Filmstill zu "Hamida"

Hamida

Das renommierte Filmfestival Lumière im französischen Lyon präsentierte am 13. und 15. Oktober in der Sektion „Classics“ unter der Überschrift „Treasures & Curiosities“ den Spielfilm HAMIDA, der 1965 in Koproduktion zwischen der DEFA und Tunesien entstand. Es war die Premiere der mit Mitteln aus dem Förderprogramm Filmerbe von Bund, Ländern und Filmförderungsanstalt hergestellten digital restaurierten Fassung.

Am 26. Oktober, 14:00 Uhr, folgt im Berliner Kino Arsenal die Deutschland-Premiere im Rahmen des Film Restored Festivals der Deutschen Kinemathek.

Kurzinhalt

Filmplakat zu "Hamida"

HAMIDA

(R: Jean Michaud-Mailland, 1965) Grafiker: Werner Gottsmann

Um 1950. Ein Bauernhof in Tunesien zur Zeit des französischen Protektorats. Die Kinder Hamida (gespielt von Amor Aouini), ein Hirtenjunge, und Renaud (Francis Lefebvre), Enkel eines französischen Hofbesitzers, sind Freunde. Eines Tages fällt der elternlose Hamida auf der Suche nach einem verlorenen Schaf in einen Fluss. Renaud, der versehentlich den Verlust des Schafes verursacht hat, rettet ihn, aber Hamida erkrankt gefährlich an einer Lungenentzündung. Kann Renaud seinem Freund helfen?

 Hier finden Sie die vollständigen Filmdaten.

Französisches Protektorat in Tunesien

HAMIDA spielt vor dem Hintergrund des französischen Protektorats in Tunesien, das 75 Jahre andauerte. Im April 1881 marschierten französische Truppen in das Land ein und eroberten innerhalb von drei Wochen die Hauptstadt Tunis, nachdem Plünderer aus dem Norden Tunesiens in das bereits von Frankreich besetzte Algerien vorgedrungen waren. Der tunesische Machthaber Sadok Bey wurde gezwungen, den Vertrag von Bardo zu unterzeichnen, der Tunesien unter das Protektorat Frankreichs stellte. In dieser Zeit war das Land nur bedingt ein souveräner Staat. 1883 folgte der Vertrag von La Marsa, der insbesondere die innenpolitischen Einflussmöglichkeiten Frankreichs in Tunesien weiter stärkte. Im Gegenzug übernahm Frankreich die Schulden des nordafrikanischen Landes, das bereits seit dem Staatsbankrott von 1869 wirtschaftspolitisch von europäischen Ländern abhängig war. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts regte sich in Tunesien Widerstand gegen den Einfluss Frankreichs. Für mehrere Jahre befand sich das Land im Ausnahmezustand. Im Sommer 1954 zeigte sich der französische Premierminister Pierre Mendès France zu ernsthaften Gesprächen über eine tunesische Unabhängigkeit bereit. Am 20. März 1956 erkannte Frankreich vertraglich die Unabhängigkeit Tunesiens an.

 

 

 

 

Original-Kinotrailer zu HAMIDA (R: Jean Michaud-Mailland, 1965)

Produktionsnotizen: Ein ungewöhnliches Angebot

Filmstill zu "Hamida"

Amor Aouini

ist HAMIDA (R: Jean Michaud-Mailland, 1965) Fotograf: Rudolf Meister

In Folge des Protektorats steckte die tunesische Filmindustrie in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre noch in den Kinderschuhen. Die neu gegründete staatliche Filmproduktionsfirma SATPEC hatte vor HAMIDA noch keinen Spielfilm produziert. Es mangelte an Finanzkraft, Erfahrungen der heimischen Filmschaffenden und an technischem Equipment. Für ein erstes Spielfilmprojekt war man auf der Suche nach Unterstützern. Als diese in Frankreich nicht im ausreichenden Maß gefunden wurden, empfahl Louis Daquin, Nestor der linken Filmschaffenden in Frankreich, den Tunesiern die DEFA. Daquin drehte 1960 seinen Spielfilm TRÜBE WASSER in Koproduktion mit der DDR und hatte insbesondere zum Dramaturgen Walter Janka und zu seiner Frau Lotte Janka, die Daquins Filmarbeit in der DDR als Übersetzerin begleitete, noch guten Kontakt. Für die DEFA kam das Angebot einer Koproduktion sehr gelegen. Die letzte Koproduktion mit Frankreich lag bereits fünf Jahre zurück. Andere, belastbare Kontakte in das „kapitalistische Ausland“ bestanden zu dieser Zeit nicht. Von einer Zusammenarbeit mit Tunesien erhoffte sich die DEFA einen internationalen, künstlerischen Prestigegewinn.

Herausforderungen beim Dreh

Nach rund sechs Monaten Vorbereitungszeit reiste im Januar 1965 eine 16-köpfige DEFA-Crew nach Tunesien. Der Drehprozess war geprägt von vielen Herausforderungen. So war das vorhandene technische Equipment in schlechter Verfassung. Dieter Wolf, Leiter der DEFA-Produktionsgruppe „Babelsberg“, erinnert sich rückblickend: „Die SATPEC stellte eine desolate Filmtechnik zur Verfügung. Manche Gerätschaften fehlten ganz. Die Instandsetzungsarbeiten dauerten bis in die Drehzeit hinein und erschwerten die Produktion enorm.“ Zudem verfügte Tunesien über kein eigenes Kopierwerk, sodass das gedrehte Material alle drei Tage per Luftfracht in die DDR transportiert werden musste. Nach der dortigen Bearbeitung wurde das Material zurück nach Tunesien geschickt, wo Schnittmeisterin Helga Emmrich in ihrem Hotelzimmer an einem aus Babelsberg nach Tunesien verschifften, ausgemusterten Schneidetisch eine Arbeitskopie erstellte. „Es dauerte, bis sich das Filmteam von der künstlerischen und technischen Qualität der Aufnahmen überzeugen konnte“, so Dieter Wolf. Neben technischen Aspekten gab es auch Probleme in der Zusammenarbeit. Insbesondere an der Kamera kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem französischen Kameramann Jean Chiabaut und seinem deutschen Kollegen Otto Hanisch.

Filmstill zu "Hamida"

Jean Michaud-Mailland mit Francis Lefebvre und Amor Aouini bei den Dreharbeiten zu HAMIDA (R: Jean Michaud-Mailland, 1965) Fotograf: Rudolf Meister

Filmstill zu "Hamida"

Gedränge an der Kamera während der Dreharbeiten zu HAMIDA (R: Jean Michaud-Mailland, 1965) Fotograf: Rudolf Meister

Herausforderungen beim Dreh - Teil 2

Die wohl größte Herausforderung, die das Projekt nach zehn Drehtagen fast zum Scheitern brachte, war ein Wechsel in der Regie: Der ursprüngliche Regisseur Khaled Abdul-Wahab, der auch als Koproduzent auftrat und die Stoffrechte der literarischen Vorlage Pas de cheval pour Hamida von Gabrielle Estivals in die Produktion einbrachte, musste aufgrund von Zweifeln an seiner fachlichen Kompetenz die Arbeit beenden. Auch seine von ihm in der Rolle von Renauds Mutter besetzte Ehefrau Maritza Caballero wurde dazu bewegt, die Produktion zu verlassen. Die Regie übernahm der bisherige Regieassistent Jean Michaud-Mailland. Für die weibliche Hauptrolle wurde kurzfristig Christine Laszar aus der DDR eingeflogen. Die Dreharbeiten begannen von neuem.

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Wahre Freunde: Renaud (Francis Lefebvre) und Hamida (Amor Aouini) in HAMIDA (R: Jean Michaud-Mailland, 1965) Fotograf: Rudolf Meister

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Keine einfache Beziehung: Renaud (Francis Lefebvre) mit seinem Großvater (Jean Davy) in HAMIDA (R: Jean Michaud-Mailland, 1965) Fotograf: Rudolf Meister

Regie: Jean Michaud-Mailland

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Jean Michaud-Mailland

während der Dreharbeiten zu HAMIDA (R: Jean Michaud-Mailland, 1965) Fotograf: Rudolf Meister

Der im französischen Lyon aufgewachsene Jean Michaud-Mailland (1937–2017) war zum Zeitpunkt der HAMIDA-Dreharbeiten 28 Jahre alt und realisierte damit seine erste eigenständige Arbeit als Regisseur. Michaud-Mailland war ein Praktiker, der nie eine Filmhochschule besuchte. Vor seiner Regie-Laufbahn trat er bereits in unterschiedlichsten Funktionen beim Film in Erscheinung, war Fotograf, Aufnahmeleiter und Darsteller. Regie-Assistenzen absolvierte er u.a. bei Jean-Paul Le Chanois, Armand Gatti, Joris Ivens und Louis Daquin. Daquin war auch sein größter Fürsprecher, als es um die Neubesetzung der Regie für HAMIDA ging. In einem Interview in der Berliner Zeitung über die Dreharbeiten hielt der Regisseur fest: „Ich [war] froh, zum ersten Male als Regisseur nach Tunesien zu kommen und nicht etwa als Soldat, was mir ja als junger Mensch unter Umständen hätte blühen können.“ (25. Juli 1965) Christine Laszar äußerte sich in der gleichen Ausgabe der Zeitung überaus positiv über die Zusammenarbeit: „Oft hat man bei einem Regisseur den Eindruck, in einer Art Zwangsjacke zu arbeiten, bei Jean Michaud hingegen habe ich mich völlig frei und gelöst gefühlt. Ich würde jederzeit gern wieder mit ihm zusammenarbeiten.“

Echo: Positives Kritikerecho, wenig Publikum

Die Filmkritik in der DDR besprach HAMIDA positiv bis euphorisch. Selten sähe man „so ein ausgewogenes, psychologische Tiefen berührendes Zusammenspiel“ hieß es etwa im Bauernecho am 26. Januar 1966. Hervorgehoben wurde neben den Leistungen des überwiegend mit Laien besetzten Casts und den malerischen, ausschließlich an Originalschauplätzen gedrehten Aufnahmen immer wieder der Erzählstil des Films. Nach Günter Sobe in der Berliner Zeitung „könnte man sich glücklich schätzen, wenn mancher DEFA-Film mit so viel Gefühl für den richtigen Bildrhythmus (...) inszeniert wäre.“ (2. Februar 1966). Wiederkehrend gaben die DDR-Besprechungen Filmkritiken wieder, die anlässlich der Welturaufführung des Films im Rahmen des V. Internationalen Filmfestival in Beirut im Herbst 1965 entstanden. So wird der französische Filmkritiker Georges Sadoul mit den Worten zitiert, dass HAMIDA zu den besten Filmen zähle, die in Nordafrika hergestellt wurden (vgl. Nationalzeitung, 1. Februar 1966). Entgegen den positiven Stimmen aus der Filmkritik entwickelte HAMIDA kaum Zugkraft an den DDR-Kinokassen, wurde jedoch zumindest in die Sowjetunion sowie nach Polen und Ungarn exportiert.

In Tunesien war HAMIDA insbesondere bei der Landbevölkerung beliebt. Dieter Wolf erinnert sich an lebhafte Publikumsdiskussionen. Heute gilt HAMIDA als Meilenstein der tunesischen Filmgeschichte. Die Restaurierung des Films erfolgte auf Wunsch von Mohamed Challouf, Präsident des tunesischen Vereins „Ciné-Sud Patrimoine“, der sich in besonderem Maße um das tunesische Filmerbe bemüht.

Filmstill zu "Hamida"

Mutter und Sohn: Christina Laszar mit Filmkind Francis Lefebvre in HAMIDA (R: Jean Michaud-Mailland, 1965) Fotograf: Rudolf Meister

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Hamida (Amor Aouini) blickt in die französische Geschichte in HAMIDA (R: Jean Michaud-Mailland, 1965) Fotograf: Rudolf Meister

Weitere Zusammenarbeit?

Als eine tunesische Delegation Ende Januar 1966 zur DDR-Premiere in Berlin eintraf, hatten sie – einen Bericht der Filmkritikerin Rosemarie Rehahn in der Wochenpost vom 19. Februar 1966 folgend – bereits eine Idee für ein weiteres gemeinsames Filmprojekt im Gepäck: „Eine Geschichte, die sich während des Afrikafeldzuges tatsächlich zugetragen hat. Sie handelt von der dramatischen Begegnung eines jungen tunesischen Kommunisten in den Reihen der Alliierten mit einem deutschen Reserveoffizier, einem bürgerlichen Intellektuellen, der einen Ausweg aus seinem Konflikt mit dem Faschismus sucht.“ Realisiert wurde ein solches Projekt nicht. Ein Jahr später reiste eine DDR-Delegation nach Tunesien, um dort DEFA-Produktionen im Rahmen einer DDR-Filmwoche vorzustellen. Doch zu einer weiteren Zusammenarbeit kam es nicht: „Dafür gab es möglicherweise zu wenig Filmstoffe und -ideen, die für beide Länder gleichermaßen relevant waren.“, meint Dieter Wolf.

Verfasst von Philip Zengel. (Oktober 2024)

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