Mutter Courage und ihre Kinder
Bei ICESTORM erscheint die DEFA-Produktion MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER (Manfred Wekwerth & Peter Palitzsch, 1960), gedreht nach der bekannten Inszenierung des Berliner Ensembles, erstmals auf DVD.
Kurzinhalt
Während des Dreißigjährigen Krieges. Die Marketenderin „Mutter Courage“ (gespielt von Helene Weigel) reist mit ihrem Planwagen und ihren drei Kindern Eilif (Ekkehard Schall), Schweizerkas (Heinz Schubert) und der stummen Kattrin (Angelika Hurwicz) quer durch Europa. Sie will aus dem Krieg Profit schlagen und verliert dabei alles...
Die lange Geschichte einer Verfilmung
Nachdem Bertolt Brechts Drama „Mutter Courage und ihre Kinder“ am 11. Januar 1949 am Deutschen Theater seine umjubelte Premiere gefeiert hat, existieren bereits früh erste Pläne, den Stoff unter der Regie von Erich Engel bei der DEFA zu verfilmen. Verschiedene Drehbuchentwürfe finden jedoch keine Zustimmung des Dichters, der daraufhin zusammen mit Emil Burri 1952 selbst ein Drehbuch entwickelt. Aufgrund zum Teil heftiger politischer Diskussionen um Aussagegehalt und Interpretation des Stückes gerät das Vorhaben erneut ins Stocken.
Erst unter Johannes R. Becher, der als erster Kulturminister der DDR berufen wird, kommt 1954 wieder Bewegung in die Sache. Nachdem Engel nicht mehr zur Verfügung steht, wird nun Wolfgang Staudte mit der Regie betraut, der bereits erfolgreiche DEFA-Spielfilme wie DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (1946) und DER UNTERTAN (1951) inszeniert hatte. Am 18. August 1955 beginnen die Dreharbeiten in Potsdam-Babelsberg: hochkarätig besetzt mit den französischen Gaststars Simone Signoret als Lagerhure Yvette und Bernard Blier als Feldkoch sowie etablierten deutschen Schauspielern aus Brechts Berliner Ensemble, darunter Helene Weigel als Mutter Courage, Ekkehard Schall als Eilif und Erwin Geschonneck als Feldprediger. Die Dreharbeiten stehen jedoch unter keinem guten Stern: Starke künstlerisch-ästhetische Differenzen zwischen Brecht und Staudte bezüglich der Machart des Films brechen auf. Brecht möchte am liebsten einen schwarzweißen, von der Ausstattung her eher kargen Film, Staudte einen farbigen, opulenten im neuen CinemaScope-Format. Die Dreharbeiten müssen Mitte September 1955 eingestellt werden.
Nach Brechts Tod 1956 beginnen neue Überlegungen zu einer möglichen Verfilmung. Man entscheidet sich für eine Adaption, die sich eng an der erfolgreichen Theaterinszenierung des Berliner Ensembles orientiert. Die Dreharbeiten erfolgen zwischen dem 30. Juni 1959 und dem 27. April 1960.
Die Regisseure
Als Regisseure werden die Brecht-Schüler Manfred Wekwerth (1929–2014) und Peter Palitzsch (1918–2004) engagiert. Wekwerth arbeitet ab 1951 als Brechts Regieassistent und Meisterschüler am Berliner Ensemble. Zusammen mit Peter Palitzsch verantwortet er 1959 die weltbekannte Inszenierung von „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ mit Ekkehard Schall in der Titelrolle. 1960 wird Wekwerth Chefregisseur am Berliner Ensemble; ab 1977 übernimmt er die Intendanz des Theaters, die zuvor in den Händen von Ruth Berghaus gelegen hat, und führt dieses Amt bis 1991 aus. „Mutter Courage und ihre Kinder“ bleibt sein einziger Kinofilm. In die DEFA-Ateliers dreht er später aber noch verschiedene Fernsehfilme, u.a. „Zement“, „Die unheilige Sophia“ und „Happy end“.
Peter Palitzsch nimmt 1949 seine Arbeit am neu gegründeten Berliner Ensemble auf. Ab 1956 inszeniert er auch an anderen Theatern. Nachdem im Zuge des Mauerfalls kaum noch Brecht-Stücke in der BRD gespielt werden, feiert Palitzsch‘ Inszenierung von „Der Prozess der Jeanne d’Arc zu Rouen 1431“, begleitet von Protesten, im September 1961 in Ulm Premiere. Am folgenden Abend lässt er verkünden, dass er nicht mehr in die DDR zurückkehren werde. Von 1992 bis 1995 kehrt er als Nachfolger Wekwerths für eine gemeinschaftliche Intendanz mit Heiner Müller, Peter Zadek, Fritz Marquardt und Matthias Langhoff ans Berliner Ensemble zurück.
Musik: Paul Dessau
Für die Musik zeichnet Paul Dessau (1894–1979) verantwortlich, der seit der gemeinsamen Zeit im US-amerikanischen Exil während des Zweiten Weltkriegs eine enge Arbeitsbeziehung mit Brecht pflegt und für mehrere seiner Werke die Bühnenmusik komponiert. Für die DEFA schreibt Dessau auch die Filmmusik mehrerer Dokumentarfilme, darunter Produktionen von Andrew und Annelie Thorndike wie DAS RUSSISCHE WUNDER (1963). Seine Musik wird zudem für den Egon-Günther-Spielfilm ABSCHIED (1968) genutzt.
Die Darsteller
Die Besetzung erfolgt analog zur Theaterinszenierung mit Helene Weigel in der Titelrolle sowie Angelika Hurwicz (Kattrin), Ekkehard Schall (Eilif) und Heinz Schubert (Schweizerkas) in den Rollen der Kinder. Schubert reist 1961 in die Bundesrepublik aus und erlangt dort später als „Ekel Alfred“ in der populären Fernsehserie „Ein Herz und eine Seele“ große Bekanntheit. In weiteren Rollen sind u.a. Ernst Busch, Gerhard Bienert, Willi Schwabe, Norbert Christian und Regine Lutz zu sehen.
Echo
MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER startet anlässlich des 63. Geburtstags Bertolt Brechts am 10. Februar 1961 in den DDR-Kinos und läuft später auch in zahlreichen anderen Ländern. Im Sommer 1961 wird die Produktion mit einem Sonderpreis auf dem 14. Internationalen Filmfestival Locarno bedacht.
Verfasst von Philip Zengel (Mai 2020)