Königskinder
Am 17. Dezember 2020 feiert Armin Mueller-Stahl seinen 90. Geburtstag. ICESTORM veröffentlicht zu diesem Jubiläum eine DVD-Edition mit vier DEFA-Filmen, die den Schauspieler in tragenden Rollen zeigen. Darunter findet sich der Frank-Beyer-Film KÖNIGSKINDER (1962).
Kurzinhalt
Als metaphorisches Leitmotiv des Films fungiert die Volksballade „Es waren zwei Königskinder“, die von einer unerfüllten Liebe aufgrund äußerer Widerstände handelt. Die Königskinder sind Magdalena und Michael (einfühlsam gespielt von Annekathrin Bürger und Armin Mueller-Stahl), die sich seit Kindheitstagen kennen. Michael lehnt sich gegen das Regime der Nationalsozialisten auf, wird inhaftiert und später in ein Strafbataillon an der Ostfront entsandt. Währenddessen engagiert sich Magdalena in Deutschland im kommunistischen Widerstand. Beide hoffen, irgendwann wieder vereint zu sein.
Produktionsnotizen
Die Dreharbeiten erfolgten zwischen dem 24. März 1961 und dem 9. September 1961 in Berlin, Sebnitz und Dresden. Prägnanter Schauplatz ist unter anderem die Treppe zur Brühlschen Terrasse, die an die berühmte Treppe in Sergej Eisensteins Stummfilmklassiker PANZERKREUZER POTEMKIN (1925) erinnert. Frank Beyer berichtet in seiner Autobiografie „Meine Filme, mein Leben“ (Econ-Verlag, 2001) von strapaziösen Dreharbeiten und dass: „unsere drei Hauptdarsteller Annekathrin Bürger, Armin Mueller-Stahl und Ulrich Thein oft von Theatervorstellungen erst nach Mitternacht zum Drehort kamen.“ Durch den Mauerbau verzögerte sich das letzte Drittel der Dreharbeiten, da Teile des Filmstabs und auch der Regisseur in die Betriebskampfgruppe zur Sicherung der Grenze an den Teltowkanal berufen wurden. Premiere feierte KÖNIGSKINDER am 8. Juni 1962 im Zuge der 4. Arbeiterfestspiele im Bezirk Erfurt. Der offizielle Kinostart folgte einige Monate später am 7. September 1962.
Ein autobiografischer Stoff
KÖNIGSKINDER basiert in großen Teilen auf persönlichen Erlebnissen des Schriftstellers Walter Gorrish (1909–1981), der ab 1936 für die Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte. 1940 wurde Gorrish von den Nationalsozialisten wegen Hochverrat zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Später war er Teil eines Strafbataillons und desertierte zur Roten Armee. Das Drehbuch zu KÖNIGSKINDER verfasste er gemeinsam mit seiner Frau Edith. Mit Regisseur Frank Beyer arbeitete Gorrish bereits für FÜNF PATRONENHÜLSEN (1960) zusammen. Der ebenfalls autobiografisch geprägte Film spielt im Umfeld des Spanischen Bürgerkriegs.
Zusammenarbeit mit der Sowjetunion?
Eigentlich sollte KÖNIGSKINDER mit sowjetischer Unterstützung realisiert werden. Mit der nahe Moskau gelegenen Stadt Zagorsk war bereits ein Drehort gefunden. Zusätzlich sollten zwei sowjetische Darsteller in Nebenrollen besetzt werden. Eine finale Bestätigung für die Zusammenarbeit sollte erst nach Kenntnisnahme des Drehbuchs durch die Filmverwaltung in Moskau erfolgen. Eine Reaktion Moskaus auf das Drehbuch ließ jedoch auf sich warten. Nachdem ein Großteil des Films bereits abgedreht war, wurden Frank Beyer und Produktionsleiter Hans Mahlich nach Moskau bestellt. Igor Tschekin, früherer sowjetischer Berater am DEFA-Spielfilmstudio, schlug Beyer und Mahlich die Streichung von Szenen mit sowjetischen Soldaten vor. Da dies für Beyer nicht in Frage kam, scheiterte die Zusammenarbeit. Die russische Ortschaft wurde stattdessen auf dem DEFA-Gelände erbaut. Auf Nachfrage Beyers gestattete Tschekin die Besetzung der russischen Soldaten mit zwei Mitgliedern eines in Potsdam stationierten Ensembles der Roten Armee. Unter den beiden Darstellern war Leonid Swetlow – früherer Assistent Sergej Eisensteins.
Regie: Frank Beyer – Kamera: Günter Marczinkowsky
Frank Beyer (1932–2006) zählt zu den wichtigsten Regisseuren der DEFA. Bekannt ist er insbesondere für seine antifaschistischen Filme, wie u.a. FÜNF PATRONENHÜLSEN (1960), NACKT UNTER WÖLFEN (1962) und DER AUFENTHALT (1982). Seine Verfilmung von Jurek Beckers JAKOB DER LÜGNER (1974) wird für den Oscar nominiert. Beyer inszeniert jedoch auch andere Stoffe: Mit KARBID UND SAUERAMPFER (1963) gelingt ihm eine der erfolgreichsten DEFA-Komödien. Filme wie DAS VERSTECK (1977), BOCKSHORN (1984) und DER BRUCH (1989) zeigen sein Können in den Bereichen des Liebes-, Jugend- und Kriminalfilms. Beyers bis heute vielbeachteter DDR-Gegenwartsfilm SPUR DER STEINE (1966) wird in Folge des 11. Plenums des Zentralkomitees der SED verboten und erst in der Wendezeit wiederaufgeführt. Sechs Mal arbeitet Beyer bei der DEFA mit Kameramann Günter Marczinkowsky (1927–2004) zusammen. Die langjährige Arbeitsgemeinschaft kann als eine der gewinnbringendsten der DEFA-Filmgeschichte bezeichnet werden. Für KÖNIGSKINDER schuf das Gespann, einem optischen Drehbuch folgend, eine stilisierte Bildsprache, die an den Ausdrucksstil des zeitgenössischen sowjetischen und polnischen Kinos anknüpft und als einzigartig unter den DEFA-Produktionen gilt.
Armin Mueller-Stahl
Armin Mueller-Stahl (* 1930) zählt zu den beliebtesten deutschen Schauspielern. Mit seinen Hauptrollen in den Frank-Beyer-Filmen FÜNF PATRONENHÜLSEN (1960), KÖNIGSKINDER (1962) und NACKT UNTER WÖLFEN (1962) entwickelte er sich bei der DEFA zum gefragten Charakterdarsteller. Mueller-Stahl bedient in Komödien wie NELKEN IN ASPIK (Günter Reisch, 1976) auch das heitere Rollenfach und ist in Abenteuerfilmen wie TÖDLICHER IRRTUM (Konrad Petzold, 1970) zu sehen. In seinem letzten DEFA-Film DIE FLUCHT (1977) spielt er unter der Regie von Roland Gräf den unzufriedenen Oberarzt Dr. Schmith, der sich zur Republikflucht entschließt. Nachdem Mueller-Stahl ein Protestschreiben gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterzeichnet, erhält er keine Rollenangebote mehr und stellt einen Ausreiseantrag. 1980 siedelt er in die Bundesrepublik über und erarbeitet sich mit Auftritten in Filmen von Rainer-Werner Fassbinder, Agnieszka Holland und István Szabó weiteres internationales Ansehen.
Echo
Auf dem Internationalen Filmfestival in Karlovy Vary wird KÖNIGSKINDER 1962 mit einer Anerkennungsmedaille ausgezeichnet. Die ganz große Zugkraft an der Kinokasse konnte KÖNIGSKINDER jedoch nicht entwickeln: Mit rund 800.000 DDR-Kinobesuchern rangiert der Film nur im oberen Mittelfeld des DEFA-Jahrgangs 1962. Filmkritiker Horst Knietzsch mutmaßt in seinem Buch „Film gestern und heute“, dass dies daran gelegen haben könnte, „daß drei Menschen im Mittelpunkt standen, mit denen sich Millionen Deutsche nur schwer identifizieren konnten, weil ihr Weg durch das faschistische Deutschland ein anderer gewesen war.“ Die Filmkritik nimmt den Frank-Beyer-Film überwiegend positiv auf. So titelt die neue Neue Zeit am 2. September 1962 „Ein altes Motiv in modernem Gewand“. Die Berliner Zeitung unterstreicht am 5. September 1962 die eindringliche Wirkung des Films nach dem Kinobesuch: „Es bleibt eine Tragik, die man zu durchdenken gezwungen ist, wenn man aus dem Kino geht. Es ist mehr als ein Appell, einen neuen Krieg nicht zuzulassen. Die Königskinder sprechen zu jedem einzelnen, nachhaltig fordernd und laut, unüberhörbar.“
verfasst von Philip Zengel (November 2020)