Filmstill zu "Zwei Mütter"

Zwei Mütter

Erstmals sind alle 13 DEFA-Spielfilme des Regisseurs Frank Beyer in einer DVD-Edition vereint, darunter auch Beyers Erstlingswerk ZWEI MÜTTER (1957) – ein Appell an die Verständigung über Sprach- und Nationalgrenzen hinweg. Nach einer digitalen Restaurierung mit Mitteln aus dem Förderprogramm Filmerbe von Bund, Ländern und FFA liegt der Film in hochwertiger Bild- und Tonqualität vor.

Kurzinhalt

Filmplakat zu "Zwei Mütter"

ZWEI MÜTTER

(R: Frank Beyer, 1957) Grafiker: Kurt Geffers

Ein provisorisches Krankenhaus in einer deutschen Kleinstadt während eines Bombenangriffs im Zweiten Weltkrieg. Kurz zuvor haben hier zwei Frauen entbunden, nun ist die Einrichtung von einer Bombe getroffen. Hedwig (gespielt von Helga Göring) sucht in den Trümmern ihr Neugeborenes und schließt vermeintlich ihr Kind in die Arme. Doch das Kind gehört der französischen Fremdarbeiterin Madelaine (Françoise Spira) – Hedwigs eigenes Baby starb in den Trümmern. Als Madelaine ihren Sohn in den Armen der Deutschen entdeckt, hilft der verzweifelten Französin niemand. Die um den Irrtum wissende Krankenschwester Jutta (Ruth Wacker) schweigt. Nach dem Krieg fordert Madelaine ihr Kind zurück...

 Hier finden Sie die vollständigen Filmdaten.

Frank Beyer – Der Weg zum Film und zur DEFA

Filmstill zu "Zwei Mütter"

Frank Beyer

während der Dreharbeiten zu ZWEI MÜTTER (R: Frank Beyer, 1957) Fotograf: Eduard Neufeld

1932 in Thüringen geboren, hegte Beyer nach dem Abitur zunächst den Wunsch am Theater zu wirken. 1951 besuchte er im Zuge einer Exkursion erstmals das Babelsberger Studio-Gelände und war bei Außenaufnahmen zu Martin Hellbergs DAS VERURTEILTE DORF zugegen. Er erkundigte sich nach Arbeitsmöglichkeiten bei der DEFA und erhielt kurz darauf die Möglichkeit an der Moskauer Filmhochschule zu studieren. Aufgrund eines Planungsfehlers im Ministerium zerschlug sich dieses Angebot. Stattdessen begann er im Herbst 1952 zusammen mit den späteren DEFA-Regisseuren Ralf Kirsten und Konrad Petzold ein Studium an der FAMU in Prag.

Zwischen den Semestern absolvierte Beyer Praktika bei der DEFA und war als zweiter Regie-Assistent an Kurt Maetzigs ERNST THÄLMANN – FÜHRER SEINER KLASSE sowie  Hans Müllers ZAR UND ZIMMERMANN beteiligt. Auf Bestreben Kurt Maetzigs erhielt Beyer die Möglichkeit das vierte Studienjahr in Babelsberg zu verbringen, um Maetzigs erster Assistent beim geplanten Zweiteiler SCHLÖSSER UND KATEN zu sein. Maetzig hatte jedoch noch andere Pläne mit dem angehenden Regisseur und schlug ihm vor, sein Mentor bei einem ersten eigenen Film zu sein. Ein passendes Drehbuch mit dem Titel „No Pasaran“ nach Eduard Claudius‘ Roman „Grüne Oliven und nackte Berge“ hatte Maetzig bereits in der Tasche. Nachdem Beyer mit den Vorbereitungen begonnen hatte, wurde ihm das Projekt von Martin Hellberg entzogen – der Film trug später den Titel WO DU HINGEHST... Womöglich hatte die DEFA-Studioleitung aufgrund dieses Vorgangs ein schlechtes Gewissen, denn kurz darauf erhielt Beyer den Stoff zu ZWEI MÜTTER angeboten. Der Film wurde sein Abschlussfilm an der FAMU. Kurz nach der Premiere legte er in Prag sein Staatsexamen ab. Da Beyer anschließend einen festen Arbeitsvertrag als Regie-Assistent bei der DEFA ablehnte, war er zunächst als freier Dramaturg tätig und drehte zwei Kurzfilme für die Satire-Reihe „Das Stacheltier“, ehe er sich ab 1959 als Spielfilmregisseur etablierte und Erfolge mit Filmen wie FÜNF PATRONENHÜLSEN (1960), NACKT UNTER WÖLFEN (1962), KÖNIGSKINDER (1962) oder KARBID UND SAUERAMPFER (1963) feierte.

 

 

 

 

Filmstill zu "Zwei Mütter"

Komplizierte Geburt im improvisierten Krankenhaus: Madelaine (Françoise Spira) im Krankenbett in ZWEI MÜTTER (R: Frank Beyer, 1957) Fotograf: Eduard Neufeld

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Hedwig (Helga Göring) durchkämmt das zerstörte Krankenhaus in ZWEI MÜTTER (R: Frank Beyer, 1957) Fotograf: Eduard Neufeld

Produktionsnotizen

Frank Beyer inszenierte seinen DEFA-Erstling im Stil eines Kammerspiels zwischen dem 22. Oktober 1956 und dem 21. Dezember 1956 überwiegend im Atelier. Ungewöhnlich für die Entstehungszeit war, dass Beyer – um die Authentizität zu wahren – Szenen, die in Frankreich spielen sollten in französischer Sprache drehte und lediglich deutsch untertitelte.

ZWEI MÜTTER feierte am 28. Juni 1957 im Berliner Kino „Babylon“ Premiere. Bis 1961 sahen den Film mehr als 2,1 Millionen Menschen in den DDR-Kinos – ein beachtliches Besucherergebnis für den jungen Regisseur. ZWEI MÜTTER wurde in eine Reihe von Ländern exportiert und war unter anderem in Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Polen, Belgien sowie zwischen 1960 und 1975 wiederkehrend im westdeutschen Fernsehen zu sehen.

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Das überlebende Kind Toni (Guido Thielsch) beim Spielen mit Hedwig in ZWEI MÜTTER (R: Frank Beyer, 1957) Fotograf: Eduard Neufeld

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Zurück in Frankreich glaubt Madelaine (Mitte) nicht an den Tod ihres Kindes in ZWEI MÜTTER (R: Frank Beyer, 1957) Fotograf: Eduard Neufeld

Nach einer wahren Begebenheit

Am 4. Oktober 1954 erschien in der westdeutschen Zeitung „Frankenpost Hof“ unter der Überschrift „Zwei Frauen ringen um ihr Kind“ ein Artikel, der ein breites Echo fand. Die französische Widerstandskämpferin Georgette Phelippeau aus Nantes wurde während des Zweiten Weltkriegs von den Nationalsozialisten inhaftiert und bekam 1943 in Gefangenschaft ein Mädchen. Das Kind mit dem Namen Josette wurde ihr weggenommen und die Deutsche Erna Rustler aus Franzensbad bekam das Sorgerecht zugesprochen. Nach dem Krieg forderte die Französin das Kind nach langer Suche zurück. In der US-amerikanischen Besatzungszone kam es zum Prozess, in dem der Richter das Kind der Deutschen zusprach.

Drehbuch: Leonie Ossowski

Frei nach diesem Bericht verfasste die westdeutsche Schriftstellerin Jolanthe von Brandenstein (1925–2019) – besser bekannt als Leonie Ossowski – unter dem Pseudonym Jo Tiedemann zusammen mit Frank Beyer das Drehbuch, das zunächst den Arbeitstitel „Das Kind der anderen“ trug. Das Angebot, den Stoff für den Film zu bearbeiten, erhielt die Autorin vom DEFA-Chefdramaturgen Rudolf Böhm. Der Kontakt kam vermutlich über ihre Schwester, die Schauspielerin Yvonne Merin, zustande. Merin feierte in den frühen DEFA-Jahren einige Erfolge und war mit dem Regisseur und DEFA-Gründungsvater Kurt Maetzig verheiratet.

Fast wäre es nach dem Erfolg von ZWEI MÜTTER zu einer weiteren gemeinsamen DEFA-Arbeit zwischen Frank Beyer und Leonie Ossowski gekommen. Das Drehbuch für das Projekt „Vielleicht ist heute der letzte Tag“ – eine Geschichte über eine deutsche Chorgruppe, die 1945 kurz vor Kriegsende einen jüdischen Jungen vor den Nationalsozialisten versteckt – war bereits fertiggestellt, als die Vorbereitungen aus inhaltlichen Gründen gestoppt wurden. Frank Beyer vermutete in seinen Memoiren eine zu starke thematische Ähnlichkeit mit Heiner Carows SIE NANNTEN IHN AMIGO, der sich gerade in Produktion befand. Ossowski veröffentlichte den Stoff später unter dem Titel „Stern ohne Himmel“ als Roman.

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Krankenschwester Jutta (Ruth Wacker) und ihr Mann Dr. Weller (Wilhelm Koch-Hooge) wissen um die Verwechslung in ZWEI MÜTTER (R: Frank Beyer, 1957) Fotograf: Eduard Neufeld

Filmstill zu "Zwei Mütter"

Ein Zeitungsverkäufer (Kurt Getke) erfreut sich über den Absatz mit der Geschichte um die ZWEI MÜTTER (R: Frank Beyer, 1957) Fotograf: Eduard Neufeld

Kurze Phase des Tauwetters

Anders als Frank Beyer sieht Thomas Heimann in seinen Ausführungen im Sammelband „Regie: Frank Beyer“ die Gründe für das Scheitern einer weiteren Zusammenarbeit zwischen Ossowski und Beyer, in einer bereits endenden kurzen Phase des kulturpolitischen Tauwetters begründet (vgl. S. 159). Nach Stalins Tod am 5. März 1953 kam es zu Lockerungen in der SED-Kulturpolitik. Ab 1954 wurden deutsch-deutsche Kontakte wieder intensiviert und die DEFA realisierte u.a. einige prestigeträchtige Koproduktionen mit Frankreich. Junge Nachwuchs-Regisseure wie Konrad Wolf, Ralf Kirsten oder eben auch Frank Beyer legten in dieser Zeit ihre ersten Spielfilme vor. 1956 fand die Tauwetter-Phase mit Nikita Chruschtschows „Geheimrede“ auf dem XX. Parteitag der KPdSU und der Abrechnung mit der Politik Stalins ihren Höhepunkt. Reformstimmung machte sich im Ostblock breit und in Ungarn kam es sogar zum Volksaufstand. Die SED geriet unter Zugzwang und leitete ab Ende der 1950er-Jahre eine neue Phase der Abschottung ein, die mit dem Mauerbau 1961 einen traurigen Höhepunkt erreichte.

Filmstill zu "Zwei Mütter"

Auf der Suche nach ihrem Kind befragt Madelaine (Françoise Spira) ihre damalige Krankenschwester (Ruth Wacker) in ZWEI MÜTTER (R: Frank Beyer, 1957) Fotograf: Eduard Neufeld

Filmstill zu "Zwei Mütter"

Ein Amerikanischer Bezirksrichter (Heinz Gies) muss den Fall klären. Auch die Presse (Fred Ludwig) befragt ihn in ZWEI MÜTTER (R: Frank Beyer, 1957) Fotograf: Eduard Neufeld

Echo: Kein negativer Gegenspieler

Ossowski und Beyer realisierten ihren Film ohne klaren Antagonisten. Selbst die Figur des US-amerikanischen Bezirksrichters wird überraschend differenziert dargestellt. „Damit fehlte nach dem offiziellen kunstpolitischen Diktum des Sozialistischen Realismus dem »positiven Helden« der unvermeidliche »negative« Gegenspieler“ wie Thomas Heimann in „Regie: Frank Beyer“ feststellt (S. 158). Daran störten sich bereits in den 1950er-Jahren einige Rezensenten des Films. Augenscheinlich herrschte eine große Unsicherheit, wie mit einem solchen Werk ohne klare ideologische Vorgaben zu verfahren sei. So hieß es unter anderem am 8. Juli 1957 in der Freien Presse: „Der Kunstkonsument (...) erwartet einfach Parteinahme in einem Kunstwerk. Er muss wissen, welchen Figuren er seine Sympathie schenken kann.“ Und die Junge Welt schrieb am 28. Juni 1957 „Obwohl die DEFA und auch Progress einige Materialien über diesen Film herausgraben, bleibt es dem Kritiker doch unbekannt, wo die Drehbuchautorin Jo Tiedemann sowie der Regisseur Frank Beyer herkommen und in welchen geistigen Bezirken sie angesiedelt sind. Aus ihrem Film wird das jedenfalls nicht ersichtlich, ebenso gut hätte er in Westdeutschland hergestellt sein können.“

Françoise Spira und Helga Göring sind zwei Mütter

Filmstill zu "Zwei Mütter"

Helga Göring

in ZWEI MÜTTER (R: Frank Beyer, 1957) Fotograf: Eduard Neufeld

Die schauspielerische Leistung der 28-jährigen französischen Schauspielerin Françoise Spira (1928–1965) fand in den Besprechungen ausnahmslos positives Echo. Die Schauspielerin war am Théâtre National Populaire engagiert und kam auf Empfehlung von Gérard Philipe, mit dem sie in Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ gemeinsam auf der Bühne stand, zur DEFA. Philipe hatte 1956 sein Regiedebüt DIE ABENTEUER DES TILL ULENSPIEGEL in Koproduktion mit der DEFA unter anderem in der DDR gedreht. Für Spira sollte ZWEI MÜTTER trotz des Erfolgs ihr einziges Gastspiel bei der DEFA bleiben. Sie kehrte nach Frankreich zurück und war dort bis zu ihrem frühen Tod in Fernsehen, Kino und im Theater präsent.

Den Part der Deutschen Hedwig übernahm Helga Göring (1922–2010). Ihr Filmdebüt feierte die Schauspielerin 1950 mit einer Hauptrolle in der DEFA-Produktion DAS VERURTEILTE DORF unter der Regie von Martin Hellberg, der zuvor ihr Intendant am Dresdner Staatstheater war. Anschließend zählte Göring zu den gefragtesten Darstellerinnen in der DDR und war in unzähligen Film- und Fernsehproduktionen sowie im Theater präsent. Ab 1961 wirkte sie über 30 Jahre im Ensemble des Deutschen Fernsehfunks.

Verfasst von Philip Zengel. (Juli 2024)

Edition Filmjuwelen

Frank Beyer: Alle DEFA-Spielfilme 1957–1991

Die DVD-Edition vereint erstmals alle DEFA-Spielfilme Beyers. Einige Werke wie ZWEI MÜTTER (1957), EINE ALTE LIEBE (1959) oder BOCKSHORN (1983) wurden eigens für die Edition digitalisiert.

Zur DVD Edition in der Edition Filmjuwelen
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