte abseits von Spanien
Aufgrund der bestehenden Franco-Diktatur in Spanien, standen der DEFA die originalen Landschaften des Bürgerkrieges als mögliche Drehorte nicht zur Verfügung. Die Außenaufnahmen des Films wurden daher im bulgarischen Balkangebirge sowie im Harz in der Gegend zwischen Quedlinburg und Blankenburg gedreht. Da im Harz die Felsen aus Sandstein bestanden und eine unpassende, zu dunkle Färbung aufwiesen, wurden sie von extra angeforderten Malerbrigaden mit einigem Aufwand weiß gestrichen. Mit eigenen Augen konnte Beyer die spanischen Landschaften erst 1975 im Zuge einer Reise zum Filmfestival in San Sebastian sehen. Die Landschaftsmotive spielen im Film eine tragende Rolle, symbolisieren sie einerseits traumhafte Schönheit, andererseits schonungslose Härte. Aufgrund seiner klaren, stilisierten Bildsprache wird FÜNF PATRONENHÜLSEN mitunter als erster Western der DDR bezeichnet.
Echo
FÜNF PATRONENHÜLSEN wurde von Kritik und Publikum überwiegend begeistert aufgenommen. Filmkritikerin Rosemarie Rehahn urteilte nach der Premiere am 3. November 1960 im Berliner Babylon in der DDR-Morgenpost: „Ein Film, zu dem man das DEFA-Studio beglückwünschen möchte, ein starker, leidenschaftlicher, erregender Film, durchglüht von sozialistischem Humanismus vom Glauben an die Kraft, an die Würde des Menschen.“ In der DDR wurden Frank Beyer, Alfred Hirschmeier, Günter Marczinkowsky und Joachim Werzlau mit dem „Heinrich-Greif-Preis“ gewürdigt. Auf dem XII. Filmfestival der Werktätigen der ČSSR (1961) erhielt Walter Gorrish eine Auszeichnung.
verfasst von Philip Zengel. (September 2021)