16. Preisverleihung

Die Stiftungspreise wurden am 18. November 2016 in der Akademie der Künste verliehen.

 

Preisträger

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Preis für das filmkünstlerische Lebenswerk

Herrmann Zschoche

Herrmann Zschoche

Fotografen: Reinhardt & Sommer

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herrmann Zschoche,

ich freue mich sehr, lieber Herrmann, dass ich Dich heute mit einer Lobesrede ehren darf.

Wir sind seit 44 Jahren miteinander befreundet und viele Jahre davon habe ich mit Dir als Dramaturgin und Autorin zusammen gearbeitet, bei der DEFA und auch nach der Wende bei verschiedenen Fernsehanstalten.

Herrmann Zschoche hat bei der DEFA 20 Spielfilme gedreht, die alle ein gemeinsames Merkmal haben: Sie sind völlig unterschiedlich, in der Thematik, in der Erzählweise und in der Bild- und Tonsprache. Er hat nie versucht, einer Filmgeschichte Gewalt an zu tun, sie in ein bzw. sein „Regie-Schema“ zu pressen.

LÜTT MATTEN UND DIE WEISSE MUSCHEL, KARLA, WEITE STRASSEN – STILLE LIEBE, EOLOMEA, PHILIPP, DER KLEINE, FEUER UNTER DECK, SIEBEN SOMMERSPROSSEN, BÜRGSCHAFT FÜR EIN JAHR, INSEL DER SCHWÄNE, HÄLFTE DES LEBENS – das sind nur einige Beispiele, die die Verschiedenartigkeit seiner Arbeit beleuchten. Er ist einer der Regisseure, der – wenn ihn das Drehbuch überzeugte und anrührte – mit Herzblut Kinder- und Jugendfilme gedreht hat, und nicht nur deshalb, weil gerade kein anderer Stoff verfügbar war.

Herrmann Zschoche liebt Geschichten und Bilder und, er hasst es, sich zu langweilen. Ich behaupte mal kühn: Das ist das Motto seines Schaffens. Geschichten und Bilder interessieren ihn brennend, und Langeweile will er nicht aufkommen lassen. Dafür tut er, was in seinen Kräften steht, und damit wird nicht nur er selbst glücklich, seine Zuschauer werden es auch. Die unterhält er mit überraschenden, spannenden, emotionalen, lustigen, amüsanten, ironischen, aber niemals belehrenden Filmen. Ich habe nachhaltig in Erinnerung, wie sich Herrmann immer wieder darum bemüht hat, eine Szene, eine Situation mit ganz besonderen Details anzureichern. Mit bildlichen und auch sprachlichen Details, die besonders waren und Aufmerksamkeit hervorrufen sollten.

In vielen Geschichten, die Herrmann Zschoche so sehr berührten, dass er sie unbedingt auf die Leinwand bringen wollte, stehen junge Frauen im Mittelpunkt. Es scheint, als könne er durch die weibliche Sicht der Dinge am besten über seine Sicht auf das Leben erzählen. Da ist natürlich zuerst KARLA nach einem Drehbuch von Ulrich Plenzdorf zu nennen. Der Film ist 1966 fertig gestellt, wird im Zuge des 11. Plenums verboten und 1990 dann endlich aufgeführt. „Film ist eine leicht verderbliche Ware“ heißt es – aber davon ist KARLA gänzlich unberührt. Wie Jutta Hoffmann diese Lehrerin spielt, die bedingungslos für das kämpft, woran sie glaubt – das ist so heutig und sehr verallgemeinerbar. Ich schätze, der Film wird seine Wirkung niemals verlieren.

Und wir erinnern uns an die Nina aus BÜRGSCHAFT FÜR EIN JAHR, die nicht zurecht kommt mit und in ihrem Leben – eindrucksvoll dargestellt von Katrin Sass. Und an die wunderbare Jenny Gröllmann als Susette Gontard, so zart und zerbrechlich und doch so stark in ihrer Liebe; an Renate Krößner als temperamentvolle Caramba in FEUER UNTER DECK und an Regine, DAS MÄDCHEN AUS DEM FAHRSTUHL, dargestellt von Barbara Sommer, die sich tapfer eine Chance im Leben bewahren möchte.

Herrmann ist handwerklich Profi durch und durch, aber er ist vor allem auch Künstler mit einem ziemlich unfehlbaren ästhetischen Geschmack. Nicht alles gelingt perfekt, aber so richtig „daneben“ kann er gar nicht liegen. Millionen Menschen haben seine Filme mit Begeisterung gesehen, SIEBEN SOMMERSPROSSEN hatte in der DDR schon im ersten Aufführungsjahr 1,2 Millionen Zuschauer von 17 Millionen in der DDR möglichen – Babys mitgezählt.

Ein ganz besonderer Fan von Herrmann Zschoche soll hier unbedingt erwähnt werden. Das ist Hans-Joachim Mahling, der in einer kleinen Stadt in Sachsen sitzt und akribisch und wissenschaftlich (obwohl er nicht vom Fach ist) beobachtet, sammelt und katalogisiert, was sein Idol Herrmann Zschoche so treibt. Zum Glück für Herrmann, denn der hebt nichts auf und besitzt nicht mal mehr alle seine Drehbücher.

Eine der bemerkenswerten Eigenschaften von Herrmann Zschoche ist, dass er sich fast nie aus der Ruhe bringen lässt, beim Drehen sowieso nicht, jedenfalls nicht sicht- und fühlbar, was ja in seinem Beruf von großem Vorteil ist. Und ich bin selten einem Künstler begegnet, der so uneitel ist wie Herrmann. Auch diese Eigenschaft, die im Filmgeschäft nicht häufig ist, macht ihm das Arbeiten leichter und allen anderen, die mit ihm an einem Projekt beteiligt sind, selbstverständlich auch. Zschoche ist nie durch die Gegend stolziert nach dem Motto: „Ich bin hier der Regisseur, wer ist mehr?“ Jeder Mitarbeiter konnte sich einbringen, jedem hat Herrmann zugehört und alles, was ihn überzeugte, hat er auch verwendet, egal, ob es die Idee eines anderen war. Und ganz wichtig: Bei Meinungsverschiedenheiten hat er zugelassen, dass um die richtige Lösung gerungen wurde.

So ist es nicht verwunderlich, dass sich immer wieder dieselben Künstler mit Freude und Engagement um Zschoche gruppierten, um einen neuen Film in Angriff zu nehmen. Sein Kameramann Günter Jaeuthe, der Szenenbildner Dieter Adam, die Schnittmeisterin Monika Schindler, die Autoren Christa Kożik und Ulrich Plenzdorf, um nur einige zu nennen.

Herrmann Zschoche hat mit einer Vielzahl der bedeutendsten deutschen Schauspieler gearbeitet: Jutta Hoffmann, Manfred Krug, Katrin Sass, Renate Krößner, Jürgen Hentsch, Inge Keller, Jaecki Schwarz, Monika Lennartz, Jenny Gröllmann, Ulrich Mühe, Michael Gwisdek, Jutta Wachowiak, Dieter Mann, Simone von Zglinicki, Brigitte Mira, Harald Juhnke und Brigitte Grothum. (Die Reihenfolge bedeutet selbstverständlich keine Wertung!)

Er hat es mit Einfühlungsvermögen und Geschick verstanden, den nicht immer unkomplizierten Persönlichkeiten viel Freiräume zu geben und auch ihre speziellen Sichtweisen auf eine Spielsituation zuzulassen. So konnten sie ihr Talent für den Erfolg des Filmes voll entfalten.

Eine besondere Stärke von Herrmann Zschoche ist die Besetzung und die Führung von Laiendarstellern. Das war für ihn eine große Herausforderung, die er liebte und die ihm so viel Spaß machte, wie sie ihm Kopfzerbrechen bereitete. Für die Besetzung der 14-jährigen Karoline in SIEBEN SOMMERSPROSSEN gab es umfangreiche Probeaufnahmen. Leider ohne Ergebnis. Die Zeit drängte sehr, der Herbst rückte näher, und die Handlung forderte den Hochsommer. Dann stand Herrmann irgendwann vor Christa Kożik, der Autorin, und mir, der Dramaturgin, und sagte: „Ich hab sie!“ Und er guckte so, dass ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, wir sollten ihm keinesfalls widersprechen und nicht diskutieren. Zum Glück war das ja auch nicht nötig. Denn die außerordentliche Wirkung des Films beruht zu nicht unerheblichem Teil auf dem berührenden Spiel von Kareen Schröter, die vom Regisseur entdeckt und zu einer großartigen Leistung geführt worden ist. Der kleine Lutz Bosselmann in DAS MÄRCHENSCHLOSS und in LÜTT MATTEN UND DIE WEISSE MUSCHEL bleibt ebenso in lebendiger Erinnerung wie der verletzliche Andij Greissel in PHILIPP, DER KLEINE. Und als Herrmann Zschoche die Schülerin Anja Kling für die Hauptrolle in GRÜNE HOCHZEIT verpflichtete, da war sie noch kein Fernsehstar, schon gar kein gesamtdeutscher.

Herrmann Zschoche brachte sich mit seinen Filmen in die Welt ein. Um seine Haltung und seinen Standpunkt deutlich zu machen, brauchte er nichts anderes. Und zu seinem Glück hat auch nie jemand ein anderes Engagement von ihm gefordert. Herrmann war in keinem Verein, keinem Gremium, schon gar nicht in einer Partei. Aber keiner, auch die Oberen in der DDR nicht, haben ihm unterstellt, sich herauszuhalten, dafür waren seine Filme zu menschlich und zu politisch.

Das wurde durch zahlreiche Preise wertgeschätzt: Nationalpreis der DDR im Kollektiv, Kunstpreis der DDR, „Goldener Spatz“, verschiedene Publikums- und Kritikerpreise und Preise auf nationalen und internationalen Filmfestivals, zum Beispiel auf der Berlinale. Filmregisseur ist auch ein sehr anstrengender Beruf und niemand wird es Herrmann Zschoche verübeln, wenn er es sich nun, mit über 80, ein wenig gemütlicher gestaltet. Er hat sein früheres Hobby zum neuen Beruf gemacht. Die Liebe zu Bildern hat sich erhalten, jetzt sind sie allerdings mit Ölfarbe auf Leinwand gemalt. Seine Leidenschaft gilt der deutschen Romantik – über dieses Thema weiß er wirklich alles, ohne Übertreibung. Er schreibt Bücher über Caspar David Friedrich und dessen Zeitgenossen. Caspar David Friedrich ist sein Held. Und wenn irgendwo auf der Welt mal wieder ein Friedrich geklaut wird, schießt es mir durch den Kopf: „Herrmann, du wirst doch nicht...“

Das erwähne ich hier nur, damit niemand glaubt, Herrmann Zschoche, der heute für sein Lebenswerk von der DEFA-Stiftung geehrt wird, hat sein Werk beendet.

Herzlichen Glückwunsch, Herrmann!

Laudatorin: Gabriele Herzog

Preis für herausragende Leistungen im deutschen Film

Erika und Ulrich Gregor

Erika & Ulrich Gregor

Fotografen: Reinhardt & Sommer

Sie kommen zu zweit. Wenn sie durch eine Menschenmenge hindurch müssen, geht er seiner Frau voran, sonst bleiben sie nebeneinander. Im Kino sitzen sie weit vorne, man sei da näher am Geschehen, sagt er. Wenn man auf Festivals viele Filme hintereinander sieht, sagt sie, darf man nichts essen, denn dann wird man müde. Wenn wir müde werden, nehmen wir schnell ein Vitamin-Bonbon. Wir haben so einen Hunger nach Filmen, sagt er. Wir reden im Kino, sagt sie, aber man sollte das nicht: Wenn andere Leute reden, ärgere ich mich. Ich denke manchmal, sagt er, wie gut wir es haben – dass wir uns austauschen können, viele Menschen sind ja allein.

So reden Erika und Ulrich Gregor. Sie bekommen heute einen Preis – beileibe nicht ihren ersten. Über 50 Jahre haben sie alles zusammen gemacht. Weil ihre Konzepte von Kino, Film, Verleih, Archiv über das Gewohnte hinausgingen, hören die Ehrungen wie Nachbeben nicht auf.

Eigentlich sind sie ja Rentner.

Das von Ulrich Gregor geleitete „Internationale Forum des Jungen Films“ – Erika Gregor saß im Auswahlkomitee – führen seit 2001 andere Filmfreunde. Ulrich war seit 1981 zusammen mit Moritz de Hadeln Leiter der Berliner Filmfestspiele. Die Berlinale macht seit 2001 ein anderer Mann alleine – und der macht das gut. Milena, Tochter der Gregors, betreibt im Trio das „Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.“ am Potsdamer Platz.

Erika und Ulrich Gregor sitzen in Jurys, fahren zu Festivals, werden um Rat gefragt und sind immer auf Empfang. Dabei hätten sie zu Hause im Eichkamp genug zu tun. Es gibt bestürzende Fotos: Man muss lange nach den Gregors suchen – wie auf Vexierbildern verlieren sie sich zwischen Büchern, Zeitschriften, Katalogen, Plakaten. Riesige, schiefe Stapel – alles was mit Film. Das Papier wucherte von Zimmer zu Zimmer und lagert schon einen Meter hoch in drei Kellerräumen. Ich wage, das hier zu erzählen, weil Erika Gregor selbst ganz heiter darüber berichtet.

Sonderbarerweise sind beide nie gestresst. Das sieht man bei Leuten, die grundsätzlich nur machen, worauf sie Lust haben. Die Gregors wollen alles über Kinematografien wissen, überall auf der Welt. Sie wollen das Außerordentliche entdecken: Was ist Avantgarde, Aufschrei, Dokument, Talentbeweis, Seismograph, Zeitgeschichte? Und vor allem: Was ist kein Kommerz!

Das Forum macht das asiatische, lateinamerikanische, afrikanische Kino bekannt, Untergrund-Filme aus Diktaturen kommen auf beschwiegenen Wegen nach Berlin. Formal Auffälliges, Provozierendes hat auch eine Chance: Die Gregors lieben belichtetes Material wie digitale Träger, sie entdecken gerne etwas, das sie verteidigen möchten. Am liebsten, wenn die Filme von armen unbekannten Filmemachern gedreht werden. Nach der Vorführung wird Ulrich mit ihnen auf der Bühne sitzen und sie in einem sensiblen Gespräch zum Leuchten bringen.

Das Fremde zieht die Gregors an, das Sperrige. „Filme, bei denen es sofort Diskussionen gibt, sind mir die liebsten“, sagt Erika. „Wenn das ganze Team nickt und sagt ‚Na ja, ein ganz guter Film’ – dann wird er nicht genommen.“

Im Forum liefen Spiel- und Dokumentarfilme, deren Regisseure später berühmt wurden – Kaurismäki, Tarr, Angelopoulos, Ackermann, Sen, Jarmush oder Kluge, Reitz, Praunheim, Trotta, Sander, Syberberg, Wildenhahn, Wenders, Ottinger, Sanders-Brahms, Fassbinder, Achternbusch, Schübel, Karmakar als Beispiele. Unabhängiges, politisches, westdeutsches Kino.

Bis 1974 liefen auf der ganzen Berlinale keine Filme aus dem Ostblock. Man wollte die erst nicht, dann entzog sich die andere Seite, bis die Sowjetunion 1975 zum Wettbewerb antrat, zeitgleich mit der DDR.

Hinterrücks funktionierte zwischen dem Kino Arsenal und dem DDR-Filmarchiv der Kopienaustausch – trotz Mauer. Aber mit Ausnahme des DEFA-Spielfilms SEITENSPRUNG von Evelyn Schmidt, 1980, und von Dokumentarfilmen von Koepp, Winfried und Barbara Junge, Misselwitz, Böttcher haben die Gregors erst 1990 dem DEFA-Film einen großen Auftritt geschenkt: eine Sonderreihe mit Spielfilmen, die 1965 auf dem 11. Plenum des ZK der SED und in seiner Folge verboten worden waren. Um diese Filme haben sie sich dann allerdings gerissen.

Vorher bekamen sie die DEFA-Filme nicht, die sie wollten, und die, die ihnen angeboten wurden, wollten sie nicht. Gregors machen keine Kompromisse. Sie bevorzugen auch keine Kinematografien, sie sehen sich immer die Welt an und finden Maßstäbe. Davon haben dann wieder alle was.

Laudatorin: Regine Sylvester

Preis für junges Kino

Thomas Stuber

Thomas Stuber

Fotografen: Reinhardt & Sommer

Ich freue mich sehr, dass die DEFA-Stiftung ihren Preis zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses in diesem Jahr an den Regisseur Thomas Stuber verleiht.

Kennengelernt habe ich Thomas Stuber, als er 2008 seinen Drittjahresfilm an der Filmakademie Ludwigsburg, TEENAGE ANGST, bei der Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale präsentierte. Dieser 63-minütige Spielfilm um vier junge Männer auf einem Elite-Internat war ein Versprechen auf einen Regisseur, von dem wir in der Zukunft noch viel hören würden. Die erste Einlösung ließ dann auch nicht lange auf sich warten, Thomas gewann 2012 mit seinem 30-minütigen Abschlussfilm VON HUNDEN UND PFERDEN den Studenten-Oscar in Silber. Das ist noch nicht einmal fünf Jahre her, und trotzdem hat Thomas seitdem so viel geschrieben, gedreht und etliche Preise gewonnen, dass es einem beinahe schwerfällt, ihn noch als Nachwuchsregisseur zu bezeichnen. Gemeinsam mit Autor und Freund Clemens Meyer, nach dessen Kurzgeschichte auch das Drehbuch zu VON HUNDEN UND PFERDEN entstanden ist, schrieb Stuber das Drehbuch zu seinem Spielfilmdebüt HERBERT und auch zu seinem nächsten Kinofilm IN DEN GÄNGEN.

HERBERT feierte in Toronto Weltpremiere und gewann gleich drei Lolas beim diesjährigen Deutschen Filmpreis, darunter die silberne Lola in der Kategorie „Bester Spielfilm“. Und das Drehbuch zu IN DEN GÄNGEN wurde letztes Jahr mit dem Deutschen Drehbuchpreis ausgezeichnet, heißt, eine „Goldene Lola“ gibt es schon, bevor der Film nächstes Jahr gedreht wird. Dazwischen hat Thomas noch einen interessanten Fernsehfilm gedreht und einen Tatort, für den er dann auch prompt den Deutschen Fernsehkrimi-Preis 2016 erhielt.

Nun werden Sie sich vielleicht fragen, warum wir uns entschieden haben, nach diesem ganzen Preisregen nun auch den DEFA-Stiftungspreis für junges Kino an Thomas Stuber zu verleihen. Das werde ich Ihnen sagen: Weil Thomas eine herausragende Persönlichkeit ist und weil Thomas herausragende Filme macht. Filme, die kraftvoll sind und sehr visuell, manchmal pathetisch, sehr emotional, aber nie kitschig. Sie sind verankert in Leipzig, dem Ort, an dem er aufgewachsen ist (und sein Autor Clemens Meyer übrigens auch), den er so gut kennt und in dem er heute auch mit seiner Familie lebt. Man spürt in jedem seiner Filme, dass er die Underdogs liebt, zusammen mit Meyer ist er die Stimme des kleinen Mannes.

In Bezug auf seinen Film TEENAGE ANGST, der aus der Sicht eines Mitläufers erzählt ist, sagte Stuber einmal in einem Interview über sich und seine Filme: „Bei mir geht man nicht erleichtert aus dem Kino, ich liefere kein gutes Gefühl. Wir sind ständig in Büchern und Filmen von Helden umgeben. In der Realität überwiegt aber der Mitläufer.“ Das ist der Fokus bei Thomas, und so führt er seine Schauspieler und sein Team, von jedem verlangt er 110 Prozent. Thomas ist klug, sehr filmgebildet, hat einen guten, sehr trockenen Humor und weiß genau, wo er hinwill.

Jochen Laube, der Stubers nächsten Film produziert, hat Thomas beim Fußballverein an der Filmakademie Ludwigsburg kennengelernt und sagt über ihn: „Thomas macht Filme wie er Fussball spielt, voller Kraft und ohne Rücksicht auf Verluste. Ich liebe es. Er ist ein beinharter Verteidiger, verlieren kommt nicht in Frage.“

Für uns bist Du ein Gewinner, lieber Thomas. Danke dass Dein Lokomotive-Leipzig-Herz (nicht RB Leipzig wohlgemerkt) auch in der Zukunft für den deutschen Film schlägt. Herzlichen Glückwunsch.

Laudatorin: Linda Söffker

Programmpreise

Kinderfilmfest in Brandenburg / Filmernst (ex aequo)

Kinderfilmfest in Brandenburg / Filmernst

© Reinhardt & Sommer

Wenn man Kinder fragt, was sie im Kino sehen möchten, besteht die Antwort der Jungen fast immer aus einem einzigen Wort: „Action!“
Mädchen wünschten sich in den letzten Jahren Filme mit Pferden und Zauberei.

Dass ihr eigenes Leben für eine spannende Kinogeschichte taugt, glauben Kinder eher nicht. So werden Filme, die eben das versuchen, im Kino oft übersehen. Dass junge Zuschauer dennoch einen Eindruck von der Vielfalt der laufenden Bilder bekommen, haben wir nicht zuletzt Initiativen zu verdanken, die das Kino mit der Schule verbinden. In Brandenburg gibt es gleich zwei davon.

Die eine Initiative bringt den besonderen Kinderfilm seit 25 Jahren an Orte, in denen es teilweise gar kein Kino mehr gibt. So verwandeln sich Kulturhäuser, Tagungsräume oder Freizeiteinrichtungen für einige Tage im Jahr in einen Kinosaal. Das Filmangebot wird jedes Jahr neu kuratiert und mit einem Programmheft versehen, das auch Vorschläge für die medienpädagogische Arbeit enthält. Technik und eine Leinwand kann bei Bedarf ausgeliehen werden.

Die andere Initiative arbeitet seit zwölf Jahren mit den Filmtheatern zusammen. Neben den klassischen Schulkinowochen organisiert und betreut sie das ganze Jahr über besondere Filmveranstaltungen, bei denen Schulen mit erfahrenen Filmpädagoginnen und -pädagogen zusammen arbeiten können. Es bedarf großer Beharrlichkeit und Geduld, eine Schulleiterin oder einen Lehrer davon zu überzeugen, dass es den Aufwand lohnt, Schüler und Schülerinnen für ein oder zwei Tage im Jahr während der Unterrichtszeit in ein Kino gehen zu lassen.

Die Kinder sehen das weitaus gelassener, wenn sie mal einen Vormittag nicht in die Schule müssen. Dafür schauen sie sich gern einen Film an, in dem weder Pferde über die Leinwand springen, noch in fernen Galaxien die Macht des Bösen vernichtet wird. Zwölf Monate später freuen sich dieselben Kinder schon auf den besonderen Kino-Schultag. Sie haben den Film vom letzten Jahr gut in Erinnerung. Einige hat er sogar berührt.

Und vielleicht, zumindest hoffen wir das, gehen diese Schüler später ganz von allein in einen Film, in dem es scheinbar nur um ihr Leben geht. Die DEFA-Stiftung verleiht einen Programmpreis zu gleichen Teilen für das Kinderfilmfest im Land Brandenburg und an Filmernst.

Herzlichen Glückwunsch!

Laudator: Bernd Sahling

Homunkulus Figurensammlung

Karl Huck

Spielleiter der Homunkulus Figurensammlung. Fotografen: Reinhardt & Sommer

Wenn man auf Hiddensee in Vitte mit der Fähre im Hafen landet, muss man nur ein paar Schritte geradezu in den Ort laufen, um auf der linken Seite die im wohligen Schatten liegende Seebühne zu entdecken. Hier fanden Karl Huck und Wiebke Volksdorf 1998 eine Heimstatt für das Homunkulus-Figurentheater, welches acht Jahre zuvor in Berlin gegründet wurde.

Mit Stücken quer durch die Weltliteratur – natürlich darf der „Faust“ nicht fehlen – erfreuen beide im Sommer die Inselgäste. Karl Huck – Bäcker, Seemann, studierter Puppenspieler, Dozent und Spielleiter – und Wiebke Volksdorf tun, was sie tun müssen. Sie nutzen ihre Freiheit, um wie in einem Labor quer durch die Genres Kultur- und Kunstangebote zu kreieren, mit denen sie und ihre Mitstreiter sich identifizieren. Diese wollen sie mit den Urlaubs- und Tagesgästen teilen. Deshalb gibt es seit 2014 gleich um die Ecke noch die Homunkulus-Figurensammlung, „eine Insel auf der Insel, ein Raum für Ideen und bessere Gedanken“, wie ihr Freund und Vereinsvorsitzender Konrad Hirsch so treffend beschrieb.

Seit zwei Jahren darf sich der Inselgast nun an diesem Ort auch auf pralles DEFA-Kino freuen, letztes Jahr mit einer Reihe von Herrmann-Zschoche-Filmen, in Anwesenheit des Regisseurs. In diesem Jahr wählte Günther Fischer die Filme aus, von DIE ALLEINSEGLERIN über DAS VERSTECK bis SOLO SUNNY, Bonbon nach den Filmen – der Meister spielte Musikmotive aus den Filmen auf seinem Saxophon und unterhielt sich mit den Gästen. Die Gastgeber wurden überrannt, alle Vorstellungen waren ausverkauft. Trost spendeten nur die kommenden Angebote, so liefen im August die Peter-Schamoni-Filme CASPAR DAVID FRIEDRICH und FRÜHLINGSSINFONIE, Barbara Schnitzler sang „Lieder vom Leben“ und vieles andere.

Fahren Sie auf jeden Fall im kommenden Jahr nach Hiddensee und gehen Sie zu Karl Huck und Wiebke Volksdorf. Ich gratuliere Ihnen herzlich zu diesem Preis!

Laudatorin: Dorett Molitor

Horst Peter Koll

Horst Peter Koll

Filmjournalist und -kritiker. Fotografen: Reinhardt & Sommer

Ein Programmpreis der DEFA-Stiftung geht in diesem Jahr an den Filmkritiker und Herausgeber Horst Peter Koll. Der Preisträger ist seit vielen Jahren als Chefredakteur der Fachzeitschrift „Filmdienst“ tätig, der ältesten und wichtigsten publizistischen Orientierungshilfe im Dickicht der medialen Landschaft Deutschlands. Alle 14 Tage trägt Horst Peter Koll Verantwortung für die Herausgabe eines neuen Heftes, muss die Übersicht behalten über alle Filmpremieren sowie über die wichtigsten Buch- und DVD-Veröffentlichungen. Er koordiniert Themenschwerpunkte, Interviews, Porträts, Nachrufe, Veranstaltungshinweise, Neuigkeiten aus der Branche und Tipps für das Fernsehprogramm. Darüber hinaus gehören der Online-Bereich, das Lexikon des internationalen Films, eine Buchreihe und eine CD-Edition zum Aufgabenbereich. Und natürlich die Hege und Pflege eines umfangreichen Pools von Autorinnen und Autoren. Es reicht ja dabei nicht aus, einzelne Themen einzelnen Verfassern zuzuschlagen. Es muss auf jeweilige inhaltliche Vorlieben Rücksicht genommen werden und nicht zuletzt auf individuelle Eigenheiten.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine persönliche Anmerkung – denn auch ich gehöre seit 1992 zu den Autoren des „Filmdienst“. In den vielen Jahren habe ich stets Horst Peters Umsicht, Geduld und Genauigkeit in Inhalt und Stil bewundert. Seine eigenen Texte sind stets präzise, ohne leidenschaftslos zu sein, seinen thematischen Vorlieben – wie Kinderfilm oder Jazz – widmet er sich mit subtilem Understatement. Umgekehrt erscheint mir das Vertrauen in seine Autoren grenzenlos; obwohl ich hier nur von mir sprechen kann. Erst durch meine Arbeit für den „Filmdienst“ lernte ich, der in der DDR nicht veröffentlichen konnte, was freie Meinungsäußerung überhaupt bedeutet.

Nun könnte man fragen, was das alles mit der DEFA zu tun hat und warum unser Preis ausgerechnet an einen Chefredakteur geht, der professionell seinen Job gemacht hat. Sehr viel hat das mit uns und der Geschichte der DEFA zu tun! Denn aufgrund Horst Peters Entschlossenheit wurde das cineastische Erbe der SBZ und der DDR umgehend in die Wahrnehmung des gesamten deutschen Sprachraums integriert. Zügig wurden sämtliche abendfüllenden Spiel- und Dokumentarfilme der DEFA mit Stabangaben und Kurzinhalten in das Lexikon des internationalen Films und in die inzwischen fast 80.000 Titel umfassende Datenbank des „Filmdienst“ eingearbeitet. Dadurch wurde ein wesentliches Kapitel deutscher Kulturgeschichte für Recherchen von Wissenschaftlern, Kritikern, Studenten und vor allem auch von Multiplikatoren endlich umfassend zugänglich und hielt schnelleren Einzug in Kinos, Filmfestivals und Sendeanstalten. Damit wurde – um es einmal etwas pathetisch zu formulieren – ein wesentlicher Beitrag zur Wiederherstellung der kulturellen Einheit Deutschlands geleistet.

Auch jenseits von Lexikon und Datenbank gehörten in den Druckausgaben des „Filmdienst“ Beiträge zum Kino der DDR und Osteuropas zu den festen Größen. Gehörten? Nun habe ich doch die Vergangenheitsform benutzt. Leider mit Absicht. Denn auf dieser Würdigung am heutigen Abend liegt ein Schatten. Der „Filmdienst“, seit 1947 von der Katholischen Kirche herausgegeben, wird auf höchst-bischöflichen Beschluss als Druckerzeugnis mit dem Beginn des neuen Jahres sein Erscheinen einstellen. Inwieweit danach in veränderter Form noch Teile online oder anderswo weiter existieren, ist derzeit noch offen. So erweist sich eine Institution, die ihre Existenz auf vage überlieferte Ereignisse von vor 2000 Jahren gründet, als außerstande, eine lebendige, gerade einmal 75-jährige Tradition fortzuführen. Das ist ein Armutszeugnis, wenn auch kein materielles.

Doch es gibt immer wieder Enthusiasten wie den heute geehrten Preisträger, die sich dem kurzlebigen Pragmatismus unserer Zeit verweigern und diesem ihre tägliche Beharrlichkeit entgegen setzen. Horst Peter Koll ist einer von ihnen. Herzlichen Glückwunsch zum Programmpreis der DEFA-Stiftung!

Laudator: Claus Löser

Fotogalerie

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