Stiftungspreise 2024

Die 23. Preisverleihung der DEFA-Stiftung fand am 27. September 2024 in der Akademie der Künste statt. Erneut wurden Stiftungspreise im Gesamtwert von 40.000 Euro vergeben.

 

Preisträger

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Preis für das künstlerische Lebenswerk

Christa Kożik

Christa Kożik

Fotograf: Andreas Domma

Liebe Christa,

die diesjährige Jury hat entschieden, dir den Preis für ein Lebenswerk im Sinne des DEFA-Films zu widmen. Eine wunderbare Entscheidung, wie ich finde.

So lange ich dich kenne, und das sind nun schon ein paar Jahrzehnte, gehörtest du zu jenen, die vielfach anderen Mut und Kraft zusprachen. Du hast dich über Erfolge gefreut und versucht, schwere Momente abzufedern. Immer wieder gab es anteilnehmende Reaktionen von dir, ob persönlich, per Telefon oder Postkarte oder auch mal als Anmerkung auf einer Serviette am Rand einer feuchtfröhlichen Festivalparty. Ich erinnere mich an deine Laudatio bei der DEFA-Preisverleihung 2011 für deinen Freund und Kollegen Rolf Losansky oder an deine Rede für deinen langjährigen Regiepartner Herrmann Zschoche anlässlich dessen Auszeichnung mit dem „Ehren-Schlingel“ beim Chemnitzer Kinder- und Jugendfilmfestival.

Heute nun, stehst du im Mittelpunkt.

Deinen Weg im Umgang mit dem künstlerischen Wort hattest du in jungen Jahren als Lyrikerin begonnen. Niederschlag fanden diese Arbeiten unter anderem 1980 im Poesiealbum Nummer 158. Dort findet sich ein Gedicht über Deine früh verstorbene Freundin Maxie Wander. Und Fred Wander schrieb damals in seinem Vorwort: „Christa Kożik sucht in den Gesichtern nach Schönheit wie nach Wegzeichen unserer Menschwerdung“. Damit hatte er einen Kern getroffen, der später ebenfalls deine Arbeit für den Film mitprägen sollte. In dem kleinen Lyrikband taucht nicht zufällig das Hölderlin-Motiv auf. Hölderlin hatte dich schon lange begleitet und du wirst später in deinem Filmschaffen darauf zurückkommen. Lyrik blieb bis zum heutigen Tag eines deiner wichtigen Ausdrucksfelder. Sie war es auch, die dich auf künstlerischer Ebene besonders eng mit Deinem Mann, dem Musiker und Komponisten Christian Kożik verbindet. Er hat viele deiner Werke vertont und unter anderem die Potsdamer Kabarettistin und Chansoniere Gretel Schulze trug diese in die Welt hinaus.

In mehreren deiner Gedichte reflektierst du deine Kindheit in der Notzeit des Krieges.

Dein Vater war 1943 ums Leben gekommen, Du hast die Vertreibung aus deiner schlesischen Heimat, Tod, existenzielles Elend und materielle Not erlebt. Das alles hat dich nachhaltig geprägt. In deinem Schaffen schlägt sich dies in einer stets erkennbaren unbedingten Friedenssehnsucht nieder. Gleichzeitig hattest du an dir selbst erfahren, welche Kraft Kinder durch eigenverantwortliches Handeln entfalten können. Auch das sollte als bestimmendes Motiv in deine späteren Arbeiten einfließen.

In der Einklassenschule im Thüringer Dörfchen Wogau vermittelte dir zudem der geige-spielende Lehrer Fritz Riemann ein bleibendes Gefühl für Humanismus, Kultur und Poesie. Diesem Lehrer durfte die kleine Christa Schmidt auch helfen, wenn er aus einem Rollschrank heraus die Dorfbibliothek betrieb. Und im Gasthof war es der Landfilm, der dich zu der Überzeugung kommen ließ, dass Filme wie Fenster und Türen zur Welt sein können.

Als 12-Jährige zogst du mit der Mutter zu einem pflegebedürftigen Onkel an den Berliner Stadtrand nach Stahnsdorf. Du lerntest den Brotberuf einer kartographischen Zeichnerin, bliebst aber über das Lesen und deine Lyrik den einmal gesetzten künstlerischen Impulsen verbunden. Als du dich später in erster Linie dem Aufwachsen deiner Söhne widmetest, führte dich das mehr und mehr zum Schreiben für Kinder. Ein weiterer zentraler Impuls deines Schaffens war gesetzt.

Letzteres brachtest du unmittelbar ab 1968 in deine Arbeit im DEFA-Studio für Kurzfilme ein. Der Löwe Balthasar wurde hier dein erstes Filmszenarium, das kein geringerer als Kurt Weiler umsetzte. Auf Grund deiner Begabungen wurdest du 1970 zum Dramaturgiestudium an die Babelsberger Filmhochschule delegiert. Es war ein „Frauensonderstudium“, das du bis 1976 neben der Arbeit und der Kindererziehung absolviert hast. „Guten Morgen du Schöne“: Welche Kraft hat damals in euch gesteckt?

Deine theoretische Abschlussarbeit widmete sich der Fantasie und dem Fantastischen. Damit hattest du zu der Form gefunden, die bald deine Filmszenarien für die junge Zielgruppe prägen sollte. Zunächst in PHILIPP DER KLEINE, den Herrmann Zschoche 1976 realisierte.

Gleich mit deinem ersten großen Spielfilm hattest du bleibende Maßstäbe für den künftigen deutschen Kinderfilm sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik gesetzt. Ermutigung des Individuums über die Fantasie im Rahmen einer genau erzählten sozialen Realität bei unbedingtem Verzicht auf irgendwelchen pädagogischen Zeigefinger.

Filmautorin und Buchautorin bildeten für dich fortan eine duale Einheit. Du gingst 1977 für ein Jahr an das Literaturinstitut in Leipzig. Hier entstand das Kinderbuch Moritz in der Litfaßsäule und gleichzeitig die Idee zum Filmszenarium Sieben Sommersprossen.

1973 hattest du auf dem Festival im mährischen Zlin, damals Gottwaldov, den Regisseur Rolf Losansky kennengelernt. Ihm gefiel deine Erzählweise und es entwickelte sich zwischen euch eine langjährige intensive Zusammenarbeit. 1977 brachte Losansky bei der DEFA deine Geschichte Ein Schneemann für Afrika auf die Leinwand. Hier war es wieder Kurt Weiler, der deinem Schneemann Leinwandleben einhauchte.

Als 1978 dein Szenarium Sieben Sommersprossen unter der Regie von Herrmann Zschoche mit mehr als einer Million Kinobesuchern zu einem wahren Kinorenner wurde, schrieb Renate Holland-Moritz, der Zuschauer müsse nicht unbedingt jung sein, „um einen Film zu mögen, der lebenswichtige Probleme Jugendlicher so ehrlich, mutig ohne falsche Scham und mit ansteckendem Spaß behandelt“. Ja, es ist ein weiteres Merkmal deiner Filme, dass sie nicht isolierte Welten Heranwachsender konstruieren, sondern dass sie immer im Kontext eines ganzheitlichen Lebensspektrums stehen. Wenn Moritz in einer Litfaßsäule von einer klugen Katze Lebenshilfe erhält, weil sich für ihn die Welt viel zu schnell dreht, wie 1983 von Rolf Losansky nach deinem Buch inszeniert, dann berührt das Konflikte, denen sich gleichermaßen Erwachsene – heute vielleicht noch mehr als seinerzeit – gegenübersehen.

Umgekehrt erscheint mir die Altersgrenze ebenfalls nach unten fließend, zumindest bis hinein in die Pubertät, wenn du 1985 gemeinsam mit Herrmann Zschoche in Hälfte des Lebens von der leidenschaftlichen Liebe zwischen dem Dichter Friedrich Hölderlin und der verheirateten Susanne Gontard erzählst. Man erlebt mit diesem Film eine ergreifende Romanze, doch er vermittelt auch Verzweiflung angesichts unterdrückter freiheitlicher Sehnsüchte.

Der Titel verweist auf die Zäsur in der Lebensmitte Hölderlins. Gleichzeitig zitiert er eines seiner wichtigsten Gedichte. Dort heißt es final: „Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde klirren die Fahnen.“ Eine gültige und zudem hochbrisante Metapher hinsichtlich der damaligen Umstände im östlichen deutschen Staat. Du hast dich immer mit dem dortigen Gesellschaftsmodell identifiziert. Umso stärker hast du an den bleiernen Verhältnissen gelitten, die sich mehr und mehr entwickelt hatten.

In deinem nächsten Stoff Gritta von Rattenzuhausbeiuns nach Bettina von Arnim, den Jürgen Brauer als Regisseur 1985 umgesetzt hatte, wäre reichlich Gelegenheit gewesen, mit einem machtgierigen und dummen König, sowie über desolate Verhältnisse, den Herrschenden einen deutlichen Spiegel vorzuhalten. Du hast es dem Publikum überlassen, aus dezenten Anspielungen entsprechende Assoziationen abzuleiten. Stattdessen, ein Ausdruck deines grundständigen Optimismus, konzentrierst du dich auf ein außergewöhnlich starkes und sinnliches Mädchen – nicht zuletzt als Ausdruck einer großen Hoffnung. Heute wissen wir, diese Orientierung bildet die Grundlage für die zeitlose Dimension dieses Films.

1989 erblickte mit GRÜNE HOCHZEIT, wiederum in der Regie von Herrmann Zschoche, dein letzter Filmstoff bei der DEFA das Licht der Welt. Romeo und Julia aus SIEBEN SOMMERSPROSSEN sind hier in den Ebenen des Alltags junger Erwachsener angekommen. Die ursprünglich erwartbare und gewünschte Resonanz auf diesen Film blieb aus. Die DDR hatte abgewirtschaftet und was dann folgte, kennen wir alle als bleibende Geschichtsmarke genaustens.

Wie für Viele bedeutete auch für dich diese Zeit einen harten Einschnitt im bisherigen Lebenslauf. Die DEFA als Basis deiner Arbeit wurde aufgelöst. Künstlerische Arbeit unter marktwirtschaftlichen Bedingungen erwies sich für dich eher als wesensfremd. Manche Enttäuschung war wegzustecken. Doch du hast nie aufgegeben. Du bist mit deinen Büchern, insbesondere mit Der Engel mit dem goldenen Schnurrbart, was dir besonders am Herzen lag, kreuz und quer durch das Land gezogen. Du hast bis heute zahlreiche Filmgespräche mit deinen Arbeiten erlebt. Und du fandest dabei über Generationen hinweg immer wieder bestätigt, deine künstlerischen Werke sind von bleibendem Wert.

Dafür steht die heutige symbolträchtige Anerkennung.

Herzlichen Glückwunsch, liebe Christa.

Laudator: Klaus-Dieter Felsmann

 

Preis für herausragende Leistungen im deutschen Film

Katharina Thalbach

Katharina Thalbach

Fotograf: Andreas Domma

Liebe Katharina Thalbach, da ich Dich in ähnlichen Situationen schon erlebt habe, kann ich mir vorstellen, wie Dir jetzt zumute ist. In die Freude, von Menschen umgeben zu sein, die Dich lieben und verehren, mischt sich sicher gerade Dein bekanntes Unbehagen an großen, preisenden Worten über Deine Person. Aber genau dafür stehe ich hier und zwar sehr, sehr gern.

Für mich bist Du in jeder einzelnen Sekunde Deines Schaffens eine Erzkomödiantin, auch in dramatischen Rollen wie in Siegfried Kühns DIE LÜGNERIN oder Volker Schlöndorffs STRAJK, in dem Du mit so viel Leidenschaft die mutige Heldin von Danzig spielst. Oder als anrührende, unglückliche Ehefrau in Bernd Böhlichs Tragikomödie DU BIST NICHT ALLEIN, die sich nach Wärme und Verständnis sehnt. Komödiantin meint für mich, dass die ganze Geschichte, der Ursprung der Schauspielkunst in Deiner Arbeit anwesend ist, der Tempel und der Zirkus, die Kunst und das fahrende Volk. Darin bist Du mit Goethe verwandt, der wie Du das Bühnen-Spektakel liebte, Prospekte und Maschinen nicht schonte und die Sterne verschwenden wollte. Es ist sicher kein Zufall, dass unsere innige Beziehung zu Dir bei der DEFA mit Goethe begann. Du warst eine hinreißende Lotte in Egon Günthers Werther-Verfilmung und hast als Goethes Schwiegertochter Ottilie in LOTTE IN WEIMAR am Klavier mit Deinem engelsgleichen Gesang den Weimarer Salon und jeden Kinosaal verzaubert. Ich weiß, wie hart Du für diese Szene am Klavier geübt hast. Von der Anstrengung sieht man nichts, nur den reinen Liebreiz. 

Auch wegen dieser immer spürbaren Spiellust lieben Dich gerade Kinder so sehr, sehen eine Verwandte im Geiste in Dir, als Prinzessin im DEFA-Märchenfilm DAS BLAUE LICHT von Iris Gusner und in unzähligen anderen Kinderfilmen, bis heute, wie dem wunderbaren HÄNDE WEG VON MISSISSIPPI von Detlev Buck, um wirklich nur ein Beispiel zu nennen.

Etwas anderes als Spielen war für Dich unvorstellbar. Hineingeboren in eine Theaterdynastie, spieltest Du Deine erste Rolle schon mit vier Jahren, in dem Fernsehfilm BEGEGNUNG IM DUNKEL von 1958. Du hast Dir die lebendige Erinnerung daran bewahrt, wie Du als kleines Mädchen in der Loge des Berliner Ensembles sitzend, Deine Mutter Sabine Thalbach auf der Bühne bewundertest, die viel zu früh verstarb. Du weißt genau, woher Du kommst, vielleicht gibt das Deinem Spiel diese Sicherheit, diese Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit. Deine aus Erdentiefen kommende Stimme, dieses unendlich modulationsfähige Instrument aber ist ein Geschenk des Himmels.

Mit ihrem Lebensgefährten, dem in der DDR kaltgestellten Dissidenten Thomas Brasch, ging Katharina Thalbach 1976 in den Westen. Dort konnte sie sehr schnell Fuß fassen, war in wichtigen Filmen wie DIE BLECHTROMMEL von Volker Schlöndorff zu sehen, vor allem aber in den kühnen, experimentellen Arbeiten von Thomas Brasch wie DOMINO und PASSAGIER, die es mit ihrer ästhetischen und politischen Radikalität wert sind, wiederentdeckt zu werden. 

Liebe Kati, Du hast Deine Herkunft aus dem Osten, gute und bittere Erfahrungen und den kritischen Blick auf einen entfesselten Kapitalismus niemals verleugnet. Für manche Zeitgenossen war das ein Sakrileg, leben wir doch angeblich in der besten aller Welten! An Dir prallen solche Angriffe ab, denn Du arbeitest sehr bewusst in einer Tradition, nach der Kunst klug unterhalten, eingreifen und verändern will. „Wie die Welt ist, muss sie nicht bleiben“, wie Brecht einst sagte.

Katharina Thalbach, liebe Gäste, hat übrigens eine ironische Leidenschaft für die feierlichen Rituale der Monarchie, die im Grunde auch prunkvolle theatralische Inszenierungen sind. Sie spielte eindrucksvoll die Königin Marie in LUDWIG II. und umwerfend komisch den Alten Fritz. Sie wäre vielleicht selbst gern ein gekröntes Haupt. Dieser Preis der DEFA-Stiftung ist ja so etwas wie eine Krönung, darum verneigen wir uns heute Abend tief vor Dir, in Dankbarkeit für Deine lange, segensreiche und menschenfreundliche Regentschaft im Film und im Theater. Lang lebe die Königin unserer Herzen! 

Laudator: Knut Elstermann

Preis für junges Kino

Max Gleschinski

Max Gleschinski

Fotograf: Andreas Domma

„Man muss einen Fußabdruck hinterlassen“, sagt eine Figur in Max Gleschinskis Film LASS MÖRDER SEIN, und weiter: „Die Welt braucht Ausrufezeichen!“ Man kann diese zugegebenermaßen ziemlich aus dem Zusammenhang gerissene Zitate aber auch auf den Regisseur und seine Filme übertragen.

Max Gleschinskis Ausrufezeichen sind fein gezeichnet. Sie bestehen aus einer großen Cinephilie, aus Eleganz, aus Stilsicherheit, aus einer großen Liebe zum Erzählen und einer noch größeren Lust am Kino.

Gleschinskis Fußabdrücke bestehen bisher aus den zwei Langfilmen KAHLSCHLAG und ALASKA, aus etwa neun Kurzfilmen und zahlreichen Musikvideos. Traut man der Auflistung von Crew United, dann hat Max Gleschinski von 2016 an 20 Filme als Regisseur verantwortet und war in 20 Produktionen zusätzlich in anderer Funktion beteiligt: Er war Produzent, Drehbuchautor, Regieassistent, Creative Producer, Kameramann, Setaufnahme- und Motivaufnahmeleiter. Daneben hat er zusammen mit dem Kameramann Jean-Pierre Meyer-Gehrke die Produktionsfirma „Von Anfang Anders“ gegründet, die neben seinen Filmen auch Musikvideos für Bands wie „Die Gruppe König“, „Dias“ oder „Esco“ gedreht hat. Escos Song „Mehr als nur gewöhnlich“ wird als „offizielle Rostock-Hymne“ betitelt, der Geburtsstadt von Max Gleschinski.

An der Universität Rostock hat er Anglistik, Amerikanistik und Philosophie studiert, laut Wikipedia in einer Videothek gearbeitet, aber nie einen Abschluss an einer Filmhochschule gemacht. Damit steht Gleschinski in der guten Tradition von Werner Schroeter, Rainer Werner Fassbinder und Quentin Tarantino, ebenfalls ehemaliger Videothekar, der auf die Frage „Did you go to film school?“ angeblich antwortete: „No, I went to films.“ Als „wandelndes Filmlexikon“ bezeichnet dann auch die Eigenbeschreibung der „Von Anfang Anders Filmproduktion“ Max Gleschinski, und man merkt es seinen Werken an.

Die falschen Fährten und Flashbacks, die doppelten Böden und angedeuteten Abgründe, das oft elegische und genaue Erzählen von Familienverhältnissen zeichnen Gleschinskis Filme aus, die fast ausnahmslos in Mecklenburg-Vorpommern spielen und nicht nur deswegen ziemlich originell sind.

Auch der neue POLIZEIRUF 110, bei dem Max Gleschinkski Regie führte, spielt in Rostock. „Er ist wahnsinnig respektvoll und liebevoll“, lobt die große Lina Beckmann die Zusammenarbeit, „Er sagt so Sachen, als sei er schon ein ganz alter Hase“. Dabei ist Max Gleschinski gerade einmal 30 Jahre alt – und hat schon den Förderpreis der Hofer Filmtage für KAHLSCHLAG und den Spielfilmpreis des Max Ophüls Festivals für ALASKA - neben zahlreichen andere Preisen und Nominierungen - in der Tasche.

Der neue Polizeiruf soll übrigens „Tu es“ heißen. Das braucht man dir, lieber Max, glaube ich nicht mehr zu sagen. Ich freue mich auf viele weitere Fußabdrücke und Ausrufezeichen von dir!

Laudator: Toby Ashraf

Programmpreis

Jan Gympel

Jan Gympel

Fotograf: Andreas Domma

Es gibt Kulturschaffende, die sind aus dieser Stadt nicht wegzudenken. Selbst, wenn sie manchmal eine Weile von der Bildfläche verschwinden, so handelt es sich doch nur um eine kurze Inkubationsphase, bis sie wieder neues Terrain betreten. Als ich Jan Gympel in den 1990er-Jahren kennenlernte, war er regelmäßiger Filmkritiker bei der Zeitschrift zitty (die sang und klanglos eingestellt wurde). Nachdem ich ihn eine Weile aus den Augen verlor, erfuhr ich, dass er sich mit der gleichen Verve nunmehr als Architekturkritiker betätigte. Irgendwann hat er dann die perfekte Symbiose gefunden.

Jan Gympel ist ein waschechter Berliner, einer, der seinen Dialekt noch pflegt. Neben dem Kino gilt seine zweite Leidenschaft der Stadt Berlin – ihren Architekturen, den Adern, den Locations. Die Titel seiner Publikationen sprechen Bände: „Krumme Touren. Mit der Straßenbahn durch Berlin“, „Tunnel mit Tiefgang. Mit der U-Bahn durch Berlin“, „Tempo! Berliner Verkehrsgeschichte“ (und noch einige mehr). Wie im Kino geht um Bewegung, um Geschwindigkeit. So ist ja auch kein Zufall, dass der erste Film der Brüder Lumiere die Einfahrt eines Zuges zeigt.

Jan Gympel interessiert, wie sich Berlin im Film zeigt: Wobei, logischerweise zumeist von seiner rauhen Seite, sonst gäbe es ja keinen guten Plot zu erzählen. Und dass Berlin als eine Symphonie, als eine Welt-, Reichshaupt- und Vier-Sektoren-Stadt, als Hauptstadt des Friedens, Mauerstadt, als Pfahl im Fleische, geteilte und sich als neu erfindende Stadt genug Stoff für Filme bietet, steht außer Frage.

Nahezu jedes Jahr wartet Jan Gympel mit einer neuen hochinteressant kuratierten Filmreihe auf, die er mal im Kino Brotfabrik, im Zeughauskino oder neuerdings im Cosima vorstellt: „Die coolsten Bilder des Wirtschaftswunders“, „Gasometer sprengt man nicht!“, „Bilder von drüben – Wie Deutschland Ost und West einander im Spielfilm zeigten“, „Berlin international – Rare Blicke ausländischer Filmschaffender 1924–1995“, „Schon wieder Wohnungsnot – Der Kampf ums Dach überm Kopf“, „Überblendung – Vergessene Bilder von Ost und West“.

Und Sie merken schon: Der Westberliner interessiert sich für die Stadt als Ganzes, in ihrer Dualität, Unterschiedlichkeit, den Narben, den Sedimentschichten der Vergangenheit und dem Protest-Potential, das Berlin eben auch ausmacht.

Jan Gympel ist ein beständiger Forscher, einer der vergessene Filme und verloren gegangene Namen auf die Leinwand zurückholt. So den Produzenten und Regisseur Hansjürgen Pohland, die erste DEFA-Spielfilm-Regisseurin Ingrid Reschke oder aktuell Dagmar Beiersdorf und Lothar Lambert, diese heiteren Pioniere des queeren Kinos.

Dabei folgt dieses Tun einem größeren Plan: Jan Gympel will alle diese Filme in einem Berlin-Film-Katalog online zusammenzufassen. Und zwar im Netz frei zugänglich, nicht-kommerziell, mit detaillierten Informationen zum Stab, dem Inhalt und den Berlin-Bezug. Das Vorhaben ist offen für Vorschläge und Ergänzungen und selbstredend fortlaufend, denn Berlin wird eine spannende Film-Stadt bleiben.

Der Preis möge ihn ermutigen, seinen Traum nicht aufzugeben. 

Laudatorin: Cornelia Klauß

 

Programmpreis

Filmgalerie 451

Frieder Schlaich und Irene von Alberti

von der Filmgalerie 451. Fotograf: Andreas Domma

Der Name der Preisträgerin ließ mich immer schon an Oskar Werner denken, der als Feuerwehrmann Guy Montag in Truffauts Fahrenheit 451 für die Verbrennung aller Bücher zuständig ist, auf dass die Menschen glücklicher würden ohne Nachdenken und ohne Zweifeln. Bücher stören die Ruhe der Diktatur des Hedonismus, sie torpedieren die Macht der banalen Bilderfluten. So war das 1966, so ist es heute über ein halbes Jahrhundert später erst recht.

So wie die Bücher Unruhe stiften, machen das eure Filme.

„Seit mehr als 30 Jahren ist die Filmgalerie 451 ein Raum für Filmkunst, Off-Filme und Entdeckungen“, schreibt ihr auf eurer Website, und: „Wir lieben mutige Filme, die sich politisch oder künstlerisch positionieren, einen eigenen Blick auf unsere Welt zeigen und überraschen.“

So sehe ich die Arbeit der Filmgalerie, so interpretiere ich deren Logo: Als einen flammenden Appell für die Verbreitung unbequemer Filme.

So empfand ich die Filmgalerie 451 schon als Videothek – sie war kurz nach der Jahrtausendwende der Ort in Berlin, wenn wir einen besonderen Film sehen wollten.

So empfand ich die Filmgalerie während meiner Jahre als Produzentin, in unserer Zusammenarbeit bei WEGE IN DIE NACHT von Andreas Kleinert oder bei Montag kommen die Fenster von Ulrich Köhler.

Gibt es Parallelen, Zusammenhänge zwischen der Preisverleiherin und der Preisträgerin, zwischen der DEFA-Stiftung und der Filmgalerie?

So wie die DEFA-Stiftung angetreten ist, das Filmerbe der DDR zu bewahren, zu interpretieren, dessen Sichtbarkeit und Vielfalt zu erhalten, so hatte sich der Verleih der Filmgalerie stets für die Förderung westdeutschen Filmschaffens eingesetzt, das sonst im Strudel des Kommerz untergegangen wäre: Ob es Filme von Heinz Emigholz, Roland Klick, Michael Klier, Elfi Mikesch, Isabelle Stever, Christoph Schlingensief oder Werner Schroeter waren, um nur einige zu nennen. Irene von Alberti und Frieder Schlaich begleiteten diese Filmschaffenden mit langem Atem, über eine lange Zeit, über viele Projekte, neben der Arbeit an ihren eigenen Filmen.

Dem zu früh verstorbenen Ralf Schenk sagte Irene von Alberti in einem Interview zum Thema DEFA: „Ich glaube, dass sich die DEFA-Tradition längst auf ihre Art in vielen neuen deutschen Filmen fortgesetzt hat, allein durch ihre sehr präzise Bestimmung von Ort und Zeit und ‚Milieu‘. Wenn die neuen Geschichten dann noch die Chance bekommen, abzuheben vom Boden der Wirklichkeit, dann gibt es tolle Filme…“

Wir würden uns, liebe Irene von Alberti, lieber Frieder Schlaich, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Filmgalerie 451 wünschen, dass ihr weiterhin offen seid für Filme, die etwas wagen gegen die Beliebigkeit der kommerziellen Bilderwelt.

Laudatorin: Katrin Schlösser

Programmpreis

Cinema Barby e.V.

Helmut Kolb und Sigrid Weise

vom Cinema Barby. Fotograf: Andreas Domma

Die sachsen-anhaltinische Stadt Barby liegt am linken Ufer der Elbe. Die wenigsten von Ihnen werden dort gewesen sein, es sei denn, Sie sind passionierte Radreisende, denn in Barby treffen sich der Elbe- und der Saaleradweg. Die Stadt hat rund 5.000 Einwohnerinnen und Einwohner sowie mehrere Stadtteile. Ein Stadtteil trägt den wohlklingenden Namen „Monplaisir“, was auf Deutsch so viel heißt wie „Mit Vergnügen“. Vielleicht ist es dieses französische Erbe, dass dazu beigetragen hat, dass in Barby früher und inzwischen wieder ein vielfältiges cineastisches Angebot zu finden ist.

1912 eröffnete der jüdischen Klempnermeister Hugo Hirsch im Ort sein Kinematographentheater, das den Einwohnerinnen und Einwohnern die ersten bewegten Bilder präsentierte. Unter dem Schreckensregime der Nazis musste Hirsch das Lichtspieltheater zwangsverkaufen, nur knapp überlebte er die Konzentrationslager.

1949 wurde das Kino enteignet und in das Gemeindeeigentum des Landkreises Calbe überführt. Die „Volkslichtspiele“ wurden zu einem zentralen Ort für kulturelle Aktivitäten und Filmvorführungen. Gezeigt wurden überwiegend Eigenproduktionen der DEFA aber auch Filme aus dem sozialistischen und gelegentlich dem kapitalistischen Ausland.

Nach der Wende gab es Versuche, das Kino wiederzubeleben, die jedoch nicht zu einem langfristigen Erfolg führten. Fast drei Jahrzehnte existierte kein Kino in der Stadt. Nur das zunehmend dem Verfall preisgegebene Gebäude erinnerte an einen Ort, an dem man einst für 25 Pfennige im Logenbereich für Pärchen Platz nehmen konnte.

Doch dann kamen Siegrid Weise und Helmut Kolb aus der großen Stadt an der Spree in die kleine Stadt an der Elbe. 2018 kauften sie das marode Gebäude und renovierten es dreieinhalb Jahre lang gemeinsam mi tatkräftigen Unterstützerinnen und Unterstützern. Dabei legten sie selbst Hand an, flickten das Dach, verlegten Parkett und nähten den neuen roten Vorhang. Auch ein gemeinnütziger Verein wurde gegründet, der das Programm gestaltet und getreu seinem Motto „Von uns – für alle“, das Kino mit Leben füllt.

So erstrahlt das Kino heute in alter Tradition und neuem Glanz. Seit 2021 ist es wiedereröffnet und bietet dem Publikum regelmäßig Kinovorführungen, Lesungen, Konzerte und Kabarettabende. Die Vereinsmitglieder kuratieren nicht nur Programmreihen, sondern führen so ganz nebenbei noch ein Archiv zu ihrem Kino und zu den Filmbegleitheften der DEFA-Filme der 1950er- bis 1970er-Jahre. Nach wie vor spielen die Filme der DEFA eine wichtige Rolle bei der Programmgestaltung. Der Eintritt ist überwiegend frei – das Kino gut besucht!

Für dieses Engagement und für diesen Mut, inmitten der Coronazeit, ein Kino in einer Kleinstadt zu eröffnen, - auf die Idee muss man ja erst Mal kommen – dabei nicht den Verstand zu verlieren, sondern mit dem Blick „zurück nach vorn“ cineastisches Leben zu ermöglichen und sich dabei immer wieder dem DEFA-Filmerbe zu widmen; dafür wird dem Cinema Barby heute der DEFA-Programmpreis verliehen.

Monplaisir: Herzlichen Glückwunsch an Sigrid Weise und Helmut Kolb und den Verein Cinema Barby e.V.

Laudatorin: Nicola Jones

Fotogalerie

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