DEFA-Chronik für das Jahr 1970
Als Nachfolgerin der Künstlerischen Arbeitsgruppe „Auslandsinformation“ wird die „KAG VI Camera DDR“ im DEFA-Studio für Kurzfilme ins Leben gerufen. Unter Leitung von Rolf Schnabel arbeiten Heinz Baumert, der 1965 beim Institut für Filmwissenschaft nach dem 11. Plenum der SED fristlos entlassen wurde, und Jochen Hadaschik. Die KAG stellt Filme zur Repräsentation der DDR im Ausland her, auch in fremdsprachigen Fassungen.
(Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 171; Günter Jordan: Film in der DDR, Daten - Fakten - Strukturen, Filmmuseum Potsdam, 2. überarbeitete Fassung 2013, S. 166)
Januar 1970
In Bagdad wird durch den Minister für Kultur und Information des Irak, Hamid Al-Jehouri, eine Ausstellung über die Geschichte der DEFA eröffnet. Parallel wird ein Forum über die Kulturpolitik der SED und die kulturelle Zusammenarbeit zwischen der DDR und dem Irak im DDR-Kulturzentrum ausgerichtet.
(Filmspiegel, 3/1970, S. 3)
In Damaskus (Syrien) findet zum zweiten Mal eine DDR-Filmwoche statt. In Anwesenheit der Filmschöpfer laufen die DEFA-Produktionen ABSCHIED (R: Egon Günther, 1968), DIE BESTEN JAHRE (R: Günther Rücker, 1965) und HEISSER SOMMER (R: Joachim Hasler, 1967).
Außerdem finden im Jahr 1970 weitere Filmwochen der DEFA im nichtsozialistischen Ausland bzw. von nichtsozialistischen Staaten in der DDR statt:
- im März: In Indien mit DIE BESTEN JAHRE (R: Günther Rücker, 1965), ICH WAR NEUNZEHN (R: Konrad Wolf, 1967), DAS SIEBENTE JAHR (R: Frank Vogel, 1968), ZEIT ZU LEBEN (R: Horst Seemann, 1969), SCHÜSSE UNTERM GALGEN (R: Horst Seemann, 1968) und VERWIRRUNG DER LIEBE (Slatan Dudow, 1959).
- im Juni: In Tunesien mit ABSCHIED (R: Egon Günther, 1968), DIE BESTEN JAHRE (R: Günther Rücker, 1965), WEISSE WÖLFE (R: Konrad Petzold & Boško Bošković, 1968), DIE GEFRORENEN BLITZE (R: János Veiczi, 1967) und ZEIT ZU LEBEN (R: Horst Seemann, 1969),
- im September: In der DDR wird die dritte Filmwoche der Vereinigten Arabischen Republik (VAR) ausgerichtet. Zur Eröffnung gibt es im Berliner Filmtheater „Kosmos“ den Film EIN BISSCHEN ANGST (OT: SHEY MIN EL KHOUR, R: Hussein Kamal, 1969) zu sehen.
- im November/Dezember: In Khartum (Sudan) findet eine Woche des Informations-, Kurz- und Dokumentarfilms der DDR statt.
- im Dezember Zum dritten Mal findet eine DDR-Filmwoche in Kairo statt. Präsentiert werden UNTERWEGS ZU LENIN (R: Günter Reisch, 1970), MEINE STUNDE NULL (R: Joachim Hasler, 1970), SCHÜSSE UNTERM GALGEN (R: Horst Seemann, 1968), DR. MED. SOMMER II (R: Lothar Warneke, 1969), WEISSE WÖLFE (R: Konrad Petzold & Bosko Boško Bošković, 1968) und WIE HEIRATET MAN EINEN KÖNIG (R: Rainer Simon, 1968).
- im Dezember DDR: DDR-Filmtage in Marokko mit MEINE STUNDE NULL (Joachim Hasler, 1970), ZEIT ZU LEBEN (R: Horst Seemann, 1969), ABSCHIED (R: Egon Günther, 1968) u.a.
(Filmspiegel, 4/1970, S. 24; Filmspiegel, 5/1970, S. 3; Filmspiegel, 7/1970, S. 20-21; Filmspiegel, 6/1970, S. 2, 11/1970, S. 20, 15/1970, S. 22-23; Filmspiegel, 13/1970, S. 22-24, 24/1970, S. 22-23; Filmspiegel, 20/1970, S. 2; ND, Berlin, 18.9.1970; Filmspiegel, 20/1970, S. 2; Filmspiegel, 25/1970, S. 3; Filmspiegel, 2/1971,S. 2; Filmspiegel, 1/1971, S. 2)
April 1970
30. April
Die Heinrich-Greif-Preise des Jahres 1970 werden vergeben.
- I. Klasse: An das Kollektiv des DEFA-Spielfilms DAS SIEBENTE JAHR um Regisseur Frank Vogel, Szenenbildner Dieter Adam, Dramaturgin Anneliese Pfeuffer und Kameramann Roland Gräf.
- II. Klasse: An das Schöpferkollektiv des Fernsehfilms SANKT URBAN.
- III. Klasse: An das Schöpferkollektiv der Fernseh-Sendereihe Schlager einer großen StadT.
(ND, 1.5.1970, S. 5; Filmspiegel, 10/1970, S. 2)
Mai 1970
1. Mai
Premiere des DEFA-Spielfilms MEINE STUNDE NULL (R: Joachim Hasler). Die DEFA begibt sich auf das schwierige Gleis einer Tragikomödie. Mit Manfred Krug in der Hauptrolle dreht Joachim Hasler einen Abenteuer-Kriegsfilm, ohne den Krieg zu banalisieren oder zu verherrlichen. Das Buch schreibt Jurek Becker, der aufgrund seiner tragischen Familiengeschichte ein Kriegsgegner ist. Beim Publikum ist der Film ein Erfolg; die Filmkritik schwankt zwischen völliger Ablehnung der Komödienform für das Kriegsthema bis zur theoretischen Bejahung einer Kriegskomödie, wenn es ein guter gemachter Film geworden wäre.
(Filmspiegel, 02/1970, S. 4-7; 9/1970, S. 14f; 11/1970, S. 8; F.-B. Habel: Das große Lexikon der Spielfilme, Neuausgabe in zwei Bänden, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2017, S. 599f)
21. Mai
Der DEFA-Regisseur Gerhard Klein, geboren am 1. Mai 1920, stirbt nach schwerer Krankheit im Alter von nur 50 Jahren während der Dreharbeiten zu LEICHENSACHE ZERNIK. Er gehörte zu den Künstlern, die sich mit besonderer Intensität dem Gegenwartsfilm zuwandten. Am Herzen lag ihm seine Heimatstadt Berlin, deren Lebensgefühl er, auch als Mikrokosmos des geteilten Deutschlands, meisterhaft abbildete. Wolfgang Kohlhaase, Freund und Autor vieler seiner Filme, sagt über ihn: „Er konnte zeigen, wie ein Hof riecht… Die Poesie seiner Filme, in denen selbst die leeren Straßen von denen reden, die in ihnen wohnen, gewann er aus einem tiefen Respekt vor der Wirklichkeit…“
Ab Gründung der DEFA 1946 dem Studio angehörend, dreht Gerhard Klein Spielfilme wie ALARM IM ZIRKUS (1953), EINE BERLINER ROMANZE (1956), BERLIN - ECKE SCHÖNHAUSER... (1957) und DER FALL GLEIWITZ (1961). 1965/66 fällt sein Film BERLIN UM DIE ECKE dem 11. Plenum zum Opfer und wird erst 1990 fertiggestellt und uraufgeführt.
(ND, 23.5.1970, S. 2; Filmspiegel, 12/1970, S. 2, 13/1970, S. 9; DEFA-Blende, 11/1970; Film A–Z: Taschenbuch der Künste, Berlin, 1984, S. 168-169; Fred Gehler: Der liebe Gott in Berlin. Anmerkungen zu Gerhard Klein 1920-1970. In: apropros: Film 2005. Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung. Berlin 2005, S. 31-41)
Juli 1970
22. Juli
Das DEFA-Kurzfilmstudio nimmt am Nationalen Kurzfilmfestival in Miskolc (Ungarn) teil. Am Rand des Festivals findet eine Arbeitstagung der AICS statt, auf der an der Umsetzung des Beschlusses gearbeitet wird, Filmprogramme zusammenzustellen, die für die Bildungsarbeit in den Ländern Afrikas und Lateinamerikas eingesetzt werden können. Auf der der UNESCO zur Entscheidung vorzulegenden Liste von 30 Filmen befinden sich vom DEFA-Kurzfilmstudio die Produktionen BLÜTE UND INSEKT (R: Siegfried Bergmann, 1966) und ROBERT KOCH (R: Wolfgang Bartsch, 1960).
(Filmspiegel 15/1970, S. 9)
25. Juli
Der von Karl Gass künstlerisch verantwortete DEFA-Dokumentarfilm DER OKTOBER KAM... (R: Gitta Nickel, Peter Ulbrich, Peter Rocha, Volker Koepp) läuft in den Kinos an. Gass dreht zur Würdigung des 20. Jahrestages der DDR gemeinsam mit einer Gruppe junger Regisseure eine Chronik der Gründung der DDR. Die Filmschaffenden nehmen Bezug zu den Ereignissen um die Oktoberrevolution 1917 in Russland. Der Film unterscheidet sich deutlich von Arbeiten ähnlicher Thematik.
(Filmbibliografischer Jahresbericht 1970, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 44; Filmspiegel, 23/1970, S. 14; Aus Theorie und Praxis des Films, 2/1987, S. 76-78; Eduard Schreiber: Zeit der verpassten Möglichkeiten. In: Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 129f)
August 1970
14. August
Prof. Günter Althaus (1919–1970) stirbt. Ab 1946 ist Produktionsleiter im DEFA-Studio für Spielfilme, ab 1954 leitet er die Fachrichtung Produktion an der Deutschen Hochschule für Filmkunst Babelsberg.
(FWB, 1/1979, Sonderband, S. 179, 185-187)
Oktober 1970
1. Oktober
Premiere des DEFA-Spielfilms DR. MED. SOMMER II von Lothar Warneke. Der Regisseur beginnt damit eine bemerkenswert kontinuierliche Reihe von Gegenwartsfilmen. Ziel Warneckes ist es, einen „dokumentaren Spielfilm“ zu schaffen.
(Filmbibliografischer Jahresbericht 1969, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 19; Filmspiegel, 24/1969, S. 4-7, 21/1970, S. 8; Progress-Filmblatt 1978; Klaus Wischnewski: Träumer und gewöhnliche Leute 1966 bis 1979. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 244; Lothar Warneke & Erika Richter: „..und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“ Erinnerungen. In: apropros: Film 2002. Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung. Berlin 2002, S. 53-87)
6. Oktober
Die Nationalpreise für Kunst und Literatur des Jahres 1970 werden verliehen.
- I. Klasse: An das Kollektiv des Fernsehfilms OTHELLO um Walter Felsenstein, Kurt Masur, Hanns Nocker, und Otto Merz.
- II. Klasse: An den Regisseur des Deutschen Fernsehfunks, Hans-Joachim Kasprzik, für seine Inszenierungen der Fallada-Romane.
- III. Klasse: An das Kollektiv des Fernsehfilms ICH – AXEL CÄSAR SPRINGER um Horst Drinda, Dr. Karl Georg Egel, Hans-Georg Kohlus, Joachim Hübner, Heinz Scholz;
- III. Klasse: An das Kollektiv des Films UNTERWEGS ZU LENIN um die Autoren Helmut Baierl und Jewgeni Gabrilowitsch, den Dramaturgen Herbert Fischer, Regisseur Günter Reisch und Kameramann Jürgen Brauer.
(ND, 7. Oktober 1970, S. 5; Filmspiegel, 22/1970, S. 2)
November 1970
6. November
Als erste Koproduktion zwischen dem DEFA-Trickfilmstudio und dem sowjetischen Trickfilmstudio Sojusmultifilm Moskau wird EIN JUNGER MANN NAMENS ENGELS - EIN PORTRÄT IN BRIEFEN (R: Klaus Georgi, Katja Georgi, Fjodor Hidruk, Wadim Kurtschewski) uraufgeführt. Der Flachfigurenfilm basiert auf Briefen des jungen Engels aus den Jahren 1838 bis 1842. Der Film wird vielfach ausgezeichnet, u.a. mit einer Goldenen Taube auf der Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche für Kino und Fernsehen.
(Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 172)
21.–28. November
Auf der XIII. Internationalen Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche für Kino und Fernsehen erhält Gitta Nickels Beitrag über die Frauenemanzipation SIE (1970) eine Silberne Taube. Der Film erweckt Interesse auch außerhalb der DDR und wird in mehrere Länder, darunter nach Großbritannien, verliehen.
(Filmspiegel, 1/1971, S. 3)
29. November–8. Dezember
Das V. Sozialistische Armeefilmfestival findet erstmals in der DDR statt. Es nehmen Armeefilmstudios aus acht sozialistischen Ländern teil. Gemäß der Sprache im Kalten Krieg steht es unter dem Motto: „Klassenbrüder – Waffenbrüder – vereint unbesiegbar! Dem Feind keine Chance!“ Der Chefredakteur des Filmstudios der NVA schreibt im Filmspiegel: „[es] dominierten Filme, die der Vertiefung der Waffenbrüderschaft dienen, die den verantwortungsvollen Klassenauftrag des Soldaten motivieren und die die verbrecherischen Pläne des Imperialismus entlarven.“
(Filmspiegel, 25/1970, S. 2, 26/1970, S. 2; FBJ, 1970, S. 324)
Dezember 1970
17. Dezember
Mit SIGNALE - EIN WELTRAUMABENTEUER (R: Gottfried Kolditz) feiert ein weiterer der wenigen 70-mm-Produktionen der DEFA Premiere. Der Science-Fiction-Film ist eine Koproduktion mit der polnischen Filmgesellschaft Przedsiebiorstwo Realizacji Filmów Zespoły Filmowe Warszawa und wird im Berliner Kino „Kosmos“ uraufgeführt.
Der Film zieht das Publikum durch die große Leinwand und aufwändige Trickaufnahmen an. Das Raumfahrermilieu wird attraktiv ins Bild gebracht, das Publikum kann die komfortable Inneneinrichtung ihrer Fahrzeuge und komplizierte Schalttafeln bewundern, er sieht Kosmonauten kopfstehen und schwerelos im All rotieren. Vier Szenenbildner entwerfen die innovative Zukunftsarchitektur. Der Kameramann Otto Hanisch erfindet neuartige Tricks, um Bewegungen des Raumschiffs zu simulieren. Zum Beispiel konstruiert er eine Drehscheibe, an die der Kameramann beim Drehen angeschnallt wird, um der Kamera alle erforderlichen Bewegungen zu ermöglichen. Die Spezialaufnahmen dauern allein vier Monate. Neben Kritikern aus der DDR loben auch bundesdeutsche, DDR-freundliche Kritiker an dem Film die Kamera, „die Gewohntes und bisher Erreichtes weit hinter sich lasse“.
Die Darstellerinnen und Darsteller sind international: Sie stammen aus mehreren sozialistischen Ländern, aus Vietnam, mehreren afrikanischen Ländern, Indien und die Schauspielerin Soheir Morshedy aus der Vereinigten Arabischen Republik (VAR). Viele der internationalen Mitwirkenden sind ausländische junge Menschen, die in der DDR studieren. Für diesen auch kostenmäßig aufwändigen Film erbringt die DEFA circa 70 Prozent der Leistungen mit 4,5 Millionen Mark, die polnische Seite 30 Prozent mit 1,92 Millionen Mark. Die Einspielergebnisse sind allerdings mäßig, da die Filmhandlung nicht überzeugt. SIGNALE – EIN WELTRAUMABENTEUER erreicht in der DDR bis 1989 nur 900.000 Zuschauerinnen und Zuschauer – gegenüber einer Zielmarke von 3,5 Millionen.
(Filmspiegel, 1/1971, S. 19, 5/1971, S. 10; Filmbibliografischer Jahresbericht 1970, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 23; Ralf Schenk: Das schöne Spielzeug. Zur Entstehungsgeschichte des deutsch-polnischen Gemeinschaftsfilms Signale – Ein Weltraumabenteuer. In: Leuchtkraft 2022 – Journal der DEFA-Stiftung. Berlin 2022, S. 76ff)