Meine Frau macht Musik
„Publikumspiraten“ heißt die jüngste Neuerscheinung in der Schriftenreihe der DEFA-Stiftung, die sich dem Genrekino der DEFA widmet. Als DEFA-Film des Monats stellen wir mit MEINE FRAU MACHT MUSIK den ersten DEFA-Revuefilm vor, der zugleich zu den publikumsstärksten DEFA-Spielfilmproduktionen aller Zeiten zählt. MEINE FRAU MACHT MUSIK ist in der Edition Filmjuwelen auf DVD erhältlich und steht in der DEFA-Filmwelt auf YouTube als kostenfreies Streaming-Angebot zur Verfügung.
Kurzinhalt
Gustl Wagner (gespielt von Günther Simon) ist Leiter der Schallplattenabteilung eines großen Berliner Kaufhauses und seit zehn Jahren glücklich mit seiner Frau Gerda (Lore Frisch) verheiratet, mit der er zwei Kinder hat. Für die Ehe legte Gerda ihre Karriereambitionen als Sängerin ad acta und singt seither nur noch zu Hause. Ein Zufall bringt Gerda in Kontakt mit dem schillernden italienischen Sänger Fabiani (Alexander Hegarth). Die Lust auf einen großen Bühnenauftritt kehrt – sehr zum Ärger von Gustl – zurück. Der eifersüchtige Gustl greift zum Alkohol und plant den Auftritt seiner Frau im Varieté zu stören...
Produktionsnotizen
Der Stoff „Solo zu viert“ des Schauspielers und Autors Walter Niklaus (1925–2021) diente als Vorlage für MEINE FRAU MACHT MUSIK. Die Dreharbeiten fanden zwischen dem 25. März und dem 13. Juli 1957 statt. Premiere feierte MEINE FRAU MACHT MUSIK am 3. April 1958 im Berliner Kino Babylon.
Schlager, Revue und Musical bei der DEFA
Mit Blick auf die Liste der bei der DEFA produzierten Spielfilme, aber auch im Vergleich zum Produktionsvolumen in der BRD, entstanden in der DDR nur wenige Schlager- und Revuefilme. Das unterhaltende Musikfilm-Genre, das bereits zu Ufa-Zeiten überaus populär war, fristete lange Zeit ein Schattendasein bei der DEFA. Unterhaltungsfilme dieses Segments mussten insbesondere aus der BRD eingekauft werden. MEINE FRAU MACHT MUSIK gilt als der erste Revuefilm der DEFA, der auch Dank der Zugkraft des Hauptdarstellers Günther Simon und der Mitwirkung bekannter Musikerinnen und Musiker aus Ost und West zum Erfolg wurde. Drei Jahre später scheiterte der Versuch, diesen Erfolg – erneut mit Günther Simon in einer der Hauptrollen – mit EINE HANDVOLL NOTEN (Helmut Spieß & Otto Schneidereit, 1961) zu wiederholen. Der musikalisch versierte Regisseur Gottfried Kolditz prägte in den 1960er-Jahre den heiteren DEFA-Musikfilm mit Produktionen wie REVUE UM MITTERNACHT (1962) mit Manfred Krug und Christel Bodenstein in den Hauptrollen oder GELIEBTE WEISSE MAUS (1964) mit Rolf Herricht. Es folgten Musical-Filme mit dem beliebten Schlagersänger Frank Schöbel, die zwar bei der Filmkritik keinen guten Stand hatten aber zu zeitlosen Publikumshits wurden: Es entstanden die Jo-Hasler-Produktionen REISE INS EHEBETT (1966), HEISSER SOMMER (1967) und NICHT SCHUMMELN, LIEBLING! (1972) sowie HOCHZEITSNACHT IM REGEN (1967) unter der Regie des Debütanten Horst Seemann. Später gab es mit KOMÖDIANTEN-EMIL (1979) und ZILLE UND ICK (1983) Versuche, den Musikfilm an historischen Schauplätzen zu etablieren. Weitestgehend verschwand der Musikfilm jedoch wieder aus den Produktionsplänen.
Regie: Hans Heinrich
Hans Heinrich (1911–2003) schuf in den frühen DEFA-Jahren drei heitere Lustspielfilme, die auf viel Gegenliebe beim Publikum stießen. Dank der Unterstützung von Kurt Maetzig ergaben sich für Heinrich nach Ende des Zweiten Weltkrieges früh Kontakte zur DEFA. Bereits für den ersten DEFA-Spielfilm DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (Wolfgang Staudte, 1946) war Heinrich als Regieassistent tätig. Es folgten Beteiligungen an weiteren Wolfgang-Staudte-Filmen: 1948 bei DIE SELTSAMEN ABENTEUER DES HERRN FRIDOLIN B. und 1949 bei ROTATION. Im gleichen Jahr konnte Heinrich mit dem Binnenschifffahrtslustspiel DER KAHN DER FRÖHLICHEN LEUTE sein DEFA-Debüt vorlegen. Anschließend widmete er sich dem Projekt DIE LETZTE HEUER (1951). Während der Dreharbeiten an der Ostsee wurde Heinrich der Spionage verdächtigt und kurzzeitig inhaftiert. Die Vorwürfe erwiesen sich als haltlos, doch Heinrich trat von der Regie zurück. Erst 1956 realisierte er mit ALTER KAHN UND JUNGE LIEBE wieder einen Film für die DEFA. Nach der Veröffentlichung von MEINE FRAU MACHT MUSIK plante Heinrich eine weitere musikalische Komödie bei der DEFA zu realisieren, doch der Stoff ging an den Regisseur Gerhard Klingenberg. Mit dem Mauerbau ergaben sich für den in der BRD lebenden Regisseur endgültig keine weiteren Arbeitsbeziehungen mit der DEFA.
Zu bürgerlich? Probleme bei der Zulassung
Zwar wurde MEINE FRAU MACHT MUSIK in einer Phase des kulturpolitischen Tauwetters realisiert, doch bekam die Produktion trotzdem Probleme bei der Zulassung: Zu intensive Zusammenarbeit mit westdeutschen Filmschaffenden, zu „bürgerlich“, zu „revisionistisch“ und alles in allem „kein sozialistischer Unterhaltungsfilm“ lauteten die Vorwürfe, die dazu führten, dass die Entscheidung über die Filmzulassung am 28. Oktober 1957 nach mehreren Sichtungen vor der Abnahmekommission zunächst zurückgestellt wurde. Höhere Instanzen mussten entscheiden. Staatssekretär Alexander Abusch trat letztlich als Fürsprecher auf. Mit einer Reihe von Änderungsvorschlägen wurde der Film an das DEFA-Spielfilmstudio zurückgewiesen – u.a. durfte nicht mehr von einer „Europa-Tournee“, sondern nur noch von einer „Tournee“ gesprochen werden. Da der Start eines DEFA-Revuefilms mit Günther Simon in einer der Hauptrollen frühzeitig öffentlich angekündigt wurde, bestand eine gewisse Erwartungshaltung in der Bevölkerung und Unmut über die Verzögerung setzte ein. Davon zeugt sogar ein Leserbrief im Neuen Deutschland vom 28. Januar 1958: „Tausende von Mark werden für diese Filme ausgegeben, und dann schmoren sie in den Schränken der HV-Film oder sie werden erst so unfrisiert, dass dann bestimmt nichts Gescheites rauskommt.“ Schlussendlich wurde MEINE FRAU MACHT MUSIK zugelassen und entwickelte sich nicht nur zum Erfolg in den DDR-Kinos, sondern auch zum Exportschlager. Ab 1958 lief er u.a. in Albanien, Belgien, Griechenland, Luxemburg, Österreich, Rumänien, der Sowjetunion, Ungarn und in Westdeutschland, später auch in Finnland, Peru und auf Kuba.
Publikumslieblinge: Günther Simon und Lore Frisch
Lore Frisch (1925–1962) und Günther Simon (1925–1972) zählten in den 1950er-Jahren zu den populärsten Kinogesichtern der DEFA. Simon war durch seine Darstellung des Arbeiterführers Ernst Thälmanns in den Kurt-Maetzig-Filmen SOHN SEINER KLASSE (1954) und FÜHRER SEINER KLASSE (1955) nahezu allen Bürgerinnen und Bürgern der DDR bekannt. Arbeiterfiguren, allesamt positive Helden, prägten das künstlerische Schaffen des Darstellers auf der Leinwand. Dem festgelegten Rollentyp versuchte sich Simon zunehmend zu entziehen. Neben dem Musikfilm MEINE FRAU MACHT MUSIK war er u.a. im utopischen Film DER SCHWEIGENDE STERN (1959) und im Kinderfilm ALFONS ZITTERBACKE (1965) zu sehen. In Letzterem konnte er auch sein komödiantisches Talent zeigen. Zu Simons differenziertesten und interessantesten Filmcharakteren zählen der Obersteiger Franz Beier in Konrad Wolfs Verbotsfilm SONNENSUCHER (1958) und der Marine-Offizier Richard Lot in Egon Günthers LOTS WEIB (1965). Mit nur 47 Jahren starb der Schauspieler unerwartet kurz nach Beendigung der Dreharbeiten zu seinem letzten Film REIFE KIRSCHEN (Horst Seemann, 1972). Lore Frisch zählte neben Christine Laszar zu den bekanntesten Schauspielerinnen, die aus der BRD in die DDR zogen. Martin Hellberg holte die aus dem bayerischen Schwindegg stammende Frisch für seinen in Oberbayern spielenden Schwank DER OCHSE VON KULM (1954) erstmals zur DEFA. Später folgten für Frisch einige vielbeachtete Auftritte in erfolgreichen Unterhaltungsfilmen. Dazu zählen neben MEINE FRAU MACHT MUSIK die Opernverfilmung ZAR UND ZIMMERMANN (Hans Müller, 1955) oder die Jacques-Offenbach-Operettenadaption DIE SCHÖNE LURETTE (Gottfried Kolditz, 1960). Wie ihr Spielpartner in MEINE FRAU MACHT MUSIK starb auch Lore Frisch früh. Im Alter von 37 Jahren nahm sie sich das Leben.
Gesang und Tanz
Zahlreiche mitunter international bekannte Künstlerinnen und Künstler wirkten in MEINE FRAU MACHT MUSIK mit. Die aus Trier stammende Schlagersängerin Gitta Lind sang für Lore Frisch die Lieder „Vergiß nie die Zeit“ und „Du bist so jung“ ein. Klaus Groß lieh in den Gesangsparts Alexander Hegarth seine Stimme. Zum ersten und einzigen Mal war auch die West-Berliner Schlager-Diva Evelyn Künneke in einem DEFA-Film zu sehen. Die von ihr vorgetragenen Lieder stammten jedoch aus der Feder von Klaus Wegener, dem Abteilungsleiter für Tanzmusik beim RIAS. Nachdem die Zeitung „Junge Welt“ über die Beteiligung des „Feindsenders“ berichtete, sollten die Songs aus dem Film verschwinden. Da die Szenen bereits gedreht waren, wurden neue, von Gerd Natschinski komponierte Lieder über die Lippenbewegungen von Künneke gelegt. Zu hören sind darüber hinaus u.a. das Hemmann-Quintett, die Ping-Pongs und das Hanhausen-Sextett sowie das Leipziger Rundfunktanzorchester unter der Leitung von Kurt Henkels. Es tanzen das Ballett der Komischen Oper Berlin, das Ballett des Friedrichstadtpalasts sowie das sich zum Zeitpunkt der Dreharbeiten auf einer Gastspielreise durch die DDR befindende Ballett Brasiliana.
Echo
MEINE FRAU MACHT MUSIK befriedigte das Bedürfnis des DDR-Kinopublikums nach Unterhaltungsfilmen und wurde mit rund sechs Millionen Zuschauern zu einem echten Kassenschlager. Von den überwiegend negativen Filmkritiken zeigte sich das Publikum unbeeindruckt. Hans Ulrich Eylau sprach in der Berliner Zeitung von der „untersten Stufe der Anspruchslosigkeit“ und Winfried Junge blieb im Forum „das Lachen im Halse stecken“. Karl Schinsky urteilte in der Deutschen Filmkunst: „Man hat meines Erachtens vergessen, dass die Methode des sozialistischen Realismus auch die Grundlage der Filmrevue bildet“. Der spätere Regisseur Günter Stahnke kritisierte in der „Jungen Welt“ insbesondere die Entwicklung der Figur Gerda, die um ihren Musiktraum wiederzubeleben jede Menge „Seelenschmalz“ erzeugen müsse, sodass „akute Gefahr besteht, dass Kleinbürger an Herzverfettung auseinanderzugehen drohen wie eine Hefesemmel“.
Verfasst von Philip Zengel. (Mai 2022)