Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Orpheus in der Unterwelt

1973 verfilmte die DEFA mit ORPHEUS IN DER UNTERWELT eines der bedeutendsten Stücke der klassischen Operette. Es entstand ein opulentes musisches Filmspektakel im 70mm-Format. 2021 wurde der Film aufwendig digital restauriert. Weitere Hintergründe zum Film erhalten Sie in der aktuellen Ausgabe des Leuchtkraft-Journals der DEFA-Stiftung in einem Essay von Ralf Schenk.

Kurzinhalt

Filmplakat zu "Orpheus in der Unterwelt"

ORPHEUS IN DER UNTERWELT

(R: Horst Bonnet, 1973)

Orpheus (gespielt von Wolfgang Greese) ist Musikprofessor in Theben. An seiner Gattin Eurydike (Dorit Gäbler) findet er nur noch wenig Gefallen und vergnügt sich lieber mit seinen Schülerinnen. Auch Eurydike betrügt ihren Mann mit einem Schäfer, hinter dem sich Pluto (Achim Wichert), der Gott der Unterwelt, verbirgt. Ein Schlangenbiss beendet Eurydikes erdliche Qualen und führt sie zu ihrem Geliebten in die Unterwelt. Orpheus, der sich zunächst über seine neue Freiheit freut, wird von Jacques Offenbach (Gerry Wolff) aufgefordert seine Frau zurückzuholen. Indes revoltieren im Olymp die Götter gegen Göttervater Jupiter (Rolf Hoppe) …

 Hier finden Sie die kompletten Filmdaten.

Produktionsnotizen

Gedreht wurde ORPHEUS IN DER UNTERWELT zwischen dem 5. März und dem 17. Mai 1973 in den Babelsberger Spielfilmstudios. Lediglich die Aufnahmen im antiken Theben entstanden in der bulgarischen Kleinstadt Nessebar. Premiere feierte das Werk am 7. Februar 1974 im Berliner Kino Kosmos.

Original-Kinotrailer zu ORPHEUS IN DER UNTERWELT (R: Horst Bonnet, 1973)

Oper und Operette bei der DEFA

Das DEFA-Œuvre im Bereich der abendfüllenden Opern- und Operettenverfilmungen lässt sich an zwei Händen abzählen. Entstanden in den Anfangsjahren der DEFA in regelmäßigen Abständen Opern-Adaptionen wie FIGAROS HOCHZEIT (1949), DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR (1950) oder ZAR UND ZIMMERMANN (1955) verschwand das Genre Mitte der 1950er-Jahre – abgesehen von der Kompilation MUSIKALISCHES RENDEZVOUS (1962) – aus den Produktionsplänen. Erst 1964 wurde mit DER FLIEGENDE HOLLÄNDER unter der Regie von Joachim Herz noch einmal eine Opernverfilmung gedreht, die vielfach als die künstlerisch geglückteste Adaption betrachtet wird.

Die erste Operettenverfilmung der DEFA geht auf das Jahr 1955 zurück, als Johann Strauss‘ „Die Fledermaus“ unter dem Titel RAUSCHENDE MELODIEN (R: E. W. Fiedler) adaptiert wurde. In kurzen Abständen folgten MAZURKA DER LIEBE (1957) und DIE SCHÖNE LURETTE (1960), ehe die Operette von zunehmend populärer werdenden Schlager- und Revuefilmen wie REVUE UM MITTERNACHT (1962) oder HEISSER SOMMER (1967) verdrängt wurde. Auch hier gilt der 'Nachzügler' ORPHEUS IN DER UNTERWELT als die erfolgreichste und künstlerisch gelungenste Verfilmung. 

Regie: Horst Bonnet

Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Horst Bonnet

bei den Dreharbeiten zu ORPHEUS IN DER UNTERWELT (R: Horst Bonnet, 1973) Fotograf: Herbert Kroiss

 Horst Bonnet (1931–2006) drehte nach SALON PITZELBERGER (1964), einer Fingerübung in der Reihe „Das Stacheltier“, mit ORPHEUS IN DER UNTERWELT lediglich einen Spielfilm für die DEFA, hinterlässt damit jedoch mehr als eine Fußnote in der DEFA-Filmgeschichte. Der 1931 in Berlin geborene Bonnet sammelte bereits als Kinderdarsteller erste Filmerfahrung. Von 1947 bis 1949 absolvierte er ein Schauspielstudium in Schwerin. Über einen Kontakt mit Ruth Berlau wurde Bonnet Meisterschüler an der Akademie der Künste in Berlin und übernahm erste Regieaufgaben, u.a. als Assistent von Bertolt Brecht und Wolfgang Langhoff. Anschließend kehrte er nach Schwerin zurück und legte erste eigene Regiearbeiten am Theater vor. „Fra Diavolo“ war seine erste Operninszenierung. Ein Wechsel ans Erfurter Theater ermöglichte ihm, sich auf dem Gebiet des Musiktheaters weiterzuentwickeln. In Thüringen inszenierte er zum ersten Mal „Orpheus in der Unterwelt“. Das musikalische Theater entwickelte sich zum Steckenpferd Bonnets. Von 1957 bis 1959 assistierte er Walter Felsenstein an der Komischen Oper Berlin. Anschließend standen ihm alle Türen offen. Für zwei Jahre war Bonnet Oberspielleiter für musikalisches Theater in Potsdam und wirkte u.a. am Metropol-Theater, der Volksbühne, der Staatsoper und der Komischen Oper.

 

 

Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Horst Bonnet und Dorit Gäbler bei den Dreharbeiten zu ORPHEUS IN DER UNTERWELT (R: Horst Bonnet, 1973) Fotograf: Herbert Kroiss

Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Horst Bonnet und Otto Hanisch bei den Dreharbeiten zu ORPHEUS IN DER UNTERWELT (R: Horst Bonnet, 1973) Fotograf: Herbert Kroiss

Eine lange Produktionsgeschichte

Mit der vom Publikum positiv honorierten „Stacheltier“-Episode SALON PITZELBERGER empfahl sich Bonnet für weitere Aufgaben bei der DEFA. Nachdem sich der Plan „Die Schöne Helena“ nach einem Szenarium von Peter Hacks zu inszenieren zerschlug, legte Bonnet der DEFA-Leitung „Orpheus in der Unterwelt“ nahe. Das Szenarium wurde im Sommer 1968 abgenommen. Die Dreharbeiten sollten im Januar 1969 starten. Auf der Besetzungsliste waren die Namen von Angelica Domröse, Erwin Geschonneck, Horst Schulze und Regina Beyer vertreten. Doch zu einem zeitnahen Drehstart kam es nicht, da der Regisseur aufgrund eines „politischen Vergehens“ nicht mehr zur Verfügung stand. Infolge des Einmarsches der Truppen des Warschauer Paktes in die ČSSR verteilte Bonnet im September 1968 gemeinsam mit seiner Frau Flugblätter mit der Aufschrift „Unterstützt Dubček, die Sache des Sozialismus“. Bonnet wurde zu einer zweieinhalb jährigen Haftstrafe verurteilt, von der er – nach mehreren internationalen Protestschreiben – 13 Monate absaß. Erst 1973 stand ORPHEUS IN DER UNTERWELT wieder auf dem Produktionsplan des Spielfilmstudios. Zwischenzeitliche Anfragen anderer Regisseure den Stoff zu verfilmen, beantwortete die Studioleitung abschlägig.

Opulentes Spektakel – die Arbeit der Gewerke

Dass sich ORPHEUS IN DER UNTERWELT zu einem populären Unterhaltungsfilm entwickelte, ist auch auf die beeindruckende Arbeit der Gewerke zurückzuführen. Für die renommierte Kostümbildnerin  Christiane Dorst (* 1939) war es das aufwendigste Projekt ihrer filmkünstlerischen Laufbahn. Sie übernahm die Arbeit am ORPHEUS von ihrem erkrankten Kollegen Werner Schulz. Mehr als 200 Kostüme mussten für die Produktion gefertigt werden. Jedes Gewand der Götter war in zweifacher Ausfertigung vorhanden – einmal für den Olymp in reinem weiß; das zweite für die Unterwelt bläulich eingefärbt. In einem 2021 im Auftrag der DEFA-Stiftung realisierten Zeitzeugengespräch denkt Christiane Dorst an die Dreharbeiten zurück: „Ich kann mich erinnern, dass wir Berge von Kostümen aus den Werkstätten geholt haben (…) alle anderen Kostümbildnerinnen stöhnten, weil sie sagten ‚Ihr blockiert alles‘“. Neben den Kostümen stechen die in der Babelsberger Mittelhalle errichteten Kulissen von  Alfred „Fredi“ Hirschmeier (1931–1996) ins Auge. Gudrun Skulski, die die Dreharbeiten für „Die neue Zeit“ besuchte, schreibt in ihrem Bericht von einer wahren „Traumlandschaft“ und einem „unvergleichbaren Zauber“, den das Szenenbild mit seinen Mamorsäulen und Kronleuchtern ausstrahle.

Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Die Götter im Olymp langweilen sich in ORPHEUS IN DER UNTERWELT(R: Horst Bonnet, 1973) Fotograf: Herbert Kroiss

Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Spektakel in der Unterwelt in ORPHEUS IN DER UNTERWELT (R: Horst Bonnet, 1973) Fotograf: Herbert Kroiss

Ein 70mm-Film

Nichtzuletzt ist das Gelingen des Projekts der herausragenden Kameraarbeit des im Dezember 2021 verstorbenen Kameramannes  Otto Hanisch (* 1927) zu verdanken. Nach SIGNALE – EIN WELTRAUMABENTEUER (1970) bediente Hanisch, der aufgrund seines intensiven Einsatzes von zusätzlichen Lichtquellen beim Dreh auch den Spitznamen „Lampen-Otto“ trug, bereits zum zweiten Mal die 70mm-Kamera. Damit die Tanz- und Musikszenen mit der schweren 70mm-Technik nicht zu starr daherkommen, wurde für OPRHEUS IN DER UNTERWELT extra eine 70mm-Handkamera aus der Sowjetunion importiert. Zudem stand ihm ein neu angefertigtes hydraulisches Stativ zur Verfügung, das ähnlich wie die heutige Steadycam-Technik funktionierte und ermöglichte, dass sich Hanisch mit der Handkamera frei bewegen konnte, ohne dass das Bild durch ungewollte Erschütterungen beeinträchtigt wurde.

Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Rolf Hoppe und Dorit Gäbler in ORPHEUS IN DER UNTERWELT (R: Horst Bonnet, 1973) Fotograf: Herbert Kroiss

Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Helga Piur in ORPHEUS IN DER UNTERWELT (R: Horst Bonnet, 1973) Fotograf: Herbert Kroiss

Echo

Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Fred Düren

als Prinz von Arkadien in ORPHEUS IN DER UNTERWELT (R: Horst Bonnet, 1973) Fotograf: Herbert Kroiss

ORPHEUS IN DER UNTERWELT wurde von der Presse überwiegend begeistert aufgenommen. Von „ein[em] wahrhaft olympische[n] Feuerwerk“ sprach etwa Der Morgen. Günter Sobe gab in seiner Kritik in der Berliner Zeitung zu, dass er mit überaus geringen Erwartungen in die Vorstellung ging, aber positiv überrascht wurde: „Bonnet fand eine Form, die die Operette für das Kino hoffähig macht, ohne die Operette dabei aufzugeben“. Im Sommer 1974 bekam der Film eine Einladung zu den Internationalen Filmfestspielen in Karlovy Vary und lief dort außerhalb des Wettbewerbs vor einem begeisterten Publikum.

Verfasst von Philip Zengel. (Januar 2022)

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