Filmstill zu "Zwei schräge Vögel"

Zwei schräge Vögel

Im Jahr des Mauerfalls bedachte das junge DDR-Publikum die Filmsatire ZWEI SCHRÄGE VÖGEL in den Kinosälen mit Szenenapplaus und stehenden Ovationen. Der DEFA gelang einer ihrer letzten großen Kassenschlager. In dieser Woche feiert die 2022 digital restaurierte Fassung ihre Fernsehpremiere im MDR. Anschließend ist der Film in der ARD-Mediathek verfügbar.

Kurzinhalt

Filmplakat zu "Zwei schräge Vögel"

ZWEI SCHRÄGE VÖGEL

(R: Erwin Stranka, 1989) Grafiker: Karl-Heinz Beck

Die Leipziger Informatik-Studenten Frank Lettau (gespielt von Götz Schubert) und Peter ‚Kamminke’ Galetzki (Matthias Wien) sind beste Freunde. Für ihre Diplomarbeit arbeiten sie gemeinsam an einem Computerprogramm, das Fehler in seiner Software selbst finden und korrigieren kann. Ihre Freizeit verbringen sie mit der Sängerin Gina (Gerit Kling), in die beide verliebt sind und die ihrerseits die beiden Jungs gleichermaßen liebt. Da eine Abkommandierung an unterschiedliche Arbeitsorte nach dem Studium keine Option für das Gespann ist, provozieren sie ihre gemeinsame Versetzung in die tiefste Provinz zum „VEB Stirnräder“ nach Finsterberg-Dodeleben (Drehort: Großbreitenbach, Thüringen). Der Betrieb arbeitet vollkommen ineffektiv und rückständig. Zusammen mit Sachbearbeiterin Petra (Simone Thomalla), in die sich erneut beide verlieben, planen die Freunde eine aufgrund fehlerhafter Software noch nicht in Betrieb genommene Computeranlage in den Gang zu setzen...

 Hier finden Sie die vollständigen Filmdaten.

Kultfilm in der Wendezeit

ZWEI SCHRÄGE VÖGEL avancierte im Herbst 1989 – kurz vor dem Mauerfall – in kürzester Zeit zum Kultfilm in der DDR. Das Werk vermittelt aus retrospektiver Betrachtung bereits eine Art Reformstimmung. Viele Aussagen waren in dieser offenen Form zuvor undenkbar. Sie bieten eine Bestandsaufnahme vom Zustand der DDR in den späten 1980er-Jahren. Etwa wenn ein Fensterputzer – eigentlich Doktor der Philosophie – feststellt: „Der Sozialismus braucht jeden, aber keiner weiß wo.“ und es an anderer Stelle heißt „Man darf nicht zu gut sein, im Land der begrenzten Möglichkeiten.“ oder „In der Spitze sind wir Durchschnitt, aber im Durchschnitt sind wir spitze.“ Insbesondere der heranwachsenden, letzten DDR-Generation sprach der Film mit seinen satirischen Botschaften aus der Seele.

Filmstill zu "Zwei schräge Vögel"

Computer-Nerds: Matthias Wien und Götz Schubert in ZWEI SCHRÄGE VÖGEL (R: Erwin Stranka, 1989) Fotograf: Siegfried Skoluda

Filmstill zu "Zwei schräge Vögel"

Nächster Halt: Finsterberg-Dodeleben – Götz Schubert und Matthias Wien in ZWEI SCHRÄGE VÖGEL (R: Erwin Stranka, 1989) Fotograf: Siegfried Skoluda

Idee und Buch: Diethardt Schneider

Die meisten Filmzitate gehen auf Diethardt Schneider zurück, der das Szenarium für den Film vorlegte und zuvor bereits als Redakteur für das Satire-Magazin „Eulenspiegel“ tätig war. Bei der DEFA trat Schneider zuvor lediglich als Autor für den im NVA-Milieu angesiedelten Spielfilm DROST (1985/86) in Erscheinung – Unterschiedlicher können zwei Filmideen kaum sein. Bereits vorm Kinostart gab Schneider dem Filmspiegel (18/1989) ein Interview, in dem er auf die Wahl der satirischen Erzählform für ZWEI SCHRÄGE VÖGEL einging: „Die Satire, die immer kritisch ist, weil es keine positive Satire gibt, macht den Zuschauer, den Leser souverän gegenüber dem Gegenstand. Sie macht ihn groß. Sie stellt die kritikwürdigen Dinge als überwindbar dar. Das ist, glaube ich, die nicht zu unterschätzende Potenz, die in solchen Darstellungsweisen liegt. Und wir haben es nötig, mit solchen Dingen so umzugehen.“

 

 

 

 

Zwei schräge Vögel – Warum eigentlich schräg?

Zwischen dem 24. September 1988 und dem 29. Januar 1989 wurde die Produktion noch unter dem Arbeitstitel „Cad Cam Comödie“, dessen Initialen auf den westdeutschen „Chaos Computer Club“ anspielen, gedreht. Wohl aus Vermarktungsgründen entschied man sich gegen den sperrigen, technik-lastigen Titel und wählte stattdessen ZWEI SCHRÄGE VÖGEL. Gleich mehrere Kritiker befanden jedoch, dass an den beiden Informatikstudenten eigentlich kaum etwas Schräges zu finden sei. Nach dem Aussagehalt des Titels befragt, äußerte Autor Diethardt Schneider, dass ‚schräg’ für ihn weniger für Ausgeflipptheit steht, sondern „für eine Lebenshaltung, die sich darin äußert, daß man seine individuellen Eigenheiten, Begabungen, Bedürfnisse und Interessen durchsetzen will in der Gesellschaft.“ (Filmspiegel, 18/1989)

 

Original-Kinotrailer von ZWEI SCHRÄGE VÖGEL (R: Erwin Stranka, 1989)

Angst vor der Premiere

ZWEI SCHRÄGE VÖGEL eröffnete am 12. September 1989 in den Kammerlichtspielen Cottbus die 17. Tage des sozialistischen Films. An der Vorführung nahmen zahlreiche politische Funktionäre teil. Aufgrund der offen im Film angesprochenen Probleme der DDR-Gegenwart zeigte sich das Filmteam im Vorfeld der Premiere besorgt, wie sich die Stimmung im Saal entwickeln würde. Der Dramaturg Andreas Scheinert erinnerte sich in der „Weltbühne“ vom 14. November 1989 an ein Gefühl, sich in der „Höhle des Löwen“ zu befinden. Umso überraschter war man, als die Funktionäre mitlachten (Scheinert: „Wo das Wort ‚quietsch-vergnügt’ herrührt, weiß ich seitdem.“). Der einstige ‚Löwe’ war im Herbst 1989 bereits zahnlos. Gleichwohl erinnert sich Scheinert, dass bei der zweiten Vorführung am Folgetag, „das Protokoll durch Ab- und das Publikum durch kapazitätüberschreitende Anwesenheit“ glänzte.

 

 

Filmstill zu "Zwei schräge Vögel"

Eine neue Liebe? Simone Thomalla in ZWEI SCHRÄGE VÖGEL (R: Erwin Stranka, 1989) Fotograf: Siegfried Skoluda

Filmstill zu "Zwei schräge Vögel"

Gina rockt die Leipziger Moritzbastei: Gerit Kling in ZWEI SCHRÄGE VÖGEL (R: Erwin Stranka, 1989) Fotograf: Siegfried Skoluda

Echo: Publikum vs. Filmkritik

Filmstill zu "Zwei schräge Vögel"

Kritischer Blick

Jaecki Schwarz in ZWEI SCHRÄGE VÖGEL (R: Erwin Stranka, 1989) Fotograf: Siegfried Skoluda

„Eigentlich ist das kein guter Film“ beginnt Henryk Goldberg seine Besprechung zu ZWEI SCHRÄGE VÖGEL in der Zeitschrift Filmspiegel (Ausgabe 21/1989) und kritisiert, dass das Drehbuch „eigentlich“ nichts tauge und die Inszenierung „eigentlich“ bieder sei. An der Macht des Publikums kommt der Filmkritiker aber nicht vorbei: „Ich hab den Film in einem vollen Kino gesehen. Lacher die Menge, Szenenapplaus, Beifall am Ende – produziert vom VEB DEFA-Studio für Spielfilme. Deswegen laß ich den ganzen ästhetischen Schnokus, der mir sonst so lieb und teuer ist, stecken und gratuliere.“ Gleich mehrere Kritiker sahen sich einem ähnlichen Dilemma ausgesetzt. Hans Dieter Tok stellte in der Leipziger Volkszeitung am 23. September 1989 angesichts der Publikumseuphorie offen die Frage: „Was nun? Korrektur des eigenen Urteils?“ Kritiker, die zu einem negativen Urteil gelangten, wie etwa Jürgen Schwarz in der Freien Presse vom 26. September 1989, sahen sich einigem Gegenwind ausgesetzt. So antwortete ein 18-jähriger Schüler in einem Leserbrief: „(...) jedoch frage ich mich, was Jürgen Schwarz meint, wenn er schreibt, daß vieles ‚gar zu direkt bis hin zum Peinlichen’ von der Leinwand kam. Meint er damit diese reale Darstellung unseres Alltags, unserer kleinen und großen Fehler und Schwächen? Sind die ihm peinlich? Sollen sie etwa verschwiegen werden?“ (Freie Presse, 24. Oktober 1989)

 

Filmstill zu "Zwei schräge Vögel"

Beste Freunde: Matthias Wien und Götz Schubert in ZWEI SCHRÄGE VÖGEL (R: Erwin Stranka, 1989) Fotograf: Siegfried Skoluda

Filmstill zu "Zwei schräge Vögel"

Wie umgehen mit den schrägen Vögeln? Peter Sodann und Jaecki Schwarz in ZWEI SCHRÄGE VÖGEL (R: Erwin Stranka, 1989) Fotograf: Siegfried Skoluda

Junges Schauspiel-Quartett

Getragen wird ZWEI SCHRÄGE VÖGEL vom jungen Schauspiel-Ensemble um Gerit Kling, Götz Schubert, Simone Thomalla und Matthias Wien. Alle vier studierten in den 1980er-Jahren an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ und kannten sich bereits aus dieser Zeit. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten für ZWEI SCHRÄGE VÖGEL hatten sie bereits erste Filmerfahrungen gesammelt und waren an unterschiedlichen Theatern engagiert: Schubert am Berliner Maxim-Gorki-Theater, Thomalla in Dresden, Kling in Brandenburg an der Havel und Wien in Schwerin. Nach der Wiedervereinigung setzten alle vier ihre Schauspielkarrieren fort und sind bis heute regelmäßig in Film und Fernsehen präsent. In Nebenrollen sind zahlreiche Schauspielgrößen der DDR zu sehen, darunter Jaecki Schwarz, Dieter Mann, Peter Sodann, Fred Delmare und Walfriede Schmitt.

Musik zum Mitgrölen: „Hinter dem Beton, -ton, -ton tut sich was!“

Filmstill zu "Zwei schräge Vögel"

Gerit Kling

in ZWEI SCHRÄGE VÖGEL (R: Erwin Stranka, 1989) Fotograf: Siegfried Skoluda

Gleich zu Beginn von ZWEI SCHRÄGE VÖGEL setzt Gerit Kling in der Rolle der Sängerin Gina den Grundton für die folgende Handlung. Mit 80er-Jahre Popmusik und provokanten Liedzeilen bringt sie die Menge im Leipziger Studierenden-Club „Moritzbastei“ zum Kochen:

Die Kommission, die meine Songs beäugt, hat’s auch nicht leicht.
Der eine hätt’ gern mehr von dem, was mir der andere streicht.

Dann schaffen die sich selber ab, die kennen kein Tabu.
Wir sind zwar schon viel weiter, doch wir geben’s noch nicht zu.
Hinter dem Beton, -ton, -ton tut sich was.

Anders als Sunny in Konrad Wolfs SOLO SUNNY (1979) zehn Jahre zuvor, hat Gina ihr Publikum bereits gefunden. Die Texte der Lieder „Beton“ und „Einer will gehen“ stammen aus der Feder des Autors Diethardt Schneider. Die Komposition lag in den Händen von Tamás Kahane, der bereits für den DEFA-Jugendfilm VORSPIEL (1987) vielbeachtete Filmmusik komponierte. Sybille Strauß sang die Songs mit ihrer Band „Petty Cats“ für den Film ein.

Filmstill zu "Zwei schräge Vögel"

Regisseur Erwin Stranka im Gespräch mit Dieter Mann bei den Dreharbeiten zu ZWEI SCHRÄGE VÖGEL (R: Erwin Stranka, 1989) Fotograf: Siegfried Skoluda

Filmstill zu "Zwei schräge Vögel"

Austausch zwischen Simone Thomalla und Regisseur Erwin Stranka während der Dreharbeiten zu ZWEI SCHRÄGE VÖGEL (R: Erwin Stranka, 1989) Fotograf: Siegfried Skoluda

Regie: Erwin Stranka

Regisseur Erwin Stranka (1935–2014) inszenierte im Laufe seiner DEFA-Karriere immer wieder erfolgreich Filme, die sich primär an ein junges Publikum richteten, darunter ZUM BEISPIEL JOSEF (1974), SABINE WULFF (1978), DER HAIFISCHFÜTTERER (1985) und LIANE (1987). Im DEFA-Kollegium und von der Filmkritik erhielt er für sein Engagement für die Probleme und Bedürfnisse der jungen Generation mitunter den Spitznamen „Anwalt der Jugend“, von dem er selbst nichts wissen wollte. Götz Schubert erinnert sich in einem 2022 im Auftrag der DEFA-Stiftung geführten Zeitzeugengespräch, dass Stranka bei den Dreharbeiten zu ZWEI SCHRÄGE VÖGEL „wie ein großer Vater“ für ihn war, der sich oft „nachsichtig“ gegenüber seinen jungen Darstellerinnen und Darstellern verhielt. Wenige Monate nach der Premiere des Films zog sich Erwin Stranka aufgrund gesundheitlicher Probleme aus dem Filmgeschäft zurück. ZWEI SCHRÄGE VÖGEL blieb sein letzter Kinofilm.

Verfasst von Philip Zengel. (Februar 2023)

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